Kontroversen in Militärethik und Sicherheitspolitik
Krieger sind in der Armee fehl am Platz
Ein Krieger ist in einer Berufsarmee fehl am Platz. Dennoch werden die Bezeichnung und die Bildsprache des Kriegers in vielen westlichen Streitkräften zunehmend verwendet, sowohl zur Beschreibung wie auch als Ideal. Dies ist jedoch nicht unproblematisch. Der Krieger blickt auf eine lange Geschichte zurück, die von Ungehorsam, Fehlverhalten und Frauenfeindlichkeit geprägt ist. Aus diesen Gründen sollte dieser Begriff im Zusammenhang mit modernen, professionellen Streitkräften vermieden werden.
In diesem Aufsatz werde ich auf vier wesentliche Fragen eingehen: Woher kommt der Begriff des Kriegers? Wofür steht er? Warum ist das von Bedeutung? Und schließlich: Was muss getan werden?
Woher kommt der Begriff des Kriegers?
Der Begriff und das Bild des Kriegers sind in der westlichen Welt weit verbreitet, sowohl in offiziellen als auch in inoffiziellen Kreisen – von der US Army und dem Marine Corps über die kanadischen Streitkräfte bis hin zum australischen Special Air Service Regiment. Der Begriff wird als höchste Auszeichnung verstanden, Persönlichkeiten wie kriegsversehrte Veteranen und Generale im Ruhestand werden damit bedacht. Oft werden Krieger in der Form des Spartaners dargestellt, verkörpert durch die ikonische Silhouette des Helms mit Pferdemähne.
Wir müssen uns klarmachen, dass Krieger dabei weniger als historische Personen wahrgenommen werden – was sie wirklich getan haben, interessiert kaum. Ihr mythischer Charakter übt eine viel stärkere Wirkung aus. Wie Christopher Coker schreibt, sind Mythen realer als wissenschaftliche Erkenntnisse, denn sie sind schicksalsprägend. Wir blicken also auf solche durch Mythen transportierten Bilder, als enthielten sie die Geheimnisse, das Wesentliche oder grundlegende Prinzipien, die für unsere Selbstvervollkommnung von Bedeutung sind. Mythische Krieger repräsentieren so das Ideal des Kämpfers. Diese (verbalen und visuellen) Repräsentationen prägen einen Diskurs, der wiederum eine Voraussetzung für das Handeln schafft. Nicht Informationen, sondern Affekte – emotionale Inhalte – werden transportiert.
Diese archetypischen Bilder des Kriegers sind uns sehr geläufig. Aber woher? Schließlich vergraben wir nicht alle ständig die Nase in dicken Wälzern über alte Mythen. Woher stammen also diese Bilder? Die Medien, insbesondere Film und Fernsehen, zeigen regelmäßig zeitgenössische, verzerrte Interpretationen antiker und moderner Krieger. Der Krieger als Fetisch findet sich zum Beispiel in Filmen wie 300 oder in Serien wie The Mandalorian. Diese Darstellungen sind so verbreitet, dass die US Army kürzlich in ihren Stellenausschreibungen den Slogan Warriors wanted („Krieger gesucht“) verwendete und damit andeutete, dass Menschen durchaus Krieger sein können, bevor sie überhaupt den Streitkräften beigetreten sind. Und nicht nur das: Man kann auch lange nach dem Ende der eigenen Berufslaufbahn beim Militär noch ein Krieger sein: Wer erst einmal einer ist, bleibt es auch oder kann daran festhalten. Auch im Zusammenhang mit Konsumgütern werden Krieger als Verfechter eines idealisierten Lebensstils dargestellt. Mehrere von Veteranen betriebene Unternehmen (etwa Nine Line Apparel oder Black Rifle Coffee) nutzen den Begriff und das Bild des Kriegers zu Marketingzwecken und richten sich dabei hauptsächlich an Krieger außerhalb des Militärs.
Der Krieger ist alles andere als eine eindeutige Figur, sondern zeigt sich in seiner Komplexität
Die Darstellungen des Kriegers stammen aus vielen verschiedenen Quellen. Das zeigt, dass Streitkräfte nicht in der Lage sind, diese Darstellungen zu kontrollieren oder einseitig festzulegen. Sosehr sie auch versuchen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Version des Kriegers zu erschaffen oder sich zunutze zu machen (etwa um die Moral oder den Korpsgeist zu stärken): Die Zahl der Kriegerbilder verschiedenster Herkunft ist Legion. Der Krieger ist alles andere als eine eindeutige Figur, sondern zeigt sich in seiner Komplexität.
