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Ethik versus Effizienz – was militärische Führung von der Wirtschaft lernen kann

Führungsethik – als Ethik, nicht als Management-Tool – stellt in einer demokratisch verfassten Ordnung nicht vorrangig auf Effizienz, sondern insbesondere auf die Würde und die Rechte der Geführten ab. Weil Führung zugleich Hierarchie und damit Über- und Unterordnung bedeutet, werden nicht nur für das Militär, sondern auch für die Wirtschaft immer wieder auftretende Ziel- und Wertkonflikte zwischen den Grundwerten der demokratischen Ordnung auf der einen und der hierarchisch aufgestellten, auf Effizienz ausgerichteten Organisation auf der anderen Seite postuliert. Die Sinnfrage erfolgsorientierten, hierarchisch organisierten Handelns wird nachdrücklich gestellt. 

Dieses Spannungsfeld gewinnt spätestens angesichts veränderter Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt an Bedeutung. Bei der auch in der Wirtschaft oft so bezeichneten Rekrutierung von Nachwuchskräften wird zunehmend deutlich, dass in strategischer Perspektive nachhaltiger Erfolg und die Einhaltung elementarer ethischer Prinzipien in der Praxis Hand in Hand gehen müssen, wenn junge Menschen überzeugt werden sollen. Unter welchen Bedingungen dies ohne innere Widersprüche möglich ist, soll nachfolgend anhand einiger Beispiele skizziert werden.

Grundlegende Werte – konkrete Entscheidungssituation: Klärung eines Missverständnisses

Wie bemisst sich die ethische Qualität der Entscheidungen von Führungskräften? Ein reiner Effizienznachweis ist nicht hinreichend. Wie aber steht es dann erst um die Verwirklichung ethischer Normen und Führungsprinzipien in einer immer komplexer werdenden Welt? Es lohnt sich, an dieser Stelle einige Überlegungen in Form des in der Ethik etablierten Grundmodells von Begründung und Anwendung in Erinnerung zu rufen.

 Dieses Modell unterscheidet die (allgemeine) Begründung ethischer Normen einerseits von ihrer (konkreten) Anwendung durch Umsetzung in konkrete Entscheidungsempfehlungen. Die angewandte Ethik bzw. praktische Philosophie verstand sich hier lange Zeit als unmittelbar und konkret anwendende Ethik: Wohl begründete ethische Normen – etwa Menschenwürde, aber auch Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie – galt es nach diesem Verständnis durch unmittelbare Übertragung auf die Anwendungsebene in konkrete und zugleich allgemein gültige, ja rigorose Entscheidungsempfehlungen zu überführen, um damit ethisch erwünschte Ergebnisse herbeizuführen. Noch heute prägt dieses Denken viele Abhandlungen der angewandten Ethik. Abbildung 1 möge dies veranschaulichen.

Unter den komplexen Bedingungen der Moderne ist jedoch der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Entscheidung und Entscheidungsfolgen unwiederbringlich zer­brochen: Mag in der Frühzeit der Marktwirtschaft der Chef noch alle Untergebenen gekannt und einen unmittelbaren Einfluss auf das Marktergebnis gehabt haben; mag er selbst im vormodernen Umfeld relativ leicht beobachtbar gewesen sein, so haben international tief gestaffelte, anonym-arbeitsteilige Prozesse dies unmöglich – und wohl auch gar nicht wünschenswert – gemacht. Mehr noch: Im internationalen Wettbewerb wird es zunehmend schwer und oft unmöglich, durch Entscheidungen einzelner Akteure ein bestimmtes gewünschtes Ergebnis – etwa den Schutz der Umwelt – allein herbeizuführen. Übertragen auf die Armee, bedeutet dies, dass das zunehmend komplexere Umfeld mit neuen sicherheitspolitischen Anforderungen qualitativ andere Herausforderungen mit sich bringt als in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Was aber folgt daraus? Zwingen die äußeren Umstände die Unternehmung – allgemeiner: die Organisation –, von ihren Werten Abstand zu nehmen und ihre Grundprinzipien aufzugeben, um nicht im Wettbewerb zurückzufallen oder gar unterzugehen? Übertragen auf den militärischen Kontext lässt sich dies analog für die Grundprinzipien und -werte der Inneren Führung fragen, die – in ökonomischer Sprache – ebenfalls unter Wettbewerbsdruck  zu stehen scheinen.

