Der Begriff der hybriden Kriegführung hat sich im sicherheitspolitischen Vokabular Europas festgesetzt. NATO und EU arbeiten an Strategiepapieren, mit denen die Fähigkeiten zur Abwehr und Verhinderung hybrider Angriffe gestärkt werden sollen. Das für 2016 angekündigte Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr dürfte ebenfalls auf hybride Bedrohungen eingehen. Zeitungsartikel meh-ren sich, die das russische Vorgehen in der Ukraine ohne weitere Erläuterung als hybriden Krieg bezeichnen, offenbar in der Annahme, dass die Leserin und der Leser schon wissen werden, was gemeint ist.
Die Kombination von regulären und irregulären Kräften in einem Operationsgebiet ist für sich genommen ja auch eine althergebrachte Vorgehensweise.1 Neu ist aber die unmittelbare Relevanz für die Sicherheit Europas heute. Hybride Akteure im Osten und Süden bedrohen europäische Sicherheitsinteressen direkt und scheinen sogar die europäisch-atlantische Sicherheitsordnung insgesamt in Frage zu stellen. Wladimir Putins Großmachtpläne sind mit dem Regelwerk und der Wertestruktur der europäischen Sicherheitsinstitutionen ebenso unvereinbar wie das Kalifat Abu Bakr al-Baghdadis. Es sind die Grausamkeit und die nihilistische Menschenverachtung des sogenannten Islamischen Staates (IS, auch bekannt als ISIS, ISIL oder Da‘esh), die eine Verhandlungslösung mit diesem Akteur als wenig wahrscheinlich, wenn nicht gar absurd, erscheinen lassen, während mit Blick auf die Regierung Russlands die gängigen Methoden der internationalen Beziehungen, inklusive ihrer militärischen Dimensionen, immer noch greifen dürften.
Hybride Kriege sind an Europa also aus zwei Richtungen herangetreten und sind in ihrer Ausprägung sehr unterschiedlich: im Osten ein staatlicher Akteur, der bewusst nichtstaatliche Mittel einsetzt, im Süden ein nichtstaatlicher Akteur, der versucht Strukturen zu etablieren, die zumindest staatsähnlich sind, und der zudem über Gewaltmittel verfügt, die im geläufigen Verständnis eher Staaten bzw. deren Streitkräften zuzuordnen sind. Hybrid sind diese Gegner Europas in dem Sinne, dass es ihnen gelingt, alle zur Verfügung stehenden Machtmittel koordiniert und zumindest mit einem gewissen Grad an zentraler Kontrolle in einem Operationsraum einzusetzen. Sie verfolgen dabei die gleichen Ziele, die Akteure in bewaffneten Konflikten schon immer angetrieben haben: das Erringen eines psychologischen und physischen Vorteils. In diesem Ringen unterscheidet sich hybride Kriegführung nicht von anderen Formen der kriegerischen Auseinandersetzung.
Die Herausforderungen für Europa
Weder EU noch NATO sind ausreichend darauf vorbereitet, Angriffe abzuwehren und zu verhindern, die in den Zwischenräumen von Frieden und Krieg ihre Durchschlagskraft entwickeln. In diesen Räumen operiert vor allem Russland, das durch Propaganda und Fehlinformationen Fakten verwischt und zur Undeutlichkeit verzerrt. Den Mitgliedern der europäisch-atlantischen Staatengemeinschaft fällt es dagegen sichtlich schwer, auf der Ebene der strategischen Kommunikation Schritt zu halten.
Russlands Vorgehen in der Ukraine, die sich entwickelnde russische Militärdoktrin und die signifikanten Investitionen zur Modernisierung der russischen Streitkräfte werfen die Frage auf, ob die konventionelle Abschreckung der NATO solide genug ist, um die Sicherheit der Allianzmitglieder zu gewährleisten. Es geht nicht darum, ob NATO-Kräfte in einer umfassenden militärischen Auseinandersetzung Überlegenheit herstellen könnten.2 Vielmehr sind es niedrigere Schwellen des Konflikts, die den Allianzstrategen gegenwärtig Sorge bereiten. Es mehren sich Szenarien, die nahelegen, dass Russland, den Methoden der hybriden Kriegführung folgend, mit begrenztem Einsatz die Verteidigungsstrukturen an der östlichen Flanke der Allianz überwinden könnte. Vorteile, die auf niedriger Eskalationsstufe erreicht werden können, würden dann durch die Androhung des Einsatzes weitaus umfassenderer Gewaltmittel, demonstriert zum Beispiel durch die Fähigkeit, beträchtliche militärische Formationen schnell zusammenzuziehen und zu verlegen, konsolidiert. Das Signal: Die NATO findet sich mit den neuen Gegebenheiten ab oder muss ihrerseits zur Eskalation bereit sein. Das temporäre Besetzen eines Teils eines NATO-Mitgliedstaates würde unter Umständen schon ausreichen, um die Allianz vor die Existenzfrage zu stellen: Artikel 5 ausrufen und einen Krieg riskieren oder die Provokation hinnehmen und den Zerfall der Allianz in Kauf nehmen? Denn es ist unwahrscheinlich, dass die NATO Bestand haben kann, wenn ihr Wesenskern der kollektiven Verteidigung unterlaufen wird.
