Kontroversen in Militärethik und Sicherheitspolitik
Überlegungen zu ethischen Standards für Soldatinnen und Soldaten europäischer Streitkräfte
„Wir sollten an der Vision arbeiten, eines Tages eine echte europäische Armee zu schaffen“, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am 13. November 2018 vor dem EU-Parlament in Straßburg gesagt. Immer wieder, zuletzt von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, wird eine europäische Armee gefordert, die entsprechend europäischen Werten und Normen zur Befriedung der weltweiten Konflikte beitragen soll. Auch das Weißbuch 2016 der Bundesregierung bringt Deutschlands Selbstverpflichtung zum Ausdruck, gemeinsam mit seinen europäischen Partnern Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht zu verteidigen. Wer gemeinsam handeln will, der braucht eine gemeinsame Basis – auch eine mit den Partnern geteilte ethische Basis. Tatsächlich liegen die nationalen europäischen Streitkräfte weit auseinander, wenn es um ihre militärischen Traditionen geht. Deshalb erläutert der folgende Artikel die Weichenstellungen, die bei der Aufstellung der Bundeswehr mit der Implementierung der Konzeption der Inneren Führung erfolgt sind, und wirbt dafür, die Innere Führung zur Leitkonzeption für die Streitkräfte der europäischen Nationen und für eine möglicherweise entstehende europäische Armee zu machen.
Im September 1957 wurde unter dem westdeutschen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß das Handbuch Innere Führung. Hilfen zur Klärung der Begriffe veröffentlicht. Autoren dieses im Bundesministerium für Verteidigung erarbeiteten Büchleins waren Mitarbeiter des Unterabteilungsleiters im Führungsstab der Bundeswehr (Fü B I Innere Führung). Auch Wolf Graf von Baudissin (1907–1993) trug als Unterabteilungsleiter selbst einiges zu dem Handbuch bei. Bis 1972 wurde das „gelbe Buch“, wie es wegen seines senfgelben Leineneinbandes genannt wurde, an alle Offiziere der Bundeswehr zum Selbststudium ausgegeben. Später wurde die hier vorgestellte Konzeption der Inneren Führung in Zentrale Dienstvorschriften überführt und als Dauerbefehl verstanden.
Bis heute prägt die Innere Führung die Bundeswehr in ihrem Selbstverständnis, in ihrer Organisations- und Führungskultur.1 Zur Frage, ob die Konzeption der Inneren Führung auch für eine möglicherweise zukünftig entstehende europäische Armee inspirierend sein kann, werden im Folgenden einige Überlegungen vorgetragen, die natürlich nur einzelne Aspekte dieses komplexen Themas abdecken können. Jede europäische Nation pflegt ihre je eigenen nationalen Traditionen und Vorstellungen von dem, was einen guten Soldaten bzw. eine gute Soldatin ausmacht. Diese von den grundlegenden europäischen Werten Menschenwürde, Freiheit und Recht her zu durchdringen und zu justieren, dürfte nicht einfach werden. Der Besuch Internationaler Tagungen wie beispielsweise der Euro-ISME, des europäischen Ablegers der International Society for Military Ethics, macht schnell deutlich, wie stark sich diverse Unterschiede der historisch geprägten nationalen Militärkulturen bis heute auswirken: Während für die Vertreter der westlichen Staatengruppe der Zweite Weltkrieg der entscheidende Bezugs- und vor allem: Absetzpunkt ist, ist es für die der östlichen Nationen der Zusammenbruch der UdSSR. Wie die Waffensysteme nicht immer miteinander kompatibel sind, funktioniert auch zwischenmenschlich die multinationale Zusammenarbeit nicht immer ganz reibungslos, selbst wenn einige Staaten und deren Militärs schon sehr gut miteinander kooperieren. Durch die gemeinsame Arbeit und den damit verbundenen Austausch, beispielsweise im Deutsch-Niederländischen Korps, gibt es jedoch nicht nur staunenden Neid zwischen den Trägern des einen und denen eines anderen Hoheitsabzeichens, sondern auch Annäherungen in der Beurteilung ethischer Fragen und in der militärischen Vorgehensweise.