Manche Wirtschaftsethiker neigen mit Blick auf die normative Gestaltungskraft von Unternehmen zu der skeptischen Auffassung. Demnach würde die Komplexität der nicht mehr beeinflussbaren Handlungsbedingungen und -folgen auf die zur Verfügung stehenden Entscheidungsalternativen durchschlagen, damit letztendlich die ethische Norm selbst in Frage stellen und die Führenden – insofern – zur Aufgabe wichtiger Grundwerte zwingen. Schlagwortartig hieße es, dass die fehlende Implementierbarkeit einer Norm negativ sogar auf ihre Geltung selbst durchschlüge. Abbildung 2 illustriert dies mit dem von unten nach oben führenden Pfeil. 

Die jüngere unternehmensethische Forschung hält diese Schlussfolgerung für voreilig: Zwar ist es richtig, dass der einleitend skizzierte traditionell-unmittelbare Durchgriff von der Begründung einer Norm auf ihre Anwendung, von der Norm zur Handlungsempfehlung (vgl. erneut Abb. 1), unter komplexen äußeren Bedingungen naiv wäre und scheitern müsste. Wohl begründete Normen jedoch sind nicht schon deshalb obsolet, weil sie – vorübergehend oder noch! – auf Schwierigkeiten der Umsetzung stoßen. Die neuere Forschung orientiert sich dabei durchaus am klassischen Verständnis von Unternehmertum: Ist es nicht gerade die herausragende Eigenschaft erfolgreicher Führung und unternehmerischen Denkens und Handelns, auf die stets neuen Herausforderungen flexibel und vorausschauend zu reagieren, selbst gestaltend zu agieren und nach Innovationen zu suchen? In der Tat: Führen hieß sozusagen immer schon, auf Rückschläge nicht resignativ, sondern innovativ zu antworten.

Was für die innovative Suche nach neuen Märkten, Produkten und Verfahren richtig ist, trifft nicht weniger auf eine anspruchsvolle, ethisch reflektierte Führung zu: Es gilt ja gerade, die eigenen Normen und Werte immer wieder aufs Neue auf die veränderten Randbedingungen einzustellen und im Zusammenspiel aus Grundwerten und jeweiligen Randbedingungen – z. B. Zeit- und Ressourcenknappheit, Wettbewerbsumfeld – notwendige Anpassungen für die konkreten Entscheidungen zu erarbeiten und umzusetzen. 

Dies sollte m.E. ebenfalls für die Innere Führung gelten: Veränderte Rahmenbedingungen werden als Führungsaufgabe gesehen, die Grundprinzipien gerade nicht aufzugeben, sondern im Gegenteil zu stärken: Die konkreten Entscheidungen mögen sich ändern und häufig sehr schnell angepasst werden müssen, das wohl begründete Leitbild kann erhalten und geschützt werden. Abbildung 3 illustriert diesen Gedankengang, der sich im Kern auf das Prinzip des klassischen Syllogismus stützt, wonach erst aus dem Zusammenwirken von normativer Prämisse und Randbedingungen konkrete Schlüsse gezogen werden. 

Vor diesem Hintergrund stehen auch die verschiedenen normativen Prämissen der Inneren Führung selbst keineswegs in einem Spannungsfeld zueinander: Für Graf von Baudissin und andere Gründungsväter der Inneren Führung ist der Soldat ja von jeher und mit großer Selbstverständlichkeit zugleich (!) als „freier Mensch, guter Staatsbürger und vollwertiger Soldat“ gesehen worden. Die konkrete Herausforderung im Einzelfall stellt also das Prinzip als solches nicht in Frage, sondern fragt, wie es zukünftig am besten zu realisieren ist im besten Sinne eines „Wie bekommen wir das hin?“ statt eines „Warum kann das nicht funktionieren?“ Dieser Kontext von Grundprinzipien und konkreten Empfehlungen, von Begründung und Anwendung sei anhand des folgenden Beispiels erläutert. 