Wofür steht der Krieger?
Worüber reden wir, wenn wir über den Krieger sprechen? Die Antwort liegt nahe, es gehe um Perfektion, um Spitzenleistungen auf dem Schlachtfeld. Wer den Kriegerbegriff in professionellen Streitkräften verwenden möchte, sieht in genau darin den Nutzen: Tapferkeit, Mut und Waffenfertigkeit zum Beispiel sind in Kriegerdarstellungen enthalten. Das mag korrekt sein, aber was genau bedeuten diese Bilder darüber hinaus? Geschichtsschreibung und Mythologie der letzten 5000 Jahre zeugen überall in der indoeuropäischen Völkergemeinschaft – vom heutigen Indien über Persien, die Türkei, Griechenland, das ehemalige Römische Reich bis hin zu den europäischen Kulturen, einschließlich der germanischen und der nordischen oder Wikinger-Kulturen – von äußerst langlebigen, ja vielleicht sogar unausrottbaren Darstellungsformen des Kriegers. Dem französischen Anthropologen Georges Dumézil zufolge ist der Krieger zwar für das Überleben der Gemeinschaft unverzichtbar, gleichzeitig aber auch eine durch und durch ambivalente Figur, die zu willkürlichen Gewalttaten oder Verrat neigt.[1] Die Gesellschaften, die durch die gemeinsame indoeuropäische Kulturgeschichte miteinander verbunden sind, so Dumézil, haben ein kompliziertes Verhältnis zur Figur des Kriegers. Ihm zufolge haben alle Gesellschaften drei wesentliche Funktionen: erstens die Ordnung, repräsentiert durch den Souverän oder die Person mit der höchsten Regierungsgewalt; zweitens die Sicherheit, repräsentiert durch den Krieger; drittens die Produktion, repräsentiert durch die restlichen Mitglieder der Gesellschaft, insbesondere Frauen, Bauern und Handwerker. Im Rahmen dieses dreigliedrigen Gesellschaftsmodells neigen Krieger nun zu drei grundlegenden Arten von Übertretungen oder Sünden gegen die Gesellschaft, die sich gegen diese drei sozialen Funktionen richten: Erstens erheben sie sich gegen den Souverän. Zweitens verstoßen sie gegen das Recht oder wenden gemeine, geradezu perfide Tricks gegenüber anderen Kriegern an. Drittens versündigen sie sich an der produktiven Gesellschaft. Raubzüge, Plünderungen und unerlaubte sexuelle Beziehungen sind nur einige Beispiele dafür. Es lohnt sich, diese fortwährenden problematischen Aspekte des Kriegers genauer zu betrachten.
Der Krieger neigt zur Rebellion oder zum Aufbegehren gegen den Souverän. Dies zeigt zum Beispiel die Szene der Ilias, in der sich Achilles mit Agamemnon wegen Briseis überwirft: Achilles sieht sich selbst als den ultimativen Krieger und stellt sich Agamemnon entgegen, der vielleicht früher einmal ein Krieger war, im Alter aber zum Herrscher über alle Griechen geworden ist, die Troja belagern. Eine ähnliche Beziehung besteht zwischen Thor und Odin. Auch Lanzelot und König Artus stehen sich als Antagonisten gegenüber. In Coriolanus fängt William Shakespeare die Verachtung des Kriegers für die Autorität ein: Der Protagonist, urspünglich ein Krieger auf dem Schlachtfeld, ein siegreicher General, kehrt nach Hause zurück und begehrt dort gegen die Autorität auf – auch wenn diese Autorität inzwischen beim Volk der Republik Rom liegt. Auch bei zeitgeschichtlichen, weniger mythischen Figuren lässt sich dies beobachten, etwa bei der Darstellung des US-Generals MacArthur, der als kämpferische amerikanische Version von Cäsar auf Präsident Truman herabblickt, der als bemitleidenswerter Krämer aus Missouri gezeichnet wird.
Die zweite Dimension unehrenhaften Verhaltens ist der Umgang mit anderen Kriegern. Auf einer griechischen Vase sehen wir beispielsweise, wie Achilles den Leichnam Hektors hinter seinem Streitwagen rund um Troja schleift und schändet, was in der Ilias als schwere Verfehlung galt. Tatsächlich veranlasst dies die Götter einzugreifen. Aber auch in der jüngsten Geschichte finden sich Beispiele: 1992 folterte und tötete ein Soldat des kanadischen Fallschirmjägerregiments den somalischen Jugendlichen Shidane Arone. Zwischen 2005 und 2016 töteten Soldaten des australischen Special Air Service Regiments mutmaßlich illegal fast 40 Afghanen. In der Ukraine kursieren Gerüchte, denen zufolge sowohl russische als auch ukrainische Soldaten Kriegsgefangene foltern.
