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Plötzlich kriegstüchtig? Der Pazifismus der Deutschen in der Zeitenwende

Einleitung

Russlands Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Ukraine im Jahr 2022 hat die seit dem Ende des Kalten Krieges bestehende Sicherheitsordnung in Europa zerstört und stellt alle betroffenen politischen Gemeinschaften vor die Frage, wie der russischen Aggression am effektivsten Einhalt geboten und der Frieden in Europa wiederhergestellt werden kann. Die Bundesregierung reagiert auf die veränderte sicherheitspolitische Lage mit einem verteidigungspolitischen Kurswechsel („Zeitenwende“): Deutschland soll zur stärksten konventionellen Militärmacht in Europa und die Bundeswehr wieder kriegstüchtig werden.[1] Die Führung der Bundeswehr fordert darüber hinaus einen gesellschaftlichen Mentalitätswandel hin zu einer größeren Wehrbereitschaft und hat der Öffentlichkeit bereits erste Konzepte zur Wiedereinführung eines Wehrdienstes vorgestellt.[2] Aus Sicht von Bundeskanzler Olaf Scholz und dem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck wird der verteidigungspolitische Kurswechsel von einer „geistigen Zeitenwende“ in der Bevölkerung begleitet, die in einer größeren Akzeptanz für die Notwendigkeit militärischer Stärke zum Ausdruck kommt.[3]

Vertreter pazifistischer Positionen beobachten diese Entwicklungen mit Sorge, denn sie befürchten eine grundlegende Abkehr der deutschen Bevölkerung vom Pazifismus und eine „bellizistische Umerziehung“ der deutschen Gesellschaft.[4] Den Befürwortern der verteidigungspolitischen „Zeitenwende“ geht der gesellschaftliche Mentalitätswandel derweil nicht schnell genug.[5] In der Diskussion um die richtige Antwort auf Russlands Aggression gerät der Pazifismus auch zunehmend selbst in die Kritik. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel provoziert bewusst mit der Frage, ob der „Pazifismus auf den Müllhaufen der Geschichte“ gehöre.[6]Neben dem medialen Schlagabtausch zwischen „kriegstrunkenen Bellizisten“ und „Lumpen-Pazifisten“ ist der „richtige“ Umgang mit Russlands Aggression und Deutschlands Pazifismus Gegenstand einer größeren öffentlichen Debatte, die ihren Ausdruck in zahllosen öffentliche Briefen, diversen Manifesten sowie etlichen Petitionen und Kundgebungen findet.[7]

Was Falken und Tauben in der „Pazifismus-Debatte“ eint, sind ihre Grundannahmen über den Pazifismus in der deutschen Bevölkerung: Diese sei bis 2022 mehrheitlich pazifistisch geprägt gewesen und der Ukraine-Krieg habe in diesem Punkt Veränderungen bewirkt. Die erste Annahme stützt sich auf den (militär)soziologischen Forschungskonsens, demzufolge die deutsche Bevölkerung eine postheroische Gesellschaft sei, deren strategische Kultur von einer pazifistischen Grundhaltung geprägt sei.[8] Die zweite Annahme stützt sich auf aktuelle Bevölkerungsbefragungen, die eine mehrheitliche Zustimmung zur verteidigungspolitischen „Zeitenwende“ erkennen lassen. Der vorliegende Beitrag überprüft diese beiden Annahmen auf der Grundlage von repräsentativen Bevölkerungsbefragungen, die eine empirische Messung pazifistischer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung im Zeitverlauf ermöglichen.[9] Die gewonnenen Erkenntnisse beschreiben das Ausmaß und die Grenzen des strategischen Kulturwandels in der deutschen Bevölkerung und entlarven zugleich eine Reihe von falschen Annahmen über das Verhältnis der Deutschen zum Militär.

Pazifismus als persönliche Einstellung

Die Philosophin und Politikwissenschaftlerin Gertrud Brücher beschreibt Pazifismus äußerst elegant als „Denken, das die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu Lasten des Kriegerischen auslegt“[10]. Im Allgemeinen wird Pazifismus definiert als „politisch-moralische Überzeugung, die den Einsatz von Gewalt, insbesondere von militärischer Gewalt und von Kriegen als Mittel zur Durchsetzung von Interessen, ablehnt und ausschließlich friedliche und gewaltfreie Aktivitäten duldet“[11]. Viele Beiträge zum Thema Pazifismus identifizieren die „Ablehnung von Krieg und militärischer Gewalt als Mittel zur Austragung politischer Konflikte“ als Begriffskern und „kleinsten gemeinsamen Nenner“[12].

