Zum Hauptinhalt springen

Freiwilligendienst statt Wehrdienst – junge Leute setzen sich für das Gemeinwohl ein

Fragt man danach, wovor diese Jugendlichen Angst haben, dann sind das vor allem Terroranschläge (73 Prozent) und ein möglicher Krieg in Europa (62 Prozent). Angesichts dieser Äußerung von Ängsten ist es auffällig, dass der Einsatz militärischer Mittel – nach der Bundeswehr wurde nicht speziell gefragt – nur von wenigen Jugendlichen hoch geschätzt wird. Die meisten der jungen Menschen sind keineswegs sicher, dass militärische Mittel in der gegenwärtig als unübersichtlich erlebten Welt helfen. So stimmen 49 Prozent dem Item zu: „Militärische Einmischung macht Dinge nur noch schlimmer“, während 19 Prozent dieses Item ablehnen („teils/teils“ antworten 24 Prozent). 41 Prozent wollen nicht „Militärisch dazu beitragen, Kriege in der Welt zu beenden“, 29 Prozent können sich das jedoch vorstellen (23 Prozent antworten „teils/teils“).

Wenn man diese Generation der jungen Menschen ansprechen und für eine Tätigkeit in der Bundeswehr gewinnen wollte, dann müsste man vor allem die Sinnhaftigkeit des Militärdienstes diskutieren und diese ihnen bewusst machen. Geworben werden kann bei dieser Generation kaum mit materiellen Anreizen, auch nicht mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder besonderen Aufstiegsangeboten. Im Mittelpunkt des Interesses dieser Generation steht die Erwartung von Selbstwirksamkeit. Selbstwirksam ist jemand dann, wenn er sich mit seinen Ideen einbringt in ein als sinnhaft interpretiertes größeres Ganzes. Das Militär wird offenbar nicht als ein solcher Sinnzusammenhang erlebt. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass sich der Fokus militärischen Handelns wegverlagert hat von der Landesverteidigung im genuinen Sinne – dafür ist die Zustimmung bei der deutschen Bevölkerung sehr groß2 – hin zum Einsatz von Soldatinnen und Soldaten in fernen Weltgegenden. Dass der Einsatz der Bundeswehr insbesondere in Afghanistan von vielen jungen Menschen nicht als Erfolg gewertet wird, ist verständlich. Denn auch erkämpfte und gesicherte Gebiete konnten von den Taliban wieder zurückerobert werden. Die Militärskepsis der jungen Generation ist also durchaus nachvollziehbar.

Militärskepsis ist aber, auch das geht aus der Shell-Jugendstudie hervor, keineswegs gleichzusetzen mit Politikskepsis. Im Gegenteil: Politik ist den jungen Leuten von heute nicht mehr so fern wie der vorherigen Generation. Die Autoren der Shell-Studie identifizieren sogar eine „Trendwende beim politischen Interesse“: Das Interesse an Politik ist von 30 Prozent im Jahre 2002 auf
41 Prozent im Jahr 2015 gestiegen (lag allerdings in den 1980er Jahren knapp über 50 Prozent).

Freiwilliges Engagement junger Menschen

Dass junge Menschen sich gerne für ein gesellschaftlich erwünschtes politisches, helfendes oder ökologisches Engagement gewinnen lassen, zeigen die boomenden Angebote und die immensen Inanspruchnahmen der diversen Freiwilligendienste in Deutschland. Solche Freiwilligendienste bestehen seit nahezu 60 Jahren. Es waren christliche Kreise, in denen das freiwillige soziale Jahr erfunden wurde: Die jungen Männer sollten pflichtmäßig ihren Wehrdienst leisten, die jungen Frauen freiwillig karitativ tätig werden. Dann arbeiteten zunehmend anerkannte Kriegsdienstverweigerer als Zivildienstleistende in diversen Projekten der Wohlfahrtspflege, der Kirchen und, seit 1990, in ökologischen Projekten. Die Aussetzung der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes zum
1. Juli 2011 wurde von der Politik, dem Gesetzgeber und von den freien Wohlfahrtsverbänden als Chance begriffen, freiwilliges Engagement in Deutschland auf eine breitere Basis zu stellen: Für den neuen Bundesfreiwilligendienst und die diversen Jugendfreiwilligendienste können alljährlich mehrere Zehntausend junge Leute gewonnen werden. 

