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Mindeststandards müssen gelten! Europäisierung der Armee nicht ohne Innere Führung

Sicherheit und Verteidigung rücken mehr in den Fokus europäischer Politik

Mit den veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen durch die Annexion der Krim und den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine, der Situation im Nahen Osten sowie nicht zuletzt durch die veränderte amerikanische Politik seit der Trump-Administration hat die Debatte um eine stärkere europäische Kooperation in der EU zugenommen. Nicht zuletzt steht dahinter die Überlegung, dass Sicherheit und Verteidigung den Binnenmarkt als bisheriges „Bindemittel“ in der EU zumindest ergänzen können und somit nach dem Brexit ein geeignetes politisches Instrument zur Förderung des Zusammenhaltes in der EU sein könnten. 

In dem Reflexionsprozess über die Zukunft der EU, den die EU-Kommission mit verschiedenen Dokumenten 2017 begonnen hat, finden sich in dem „Reflexionspapier über die Zukunft der europäischen Verteidigung“1 vom 7. Juni 2017 Szenarien für eine gemeinsame Verteidigung und Sicherheit. Dabei wird im dritten Szenario eine weitgehende Integration von Streitkräften auf europäischer Ebene angestrebt.

In der Konkretisierung der europäischen Zusammenarbeit in Fragen der Verteidigungspolitik (Permanent Structured Cooperation, PESCO) wird in dem beschlossenen Dokument vom Dezember 2017 eine stärkere politische und auch militärische Zusammenarbeit zwischen den unterzeichnenden Staaten beschrieben und angestrebt. Eine Liste der vorrangigen Projekte vom 6. März 20182 deutet ebenfalls auf weitere Integrationsschritte hin. 

In der mittelfristigen Finanzplanung wird seitens der EU-Kommission ein Verteidigungsfonds in Höhe von 18 Milliarden Euro eingeplant – und damit hat auch in der Haushaltspolitik der EU eine Debatte über die stärkere Integration ihren Niederschlag gefunden. 

Zwar wird sowohl bei PESCO wie auch bei dem geplanten Verteidigungsfonds der Schwerpunkt auf die gemeinsame Rüstungspolitik gelegt – auch nicht zuletzt unter Einsparungsgesichtspunkten und der Effektivierung durch europäische Kooperationen –, aber die Frage der tatsächlichen Entwicklung europäischer integrierter Streitkräfte ist nunmehr stärker in der politischen (Fach-)Debatte präsent.

Dies wirft konkrete Fragen nach der inneren Struktur solcher Streitkräfte auf – und damit auch die Frage nach einer Europatauglichkeit des Konzeptes der Inneren Führung.

Absehbare Problemfelder der Integration europäischer Streitkräfte

Es zeigt sich, dass bei einer stärkeren militärischen Zusammenarbeit und europäischen Integration, die über die bisherigen eingeübten Strukturen hinausgeht, sich eine Reihe von Problemen aufgrund unterschiedlicher nationaler Führungskulturen und innerer Strukturen ergeben, die im weiteren Verlauf von Europäisierungsprozessen bearbeitet werden müssen. 

Diese beziehen sich insbesondere auf Fragen der Inneren Führung, des Konzepts des „Staatsbürgers in Uniform“, der gewerkschaftlichen Vertretung von Soldatinnen und Soldaten, der Beteiligungsstrukturen und auf unterschiedliche Positionen im Hinblick auf die Themen Gender und Diversity. 

Hier seien nur einige Punkte aufgeführt:

  • Es gibt in europäischen Armeen erheblich unterschiedliche Führungskulturen, die sich mitunter auch stark von dem deutschen Konzept des „Staatsbürgers in Uniform“ und der Inneren Führung unterscheiden. 
  • Unterschiedliche Wehrrechtssysteme: So ist das Wehrbeschwerderecht in einigen europäischen Armeen überhaupt nicht vorgesehen. Im Gegensatz zu uns in Deutschland besitzen einige Partnerarmeen eine eigene Wehrstrafgerichtsbarkeit.
  • Unterschiedliche politische Einbindungen: In Deutschland haben wir eine Parlamentsarmee, was in anderen Ländern nicht der Fall ist. Auch das Primat der Politik ist bei uns wesentlich stärker ausgeprägt als woanders. 
  • Das hat auch die unterschiedliche Einbindung in die parlamentarischen Strukturen zur Folge. Deutschland ist hier fast einzigartig mit dem Parlamentsbeauftragten in Form des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages.
  • Der Umgang mit der Geschlechterfrage ist in den europäischen Partnerarmeen sehr unterschiedlich.
  • Die Übertragung von Polizeiaufgaben an eine Gendarmerietruppe als Teil der militärischen Struktur ist in einigen europäischen Ländern gang und gäbe, in Deutschland hingegen vom Grundgesetz nicht vorgesehen.
  • Die Sicherung freier gewerkschaftlicher Organisierung von Soldatinnen und Soldaten und Armeeangehörigen ist in einigen europäischen Ländern explizit verboten oder wird dort nicht gern gesehen.