Im vorliegenden Beitrag wird Pazifismus als die kognitive Dimension einer persönlichen Einstellung von Individuen (Befragungsteilnehmer/-innen) empirisch gemessen; diese Daten werden in aggregierter Form ausgewertet, um Aussagen über die Ausprägung pazifistischer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung im Zeitverlauf treffen zu können. Pazifismus als persönliche Einstellung soll anhand von fünf Indikatoren empirisch untersucht werden: 1. Pazifismus als außen- und sicherheitspolitische Grundhaltung; 2. Pazifismus als Ablehnung der Gewaltanwendung durch das Militär; 3. Pazifismus als grundsätzliche Ablehnung der Streitkräfte; 4. Pazifismus als Ablehnung einer „Politik der Aufrüstung“; 5. Pazifismus als Ablehnung eines persönlichen militärischen Engagements.[13]

Pazifismus als außen- und sicherheitspolitische Grundhaltung

Pazifismus als außen- und sicherheitspolitische Grundhaltung definiert sich nicht allein durch die Ablehnung militärischer Mittel, sondern vor allem durch eine exklusive Präferenz für den Einsatz ziviler Mittel. Dem Pazifismus liegt nämlich nicht nur die Überzeugung zugrunde, dass militärische Mittel zur Konfliktbewältigung ineffektiv und deshalb abzulehnen sind, sondern vor allem, dass „gewaltlose Mittel die effektiveren Mittel der Herstellung und der Bewahrung des Friedens“ sind.[14] Dementsprechend sollte Pazifismus als außen- und sicherheitspolitische Grundhaltung als Einstellung zum Einsatz ziviler Mittel (Zustimmung) und Einstellung zum Einsatz militärischer Mittel (Ablehnung) in der Außen- und Sicherheitspolitik gemessen werden. Diese zweidimensionale Operationalisierung ermöglicht eine trennscharfe Abgrenzung des Pazifismus gegenüber anderen außen- und sicherheitspolitischen Grundhaltungen wie dem Realismus, Isolationismus oder Militarismus.[15]

Seit 2016 enthält die repräsentative Bevölkerungsbefragung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) eine umfangreiche Fragebatterie, die die Einstellung der Befragten zum Einsatz verschiedener ziviler und militärischer Mittel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik erfasst. Im gesamten Erhebungszeitraum befürwortet eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Einsatz von zivilen und militärischen Mitteln in der Außen- und Sicherheitspolitik, wobei die Gruppe der zivilen Mittel im Durchschnitt höhere Zustimmungswerte als die Gruppe der militärischen Mittel erhält, das heißt, es besteht eine relative Präferenz für den Einsatz ziviler Mittel (vgl. Tab. 1).

 

Tab. 1: Zustimmung zum Einsatz ziviler und militärischer Mittel in der Außen- und Sicherheitspolitik, 2016–2023

 

2016

2017

2018

2019

2020

2021

2022

2023

Zivile Mittel

61

60

56

62

64

64

65

64

Diplomatische Verhandlungen

81

84

85

85

81

84

84

85

Rüstungskontrolle

-

-

-

73

73

71

70

71

Entwicklungszusammenarbeit

74

71

62

71

71

70

63

70

Wirtschaftssanktionen

52

56

54

56

57

61

68

63

Aufnahme von Flüchtlingen

37

30

22

27

36

34

40

29

Militärische Mittel

43

44

41

42

47

46

52

49

Ausbildungseinsätze der Bundeswehr

60

59

59

60

64

60

61

57

Stabilisierungseinsätze der Bundeswehr

56

56

54

56

61

57

58

56

Militärische Maßnahmen zur NATO-Bündnisverteidigung

-

-

-

-

-

-

57

52

Kampfeinsätze der Bundeswehr

31

34

27

27

33

34

38

34

Waffenlieferungen an befreundete Staaten

25

27

24

26

30

33

48

44

Anmerkungen: Angaben in Prozent. Einzelne Prozentangaben wurden gerundet. Fragetext: „Was meinen Sie, welche Mittel sollte Deutschland in der Außen- und Sicherheitspolitik einsetzen?“ Die Antwortanteile „Stimme völlig zu“ und „Stimme eher zu“ wurden zusammengefasst. Datenbasis: ZMSBw-Bevölkerungsbefragung 2016−2023.

 

Auch mit Blick auf die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr ist eine relative Präferenz für Gewaltlosigkeit zu erkennen: Ausbildungs- und Stabilisierungseinsätze der Bundeswehr werden von einer absoluten Mehrheit befürwortet, nicht jedoch Kampfeinsätze. Die Streitkräfte werden also nicht prinzipiell als Mittel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik abgelehnt, sondern lediglich der Einsatz von Gewalt durch die Bundeswehr findet keine mehrheitliche Zustimmung. Gleichwohl ist zu beobachten, dass die Aufnahme von Flüchtlingen als Mittel der deutschen Außenpolitik im Durchschnitt ähnlich kritisch gesehen wird wie Kampfeinsätze und dass Stabilisierungs- und Ausbildungsmissionen der Bundeswehr mitunter vergleichbar viel Zustimmung erfahren wie Wirtschaftssanktionen. Diese Vergleiche machen deutlich, dass nicht jedes zivile Mittel mehr öffentliche Zustimmung erfährt als jedes militärische Mittel.