Während ihres Einsatzes erhalten die Freiwilligen bei allen Einsatzstellen in der Regel nicht mehr als ein Taschengeld. Wichtig für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesen Programmen ist nach der Selbstauskunft der Freiwilligen vor allem die Möglichkeit zur Persönlichkeitsentwicklung (neben der Notwendigkeit, Zeit zu überbrücken).  Verpflichtend ist für die Freiwilligen neben den für die eigene Entwicklung angebotenen Bildungsveranstaltungen auch der Besuch von Veranstaltungen zur politischen Bildung. Wer Freiwilligendienst leistet, trägt zum Gemeinwohl bei und gestaltet das Gemeinwesen aktiv mit. Solches bürgerschaftliche Engagement junger Menschen akzentuiert in jedem Fall die Übernahme einer auf das Gemeinwesen bezogenen Verantwortung.3 Die Bundeswehr bietet den jungen Menschen keine entsprechenden Möglichkeiten zur Identifikation mit dem Sinn der Organisation und dem eigenen Handeln in ihr und keine Kurse zur Persönlichkeitsentwicklung und in politischer Bildung an (obwohl natürlich ein gewisser Stundensatz für politische Bildung im Rahmen der Inneren Führung vorgesehen ist). Die Bundeswehr lädt nur selten zu bürgerschaftlichem Engagement ein und nicht zu entwicklungspolitischem Engagement, obwohl die Idee der gemeinschaftlichen Verteidigung der demokratischen Bürgergesellschaft und der freiheitlichen Lebensweise das eigentlich nahelegen würde.

Junge Leute und Bundeswehr

Nach Presseinformationen gibt es Probleme, die 12.500 Stellen, die jedes Jahr für freiwillig Wehrdienst Leistende (dazu kommen die Offizieranwärter) vorgesehen sind, mit geeigneten jungen Menschen zu besetzen. 

Das mangelnde Interesse an einer freiwilligen Mitarbeit in der Bundeswehr kann nicht daran liegen, dass die jungen Menschen gegenwärtig bei einem anderen Arbeitgeber derart zielstrebig an ihrer Karriere arbeiten, dass sie keine Zeit für ein solches Engagement hätten. Schließlich haben jedes Jahr mehrere Zehntausend junger Menschen Zeit für eine freiwillige Tätigkeit. Das Desinteresse dürfte wohl eher zu erklären sein aus dem Image der Bundeswehr, das sich in den letzten Jahren mehrfach und tiefgreifend gewandelt hat: Aus der Abschreckungsarmee, einsetzbar (schlimmstenfalls) zur Verteidigung des Heimatlandes, ist eine weltweit agierende Einsatzarmee geworden, die an der Seite ihrer Verbündeten gegen Terroristen kämpft. Und, die zweite grundlegende Veränderung: Die Wehrpflicht für alle jungen Männer ist 2011 ausgesetzt worden und wird wohl in den nächsten Jahren nicht wieder eingeführt werden. Diese beiden Veränderungen lassen das Image der Bundeswehr in der Öffentlichkeit und bei den jungen Menschen in einem ganz neuen Licht erscheinen: Wer sich jetzt freiwillig bei der Bundeswehr verpflichtet, stimmt deren Arbeitsprinzipien (Befehl und Gehorsam) und den Auslandseinsätzen grundsätzlich zu. Wer länger als zwölf Monate als Freiwillig Wehrdienst Leistender dienen will, muss in seinem Vertrag gleich unterschreiben, dass er bereit zu einem Einsatz im Ausland ist (wobei nicht die Möglichkeit der Abwahl eines Einsatzortes vorgesehen ist). Da aber bei den jungen Menschen die Meinung vorherrscht, dass der Einsatz militärischer Gewalt keine positiven Folgen hat, gibt es keine Gründe für sie, ihr Engagement im militärischen Bereich einzubringen. Zwar ist nach Beobachtung der Autoren der Shell-Jugendstudie das Interesse an Politik bei den Befragten gewachsen, aber die Bundeswehr scheint davon nicht zu profitieren. Ihr dürfte in den Augen der jungen Menschen dasjenige fehlen, was für diese von besonderer Bedeutung ist: die Möglichkeit der Selbstwirksamkeit und damit die Erfahrung von Sinn. 