Und politisch fehlt bisher eine klare Strategie der EU für ihre Sicherheits- und Außenpolitik – ein europäisches Weißbuch dazu ist dringend erforderlich.

Gemeinsame Streitkräfte ­brauchen eine europäische Innere Führung

Wenn die Integration dieser sehr unterschiedlichen inneren Strukturen gelingen soll und es auch für die beteiligten Soldatinnen und Soldaten in der integrierten EU-Truppe Rechtssicherheit geben soll, dann ist die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Inneren Führung unerlässlich.

Deshalb sind weiter Fragen der Rechtsgrundlage von Einsätzen auf Beschluss der Europäischen Union oder auch einer stärkeren kontinuierlichen militärischen Zusammenarbeit zu entwickeln. 

Hier ist insbesondere zu prüfen, wie weit neue europäische Regulierungen notwendig sind, die sich auf die europäische Grundrechtecharta als gemeinsamen Nenner beziehen. Immerhin ist die europäische Grundrechtecharta eine verbindliche Handlungsgrundlage für die europäischen Institutionen. Damit ist ein gemeinsamer europäischer Verfassungskonsens erreicht worden, auf den sich die Entwicklung einer wertebezogenen inneren Struktur beziehen könnte.

Und im Gegensatz zu einem reinen militärischen Zweckbündnis sollten die Normen der Grundrechtecharta eine gemeinsame Werte­grundlage bilden, die auch das außenpolitische Handeln der EU insgesamt bestimmen soll.

Ebenso müssten dann bei einer kontinuierlicheren Zusammenarbeit Fragen auch von unterschiedlichen Gehaltsstrukturen, unterschiedlichen Versorgungsleistungen und andere materielle Dinge geklärt werden. Es wäre dann wohl kaum verständlich, dass in integrierten Einheiten unterschiedliche Leistungen für die gleiche Tätigkeit gelten sollen. Auch hier würde der Satz gelten: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Und selbstverständlich müssten das Mitbestimmungsrecht und die gewerkschaftliche Arbeit und Vertretung für die europäische Armee einheitlich geregelt werden.

Weiterhin müsste die Rolle des Europäischen Parlaments (EP) mit einem Parlamentsvorbehalt geklärt werden, und nicht zuletzt müsste es aus meiner Sicht dann auch einen europäischen Wehrbeauftragten beim EP geben. Die Bundesrepublik Deutschland darf nicht zulassen, dass ihre strikten Standards zur parlamentarischen Kontrolle ausgehebelt werden.

Wichtig ist dabei, dass bei weiteren Konkretisierungsschritten die bisher unterschiedlichen nationalen Führungskulturen und inneren Strukturen von Streitkräften dahingehend entwickelt werden, dass eine demokratische Kontrolle von Einsätzen unter europäischem Kommando erfolgt.

Das Konzept des „Staatsbürgers in Uniform“ ist dabei abzusichern, das heißt, den Soldatinnen und Soldaten muss das aktive und passive Wahlrecht und die Koalitionsfreiheit eingeräumt werden. Die Einschränkung der Grundrechte der Soldatinnen und Soldaten muss auf das militärisch absolut notwendige Minimum reduziert, die Pflicht zum Gehorsam auf rechtmäßige militärische Befehle eingeschränkt sein. Zur Kontrolle und Einhaltung dieser Grundsätze muss das Europäische Parlament wirksame Mechanismen entwickeln.

Erste Schritte

Es wird angeregt, dass im Rahmen der PESCO-Projekte auch ein Projekt zur weiteren Ausarbeitung einer europäischen Führungsstruktur und -kultur vorgesehen wird. Dieses sollte insbesondere auch Fragen der unterschiedlichen Systeme und Kulturen in den einzelnen europäischen Armeen im Fokus haben. Hierbei ginge es auch darum, zu identifizieren, wie und welche gemeinsamen ethischen und politischen Werte in den einzelnen nationalen Kulturen vorhanden sind und wie diese miteinander im militärischen Alltag in Verbindung gebracht werden könnten. 

Hier könnte die Bundeswehr diverse Möglichkeiten – insbesondere auch des Zentrums für Innere Führung – anbieten, um gemeinsam mit anderen europäischen Partnern an der Frage der Europäisierung der Inneren Führung weiterzuarbeiten.

Klaus Beck

Klaus Beck, Jahrgang 1952, ist Diplom-Pädagoge und wohnt in Ludwigshafen/Rhein. Von 1971 bis 1873 leistete er seinen Wehrdienst und war anschließend Hauptmann d. R. Bis Mitte 2018 arbeitete er als Gewerkschaftssekretär beim DGB; jetzt ist er dort ehrenamtlich tätig. Beck gehört dem Beirat für Fragen der Inneren Führung beim BMVg an; seine Schwerpunkte dort sind die Europäisierung der Inneren Führung, das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Gesellschaft sowie Probleme einsatzgeschädigter Soldatinnen und Soldaten.

Klaus.Beck@dgb.de


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