Schließlich versündigen sich Krieger an der produktiven Gesellschaft. Dies geschieht etwa durch Plünderungen oder die Aneignung von Kriegstrophäen. Der eklatanteste Regelverstoß ist jedoch die Aufnahme unerlaubter sexueller Beziehungen. In der Ilias entführt Achilles seine „Kriegsbraut“, die junge Briseis. Er nimmt sie gefangen und hält es für sein Recht als Krieger, sie als eine Art persönlichen Besitz zu betrachten. Als Agamemnon sie für sich selbst als Trophäe fordert, zieht sich Achilles mit seinen Kriegern, den Myrmidonen, vom Schlachtfeld zurück. Sir Lanzelot hat eine Affäre mit Lady Guinevere, der Gemahlin des König Artus, und nutzt somit die unerlaubte sexuelle Beziehung als eine Form der Rebellion. Ein Beispiel aus der Gegenwart: US-General David Petraeus unterhielt eine außereheliche Affäre mit seiner Biografin Paula Broadwell, der er auch vertrauliche Dokumente übergab. Vergewaltigung als Waffe stellt möglicherweise die perverseste Dimension dieser Verfehlung dar. Sie findet fast in jedem Krieg statt, auch in der Ukraine.
Krieger sehen die Welt sehr stark durch die eigene Brille
Diese drei genannten Sünden ziehen sich durch die gesamte Mythologie und Geschichtsschreibung. Und damit können wir überall im indoeuropäischen Kulturraum gemeinsame problematischen Eigenschaften von Kriegern festhalten. Erstens sind sie eher endogen motiviert, das heißt, sie sehen die Welt sehr stark durch die eigene Brille. Was sie motiviert, sind ihre eigenen Wünsche: der Wunsch, sich auszuzeichnen, reich zu werden, unsterblich zu sein – jedenfalls scheinen sie von ihren eigenen Vorstellungen getrieben. Zweitens besteht, wie bereits erwähnt, ein gestörtes Verhältnis zur Autorität. Drittens haben Krieger ein paradoxe Beziehung zum weiblichen Geschlecht: Einerseits verstehen sie sich oft als Beschützer der Frauen in ihrer jeweiligen Gesellschaft. Auf der anderen Seite scheuen sie gleichzeitig nicht davor zurück, Frauen Schmerz und Leid zuzufügen, sie als Teil ihres „gerechten Lohns“ für gute Leistungen auf dem Schlachtfeld zu vergewaltigen und sexuell zu versklaven. Viertens neigen sie dazu, sich Wut, Gewalt, Zerstörung und Gräueltaten hinzugeben, von Achilles bis hin zu den Berserkern in den Überlieferungen der Wikinger. Darüber hinaus wirkt sich die Vorstellung, sie seien von einer unkontrollierbaren Wut beherrscht, oft nachteilig aus, nicht nur auf die Krieger selbst, sondern auch im größeren militärischen oder gar gesellschaftlichen Kontext.
Man muss sich daher vergegenwärtigen, dass Krieger einerseits zwar als hervorragende Kämpfer dargestellt werden, uns andererseits aber, auch in der Geschichtsschreibung, als Egoisten entgegentreten: Krieg ist für sie Teil der Selbsterfahrung und dient dazu, im Sinne des Maslowʼschen Modells der Selbstverwirklichung die eigenen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Caroline Alexander merkt an: Achilles „kapert [...] förmlich die Ilias.“[2] Für ihn ist der Krieg um Troja eine persönliche Prüfung, auch wenn dieser für die übrigen Griechen und Trojaner höchst tragische Folgen hat. Diese Art des Selbstbezugs fand mit dem zu trauriger Berühmtheit gelangten „Kill Team“ ihre Fortsetzung, einer in Afghanistan operierenden Einheit der US Army. Laut der Zeitschrift The Rolling Stone waren die Soldaten dieser Einheit „gelangweilt, vom Kampf traumatisiert und wütend“, hatten es satt, darauf zu warten, dass noch mehr Kameraden getötet werden, und waren derart beunruhigt über die passive Rolle des Zuges, dass der verantwortliche Sergeant beschloss, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.[3] Hier begegnet er uns wieder, der Egoismus: Wie Achilles glaubte auch diese Einheit, sie könnte selbst entscheiden, wann und wie zu kämpfen sei. Offenbar dachten die Soldaten, sie als „Krieger im Einsatz vor Ort“ seien befugt, die Bedingungen für akzeptables Verhalten selbst festzulegen.