Bei einer Studie mit freiwillig Wehrdienst Leistenden im Jahr 2012 beklagten fast die Hälfte der Befragten die mangelnde Sinnhaftigkeit ihres Dienstes.4 Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsbildung sind keine Werte, die von den jungen Menschen mit einer Tätigkeit in der Bundeswehr verbunden werden. Im Gegenteil: Die Bundeswehr neigt dazu, das Profil und Image ihrer Soldatinnen und Soldaten von der Waffe her zu konstruieren (z.B. regelmäßiges Schießtraining, Waffeneinsatz als Alleinstellungsmerkmal der Bundeswehr), deren kollektiv-organisierter Gebrauch positive Wirkungen zeigen soll. Entsprechend argumentieren auch Militärsoziologen und Historiker5, die im Grunde die kopernikanische Wende, welche das Leitbild der Inneren Führung für die Bundeswehr bedeutet, nicht angemessen in den Blick nehmen wollen. Sie akzentuieren vielmehr die gerade Linie zwischen dem Ausmerzen des Gegners durch Soldaten der Wehrmacht und solchen der Bundeswehr. Weil die Anwendung letaler Gewalt im Fokus der öffentlichen Diskussion steht, weil über „Kriegseinsätze“ und „Kampfgruppen“ diskutiert wird, weil andererseits aber der Erfolg dieser Aktionen nicht zu erkennen ist, zweifeln die Befragten in der Shell-Studie an einem solchen Engagement. 

Die Kampagnen der Bundeswehr werben offensiv damit, dass der zu erwartende Wehrsold doppelt bis dreimal so hoch ist wie das Entgelt für diejenigen, die ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr absolvieren. Da der Anteil der Materialisten unter den jungen Menschen aber eher gering ist, dürften viele sich von dieser Werbung nicht angesprochen fühlen. Zwar wird in Bundeswehrbroschüren auch mit dem „starken Team“ geworben, in dem der neue Soldat auf Zeit tätig sein wird, und wird „persönliches Engagement“ ausdrücklich begrüßt, aber jeder weiß, dass Mannschaftssoldaten diejenigen sind, die tun müssen, was andere ihnen befehlen. Eine die Erwartung, in eine strikt hierarchische Organisation einzutreten, korrigierende oder unterlaufende Formulierung sucht man in den Broschüren zum freiwilligen Wehrdienst vergebens.  

Ist dieses Ergebnis des Vergleichs von freiwilligem Wehrdienst und anderen Freiwilligendiensten Ausdruck einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung – oder ehrt es möglicherweise die jungen Menschen in Deutschland? Obwohl immer wieder in den Medien über Jugendgewalt berichtet wird, obwohl die Berichte über die Selbstradikalisierung von jungen Menschen zu Selbstmordattentätern und Gotteskriegern ständig zunehmen – die Idee, terroristischer Gewalt mit militärischer Gewalt entgegenzutreten, ist den meisten jungen Menschen fremd. Diese Gewaltskepsis verbindet sie mit großen Teilen der deutschen Gesellschaft, mit ihren Eltern und Großeltern. Obwohl die jungen Leute angeben, Angst vor Krieg und Terror zu haben, wollen sie beidem nicht mit militärischen Mitteln entgegentreten. 

Trotzdem bedarf die zivil orientierte deutsche Gesellschaft der Soldatinnen und Soldaten zu ihrer Verteidigung. Schließlich müssen, und hier ist an die Shell-Jugendstudie wiederum anzuknüpfen, „Gesellschaft und Ordnung“ auch nach Meinung der meisten jungen Menschen respektiert werden. Von dieser Beobachtung ausgehend wäre das Aufgabenfeld von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in einer offensiven Sinndebatte öffentlich genauer zu erörtern. Da reicht es nicht, alten Wein in neue Schläuche zu füllen und neue Claims für die Werbekampagnen zu posten. 