Natürlich ist ein Übergriff auf NATO-Territorium von völlig anderer Qualität als die Annexion der Krim, was die Betroffenheit der Allianz angeht, und bleibt weiterhin unwahrscheinlich. Dennoch könnte der Eindruck auf russischer Seite entstehen, dass eine räumlich und militärisch begrenzte Auseinandersetzung mit der NATO erfolgreich sein könnte. Diese prinzipielle Verwundbarkeit wird zumindest von einigen der NATO-Mitgliedstaaten wahrgenommen und ist schon für sich genommen destabilisierend. Einschüchterungsversuche als Teil eines hybriden Angriffs sind vor allem dann erfolgversprechend, wenn sie an politischen Spaltlinien im Gefüge der NATO- und EU-Mitglieder ansetzen können.
Die hybride Bedrohung, die vom IS ausgeht, hat einen anderen Charakter. Die Mischung aus konventionellem militärischen Vorgehen und anderen Instrumenten ist in diesem Falle eine Notwendigkeit und weniger eine Wahl. Hätte der IS größere militärische Fähigkeiten zur Verfügung, würden sie vermutlich auch eingesetzt werden und eine noch dominantere Rolle in seinem Vorgehen einnehmen. Dem IS ist es außerdem gelungen, über moderne Kommunikationsmittel inklusive der sozialen Medien eine internationale Mobilisierungs- und Rekrutierungskampagne in Gang zu setzen und am Laufen zu halten, die auch in historischer Perspektive ihresgleichen sucht. Neben der Rekrutierung dient diese Propagandamaschine dem Zweck, Finanzmittel einzuwerben und Informationsoperationen gegen die Gegner des IS zu lancieren.3 Durch die zahlreichen internationalen Kämpfer in seinen Reihen projiziert der IS eine terroristische Bedrohung in den internationalen Raum, die weit über das von ihm kontrollierte Gebiet hinausreicht.
Der britische Außenminister Philip Hammond erklärte kürzlich: „Defeating Da’esh is not enough. To eliminate the underlying threat to our security, we have to defeat the extremist Islamist ideology on which Da’esh is based.”4 Militärische Mittel sind bei der Bekämpfung des IS ebenso unumgänglich wie die Instrumente der Terrorismusbekämpfung. Zugleich muss aber auch die extremistische Ideologie, aus der sich der IS speist, niedergerungen werden, wenn diese hybride Bedrohung abgestellt werden soll.
Umfassende Abwehr
Es liegt auf der Hand, dass schon die Klärung der Zuständigkeiten auf nationaler Ebene und die Arbeitsteilung zwischen NATO, EU und anderen Organisationen alles andere als einfach sein werden. Die theoretischen Synergien des vernetzten Ansatzes sind in der Praxis nur schwer zu erzeugen. Welche Ansätze stehen im Raum? Zunächst geht es darum, Anfälligkeiten für hybride Bedrohungen systematisch zu erfassen, um die gegenwärtig vielfach beschworene Resilienz stärken zu können. Dies kann marginalisierte Gesellschaftsgruppen betreffen, die Ziele von Radikalisierungsbestrebungen oder ideologischer Mobilisierung werden können. Dies kann Energieabhängigkeiten betreffen, die in politische Druckmittel übersetzt werden können. Genauso: Sind unsere Streitkräfte in der Lage, im Konfliktfall schnell zu reagieren? Die eine Zuständigkeit zur Abwehr hybrider Bedrohungen gibt es nicht. Die Bandbreite ist groß und am Ende wird ein Bild entstehen, welches nur allzu deutlich macht, dass auf nationaler und internationaler Ebene die zur Verfügung stehenden Instrumente nur unzureichend miteinander verbunden sind.