Den Ausgangspunkt für meine Überlegungen zu einer gemeinsamen Führungs- und Organisationskultur, zu einem allen Angehörigen einer zukünftigen europäischen Armee gemeinsamen Selbstverständnis wähle ich beim über 60 Jahre alten Handbuch Innere Führung (1957),2 mit dem gut ein Jahrzehnt nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Wiederbewaffnung Deutschlands flankiert wurde. Hier werden vier für das Selbstverständnis der Bundeswehr wegweisende Gedanken knapp skizziert:
Ausgehend von einem ersten Kapitel zum Eid, das deutlich den Unterschied zwischen dem von den Wehrmachtssoldaten geforderten Eid auf „den Führer“ und dem in der Bundeswehr von Offizieren geleisteten Eid auf den demokratischen und freiheitlichen Rechtsstaat herausarbeitet, beschäftigen sich die folgenden Abschnitte des Handbuchs mit der grundsätzlichen Frage, wann und wie zukünftig Krieg geführt werden könnte. Deutlich herausgestellt wird, dass in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland niemals wieder von Deutschland ein Krieg ausgehen dürfe. Es geht hier nicht um eine Kriegsschulddiskussion und die Frage, ob die anderen europäischen Mächte nicht auch ihren Anteil an den Eskalationen 1914 sowie 1939 gehabt hätten, sondern vielmehr darum, einen neuen Blick auf ein befriedetes Europa einzuüben. Europa sei immer ein einheitlicher Kulturraum gewesen, die europäischen Völker müssten sich als Gemeinschaft verstehen lernen und dürften nicht ihre früheren, konstruierten Nationalismen noch einmal gegeneinander wenden. Und überhaupt sei das Ziel des Soldaten nicht Krieg, sondern Frieden.
„Im Denken des europäischen und damit auch des deutschen Soldaten gilt von jeher der Frieden als der Normalzustand und bildet somit das Ziel, um dessentwillen ein Krieg allein verantwortet werden kann. Vom Frieden her bekommt die Kriegführung ihren Auftrag und ihre Grenzen“ (Handbuch Innere Führung 1957: 59).
Mit diesen Worten wurde den Bundeswehrsoldaten die Liebe zum Frieden und die Zusammengehörigkeit der europäischen Nationen deutlich vor Augen gemalt. Die Bundeswehr war also von ihrer Aufstellung an auf Europa bezogen, und Europa sollte zukünftig ein Friedensprojekt sein. Nach den Erfahrungen des Ersten und des Zweiten Weltkrieges und der immer wieder aufflammenden Revanchismen war es gewiss notwendig, die deutschen Soldaten, viele davon noch in der Wehrmacht und im Geist des Nationalsozialismus erzogen, auf den Frieden zu verpflichten. Heute ist Europa tatsächlich zu einem Friedensraum in einer unruhigen Welt geworden. Zugleich aber sind die Bedrohungen offensichtlich: Wachsender Nationalismus und rechtskonservativer Populismus sowie nationale Sonderwege und Abschottungen konterkarieren Vorstellungen eines vertieften, auch militärischen Zusammenwirkens der europäischen Staaten. Die Rückbesinnung auf eine Verpflichtung zum Frieden untereinander und nach außen könnte zum Eckstein für eine europäische Verteidigungskonzeption und damit für das Selbstverständnis europäischer Soldaten werden.
Kritische Reflexion nationaler Militärkulturen
Wichtig dürfte auch die Ermunterung zu selbstkritischer Rückschau sein, die den deutschen Offizieren nahegebracht wurde. Die Autoren des Handbuchs Innere Führung anerkannten, dass es damals „schwierig“ gewesen sei, „an die wahre europäische und deutsche Soldatentradition anzuknüpfen, nach dem, was hinter uns liegt: Die Erteilung verbrecherischer Befehle durch die Spitze, ihre Weitergabe bis in die untersten Befehlsbereiche, die Erwartung, dass sie unten nicht ausgeführt wurden, ihre Ausführung an mancher Stelle, das befohlene Beiseitestehen, wenn neben dem Soldaten Verbrechen geschehen, das Verwechseln sittlicher Notwendigkeit mit politischer Lagenbeurteilung.
Das ist – in solchem Umfange zumindest – in der europäischen Geschichte einmalig.
Dass auch auf Feindesseite damals unlautere und unrechte Dinge geschehen konnten, ist bei der Beurteilung dieses Phänomens ebenso unwesentlich wie die Tatsache, dass sich auch großartige Beispiele gegenteiliger Haltung deutscher Soldaten anführen lassen“ (Handbuch Innere Führung 1957: 63).