Die verbreitete Meinung, dass die jungen Leute von heute eine zögerliche und nur auf ihren persönlichen Vorteil bedachte Generation seien, dass sie Familie und Freunde der Arbeit vorziehen und dass sie – weil von den Eltern als Kinder verhätschelt – auf Anforderungen gerne mit Verweigerung reagieren, lässt sich beim Blick in quantitativ-empirische Untersuchungen ebenso wenig belegen wie beim Blick auf die Selbstverpflichtungen, die junge Menschen eingehen. Die Kritik an der jeweils jungen Generation spiegelt eher die Perspektive des Kritikers, als dass sie den jungen Leuten selbst angemessen wäre. Im Folgenden referiere ich einige Studien unter dem Gesichtspunkt, ob sie erkennen lassen, warum die meisten jungen Menschen sich nach dem Schulbesuch anderen Tätigkeitsfeldern als denen in der Bundeswehr zuwenden.   

Shell-Jugendstudie 2015 

Befragt werden in den Shell-Jugendstudien seit vielen Jahrzehnten junge Menschen (aktuell solche des Altersbandes zwischen zwölf und 25 Jahren in Ostdeutschland, solche des Altersbandes zwischen 14 und 25 Jahren in Westdeutschland) hinsichtlich ihrer Werte und Haltungen, hinsichtlich ihrer Lebensziele und Bedrohungsperzeptionen.1

Auffällig ist im Wertehorizont der Jugendlichen die Gleichzeitigkeit der Betonung von Pflicht- und Akzeptanzwerten einerseits, von Selbstverwirklichungswerten andererseits. Zugenommen hat in den letzten fünf Jahren die Zustimmung zu dem Item „Gesellschaft und Ordnung respektieren“ von 81 auf 84 Prozent, die Zustimmung zu dem Item „Sozial Benachteiligten und Randgruppen helfen“ von 58 auf 60 Prozent und die zu „Sich politisch engagieren“ von 23 auf 32 Prozent. Während der Respekt gegenüber Gesellschaft und Ordnung als Pflichtwert einzuordnen ist, sind Helfen und politisches Engagement als Selbstverwirklichungswerte zu interpretieren. 

Immer mehr Jugendliche sind „Macher“ (31 Prozent der jungen Männer, 32 Prozent der jungen Frauen), die Zahl der „Idealisten“ bei beiden Geschlechtern steigt an (30 Prozent der jungen Frauen, 20 Prozent der jungen Männer). Die Zahl der „Materialisten“ nahm bei beiden Geschlechtern in den letzten Jahren ab (24 Prozent der jungen Männer, 14 Prozent der jungen Frauen), ebenso die Zahl der „Zögerlichen“ (25 Prozent der jungen Männer, 24 Prozent der jungen Frauen). Den „Machern“ sind ebenso wie den „Idealisten“ Fleiß und Ehrgeiz einerseits – wiederum Pflicht- und Akzeptanzwerte – sowie Fantasie und Kreativität – wiederum Selbstverwirklichungswerte – besonders wichtig. Beide Gruppen wollen sozial Benachteiligten helfen. 

Zu den Vorstellungen von der eigenen Berufstätigkeit wurden in der Shell-Studie mehrere Fragen gestellt. Die Berufszufriedenheit wird besonders von solchen weichen Faktoren abhängig gemacht, die mit der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns verknüpft sind. Zwar ist 71 Prozent der jungen Menschen die Arbeitsplatzsicherheit besonders wichtig, aber 58 Prozent wollen eigene Ideen in ihre Berufswelt einbringen. Auch in diesen beiden Statements zeigt sich die zwiefältige Wertorientierung der jungen Generation: einerseits dem bestehenden Arbeitssystem verpflichtet, andererseits auf Selbstverwirklichung hin ausgerichtet. Knapp dahinter rangiert die Zustimmung zu dem Item „Möglichkeiten, etwas zu tun, das ich sinnvoll finde“. 

Fragt man danach, wovor diese Jugendlichen Angst haben, dann sind das vor allem Terroranschläge (73 Prozent) und ein möglicher Krieg in Europa (62 Prozent). Angesichts dieser Äußerung von Ängsten ist es auffällig, dass der Einsatz militärischer Mittel – nach der Bundeswehr wurde nicht speziell gefragt – nur von wenigen Jugendlichen hoch geschätzt wird. Die meisten der jungen Menschen sind keineswegs sicher, dass militärische Mittel in der gegenwärtig als unübersichtlich erlebten Welt helfen. So stimmen 49 Prozent dem Item zu: „Militärische Einmischung macht Dinge nur noch schlimmer“, während 19 Prozent dieses Item ablehnen („teils/teils“ antworten 24 Prozent). 41 Prozent wollen nicht „Militärisch dazu beitragen, Kriege in der Welt zu beenden“, 29 Prozent können sich das jedoch vorstellen (23 Prozent antworten „teils/teils“).

