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GRIECHENLAND

Für das Special dieser Ausgabe hat die Redaktion von „Ethik und Militär“ Expertinnen und Experten aus verschiedenen Staaten einen sechs Punkte umfassenden Fragenkatalog zum Thema Militärethik und Ethikunterricht in ihren jeweiligen Streitkräften vorgelegt. Diese Seiten erheben keinen Anspruch auf Repräsentativität, sondern sollen weiteres Anschauungsmaterial für die Frage nach einem ge­­meinsamen europäischen Ansatz auf diesem Gebiet liefern. 

Was verstehen Sie bzw. was versteht man in Ihrem Land hauptsächlich unter Militärethik? Womit befasst sie sich im Wesentlichen, und was ist ihre Hauptaufgabe?

Meine persönliche Auffassung von Militärethik bezieht sich auf die wissenschaftliche Untersuchung, die das professionelle militärische Verhalten in Friedens-, Krisen- und Kriegszeiten versteht und bewertet.

Militärethik ist ein Begriff, der grundlegende Konzepte wie das "Kriegerethos", Ehre und Professionalität umfasst und die Einzigartigkeit des Militärberufs deutlich symbolisiert.

Die Militärethik ist von wesentlicher Bedeutung, wenn es um kritische Situationen geht, die nicht durch gesetzliche Bestimmungen abgedeckt sind. In diesem Sinne kann die angewandte Militärethik Lösungen für ethische Dilemmata bieten und zur Behebung von Rechtslücken beitragen.

In Griechenland gibt es eine lange Tradition philosophischer Studien, da die Ursprünge der philosophischen Ethik in diesem Land liegen; aber es gibt noch keine anerkannte systematische Disziplin der Militärethik, die an griechischen Universitäten eingeführt wurde.

In jedem Fall geht der Begriff „Kriegerethos“ auf die Kriegssitten und ungeschriebenen Regeln der Kriegsführung im antiken Griechenland sowie auf die Überlegungen von Philosophen wie Platon und Aristoteles zurück.

Gibt es in Ihrem Land eine öffentliche Debatte zu damit zusammenhängenden Fragen? Wenn ja, zu welchen?

Man könnte sagen, dass die Militärethik als Diskussionsgegenstand in Griechenland in gewisser Weise parallel zu anderen philosophischen oder politischen Themen wie Ethik und Integrität am Arbeitsplatz oder im Rahmen des Universitätsstudiums des humanitären Völkerrechts behandelt bzw. studiert wird.

Sehen Sie beim Verständnis von bzw. konkreten Fragen der Militärethik Gemeinsamkeiten in den EU-Mitgliedstaaten und anderen europäischen Ländern? Wenn ja, worin bestehen diese?

Man könnte sagen, dass es eine einheitliche europäische Auffassung darüber gibt, was als ethisches Verhalten oder ethische Führung in militärischen Organisationen angesehen wird. Gemeinsame Begriffe in offiziellen Erklärungen und Kodizes, wie Gerechtigkeit, Achtung der Menschenwürde, Unparteilichkeit und Integrität, sind ein Hinweis auf ein gemeinsames Verständnis.

Hat der russische Angriff auf die Ukraine Ihrer Meinung nach eine deutliche Veränderung in dieser Hinsicht bewirkt?

Am besorgniserregendsten ist meines Erachtens die russische Rhetorik, die sich eines verzerrten Konzepts der Souveränität bedient und versucht, den Begriff der „Fluidität“ des Völkerrechts einzuführen, um seine außenpolitischen Ziele zu erreichen und gleichzeitig als gesetzestreuer und moralischer Akteur im internationalen System zu erscheinen.

Das Problem der „fallbezogenen“ oder „egozentrischen“ Ethik einzelner Akteure erfordert ein kollektives Verständnis und eine kollektive Reaktion mit Blick auf das, was in den internationalen Beziehungen als ethisch gilt.

In welchem Umfang und für wen sind Ethik und Militärethik Teil der militärischen Ausbildung? Durch wen wird unterrichtet?

Die Werte und Grundsätze der militärischen Organisationskultur in Griechenland sind Teil des Verhaltenskodex der griechischen Streitkräfte und finden sich auch in den Handbüchern zur Umsetzung des humanitären Völkerrechts wieder.

Das humanitäre Völkerrecht ist integraler Bestandteil der militärischen Ausbildung und des Lehrplans. Zur Umsetzung der WPS-Agenda der Vereinten Nationen und der entsprechenden Ausbildungsvorschriften der EU und der NATO wurde in den letzten Jahren zudem die Sensibilisierung für Geschlechterfragen im Militär berücksichtigt.

Der Unterricht an Militärakademien wird von Militärpersonal oder zivilen Experten erteilt.

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Fragen bzw. dringlichsten Probleme der Gegenwart, mit denen sich die Militärethik auseinandersetzen sollte?

Bildung und Erziehung sind für die Ausbildung des menschlichen Charakters von entscheidender Bedeutung. In Anbetracht dieser Tatsache sollte der derzeitige Einsatz für eine systematische Ausbildung an den Militärakademien auf die Entwicklung eines moralischen Charakters und einer gemeinsamen Auffassung abzielen, auf deren Grundlage Konsistenz und Verantwortlichkeit als primäre Ziele für den Militärberuf definiert werden können.

Evaggelia Kiosi

Oberst Evaggelia Kiosi, Μilitärische Rechtsberaterin, Beraterin für Integrität, Generalstab der griechischen Streitkräfte


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Alle Artikel dieser Ausgabe

Militärethik und militärische Ethikausbildung: Auf der Suche nach einem „europäischen Ansatz“
Lonneke Peperkamp, Kevin van Loon, Deane-Peter Baker, David Evered
Gerechter Frieden trotz Krieg? Zur Verteidigung eines in die Kritik geratenen Konzepts
Markus Thurau
Die russische Invasion der Ukraine: Keine Spur von konventioneller Extremgewalt
Arseniy Kumankov
Ethische Bildung in den Streitkräften – Überbrückung oder Vertiefung der Kluft?
Dragan Stanar
Die Rücktransformation soldatischer Identitäten
Patrick Hofstetter
Krieger sind in der Armee fehl am Platz
Christopher Ankersen
„Versuchen Sie, den Unterricht emotionaler zu gestalten“
Deanna Messervey

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