Nicht zuletzt wegen eines solchen Glaubens an die eigene Ausnahmestellung stehen wir vor der Tatsache, dass Krieger bei ihrer Rückkehr in vielen Gesellschaften schon immer eine besonderen Umgang benötigten. Es braucht eine Form, um die Heimkehrer in ihre Herkunftsgemeinschaften zu reintegrieren. In der skandinavischen Kultur gibt es zum Beispiel die Vorstellung des Berserkers, der auf dem Schlachtfeld zum Bären geworden ist und sich wieder in eine menschliche Gestalt zurückverwandeln muss, um ins Zivilleben zurückkehren zu können. In vielen Kulturen werden Krieger nach der Rückkehr aus dem Kampf willkommen geheißen, was jedoch zugleich eine bestimmte Form der Transformation erfordert, ob durch rituelle Reinigung oder durch die erneute Verpflichtung, die Regeln der aufnehmenden Gesellschaft zu befolgen. Wo dies nicht geschieht, werden die Krieger entweder in die Verbannung geschickt oder geächtet. In vielen Fällen nehmen sie sich tragischerweise auch das Leben.
Traditionell sehen sich Krieger also in einer von der größeren Gemeinschaft abgehobenen Sonderstellung, und auch ihre Gesellschaften betrachten sie so. Friedrich Nietzsche verweist darüber hinaus darauf, dass die Krieger von der Gesellschaft selbst enttäuscht sind: „[Der alte Tapfere] ärgert sich über die Civilisation, weil er meint, dieselbe ziele darauf, alle guten Dinge – Ehren, Schätze, schöne Weiber, – auch Feiglingen zugänglich zu machen.“[4] Gute Dinge, so scheint es, sollten denjenigen vorbehalten sein, die im Kampf waren. Diese wenn auch extreme Form der Ausnahmestellung findet auch in der heutigen Zeit noch ihren Ausdruck. Für dieses Gefühl, etwas Besonderes zu sein, fand John H. Kelly, General a. D. des United States Marine Corps, 2017 in seiner Funktion als Stabschef des Weißen Hauses folgende Worte: „Wir schauen nicht auf diejenigen von Ihnen herab, die nicht gedient haben ... In gewisser Weise bedauern wir Sie sogar ein bisschen, denn Sie werden nie die wunderbare Freude erleben, die Sie in Ihrem Herzen empfinden können, wenn Sie das tun, was unsere Soldaten und Soldatinnen tun – und zwar aus einem einzigen Grund: Sie lieben dieses Land.“[5] Der Krieger hebt sich also eindeutig vom Rest der Gesellschaft ab – und steht vielleicht sogar ein wenig über ihr.
Warum ist das von Bedeutung?
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hätte die Verwendung des Kriegerbegriffs oder -bilds als eine Art symbolisches Kapital gedeutet.[6] Wie alles Kapital verliert es seinen besonderen Wert, wenn es zu breit gestreut wird. Es braucht also eine gewisse Ichbezogenheit; die eigene Identität muss gegen andere abgegrenzt und schwer zu erreichen sein, denn Knappheit erhöht den Wert des symbolischen Kapitals. Das symbolische Kapital hat zwei Seiten: Es beruht einerseits auf einem Prestige, einer Berühmtheit oder Ehre, die nicht nur auf dem eigenen Wissen oder der eigenen Kenntnis beruht, sondern andererseits auch auf der Anerkennung durch andere, die das Getane und Erreichte verstehen, schätzen und respektieren. Wir sehen dies sehr deutlich, wenn Eliteeinheiten innerhalb der Streitkräfte oder Einheiten, die sich für solche halten, dieses symbolische Kapital für sich zu beanspruchen versuchen. Ob sich Luftlandetruppen gegen reine Bodentruppen, Spezialeinheiten gegen konventionelle Truppen oder Kampfeinheiten gegen Unterstützungskräfte abgrenzen: Oft soll das eigene symbolische Kapital mit dem Argument erhöht werden, die Eliten seien die wahren Krieger und alle anderen nur Durchschnitt und Mittelmaß. Die grobe Abgrenzung zwischen zivil und militärisch wird hier nicht als ausreichend empfunden. Der britische General Sir John Hackett drückt es so aus: „Die Abkehr des Militärs von der Zivilbevölkerung hat sich inzwischen grundlegend umgekehrt. Die Seiten haben sich einander angenähert. Militärische Fertigkeiten werden als weniger exklusiv spezialisiert wahrgenommen. Das Militär grenzt sich weniger ab; Uniformen werden im zivilen Leben seltener getragen.“[7] Da die Unterscheidung zwischen zivil und militärisch als weniger deutlich ausgeprägt erlebt wird, ist es möglicherweise notwendig geworden, sich innerhalb des Militärs stärker abzuheben. Durch Selbstselektion entsteht im Ergebnis eine Untergruppe von Kriegern innerhalb des Militärs. Dies kann einen gesunden Wettbewerbsgeist zwischen Einzelpersonen und Einheiten und folglich zu besseren Leistungen fördern, aber andererseits auch negative Folgen wie etwa Ressentiments zwischen Spezialeinheiten und anderen Truppenteilen bedingen und mit einem Rückgang der Moral und des Zusammenhalts einhergehen. Schauen Kommandoeinheiten beispielsweise auf die logistischen Einheiten herab, so sind Letztere vermutlich weniger motiviert, sich für die Unterstützung der anderen besonders ins Zeug zu legen.
