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FINNLAND

Für das Special dieser Ausgabe hat die Redaktion von „Ethik und Militär“ Expertinnen und Experten aus verschiedenen Staaten einen sechs Punkte umfassenden Fragenkatalog zum Thema Militärethik und Ethikunterricht in ihren jeweiligen Streitkräften vorgelegt. Diese Seiten erheben keinen Anspruch auf Repräsentativität, sondern sollen weiteres Anschauungsmaterial für die Frage nach einem ge­­meinsamen europäischen Ansatz auf diesem Gebiet liefern. 

Was verstehen Sie bzw. was versteht man in Ihrem Land hauptsächlich unter Militärethik? Womit befasst sie sich im Wesentlichen, und was ist ihre Hauptaufgabe?

Auf diese Frage gibt es meiner Meinung nach zwei Antworten. Zum einen sprechen wir dabei von der Ethik der Landesverteidigung (und darunter fällt zum Beispiel auch die Theorie des gerechten Krieges und das Völkerrecht) sowie von der Legitimation der Wehrpflicht. Zum anderen geht es innerhalb der Streitkräfte um die Berufsethik des Militärberufs, auch wenn wir eine Wehrpflicht haben. Die Berufsethik umfasst hier die Ausbildung, Lehre und Vermittlung von Militärethik sowie ihre Erforschung und den Diskurs darüber. Die erste Dimension ist in der Gesellschaft deutlich weiter verbreitet als die zweite, die im Wesentlichen innerhalb der Streitkräfte Wirkung entfaltet.

Gibt es in Ihrem Land eine öffentliche Debatte zu damit zusammenhängenden Fragen? Wenn ja, zu welchen?

Wie bereits gesagt – die Ethik ist einerseits im Zusammenhang mit der Landesverteidigung und andererseits im Zusammenhang mit dem Wehrdienst Gegenstand der öffentlichen Debatte. Gesamtgesellschaftlich gesehen wird diese Debatte nicht sonderlich kontrovers geführt – ich würde sie eher als Diskurs bezeichnen. Das Hauptthema ist in der Regel die Gleichberechtigung (für Männer gilt die Wehrpflicht, Frauen können freiwillig Wehrdienst leisten) und nicht unbedingt die Militärethik an sich.

Sehen Sie beim Verständnis von bzw. konkreten Fragen der Militärethik Gemeinsamkeiten in den EU-Mitgliedstaaten und anderen europäischen Ländern? Wenn ja, worin bestehen diese?

Ja und nein. Wenn es um die Berufsethik geht, würde ich sagen, haben wir in den verschiedenen Streitkräften durchaus ein EU-weit einheitliches Verständnis. Wenn es aber um die Militärethik im Allgemeinen geht, gehen die Auffassungen auseinander. Das liegt möglicherweise daran, dass nicht alle Staaten eine Wehrpflicht bzw. eine große Reservistentruppe – mit den damit verbundenen ethischen Fragen – haben.

Hat der russische Angriff auf die Ukraine Ihrer Meinung nach eine deutliche Veränderung in dieser Hinsicht bewirkt?

Keine nennenswerte.

In welchem Umfang und für wen sind Ethik und Militärethik Teil der militärischen Ausbildung? Durch wen wird unterrichtet?

Für Wehrdienstleistende findet die Ethikausbildung im Rahmen des Programms „Warfightersʼ Mind“ statt, das sich auf die psychologischen, sozialen und ethischen Aspekte der soldatischen Leistungsfähigkeit konzentriert. Die Grundausbildung sieht etwa drei bis vier Unterrichtseinheiten und Übungen zum Thema Militärethik vor. Im Rahmen einer Spezialausbildung sowie für Unteroffiziere und Offiziere der Reserve gibt es noch einmal drei bis vier zusätzliche Lehrgänge und Übungen. Diese werden in der Regel von Militärseelsorgern geleitet, gelegentlich auch von Unteroffizieren oder jüngeren Offizieren.

Berufsunteroffiziere absolvieren den ersten Teil ihrer Ethikausbildung während des gemeinsamen Teils ihres Lehrgangs an der Heeresakademie, der Luftwaffenakademie oder der Marineakademie. Nach Abschluss des Unteroffizierslehrgangs 1 sollen die Unteroffiziersanwärter in Fragen der Militärethik in der Lage sein, gemäß den Werten der Streitkräfte zu handeln und die entsprechenden Grundsätze so anzuwenden, dass sie die ethische Kompetenz der Einheit und ihrer Mitglieder entwickeln und erhalten können. Im Aufbaulehrgang für Unteroffiziere (Voraussetzung für die Dienstgrade Sergeant 1st class/Chief Petty Officer, Master Sergeant/Senior Chief Petty Officer und Sergeant Major/Master Chief Petty Officer) verlagert sich der Schwerpunkt von der Entwicklung der persönlichen Wertegrundlage der Unteroffiziere auf die Stärkung der Wertegrundlage von Untergebenen oder Unteroffizieren mit niedrigerem Dienstgrad. Das lässt sich zum Beispiel durch eine starke moralische Führung als Vorbild erreichen. Die Erarbeitung der Lehrpläne für ethische Führung liegt in der Verantwortung der Truppenschulen, die Umsetzung wiederum liegt beim Lehrgangsleiter. Entsprechend kann die Gestaltung des Ethikunterrichts nicht nur innerhalb der verschiedenen Lehrgänge variieren, sondern sogar zwischen den Kursen – diese werden üblicherweise von den Militärseelsorgern der Akademien erteilt.

Offiziere besuchen die Nationale Militärakademie (National Defence University). Der dreijährige Bachelor-Studiengang Militärwissenschaften sieht keine gesonderten Ethikkurse vor. Der Ethikunterricht ist vielmehr ein Element der Kurse über militärische Führung und Pädagogik. Die Studierenden können ihre Bachelorarbeit auch über ein Thema aus dem Bereich Ethik schreiben.

Im zweijährigen Masterstudiengang, der in der Regel nach einer Arbeitsphase von etwa fünf Jahren (und einer Beförderung zum Oberleutnant) begonnen wird, vertiefen die Studierenden ihre einschlägigen Kenntnisse in speziellen Ethikkursen für Führungskräfte. Auch hier besteht die Möglichkeit, ein ethikrelevantes Thema für die Masterarbeit zu wählen. Nach Abschluss des Masterstudiums werden die Studierenden in den Rang eines Captain/Lieutenant Senior Grade befördert.

In den Lehrgängen für höhere Stabsoffiziere und Generalstabsoffiziere ist das Thema Ethik mit Führung in der Praxis verknüpft, zusammen mit dem umfassenden Studium der menschlichen Leistungsfähigkeit. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf Ethik in der Führung. Auch hier haben die Studierenden die Möglichkeit, ihre Abschlussarbeit über ein ethikbezogenes Thema zu schreiben.

An der National Defence University wird der Unterricht von Forschenden der finnischen Behörde für Militärforschung (Defence Research Agency) gehalten.

Was sind Ihrer Meinung nach die die wichtigsten Fragen bzw. dringlichsten Probleme der Gegenwart, mit denen sich die Militärethik auseinandersetzen sollte?

1. Vermittlung militärischer Ethik in einem neuen Sicherheitsumfeld.

2. Herausforderungen autonomer Waffensysteme.

3. Prävention für moralische Stressfaktoren.