Führungsstile und Führungsethik: Ethik, ernst genommen

Betrachten wir die in der Managementliteratur allgemein verbreitete Unterscheidung von Grundprinzipien der Führung anhand von Führungsstilen, so blicken wir zunächst auf eine schwer überschaubare Vielzahl von einschlägigen Publikationen, Hypothesen und bisweilen fantasievollen Typenbildungen. Bei etwas näherem Hinsehen lassen sich aber holzschnitttartig vereinfachend – und damit klärend – im hier interessierenden Zusammenhang zwei Grundtypen voneinander unterscheiden: autoritativer und partizipativer Führungsstil.

Der autoritative Führungsstil sieht eine klare Aufgabenverteilung zwischen Vorgesetztem und Untergebenen vor: Vorgesetzte entscheiden und kontrollieren, die Mitarbeitenden führen aus und werden kontrolliert, das Verhältnis zwischen beiden ist in der Regel eher distanziert. Entscheidungen fallen eher schnell. Der partizipative Führungsstil dagegen zeichnet sich dadurch aus, dass die Mitarbeitenden in den Entscheidungsprozess einbezogen werden und regelmäßig Entscheidungen an sie delegiert werden. Fremdsteuerung wird teilweise durch Selbststeuerung ersetzt, das Verhältnis ist weniger distanziert und wirkt bisweilen partnerschaftlich („auf Augenhöhe“). Entscheidungen benötigen prinzipbedingt eher mehr Zeit.

Unter diesen stilisierten Führungsstilen finden sich, wie man weiß, Extremformen und Varianten. Eine Extremform der autoritativen ist die despotische: Sie duldet keinen Widerspruch, tritt herrisch auf und neigt zu willkürlichen Strafen. Die Untergebenen fürchten den despotisch Führenden. Eine Variante des autoritativen Führungsstils ist dagegen die patriarchalische Führung: Im Unterschied zur despotischen Ausprägung fühlt der patriarchalisch Führende sich für die von ihm Geführten verantwortlich, er mag sie und sieht sie beinahe so (darauf deutet auch die lateinisch-griechische Wurzel des Begriffes hin), wie ein Vater seine oder eine Mutter ihre Kinder sieht. Das Recht auf und die Pflicht zur Führung verbinden sich bei ihm oder ihr mit der Pflicht zur Fürsorge. Die Untergebenen begegnen der Führungskraft häufig mit ehrlichem Respekt. In den konkreten Verhaltensweisen und Einstellungen treten also auch deutliche Vorteile hervor; in der Konzeption selbst bleibt der Geführte jedoch in seiner Rolle verankert, Potenziale bleiben ungenutzt.

Führungsstile im Vergleich – und die ethische Dimension

Gibt es nennenswerte, etwa kulturelle Unterschiede zwischen den USA und (Kontinental-) Europa im Hinblick auf die Verbreitung von autoritativem und partizipativem Führungsstil? Einige Studien scheinen dies nahezulegen. In der Gesamtschau deutet allerdings einiges darauf hin, dass regionale oder kulturelle Unterschiede in Zeiten starken wirtschaftlichen Wandels (Stichwort Internet) eine eher geringere Bedeutung haben als Branchenunterschiede und der Umstand, dass sich ohnehin auch „ältere“, eher konservativ aufgestellte Unternehmen inzwischen auf eher partizipative Führungsstile und -methoden zubewegen. 

Vor diesem Hintergrund fragen wir uns: Wie steht es hier um die spezifisch ethische Dimension? Steht nicht partizipativ geradezu sinnbildlich für demokratisch, autoritativ für autoritär, undemokratisch und despotisch? Diese Vereinfachung greift aus wirtschaftsethischer Perspektive deutlich zu kurz, und für das Militär dürfte Ähnliches gelten: Aus der Entscheidung für ein bestimmtes Grundprinzip – hier den partizipativen Führungsstil – ergeben sich eben nicht quasi automatisch bestimmte Führungsmethoden und Handlungsempfehlungen in der konkreten Situation; auch dies wäre ein Missverständnis hinsichtlich des Zusammenspiels von grundlegenden Werten, Randbedingungen und konkreten Entscheidungen. Vielmehr darf und kann sich gerade der partizipative Führungsstil – auch als Ausdruck von Souveränität – selbstverständlich konkreter Entscheidungsprozesse und Strukturen bedienen, in denen die Führungsebene Entscheidung und Verantwortung mit großer Selbstverständlichkeit an sich zieht: Nicht das Ob, sondern das Wie zählt, wenn man grundlegendes Prinzip und Selbstverständnis einerseits und konkrete Handlungssituation nicht miteinander vermischt. 