Der Diskurs über den Krieger ist auch deshalb von Bedeutung, weil er die Vorstellung einer Berufsarmee unter ziviler Kontrolle tendenziell untergräbt
Dieser Diskurs über den Krieger ist auch deshalb von Bedeutung, weil er die Vorstellung einer Berufsarmee unter ziviler Kontrolle tendenziell untergräbt. In The Soldier and the State geht Samuel Huntington auf zwei Imperative ein, die für das Militär gelten. Der erste ist funktional: Die Streitkräfte sollen in den Krieg ziehen und gewinnen. Diesen Auftrag zu erfüllen, erfordert unter anderem die entsprechenden Fähigkeiten, Disziplin und Planungsvermögen. Huntingtons Konzept der objektiven Kontrolle bezeichnet im Grunde ein Tauschgeschäft: Die (zivile) Regierung gewährt dem Militär professionelle Autonomie und die Möglichkeit, sich auf die Entwicklung der Fähigkeiten zu konzentrieren, die zur Erfüllung des funktionalen Imperativs erforderlich sind. Im Gegenzug erklärt sich das Militär bereit, sich aus der Politik herauszuhalten. Huntington räumt jedoch ein, dass dieser Imperativ allein nicht ausreicht. Ergänzend spricht er vom gesellschaftlichen Imperativ: Die Streitkräfte müssen die Normen, Regeln und Traditionen der Gesellschaft, der sie dienen, akzeptieren und befolgen. Wie oben dargestellt spielt jedoch eine Kriegerkultur die Bedeutung gesellschaftlicher Normen zugunsten eigener Wertvorstellungen tendenziell herunter. Wer sich als Krieger sieht, neigt daher oft dazu, den funktionalen gegenüber dem gesellschaftlichen Imperativ zu betonen. Diese einseitige Bevorzugung ist nicht nur dem Berufsbild abträglich, sondern führt in letzter Konsequenz zur Infragestellung der zivilen Kontrolle über das Militär. Die technischen Fertigkeiten des Kriegers stehen im Wert über seiner Fähigkeit, sich den gesellschaftlichen Werten anzupassen. In der Tat wird er oft als distanzierte, dem Bürokraten oder Politiker überlegene Figur dargestellt. So sprach Generalleutnant Rick Hillier, Befehlshaber der kanadischen Armee, bei der Trauerfeier für die 2003 in Afghanistan gefallenen kanadischen Soldaten folgende Worte: „Es ist der Soldat, nicht der Journalist, der die Redefreiheit garantiert. Es ist der Soldat, nicht der Politiker, der unsere Demokratie beschützt. Der Soldat, nicht der Diplomat, wird zum greifbaren Ausdruck der Bereitschaft einer Nation, ihre Werte und Ideale an jeden Ort der Welt zu bringen.“[8] Die Ausrichtung auf die „Überlegenheit des Kriegers“ verschärft das „Expertenproblem“ der meisten Auftraggeber-Auftragnehmer-Vereinbarungen. Risa Brooks zufolge trägt diese Haltung zu einem Phänomen bei, das sie als „McMasterismus“ bezeichnet: Der Krieger hält sich für befugt, politischen Entscheidungsträgern Ratschläge zu erteilen. Befolgen diese die Ratschläge nicht, geht er nach dem Vorbild Achillesʼ seine eigenen Wege.[9] Harold Lasswell warnt vor „einem Garnisonsstaat [...] einer Welt, in der die Spezialisten der Gewalt die mächtigste Gruppe der Gesellschaft stellen“[10]. Überraschenderweise gaben 17 Prozent der Amerikaner in einer Umfrage aus dem Jahr 2017 an, sie seien mit einer Machtübernahme durch das Militär einverstanden.[11]
Was muss getan werden?