Wenn man diese Generation der jungen Menschen ansprechen und für eine Tätigkeit in der Bundeswehr gewinnen wollte, dann müsste man vor allem die Sinnhaftigkeit des Militärdienstes diskutieren und diese ihnen bewusst machen. Geworben werden kann bei dieser Generation kaum mit materiellen Anreizen, auch nicht mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder besonderen Aufstiegsangeboten. Im Mittelpunkt des Interesses dieser Generation steht die Erwartung von Selbstwirksamkeit. Selbstwirksam ist jemand dann, wenn er sich mit seinen Ideen einbringt in ein als sinnhaft interpretiertes größeres Ganzes. Das Militär wird offenbar nicht als ein solcher Sinnzusammenhang erlebt. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass sich der Fokus militärischen Handelns wegverlagert hat von der Landesverteidigung im genuinen Sinne – dafür ist die Zustimmung bei der deutschen Bevölkerung sehr groß2 – hin zum Einsatz von Soldatinnen und Soldaten in fernen Weltgegenden. Dass der Einsatz der Bundeswehr insbesondere in Afghanistan von vielen jungen Menschen nicht als Erfolg gewertet wird, ist verständlich. Denn auch erkämpfte und gesicherte Gebiete konnten von den Taliban wieder zurückerobert werden. Die Militärskepsis der jungen Generation ist also durchaus nachvollziehbar.

Militärskepsis ist aber, auch das geht aus der Shell-Jugendstudie hervor, keineswegs gleichzusetzen mit Politikskepsis. Im Gegenteil: Politik ist den jungen Leuten von heute nicht mehr so fern wie der vorherigen Generation. Die Autoren der Shell-Studie identifizieren sogar eine „Trendwende beim politischen Interesse“: Das Interesse an Politik ist von 30 Prozent im Jahre 2002 auf
41 Prozent im Jahr 2015 gestiegen (lag allerdings in den 1980er Jahren knapp über 50 Prozent).

Freiwilliges Engagement junger Menschen

Dass junge Menschen sich gerne für ein gesellschaftlich erwünschtes politisches, helfendes oder ökologisches Engagement gewinnen lassen, zeigen die boomenden Angebote und die immensen Inanspruchnahmen der diversen Freiwilligendienste in Deutschland. Solche Freiwilligendienste bestehen seit nahezu 60 Jahren. Es waren christliche Kreise, in denen das freiwillige soziale Jahr erfunden wurde: Die jungen Männer sollten pflichtmäßig ihren Wehrdienst leisten, die jungen Frauen freiwillig karitativ tätig werden. Dann arbeiteten zunehmend anerkannte Kriegsdienstverweigerer als Zivildienstleistende in diversen Projekten der Wohlfahrtspflege, der Kirchen und, seit 1990, in ökologischen Projekten. Die Aussetzung der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes zum
1. Juli 2011 wurde von der Politik, dem Gesetzgeber und von den freien Wohlfahrtsverbänden als Chance begriffen, freiwilliges Engagement in Deutschland auf eine breitere Basis zu stellen: Für den neuen Bundesfreiwilligendienst und die diversen Jugendfreiwilligendienste können alljährlich mehrere Zehntausend junge Leute gewonnen werden. 