Die Prüfung der je eigenen nationalen Militärtradition vor der Folie der europäischen Menschenrechtskonvention könnte auch heute einen Diskussionsprozess in Gang bringen, der die inneren Verhältnisse in Streitkräften demokratisiert und zur Entstehung eines streitkräftegemeinsamen europäischen Bewusstseins beiträgt.
Wahrscheinlich wird solche Selbstkritik auch in einer zukünftigen europäischen Armee eingeübt werden müssen, denn das Anknüpfen an mittelalterliche oder gar noch ältere Traditionen ist unmöglich; damals hatte man das Thema Technik kaum zu bedenken. Angesichts der fortgeschrittenen Technisierung des Krieges bis hin zum atomaren Vernichtungsschlag wird schon im Handbuch Innere Führung deutlich ausgesprochen, dass allein Abschreckung des Gegners damals die angemessene militärische Strategie sein konnte. Dies gilt heute unverändert. Deshalb hatte die NATO sich auf Massive Retaliation verständigt. Die Konzeption wurde dann später abgelöst durch Flexible Response. Auch heutzutage ist die Frage des Umgangs mit Atomwaffen in Europa akut. Denn die westeuropäischen EU-Staaten lagern noch immer solche Sprengköpfe – auch jetzt noch, nachdem Russland die von der UdSSR insgeheim in der damaligen DDR stationierten Waffensysteme abgebaut und repatriiert hat. Ohne dass dies in der europäischen Öffentlichkeit intensiv diskutiert würde, hat sich zudem eine neue strategische Instabilität aufgebaut, die durch die drohende Kündigung des INF-Vertrages durch die USA, durch SDI und Cyber War noch verstärkt wird. Russland und die USA verfügen über neue Waffensysteme und steuern in ein neues Wettrüsten. Großbritannien und Frankreich verfügen ebenso wie die USA und Russland über Atomwaffen. Aber auch andere Staaten wie Pakistan und Nordkorea wissen das Abschreckungspotential von Atomwaffen zu nutzen.
In dieser Situation ist es von besonderer Bedeutung, dass ein jeder Soldat beziehungsweise jede Soldatin weiß, was er beziehungsweise sie tut und welche Verantwortung er oder sie für den Weltfrieden trägt. Es muss gerade in militärischen Operationen klar sein, dass durch unbedachtes Handeln unbeabsichtigte Folgen eintreten können, bis hin zu einer Eskalationsspirale, an deren Ende die totale Vernichtung steht. Nur verantwortungsvolles menschliches Handeln scheint dies unter Umständen verhindern zu können. Erinnert sei beispielsweise an Stanislaw Petrow, der im September 1983 den Dritten Weltkrieg verhinderte, weil er selbstständig entschied, keine sowjetischen Raketen abzufeuern, obwohl sein Computersystem ihm einen Angriff aus dem Westen anzeigte.
Es mag verwundern, dass schon 1957, zur Entstehungszeit des Handbuchs Innere Führung, eine Diskussion über Atomwaffen in Gang war. Meist assoziiert man den Nato-Doppelbeschluss mit der Entstehung der Friedensbewegung und erinnert sich an die großen Demonstrationen gegen die Stationierung US-amerikanischer Pershing II und Cruise Missiles in Westeuropa. Aber seit 1945 die Atombomben „Little Boy“ und „Fat Man“ auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen worden waren und seit die UdSSR 1949 mit der Zündung ihrer ersten Atombombe nachgezogen hatte, war den Fachleuten klar, was kriegerische Auseinandersetzungen fortan bedeuten würden: atomare Vernichtung. Das Handbuch Innere Führung sagte den Soldaten deshalb deutlich: „Solange militärisches Gleichgewicht der Weltmächte besteht und der Einsatz von Massenvernichtungswaffen droht, wird der Schwerpunkt der Aggression naturgemäß auf geistiges Gebiet verlagert“ (Handbuch Innere Führung 1957: 36). Dieser Grundsatz, mögliche Konflikte mit Klugheit auszutragen, sollte auch heute noch für die Einsätze einer europäischen Armee selbstverständlich sein.