Nachfolgend werden die Einstellungen zum Einsatz ziviler und militärischer Mittel in Form umfassender Maße verglichen, um den Anteil der Pazifisten in der deutschen Bevölkerung im Zeitverlauf darstellen zu können. Hierzu werden die Einstellungen zu den zivilen und zu den militärischen Mitteln (vgl. Tab. 1) jeweils in einer Indexvariable zusammengefasst, die auf einen Wertebereich von 0 (völlige Ablehnung) bis 1 (völlige Zustimmung) rekodiert ist, wobei ein Mittelwert von 0,5 einer ambivalenten Einstellung entspricht. Auf der Grundlage ihrer persönlichen Einstellung zum Einsatz ziviler und militärischer Mittel in der Außen- und Sicherheitspolitik können die Befragten einem von vier Einstellungstypen zugeordnet werden, d.h. die Kategorisierung der Befragten erfolgt anhand ihrer individuellen Mittelwerte auf den beiden Mittel-Skalen (vgl. Abb. 1).

 

Abb. 1:   Einstellungstypologie auf der Grundlage individueller Präferenzen zum Einsatz ziviler und militärischer Mittel in der Außen- und Sicherheitspolitik

 

Abb. 2:   Verteilung der vier außen- und sicherheitspolitischen Einstellungstypen in der deutschen Bevölkerung, 2016–2023

Die Betrachtung der Verteilung der außen- und sicherheitspolitischen Einstellungstypen in der deutschen Bevölkerung im Zeitverlauf 2016 bis 2023 offenbart, dass Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine seit 2022 in zweifacher Hinsicht nicht zu einer „Abkehr vom Pazifismus“ in der deutschen Bevölkerung geführt hat: Erstens waren die meisten Deutschen bereits vor dem Ukraine-Krieg keine Pazifisten (sondern Realisten) und der Anteil der Pazifisten in der deutschen Bevölkerung ist infolge des Kriegsausbruchs auch nur kurzfristig zurückgegangen (vgl. Abb. 2). Weiterführende Untersuchungen zeigen, dass der politische Realismus sogar die dominante „Denkrichtung“ in allen soziodemografischen Gruppen und Wählergruppen in Deutschland ist – vor und nach Kriegsausbruch. Darüber hinaus gibt es auch keine empirische Evidenz für eine „Militarisierung im Denken“ der Deutschen, denn die Gruppe der Militaristen stellte bereits vor dem Krieg eine Minderheit dar, die seit Kriegsausbruch nicht größer geworden ist. Das Gleiche gilt im Übrigen für die Gruppe der Isolationisten. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat also bisher zu keinem tiefgreifenderen Wandel der strategischen Kultur in der deutschen Bevölkerung geführt.[16]

Pazifismus als Ablehnung der Gewaltanwendung durch das Militär

Die bisher dargestellten Erkenntnisse über die Einstellung der deutschen Bevölkerung zum Einsatz von Streitkräften als Mittel der Außen- und Sicherheitspolitik basieren auf äußerst abstrakten Messinstrumenten und geben noch keinen Aufschluss über die Akzeptanz bzw. Ablehnung der Anwendung von Waffengewalt durch die Bundeswehr. Das hohe Abstraktionsniveau wird der zweckgebundenen Natur und Legitimität der Anwendung von Waffengewalt durch die Bundeswehr nicht gerecht. Der Einsatz militärischer Gewalt durch staatliche Streitkräfte ist immer zweckgebunden und niemals Selbstzweck, weil er mit erheblichem Risiko für Mensch und Material einhergeht. Es stellt sich also immer die Frage: Wozu kämpfen? Aus diesem Grund wurde in der ZMSBw-Bevölkerungsbefragung zusätzlich die Einstellung der Befragten zum zweckgebundenen Einsatz von Waffengewalt erhoben.

Wie Abbildung 3 veranschaulicht, ist die Mehrheit (55 bis 87 Prozent) der Bürgerinnen und Bürger der Auffassung, dass die Bundeswehr zur Erfüllung ihrer grundlegenden Aufgaben Waffengewalt als äußerstes Mittel einsetzen dürfen sollte – und zwar im gesamten Aufgabenspektrum. Nur ein geringer Teil der deutschen Bevölkerung lehnt den zweckgebundenen Einsatz von Waffengewalt als äußerstes Mittel explizit ab (3 bis 19 Prozent). Weiterführende Untersuchungen zeigen, dass in allen soziodemografischen Gruppen und Wählergruppen eine im Durchschnitt positive Einstellung zur zweckgebundenen Anwendung von Waffengewalt durch die Bundeswehr besteht, das heißt unabhängig vom Alter, Geschlecht, Einkommen, Bildungsstand, Migrationshintergrund etc.[17] Im Vergleich zu 2021 hat sich der öffentliche Zuspruch zum Einsatz von Waffengewalt durch die Bundeswehr kaum verändert (Ausnahme: Terrorismusbekämpfung −7 Prozentpunkte).