Ein Beispiel: Informationsoperationen sind fester Bestandteil der hybriden Kriegführung und werden genutzt, um Narrative zu formen und generell die politische Meinungsbildung in der Zielbevölkerung zu beeinflussen. Strategische Kommunikation bietet die Möglichkeit, hier entgegenzuwirken, aber nur, wenn sie kohärent, konsequent, schnell und präzise ist. Die EU hat am 22. Juni 2015 einen Aktionsplan zur strategischen Kommunikation be- schlossen. Bereits im Juli 2014 hat die NATO ein Exzellenzzentrum zum gleichen Themengebiet in Lettland eingerichtet. Der EU-Aktionsplan nimmt hierauf keinen Bezug und der auf der Website des NATO-Zentrums zu findende Arbeitsplan für 2015 lässt wiederum keine Schwerpunktsetzung hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der EU erkennen. Gleichwohl haben beide Organisationen erklärt, dass gerade auf diesem Gebiet eine enge Abstimmung notwendig ist.5
Ein weiteres wichtiges Handlungsfeld zur Abwehr hybrider Bedrohungen sind die Frühwarnung und die Erstellung eines dem Charakter dieser Konfliktform entsprechenden Lagebildes. Hierzu wird es nötig sein, nationale Erkenntnisse und Ergebnisse nachrichtendienstlicher Arbeit im internationalen Rahmen in der EU und der NATO schneller zu teilen und zu bewerten, als dies bisher der Fall ist. Schon schwache Signale, die auf einen hybriden Angriff hindeuten, können sich zu einem Muster verdichten, wenn ein entsprechender Abgleich erfolgt.
Auch im Bereich der konventionellen militärischen Abschreckung besteht Handlungsbedarf. Die dauerhafte Stationierung von hochwertigen NATO-Kräften, idealerweise in Form von multinationalen Verbänden, auf dem Gebiet gefährdeter Mitgliedstaaten gehört dazu. Die Strategie der Abschreckung sollte nicht ausschließlich auf der Annahme beruhen, dass die NATO im Krisenfall schon in der Lage sein wird, schnell und unbeschwert ihre Kräfte zu verstärken. Übungen der NATO nehmen mittlerweile hybride Bedrohungsszenarien in den Blick, eine Entwicklung, die dem veränderten Sicherheitsumfeld entspricht. Durch Übungen sichtbar zu demonstrieren, dass die NATO-Mitgliedstaaten in der Lage und gewillt sind, sich zu verteidigen, ist auch eine Form der Kommunikation – ganz abgesehen vom unmittelbaren militärischen Nutzen – die zur Abschreckung beiträgt.
Die Schwierigkeit für Europa, hybriden Bedrohungen wirksam gegenüberzutreten, liegt unter anderem darin begründet, dass die Antwort dem Charakter des Konflikts entsprechen muss, ohne aber diesen Charakter zum eigenen Handlungsmaßstab zu machen. Mit anderen Worten: Die Integration von Mitteln der Diplomatie, der Medien- und Informationslandschaft, der Nachrichtendienste, der Wirtschaft, der Streitkräfte sowie von Polizei und Justiz ist unabdingbar, um hybride Bedrohungen abzuwehren und zu verhindern. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Recht, Gesetz, Moral und Ethik sind hierbei keine Schwächen, die gewissermaßen Waffengleichheit mit hybriden Angreifern verhindern, sondern das Fundament, auf dem die Abwehr eben dieser fußen muss.
1 Boot, Max (2015): „Countering Hybrid Warfare“, in: International Institute for Strategic Studies (Hrsg.): Armed Conflict Survey, Abingdon, S. 11-20.
2 Popescu, Nicu (2015): „Hybrid tactics: Russia and the West“, European Union Institute for Security Studies, Issue Alert 46/2015, Oktober, Paris.
3 Gaub, Florence (2015): „Hybrid tactics: ISIL & Co“, European Union Institute for Security Studies, Issue Alert 47/2015, Oktober, Paris.
4 Rede von Philip Hammond, „The Challenge of Extremism“, gehalten während des 11. IISS Manama Dialogue – Regional Security Summit, 30. Oktober–1. November 2015, Manama, Bahrain.
5 Europäische Union (2015): „Action Plan on Strategic Communication“, Ref. Ares (2015)2608242 – 22/06/2015, eap-csf.eu/assets/files/Action%20PLan.pdf (abgerufen am 31. Oktober 2015); NATO Strategic Communications Centre of Excellence, www.stratcomcoe.org/about-us (abgerufen am 31. Oktober 2015).
Dr. Bastian Giegerich ist seit März 2015 Director of Defence and Military Analysis am International Institute for Strategic Studies in London, an dem er bereits von 2005 bis 2010 zu Fragen der europäischen Sicherheitspolitik geforscht hat. Von 2010 bis 2012 war er Wissenschaftler am damaligen Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in Strausberg bevor er 2012 in die Abteilung Politik des Bundesministeriums der Verteidigung versetzt wurde. Dr. Giegerich hat Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen an den Universitäten Potsdam und Maryland (College Park, MD) studiert und wurde 2005 an der London School of Economics (LSE) promoviert.