Während ihres Einsatzes erhalten die Freiwilligen bei allen Einsatzstellen in der Regel nicht mehr als ein Taschengeld. Wichtig für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesen Programmen ist nach der Selbstauskunft der Freiwilligen vor allem die Möglichkeit zur Persönlichkeitsentwicklung (neben der Notwendigkeit, Zeit zu überbrücken).  Verpflichtend ist für die Freiwilligen neben den für die eigene Entwicklung angebotenen Bildungsveranstaltungen auch der Besuch von Veranstaltungen zur politischen Bildung. Wer Freiwilligendienst leistet, trägt zum Gemeinwohl bei und gestaltet das Gemeinwesen aktiv mit. Solches bürgerschaftliche Engagement junger Menschen akzentuiert in jedem Fall die Übernahme einer auf das Gemeinwesen bezogenen Verantwortung.3 Die Bundeswehr bietet den jungen Menschen keine entsprechenden Möglichkeiten zur Identifikation mit dem Sinn der Organisation und dem eigenen Handeln in ihr und keine Kurse zur Persönlichkeitsentwicklung und in politischer Bildung an (obwohl natürlich ein gewisser Stundensatz für politische Bildung im Rahmen der Inneren Führung vorgesehen ist). Die Bundeswehr lädt nur selten zu bürgerschaftlichem Engagement ein und nicht zu entwicklungspolitischem Engagement, obwohl die Idee der gemeinschaftlichen Verteidigung der demokratischen Bürgergesellschaft und der freiheitlichen Lebensweise das eigentlich nahelegen würde.

Junge Leute und Bundeswehr

Nach Presseinformationen gibt es Probleme, die 12.500 Stellen, die jedes Jahr für freiwillig Wehrdienst Leistende (dazu kommen die Offizieranwärter) vorgesehen sind, mit geeigneten jungen Menschen zu besetzen. 

Das mangelnde Interesse an einer freiwilligen Mitarbeit in der Bundeswehr kann nicht daran liegen, dass die jungen Menschen gegenwärtig bei einem anderen Arbeitgeber derart zielstrebig an ihrer Karriere arbeiten, dass sie keine Zeit für ein solches Engagement hätten. Schließlich haben jedes Jahr mehrere Zehntausend junger Menschen Zeit für eine freiwillige Tätigkeit. Das Desinteresse dürfte wohl eher zu erklären sein aus dem Image der Bundeswehr, das sich in den letzten Jahren mehrfach und tiefgreifend gewandelt hat: Aus der Abschreckungsarmee, einsetzbar (schlimmstenfalls) zur Verteidigung des Heimatlandes, ist eine weltweit agierende Einsatzarmee geworden, die an der Seite ihrer Verbündeten gegen Terroristen kämpft. Und, die zweite grundlegende Veränderung: Die Wehrpflicht für alle jungen Männer ist 2011 ausgesetzt worden und wird wohl in den nächsten Jahren nicht wieder eingeführt werden. Diese beiden Veränderungen lassen das Image der Bundeswehr in der Öffentlichkeit und bei den jungen Menschen in einem ganz neuen Licht erscheinen: Wer sich jetzt freiwillig bei der Bundeswehr verpflichtet, stimmt deren Arbeitsprinzipien (Befehl und Gehorsam) und den Auslandseinsätzen grundsätzlich zu. Wer länger als zwölf Monate als Freiwillig Wehrdienst Leistender dienen will, muss in seinem Vertrag gleich unterschreiben, dass er bereit zu einem Einsatz im Ausland ist (wobei nicht die Möglichkeit der Abwahl eines Einsatzortes vorgesehen ist). Da aber bei den jungen Menschen die Meinung vorherrscht, dass der Einsatz militärischer Gewalt keine positiven Folgen hat, gibt es keine Gründe für sie, ihr Engagement im militärischen Bereich einzubringen. Zwar ist nach Beobachtung der Autoren der Shell-Jugendstudie das Interesse an Politik bei den Befragten gewachsen, aber die Bundeswehr scheint davon nicht zu profitieren. Ihr dürfte in den Augen der jungen Menschen dasjenige fehlen, was für diese von besonderer Bedeutung ist: die Möglichkeit der Selbstwirksamkeit und damit die Erfahrung von Sinn. 