Menschenwürde als Leitbegriff
Modern und für eine europäische Armee geeignet sind auch die Überlegungen zu einem neuen Leitbild für diejenigen Soldaten, die das friedliche und freiheitliche und rechtsstaatliche Europa sichern sollen: Im Handbuch Innere Führung steht, dass das neue Leitbild der Bundeswehrsoldaten auf den Einzeltaten der Widerständler des 20. Juli 1944 fußen müsse. Denn die Widerständler hätten in einer unklaren Lage Verantwortung übernommen. Ebenso sollten sich europäische Soldaten für „rechte Treue“, für „rechte[n] Gehorsam“, für „rechte Verantwortung“ einsetzen und nötigenfalls „ihre Existenz für Freiheit, Recht und Menschenwürde [opfern]“. Die Männer des Widerstands – solche gab es nicht nur in Deutschland, sondern auch in den besetzten Staaten – als Vorbilder für Soldatinnen und Soldaten heute zu bezeichnen, birgt eine spezielle Spitze, denn eine Diskussion um die jeweiligen nationalen Militärkulturen und Traditionen könnte entbrennen. In Frankreich beispielsweise gab es wie in allen anderen europäischen Staaten Europas Kollaborateure mit der Wehrmacht und Widerständler. Andernorts hat auch nach 1945 das Militär eine Demokratisierung von Staat und Gesellschaft mit Zwang verhindert. Die Diskussionen, um die „rechte“ militärische Tradition dürften in manchen europäischen Staaten, die infrage kommen, europäische Soldatinnen und Soldaten zu stellen, noch ausstehen.
Selbst wenn viele Begriffe im Handbuch Innere Führung entsprechend dem Denken der 1950er Jahre auf den ersten Blick heute altmodisch anmuten mögen, zielen sie doch auf noch immer aktuelle Probleme: Grundlegend für alle Ideen ist die Überzeugung, dass der Soldat in der Demokratie sich diametral unterscheidet von dem in einem totalitären System, weil er als „Staatsbürger in Uniform“ nicht bloßes Instrument der militärischen Führung und der politischen Leitung ist, sondern mitdenkender und mitverantwortlicher Staatsbürger, der eine besondere Funktion und Aufgabe im permanenten Bürgerkrieg – wie Baudissin es ausdrückte – um den Erhalt der freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung übernommen hat. Die Grundideen dieser Konzeption der Inneren Führung sind bis in die heutige Zentrale Dienstvorschrift Innere Führung (in der Vorschriftensystematik der Bundeswehr jetzt A 2600-1) weitergetragen worden:
Legitimation allen soldatischen Handelns (Primat der Politik),
Integration des Soldaten beziehungsweise der Soldatin in die Gesellschaft (Demokratie und Pluralismus) und
Motivation der Soldatinnen und Soldaten, erwachsen aus der Einsicht in die Sinnhaftigkeit des eigenen Dienstes,
sind die zentralen Ideen.
Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass in den heutigen humanitär begründeten Auslandseinsätzen auch diejenigen Uniformträger, die kein Gold oder Silber auf den Schulterklappen tragen, viel Verantwortung übernehmen müssen. Da nützt es nur wenig, wenn in Vorschriften festgeschrieben ist, dass Reliquien oder Heilige Schriften des Gegners – wie etwa der Koran – nicht zu schänden sind, dass Gefangene nicht gefoltert oder mit dem Tod bedroht werden dürfen, dass fremden Frauen (bei Interventionen in anderen Kulturkreisen) ebenso viel Respekt und Achtung gebührt wie heimischen Frauen. Diese Forderungen wollen gelebt werden! Mindestens ebenso große Herausforderungen stellen sich, wenn Soldaten im Einsatzland unvermutet Zeuge werden von menschenverachtendem Unrecht oder – wie in Srebrenica – von einem Massaker.
Europäische Soldaten sollen „kompromisslos zu den Grundwerten abendländischen Menschentums“ stehen und bereit sein, „für die Verwirklichung und Sicherung von Recht und Freiheit des Geringsten auch im Alltag alles zu wagen“ (Handbuch Innere Führung 1957: 11).Dabei wird damit gerechnet, dass der Grundkonflikt zwischen Freiheit und Recht einerseits und Totalitarismus andererseits ein bleibender ist und nicht einfach überwunden werden kann. Man könne „auf dieser Welt nur für das eine oder das andere optieren“ und müsse „sich entscheiden […], entweder mit aller Konsequenz freiheitlich oder totalitär zu sein. […] Die Verteidigung von Recht und Freiheit befugt uns nicht zu Kreuzzügen oder zu Unternehmen, die zur Versklavung und Vernichtung anderer oder gar der ganzen Welt führen. Sie bedeutet vielmehr in erster Linie einen Anspruch, der an uns selbst gerichtet ist“ (Handbuch Innere Führung 1957: 11). Die Werte Recht und Freiheit, in einem langen historischen Prozess in Europa ausgebildet, müssen täglich von den europäischen Bürgern und auch von seinen Soldatinnen und Soldaten im Alltag wie im Dienst erfahren werden. „Recht und Freiheit bleiben immer gefährdet, am stärksten durch unseren eigenen Egoismus. Ihre Wahrung und Verteidigung ist unsere besondere Verantwortung für die anderen“ (Handbuch Innere Führung 1957: 11).