Man wird, ausgehend vom Grundprinzip und von einer Entscheidung für den partizipativen Stil, im Zweifel nach der Faustregel vorgehen, so viel wie möglich Beteiligung zu gewähren und so wenig wie nötig autoritativ zu entscheiden – so wenig wie nötig, aber eben nicht noch weniger als nötig, und insbesondere dann nicht, wenn die äußeren Bedingungen wie Zeitdruck oder akute Risiken rasches und verantwortliches Führungshandeln erfordern. 

Nicht zuletzt ist es ein ethisches Gebot, Menschen, die von anderen geführt werden, nicht zu überfordern: Die Geführten haben insbesondere auf den unteren Entscheidungsebenen und bei weniger komplexen Tätigkeiten in jeder Unternehmung und in jeder Organisation das gute Recht, Entscheidung und die Übernahme von Verantwortung für die Entscheidungen von jenen zu erwarten, die ihre Vorgesetzten sind und dafür in aller Regel auch auf höherem Niveau entlohnt werden.

Somit sind wir gut beraten, auf offen wertende Attribute wie „autoritär“ dort oder „kooperativ“ hier zu verzichten, weil sie Denkblockaden auslösen oder verstärken können. Man bedenke etwa, dass ein ethisch reflektierter, momentan autoritativ Führender sehr wohl im Untergebenen einen Träger von menschlicher Würde zu sehen weiß und – selbstverständlich – ebenfalls auf Kooperation setzt („Was denn sonst?“, möchte man fragen), nur eben mit klar vorgegebenen Rollenzuweisungen und nicht als Selbstzweck, sondern jeweils den Umständen bzw. den aktuellen Randbedingungen geschuldet. 

Ein vorläufiges Fazit

Für das Verhältnis von Ethik und Effizienz in der militärischen Führung wie in der Wirtschaft wird nicht selten vermutet, dass sie aus ethischer Sicht in einem quasi natürlichen, unüberwindbaren Spannungsfeld stünden. Die Führungskraft wäre demnach gezwungen, sich bekenntnishaft auf die eine oder die andere Seite zu schlagen und die andere mehr oder weniger aufzugeben. Das ist, wie oben erläutert wurde, keineswegs der Fall. Bei näherem Hinsehen liefert gerade die neuere, ökonomisch reflektierte wirtschaftsethische Forschung eine Reihe von Verbindungslinien zwischen Wirtschaft und Militär, von denen hier in einer vorläufigen Annäherung einige skizziert werden konnten.

Zusammenfassung

Prof. Dr. Detlef Aufderheide

Prof. Dr. Detlef Aufderheide ist Professor für Wirtschaftsethik und strategisches Management an der SiB School of International Business, Hochschule Bremen. Zuvor war er Gründungsinhaber des Dr.-Jürgen-Meyer-Stiftungs-Lehrstuhls für Internationale Wirtschaftsethik an der HSBA Hamburg School of Business Administration (der Hochschule der Hamburger Wirtschaft). Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre promovierte Professor Aufderheide bei Prof. Dr. Dr. h.c. Jochen Schumann an der Universität Münster zu einem wirtschafts- und unternehmensethischen Thema. Er folgte später u.a. einer Einladung zum Forschungsaufenthalt am Center for Study of Public Choice in Fairfax, Virginia (USA) bei Prof. James M. Buchanan. Professor Aufderheide ist Autor, Co-Autor und (Mit-)Herausgeber zahlreicher Publikationen zur Wirtschafts- und Unternehmensethik sowie zur neuen Institutionenökonomik und Ordnungspolitik.

detlef.aufderheide@hs-bremen.de


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