Neben dem Befund, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger eine realistische außen- und sicherheitspolitische Grundhaltung haben, stellt auch die hohe gesellschaftliche Akzeptanz für den zweckgebundenen Einsatz von Waffengewalt durch die Bundeswehr die Annahme infrage, der zufolge die Mehrheit der Deutschen überzeugte Pazifisten seien. Einschränkend ist jedoch hinzuzufügen, dass die Gewaltanwendung explizit als „äußerstes Mittel“ benannt wird. Es ist folglich nicht zulässig, aus den Befunden zu schließen, die Mehrheit der Befragten betrachte die Anwendung von Waffengewalt grundsätzlich als „Mittel der Wahl“. Eine solche Interpretation steht auch den Befunden entgegen, dass in der deutschen Bevölkerung seit vielen Jahren eine relative Präferenz für den Einsatz ziviler Mittel in der Außen- und Sicherheitspolitik besteht (vgl. Tab. 1) und dass die Gruppe der expliziten Militaristen nur eine Minderheit in der Bevölkerung darstellt (vgl. Abb. 2).

 

Abb. 3: Einstellungen zum zweckgebundenen Einsatz von Waffengewalt durch die Bundeswehr

Pazifismus als grundsätzliche Ablehnung der Streitkräfte

Die grundsätzliche Ablehnung von Streitkräften ist weniger eine pazifistische als eine besonders starke Ausprägung einer antimilitaristischen Einstellung, die nicht nur Militarismus als gesellschaftliches Phänomen ablehnt, sondern auch das Militär als gesellschaftliche Institution. Eine derartige Ablehnung gegenüber der Bundeswehr ist in der deutschen Bevölkerung nicht erkennbar. Im Gegenteil: Die seit Jahrzehnten positive Grundeinstellung der Bürgerinnen und Bürger zur Bundeswehr erreicht im Jahr 2023 einen historischen Höchstwert (vgl. Abb. 4): Annähernd neun von zehn Befragten haben eine positive Einstellung zur Bundeswehr (86 Prozent; +3 Prozentpunkte im Vergleich zu 2022). Ebenso viele Befragte (87 Prozent) vertrauen der Bundeswehr. Nur 11 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben eine dezidiert negative Einstellung zur Bundeswehr und vertrauen ihr nicht. Seit 2019 ist der Anteil der Bevölkerung mit einer positiven Einstellung zur Bundeswehr um 10 Prozentpunkte gewachsen, während sich die Gruppe der Bundeswehr-Kritiker nahezu halbiert hat (2019: 20 Prozent; 2023: 11 Prozent). Im Zeitverlauf zeigt sich auch sehr deutlich, wie stabil die positive Grundeinstellung der deutschen Bevölkerung zur Bundeswehr ist. Unabhängig von der sicherheits- und verteidigungspolitischen Lage hatten im vergangenen Vierteljahrhundert mindestens drei Viertel der Bürgerinnen und Bürger eine positive Einstellung zur Bundeswehr (vgl. Abb. 4). Russlands Invasion der Ukraine hat seit 2022 also zu keiner Zeitenwende in der positiven Grundhaltung der deutschen Bevölkerung zur Bundeswehr geführt.

 

Abb. 4:     Einstellung zur Bundeswehr 2000–2023

Pazifismus als Ablehnung einer „Politik der Aufrüstung“

Infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wurde der Bundeswehr kurzfristig und einmalig ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. In der deutschen Bevölkerung ist die Zustimmung zur finanziellen und personellen Stärkung der Bundeswehr seit 2022 stark gestiegen und erreichte sogar einen historischen Höchstwert (vgl. Abb. 5). Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass bereits seit 2015 eine (relative) Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben plädiert. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine führte also zu einem starken Anstieg, nicht jedoch zu einer „Zeitenwende“, denn bei vielen Bürgerinnen und Bürgern hat offenkundig bereits ab 2014 ein Umdenken eingesetzt – also bereits im ersten Jahr der offenen militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine.

 

Abb. 5:   Zustimmung zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben und zur Zahl der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, 2000–2023

2023 hält sich die öffentliche Zustimmung zum finanziellen und personellen Aufwuchs der Bundeswehr auf dem Niveau von 2022: Eine absolute Mehrheit befürwortet eine weitere Aufstockung der finanziellen (57 Prozent) und personellen (56 Prozent) Ressourcen der Bundeswehr (vgl. Abb. 5). Nur eine Minderheit von jeweils acht Prozent spricht sich für eine Verringerung der Verteidigungsausgaben und des Personalumfangs der Bundeswehr aus, während 31 bzw. 32 Prozent für ein gleichbleibendes Niveau plädieren. In allen soziodemografischen Gruppen in der deutschen Bevölkerung spricht sich eine absolute Mehrheit für die finanzielle und personelle Ertüchtigung der Bundeswehr aus.[18]