Bei einer Studie mit freiwillig Wehrdienst Leistenden im Jahr 2012 beklagten fast die Hälfte der Befragten die mangelnde Sinnhaftigkeit ihres Dienstes.4 Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsbildung sind keine Werte, die von den jungen Menschen mit einer Tätigkeit in der Bundeswehr verbunden werden. Im Gegenteil: Die Bundeswehr neigt dazu, das Profil und Image ihrer Soldatinnen und Soldaten von der Waffe her zu konstruieren (z.B. regelmäßiges Schießtraining, Waffeneinsatz als Alleinstellungsmerkmal der Bundeswehr), deren kollektiv-organisierter Gebrauch positive Wirkungen zeigen soll. Entsprechend argumentieren auch Militärsoziologen und Historiker5, die im Grunde die kopernikanische Wende, welche das Leitbild der Inneren Führung für die Bundeswehr bedeutet, nicht angemessen in den Blick nehmen wollen. Sie akzentuieren vielmehr die gerade Linie zwischen dem Ausmerzen des Gegners durch Soldaten der Wehrmacht und solchen der Bundeswehr. Weil die Anwendung letaler Gewalt im Fokus der öffentlichen Diskussion steht, weil über „Kriegseinsätze“ und „Kampfgruppen“ diskutiert wird, weil andererseits aber der Erfolg dieser Aktionen nicht zu erkennen ist, zweifeln die Befragten in der Shell-Studie an einem solchen Engagement. 

Die Kampagnen der Bundeswehr werben offensiv damit, dass der zu erwartende Wehrsold doppelt bis dreimal so hoch ist wie das Entgelt für diejenigen, die ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr absolvieren. Da der Anteil der Materialisten unter den jungen Menschen aber eher gering ist, dürften viele sich von dieser Werbung nicht angesprochen fühlen. Zwar wird in Bundeswehrbroschüren auch mit dem „starken Team“ geworben, in dem der neue Soldat auf Zeit tätig sein wird, und wird „persönliches Engagement“ ausdrücklich begrüßt, aber jeder weiß, dass Mannschaftssoldaten diejenigen sind, die tun müssen, was andere ihnen befehlen. Eine die Erwartung, in eine strikt hierarchische Organisation einzutreten, korrigierende oder unterlaufende Formulierung sucht man in den Broschüren zum freiwilligen Wehrdienst vergebens.  

Ist dieses Ergebnis des Vergleichs von freiwilligem Wehrdienst und anderen Freiwilligendiensten Ausdruck einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung – oder ehrt es möglicherweise die jungen Menschen in Deutschland? Obwohl immer wieder in den Medien über Jugendgewalt berichtet wird, obwohl die Berichte über die Selbstradikalisierung von jungen Menschen zu Selbstmordattentätern und Gotteskriegern ständig zunehmen – die Idee, terroristischer Gewalt mit militärischer Gewalt entgegenzutreten, ist den meisten jungen Menschen fremd. Diese Gewaltskepsis verbindet sie mit großen Teilen der deutschen Gesellschaft, mit ihren Eltern und Großeltern. Obwohl die jungen Leute angeben, Angst vor Krieg und Terror zu haben, wollen sie beidem nicht mit militärischen Mitteln entgegentreten. 

Trotzdem bedarf die zivil orientierte deutsche Gesellschaft der Soldatinnen und Soldaten zu ihrer Verteidigung. Schließlich müssen, und hier ist an die Shell-Jugendstudie wiederum anzuknüpfen, „Gesellschaft und Ordnung“ auch nach Meinung der meisten jungen Menschen respektiert werden. Von dieser Beobachtung ausgehend wäre das Aufgabenfeld von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in einer offensiven Sinndebatte öffentlich genauer zu erörtern. Da reicht es nicht, alten Wein in neue Schläuche zu füllen und neue Claims für die Werbekampagnen zu posten. 

1 Vgl. alle Ergebnisse unter s01.static-shell.com/content/dam/shell-new/local/country/deu/downloads/pdf/shell-jugendstudie-2015-zusammenfassung-de.pdf und s06.static-shell.com/content/dam/shell-new/local/country/deu/downloads/pdf/shell-jugendstudie-2015-infografiken.pdf, zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016. Grafiken unter: s07.static-shell.com/content/dam/shell-new/local/country/deu/downloads/pdf/erwartungen-an-die-berufstatigkeit.pdf; s01.static-shell.com/content/dam/shell-new/local/country/deu/downloads/pdf/aussagen-zur-rolle-deutschlands-in-der-welt.pdf.