Es wäre tatsächlich wünschenswert, wenn – analog zur Europäischen Menschenrechtskonvention – für alle Angehörigen einer zukünftigen europäischen Armee festgelegt würde, dass sie aus innerer Überzeugung für Freiheit, Frieden, Menschenwürde und Demokratie einzutreten haben. Weil sich an diesen Werten und Normen die Innere Führung ausrichtet, weil die gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland geltende Zentrale Dienstvorschrift A 2600/1 diese Werte und Normen in die Bundeswehr hinein implementiert, wäre die Konzeption der Inneren Führung tatsächlich für europäische Soldatinnen und Soldaten tauglich. Denn durch sie wird sichergestellt, dass die Funktionsprinzipien einsatzfähiger europäischer Streitkräfte mit den freiheitlich-demokratischen Grundsätzen Europas im Einklang stehen. Die Innere Führung lebt von der Überzeugung und Erfahrung, dass nur dasjenige verteidigenswert ist, was lebenswert ist. Hingewiesen würde durch eine solche Festlegung zudem auf die politische und streitkräfteinterne Selbstverpflichtung, dass auch die Menschenwürde des Soldaten beziehungsweise der Soldatin unantastbar ist. Unantastbar wäre diesem code of ethics nach sogar die Menschenwürde des Gegners, auch dies ein Gedanke, den Baudissin schon 1957 ausgesprochen hat:
„Menschlichkeit ist nicht teilbar. Soll sie nur noch bestimmten Gruppen vorbehalten bleiben, so wird sie ganz und gar verloren gehen. Der Soldat, der keine Achtung vor dem Mitmenschen hat – und auch der Feind ist sein Mitmensch – ist weder als Vorgesetzter noch als Kamerad oder Mitbürger erträglich“ (Handbuch Innere Führung 1957: 64).
Diese vier Gedanken des Handbuchs Innere Führung aus dem Jahr 1957 haben auch nach mehr als 60 Jahren nicht an Gültigkeit verloren. Sie zum Kernbestand der Ethik einer europäischen Armee weiterzuentwickeln, ist eine zwingende Voraussetzung, will Europa eine zivilisierende Wirkung in den Krisen und Konflikten der Gegenwart notfalls auch durch militärische Einsätze entfalten.
1 Zur Kenntnis der Konzeption der Inneren Führung und zur Bewertung der Umsetzung ihrer Grundsätze durch Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten vgl. Angelika Dörfler-Dierken/Robert Kramer (2014): Innere Führung in Zahlen. Streitkräftebefragung 2013. Berlin.
2 Sämtliche folgende Zitate beziehen sich auf: Bundesministerium für Verteidigung (Hg.) (1957): Handbuch Innere Führung. Hilfen zur Klärung der Begriffe. Bonn. Sie werden per Kurzbeleg nachgewiesen.
Prof. Dr. Angelika Dörfler-Dierken
Prof. Dr. Angelika Dörfler-Dierken ist Projektbereichsleiterin für das Themenfeld „Innere Führung – Ethik – Militärseelsorge“ im Forschungsbereich IV am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Sie beschäftigt sich aus ethischer, historischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive mit aktuellen Fragen des Selbstverständnisses deutscher Soldatinnen und Soldaten, ihrer Einbindung in die Gesellschaft und ihrer Umsetzung des Leitbildes „Staatsbürger in Uniform“ sowie denjenigen Fragen, die aus dem Widerspruch zwischen ihrem Friedensauftrag und dem Einsatz militärischer Gewaltmittel folgen. Frau Dörfler-Dierken lehrt an der Universität Hamburg und veröffentlichte zahlreiche Publikationen.