Eine Vielzahl weiterer Umfragen belegt das anhaltend hohe Zustimmungsniveau zur Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben. Laut ZDF-Politbarometer vom Februar 2024 sind 72 Prozent der Bürgerinnen und Bürger bereit, mehr für die Bundeswehr auszugeben, auch wenn hierfür Einsparungen in anderen Bereichen erforderlich sind. Im ARD-Deutschlandtrend vom März 2024 geben 74 Prozent der Befragten an, die Erhöhung der Verteidigungsausgaben für richtig zu halten. Und in einer Umfrage von Forsa für Zeit Online im April 2024 sprechen sich 68 Prozent für höhere Verteidigungsausgaben aus.

Pazifismus als Ablehnung eines persönlichen militärischen Engagements

Die Wehrpflicht in Deutschland wurde 2011 ausgesetzt. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall könnte die Wehrpflicht gemäß Artikel 12a des Grundgesetzes jedoch wieder aktiviert werden. Als Reaktion auf die veränderte Sicherheitslage stellte der Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius Mitte Juni 2024 konkrete Pläne für einen neuen Wehrdienst vor. Wenn die Mehrheit der Deutschen Pazifisten wären, dann sollten Überlegungen zu einem neuen verpflichtenden Militärdienst in der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt werden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im Gegenteil: 2023 vertreten 52 Prozent (+2 Prozentpunkte im Vergleich zu 2022) die Auffassung, dass die Einführung eines Wehrdienstes im Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht notwendig ist, während 23 Prozent keine Notwendigkeit erkennen und 23 Prozent unentschieden sind.[19]Ein großer Teil der Bürgerinnen und Bürger ist zudem der Auffassung, dass die Einführung eines Wehrdienstes die Beziehungen zwischen der Bundeswehr und der Gesellschaft verbessern (48 Prozent; +3 Prozentpunkte im Vergleich zu 2022), der Bundeswehr bei der Personalgewinnung helfen (62 Prozent; +2 Prozentpunkte) und die Fähigkeit der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung stärken würde (58 Prozent; +1 Prozentpunkt).

Mit wenigen Ausnahmen besteht in allen soziodemografischen Gruppen und Wählergruppen eine überwiegend positive Einstellung zur Einführung eines Wehrdienstes.[20] So ist in allen Gruppen eine relative oder absolute Mehrheit der Auffassung, dass die Einführung eines Wehrdienstes notwendig ist (41 bis 60 Prozent). In der Gruppe der jungen Männer und Frauen sind jeweils 41 Prozent davon überzeugt, dass ein Wehrdienst notwendig ist. Zudem erwartet in allen untersuchten Gruppen eine relative oder absolute Mehrheit von der Wiedereinführung eines Wehrdienstes positive Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der Bundeswehr und der Gesellschaft (38 bis 61 Prozent), die Personalgewinnung der Bundeswehr (51 bis 72 Prozent) und die Fähigkeit der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung (45 bis 71 Prozent). Weitere Umfragen zur möglichen Einführung eines Wehrdienstes in Deutschland belegen ebenfalls eine mehrheitliche Zustimmung: Ipsos (März 2023) = 61 Prozent; MDR fragt (Februar/März 2023) = 70 Prozent; Civey (Dezember 2023) = 63 Prozent; NDR fragt (Februar 2024) = 66 Prozent; INSA (März 2024) = 52 Prozent; Yougov (Juni 2024) = 60 Prozent.

Neben der Diskussion um einen neuen Wehrdienst rückt auch die Frage nach dem Potenzial der militärischen Personalreserve in Deutschland in den Fokus. Die hohen personellen Verluste der ukrainischen Streitkräfte in ihrem erbitterten Abwehrkampf gegen die russischen Invasionstruppen zeigen, wie wichtig es für die personelle Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte ist, dass diese im Verteidigungsfall auf ein möglichst großes Potenzial an freiwilligen Kämpferinnen und Kämpfern in der Bevölkerung zurückgreifen können, getreu dem Motto: Die aktive Truppe beginnt im Krieg, die Reserve beendet ihn. Wie groß wäre dieses Potenzial in Deutschland?