Im Kontext der heutigen Berufsarmeen sollte die Verwendung des Begriffs und anderer Darstellungen des Kriegers vermieden werden. Stattdessen sollte im Vordergrund stehen, dass der Berufssoldat nicht für persönlichen Ruhm oder Bereicherung kämpft, nicht von individueller Wut beseelt ist, sondern im Auftrag der Regierung handelt. Innerhalb der Struktur seiner dem Krieg inhärenten doppelten Trinität nimmt Carl von Clausewitz eine klare Aufteilung der Verantwortung vor. Hass, Feindschaft oder Leidenschaft lägen nicht beim Militär, sondern beim Volk. Diese Leidenschaft werde durch die Regierung in eine bestimmte Richtung gelenkt. Das Militär wiederum setze diese Entscheidung anschließend im Spiel der Wahrscheinlichkeit und des Zufalls mit seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten bestmöglich um, während die gegnerischen Streitkräfte das Gleiche täten. Deshalb wählen wir auch nicht Berserker oder wütende Krieger als Leitbilder für unsere Streitkräfte, sondern sollten uns stattdessen lieber auf den Soldaten (bzw. Matrosen oder Flieger) konzentrieren, definiert als „jemand, der sich gegenüber einer Regierung verpflichtet, für einen bestimmten Zeitraum seine gesamte Energie, wenn nötig auch sein Leben, der Förderung einer Politik dieser Regierung zu widmen“. Ralph Peters, Oberst der US-Armee, schrieb 1994, der Soldat sei im Grunde der Antikrieger; indem er das Bild des disziplinierten, regeltreuen Soldaten aufwertete, wollte er den Unterschied zwischen dem Krieger und dem Soldaten klarstellen.[12]
Berufsstreitkräfte täten gut daran, sich für den Soldaten und gegen den Krieger zu entscheiden. Das ist vielleicht ein weniger spektakuläres Rollenbild – aber auch eines, das nicht Egoismus, Ungehorsam, Niedertracht und sexuelle Gewalt aufwertet.
[1] Dumézil, Georges (1970): The Destiny of the Warrior. Chicago.
[2] Alexander, Caroline (2009): Der Krieg des Achill: Die Ilias und ihre Geschichte. Zürich, S. 115.
[6] Bourdieu, Pierre (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Soziale Welt, Sonderheft 2: Soziale Ungleichheiten, hg. von Reinhard Kreckel. S. 183−98.
[7] Hackett, John (1983): The Profession of Arms. London, S. 40. (Übersetzung aus dem Englischen.)
[8] Hillier, Rick, Lieutenant-General (2003): We will remember: Tribute to Sgt Robert Short and Cpl Robbie Beerenfenger. Rede vor der Canadian Forces Garrison in Petawawa, Ontario. 7.10.2003. (Übersetzung aus dem Englischen.)
[9] Brooks, Risa (2020): Paradoxes of Professionalism: Rethinking Civil-Military Relations in the United States. In: International Security 44 (4), S. 7−44.
[10] Lasswell, Harold D. (1941): The Garrison State. In: American Journal of Sociology 46 (4), S. 455−468. (Übersetzung aus dem Englischen.)
Dr. Christopher Ankersen ist Clinical Professor for Global Affairs am Center for Global Affairs der New York University. Zuvor bekleidete er verschiedene Positionen bei den Vereinten Nationen und war als Strategieberater für Streitkräfte, Regierungen und Privatunternehmen in Großbritannien und Kanada tätig. Von 1988 bis 2000 war Dr. Ankersen Offizier bei den kanadischen Streitkräften, wo er unter anderem an Auslandsmissionen der UN und der NATO teilnahm. Dr. Ankersen lehrte u. a. an der London School of Economics, dem King’s College London, dem Royal Military College of Canada und der Harvard Extension School. In seiner Forschungstätigkeit beschäftigt er sich mit zivil-militärischen Beziehungen, strategischen Studien und internationaler Sicherheit.