2 Vgl. Heiko Biehl und Bastian Giegerich: Wozu sind Streitkräfte da? Einstellungen zu militärischen Aufgaben. In: Strategische Kulturen in Europa. Die Bürger Europas und ihre Streitkräfte. Ergebnisse der Bevölkerungsbefragungen in acht europäischen Ländern 2010 des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr. Hg. von Heiko Biehl u.a. (Forschungsbericht 96). Strausberg 2011, S. 59–73, hier S. 61.

3 Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ erläutert den „Eigensinn“ bürgerschaftlichen Engagements wie folgt: „Bürgerschaftliches Engagement ist eine Form der Tätigkeit, die gegenüber anderen Tätigkeiten – etwa der Erwerbsarbeit – eine eigene Handlungslogik aufweist. In der besonderen Tätigkeitsform und Motivationsgrundlage liegt der Kern eines ‚Eigensinns‘ bürgerschaftlichen Engagements“, in: Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Deutscher Bundestag. 14. Wahlperiode. Drucksache 14/8900. 03.06.2002, S. 38. Wer älter als 27 Jahre ist, kann sich im Bundesfreiwilligendienst engagieren.

4 Robert Kramer: Evaluation des Freiwilligen Wehrdienstes. Ergebnisse der Zweitbefragung der freiwilligen Wehrdienst Leistenden mit Diensteintritt im Zeitraum von Juli 2011 bis April 2012. (Forschungsbericht 108). April 2014, S. 12, 21, 23 u.ö.

5 Vgl. Maja Apelt: Militärische Sozialisation. In: Militär und Sozialwissenschaft. Hg. von Sven Bernhard Gareis und Paul Klein. 2. Aufl. Wiesbaden 2006, S. 26–39, hier S. 26, sowie Frank Nägler: Der gewollte Soldat und sein Wandel. Personelle Rüstung und Innere Führung in den Aufbaujahren der Bundeswehr 1956 bis 1964/65 (Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland 9). München 2010.

Zusammenfassung

Prof. Dr. Angelika Dörfler-Dierken

Prof. Dr. Angelika Dörfler­-Dierken ist Projektbereichsleiterin für das Themenfeld „Innere Führung – Ethik – Militärseelsorge“ im Forschungsbereich IV „Sicherheitspolitik und Streitkräfte“ am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften. Sie beschäftigt sich aus ethischer, historischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive mit aktuellen Fragen, die Soldatinnen und Soldaten umtreiben – in Bezug auf deren berufliches Selbstverständnis, ihre Einbindung in die Gesellschaft, ihre Umsetzung des Leitbildes „Staatsbürger in Uniform “ in einer demokratischen Gesellschaft und Kultur. Darüber hinaus untersucht sie diejenigen Fragen, die aus dem Widerspruch zwischen dem Auftrag für deutsche Soldatinnen und Soldaten, dem Frieden in der Welt zu dienen, und dem Einsatz von militärischen Gewaltmitteln folgen. Frau Prof. Dr. Dörfler-Dierken lehrt an der Universität Potsdam und der Universität Hamburg und veröffentlichte zahlreiche Publikationen. 

AngelikaDoerfler@bundeswehr.org


Download als PDF

Alle Artikel dieser Ausgabe

Berufssoldaten und Staatsbürger in Uniform – die Innere Führung aus transatlantischer Perspektive
Donald Abenheim, Carolyn C. Halladay
Bundeswehr ohne Halt. Zu Fehlentwicklungen der Inneren Führung
Elmar Wiesendahl
Was ist nur los mit der Inneren Führung?
Uwe Hartmann
Innere Führung und globale integrale Kompetenz
Kazuma Matoba, Bernd Küstner
Innere Führung und Bevölkerungsschutz – Stichwort Auftragstaktik
Dirk Freudenberg
Führung in multinationalen militärischen Organisationen am Beispiel Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE)
Gregor Richter
Integrität, Zivilcourage und Innere Führung
Peter Olsthoorn
Ethik versus Effizienz – was militärische Führung von der Wirtschaft lernen kann
Detlef Aufderheide
Innere Führung – Führungskultur in Flecktarn
Zentrum Innere Führung
Freiwilligendienst statt Wehrdienst – junge Leute setzen sich für das Gemeinwohl ein
Angelika Dörfler-Dierken

Specials

Thomas von Buttlar Hans-Peter Bartels Peter Wendl Rabea Haß Gerhard Kümmel