Im Vergleich der vergangenen drei Jahre zeigt sich, dass die persönliche Verteidigungsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung infolge des Ukraine-Krieges leicht anstieg, aber 2023 wieder rückläufig ist (vgl. Abb. 6). 2023 geben 39 Prozent (−2 Prozentpunkte im Vergleich zu 2022) der Befragten an, Deutschland im Falle eines militärischen Angriffs mit der Waffe verteidigen zu wollen, während eine Mehrheit von 55 Prozent (+3 Prozentpunkte) dies ablehnt.[21] In allen Erhebungsjahren ist die persönliche Verteidigungsbereitschaft der Männer (52 bis 59 Prozent) deutlich stärker ausgeprägt als die der Frauen (11 bis 22 Prozent). Konkret: Eine absolute Mehrheit der Männer wäre bereit, mit der Waffe zu kämpfen. In der Altersgruppe der 20- bis 40-jährigen Männer liegt dieser Anteil bei 58 Prozent, was gemäß Zensus einem demografischen Potenzial von annähernd 6 Millionen entspräche. Selbst wenn sich nur die Hälfte der Befragten tatsächlich zum Dienst an der Waffe einfinden würde, wäre dies ein enormes Potenzial in Relation zur Ausstattung der Bundeswehr, denn diese kann aktuell noch nicht einmal ihre 180.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten mit einem persönlichen Gewehr ausstatten. Die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr würde also weniger von einer fehlenden persönlichen Verteidigungsbereitschaft in der (männlichen) deutschen Bevölkerung als vom akuten Mangel an Waffen (und Munition) beeinträchtigt werden.

 

Abb. 6:   Persönliche Verteidigungsbereitschaft, 2021–2023

Fazit

Die Ergebnisse repräsentativer Bevölkerungsbefragungen belegen, dass es für die vielfach diskutierte Abkehr der deutschen Bevölkerung vom Pazifismus infolge des Ukraine-Kriegs im Jahr 2022 keine empirische Evidenz gibt. Erstens waren die Deutschen bereits vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Jahr 2022 mehrheitlich keine Pazifisten, sondern Realisten. Und zweitens ist der Anteil von Pazifisten an der deutschen Bevölkerung nur kurzfristig gesunken. Dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger keine Pazifisten sind, zeigt sich auch darin, dass eine Mehrheit a) den zweckgebundenen Einsatz von Waffengewalt durch die Bundeswehr, b) die Erhöhung des Verteidigungsetats und c) einen neuen Wehrdienst befürwortet. Eine absolute Mehrheit der Männer kann sich sogar vorstellen, Deutschland im Falle eines militärischen Angriffs mit der Waffe zu verteidigen. Im Übrigen erweist sich auch die Sorge vor einer möglichen „Militarisierung im Denken“ der Bürgerinnen und Bürger als gänzlich unbegründet: Eine exklusive Präferenz für den Einsatz militärischer Mittel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik hatte vor 2022 nur eine kleine Minderheit in der deutschen Bevölkerung und diese Gruppe ist nach Kriegsausbruch sogar geschrumpft. Einen fundamentalen Wandel der strategischen Kultur der deutschen Bevölkerung hat es nicht gegeben.   

Der Befund, dass die Mehrheit der Deutschen bereits vor dem Ukraine-Krieg eine realistische und keine pazifistische Einstellung hatte, stellt den bisherigen Konsens in der (militär)soziologischen Forschung zur „pazifistischen Prägung der Deutschen“ infrage. Die neuen Befunde stehen dabei nicht im Widerspruch zum Kernbefund älterer empirischer Untersuchungen, denn auch die vorliegende Auswertung belegt: Die Mehrheit der Deutschen hat eine relative Präferenz für den Einsatz ziviler Mittel in der Außen- und Sicherheitspolitik – sowohl vor als auch nach Ausbruch des Ukraine-Krieges. Allerdings macht diese relative Mittel-Präferenz die Mehrheit der Deutschen nicht zu lupenreinen Pazifisten, denn auch die Realisten befürworten den Einsatz ziviler Mittel, nur anders als die Pazifisten schließen sie den Einsatz militärischer Mittel eben nicht kategorisch aus. Wird Pazifismus trennscharf als exklusive Präferenz für den Einsatz ziviler Mittel operationalisiert, zeigt sich, dass es sehr viel weniger Pazifisten in der deutschen Bevölkerung gibt als bisher angenommen. In Anbetracht dessen sind die von der bisherigen militärsoziologischen und sicherheitspolitischen Einstellungsforschung generierten Befunde zwar nicht als „falsch“ zu bewerten, aber sie basieren auf einer defizitären Operationalisierung und greifen eindeutig zu kurz für eine abschließende Aussage über die Ausprägung und Verteilung einer pazifistischen Einstellung in der deutschen Bevölkerung. Dementsprechend bedarf der etablierte Forschungskonsens zum „Pazifismus der Deutschen“ mindestens einer Präzisierung.

Da die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger keine Pazifisten, sondern Realisten sind und den aktuellen Kurswechsel in der Verteidigungspolitik mittragen, erscheinen weiterführende Forderungen nach einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Mentalitätswandel hin zu mehr Wehrhaftigkeit unnötig. Auch der Militärhistoriker Sönke Neitzel vertritt diese Auffassung. Seiner Einschätzung nach „[…] wisse die Gesellschaft viel besser, was die Stunde geschlagen habe, als die Politiker denken. […] Die Bevölkerung ist bereit zu kämpfen und persönliche Einschränkungen hinzunehmen, wenn man ihr erklärt, wozu das nötig ist.“[22] Mit Ausnahme des Verteidigungsministers und des Generalinspekteurs tut dies aktuell aber niemand, der Verantwortung für die Sicherheit und Verteidigung Deutschlands trägt, weshalb „[d]ie Gefahr droht, dass die vom Verteidigungsminister angeschobene Debatte mal wieder folgenlos verpufft“[23].

Während dies tatsächlich einzutreten droht, geht die Debatte um eine „Militarisierung der Gesellschaft“ am offenkundigen Pragmatismus der allermeisten Bürgerinnen und Bürger vorbei. Die ihr zugrunde liegenden Annahmen erweisen sich bei genauerer empirischer Betrachtung nämlich schlicht als falsch. Die Mehrheit waren und sind Realisten, die den Kurswechsel in der deutschen Verteidigungspolitik unterstützen, weil sie in Russland eine Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands sehen.[24] Sie fordern von der Politik nicht mehr und auch nicht weniger, als dass der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt und somit seinen Teil des Gesellschaftsvertrags einhält. Dementsprechend sollte die öffentliche Diskussion über die praktische Ausgestaltung der neuen deutschen Verteidigungspolitik nicht als falscher Vorwand genutzt werden, um eine Phantomdebatte über die „Abkehr vom Pazifismus“ zu führen. 

 

 


[1] Pistorius, Boris (2023): Bundeswehr muss stärkste Armee Europas werden. Bild, 22.1.2023. https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/verteidigungsminister-pistorius-exklusiv-sein-schneller-ukraine-plan-82633792.bild.html (Stand: 10.10.2024); Pistorius, Boris (2024): Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein. Deutscher Bundestag, 5.6.2024. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw23-de-regierungsbefragung-1002264 (Stand: 10.10.2024).

[2] Pistorius, Boris (2023): Bericht aus Berlin. ARD, 12.11.2023. https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1271796.html (Stand: 10.10.2024); Breuer, Carsten (2023): Geleitwort des Generalinspekteurs der Bundeswehr. In: Handbuch Innere Führung. Koblenz, S. 6–7.

[3] Gauck, Joachim (2023): Das ist ein Wandel, den hatte ich so nicht erwartet. In: Internationale Politik Special 3/2023, S. 33–39; Scholz, Olaf (2022): The global Zeitenwende: How to avoid a new Cold War in a multipolar era. In: Foreign Affairs, 102(1), S. 22–38.

[4] Exemplarisch: Wiesendahl, Elmar (2022): Der Ukraine-Krieg und die bellizistische Remedur Deutschlands. Positionspapier, Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften. https://www.zebis.eu/veroeffentlichungen/positionen/der-ukrainekrieg-und-die-bellizistische-remedur-deutschlands-elmar-wiesendahl/ (Stand: 16.10.2024); Mika, Bascha (2022): Ukraine-Krieg und Pazifismus: Wie der Militarismus einen Siegeszug durch unsere Köpfe angetreten hat. Frankfurter Rundschau, 24.2.2023. https://www.fr.de/politik/ukraine-krieg-pazifismus-zaesur-denken-militaer-gesellschaft-92105460.html (Stand: 11.10.2024).

[5] Exemplarisch: Masala, Carlo (2023): Ich halte unsere Gesellschaft für nicht besonders wehrhaft. In: Internationale Politik Special 4/2023, S. 4–11.

[6] Brauck, Markus (2022): Gehört der Pazifismus wirklich auf den Müllhaufen der Geschichte? In: Der Spiegel 13/2022. https://www.spiegel.de/kultur/pazifismus-gehoert-er-wirklich-auf-den-muellhaufen-der-geschichte-a-fc9e69ed-a48e-491a-b7f0-1c594216bbfd (Stand: 14.10.2024).

[7] Lohmann, Friedrich (2022): Zeitenwende in der Friedensethik? Der Pazifismus im Angesicht des russischen Angriffs auf die Ukraine. In: Ethik und Militär, 2/2022, S. 18–25. https://www.ethikundmilitaer.de/ausgabe/2022-02/article/zeitenwende-in-der-friedensethik-der-pazifismus-im-angesicht-des-russischen-angriffs-auf-die-ukraine (Stand: 16.10.2024); Lobo, Sascha (2022): Der deutsche Lumpen-Pazifismus. Spiegel Online, 20.4.2022. https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/ukraine-krieg-der-deutsche-lumpen-pazifismus-kolumne-a-77ea2788-e80f-4a51-838f-591843da8356 (Stand: 11.10.2024); Rosa, Hartmut (2022): Die Bellizisten sitzen im sicheren Wohnzimmer. In: Der Spiegel 30/2022. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bellizismus-und-der-ukraine-krieg-haltet-ein-a-7aa8cd9d-5fe3-4227-b14c-181407f0b9d0 (Stand: 14.10.2024).

[8] Leonhard, Nina (2016): Die postheroische Gesellschaft und ihr Militär. In: Junge, Matthias (Hg.): Metaphern soziologischer Zeitdiagnosen. Wiesbaden, S. 101–121; Kümmel, Gerhard und Leonhard, Nina (2005): Death, the Military and Society. In: Casualties and Civil-Military Relations in Germany. Strausberg; Münkler, Herfried (2008): Militärisches Totengedenken in der postheroischen Gesellschaft. In: Hettling, Manfred und Echternkamp, Jörg (Hg.): Bedingt erinnerungsbereit: Soldatengedenken in der Bundesrepublik. Göttingen, S. 22–30; Göler, Daniel (2010): Die strategische Kultur der Bundesrepublik: Eine Bestandsaufnahme normativer Vorstellungen über den Einsatz militärischer Mittel. In: Dörfler-Dierken, Angelika und Portugall, Gerd (Hg.): Friedensethik und Sicherheitspolitik. Wiesbaden, S. 185–199; Longhurst, Kerry (2004): Germany and the Use of Force. Manchester; Junk, Julian und Daase, Christopher (2012): Germany. In: Biehl, Heiko, Giegerich, Bastian und Jonas, Alexandra (Hg.): Strategic Cultures in Europe. Wiesbaden, S. 139–152; Seppo, Antti (2021): From Guilt to Responsibility and Beyond. The Evolution of German Strategic Culture after the End of the Cold War. Berlin; Endres, Fabian (2018): Öffentliche Meinung und strategische Kulturen: Außenpolitische Überzeugungen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Wiesbaden; Graf, Timo (2019): Die Bundeswehr als Mittel deutscher Außenpolitik aus Sicht der Bevölkerung: „Brunnenbohrer“ oder „Kampftruppe“? In: Hartmann, Uwe und von Rosen, Claus (Hg.): Jahrbuch Innere Führung 2019. Berlin, S. 80–100.

[9] Grundlage für diesen Beitrag sind die Ergebnisse der jährlichen Bevölkerungsbefragung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Diese Befragung basiert auf einer Zufallsstichprobe, welche repräsentativ für die deutschsprachige Wohnbevölkerung ab einem Alter von 16 Jahren ist. Die Datenerhebung wird von einem externen, unabhängigen und professionellen Umfrageinstitut durchgeführt. Wenn nicht anders ausgewiesen, so basieren alle genannten Umfragewerte auf der ZMSBw-Bevölkerungsbefragung. Weitere Informationen zur Befragung: Graf, Timo (2024), s. Endnote 17.

[10] Brücher, Gertrud (2008): Pazifismus als Diskurs. Wiesbaden, S. 32.

[11] Schubert, Klaus und Klein, Martina (2020): Das Politiklexikon. Bonn.

[12] Fuchs, Albert (2017): Zu böse für Frieden durch Frieden? In: Wissenschaft & Frieden, 1/2017, S. 10–13, S. 10.

[13] Die Einstellung der Bevölkerung zu Deutschlands Waffenlieferungen an die Ukraine wird nicht betrachtet, weil zu diesem Aspekt keine Daten für die Zeit vor 2022 vorliegen und somit die Frage nach möglichen Einstellungsveränderungen seit 2022 nicht beantwortet werden kann. Verwiesen wird auf Tabelle 1, die einen starken Anstieg bei der Zustimmung zu Waffenlieferungen an befreundete Staaten seit 2022 dokumentiert.

[14] Brücher, Gertrud (2008), s. Endnote 10, S. 40.

[15] Der politische Realismus als eine der prominentesten Theorien und „Denkschulen“ der internationalen Beziehungen schließt weder den Einsatz ziviler noch militärischer Mittel kategorisch aus, weil alle Mittel zunächst wertfrei sind und situativ auf ihre Effektivität hin geprüft werden: „Die Funktion eines Mittels ist es, einen Zweck der Realisierung näher zu bringen, und diese Funktion lässt sich schlecht erfüllen, wenn das Mittel reglementiert wird“ (Brücher, Gertrud (2008), S.40). Eine realistische Einstellung lässt sich somit definieren als die Zustimmung zum Einsatz ziviler und militärischer Mittel. Davon abzugrenzen ist eine dezidiert militaristische Haltung als exklusive Präferenz für den Einsatz militärischer Mittel, die den Einsatz ziviler Mittel explizit ablehnt. Als letzte Kombination im zweidimensionalen Raum der Mittel-Präferenzen bleibt die Ablehnung des Einsatzes ziviler und militärischer Mittel in der Außen- und Sicherheitspolitik, was einer Verweigerung jeglichen aktiven Engagements in den internationalen Beziehungen gleichkommt und somit der Position des Isolationismus entspricht.

[16] Mader, Matthias und Schön, Harald (2023): (Noch) Keine Zeitenwende: Eine vorläufige Untersuchung der öffentlichen Meinung zur Außen- und Verteidigungspolitik nach Russlands Einmarsch in die Ukraine. In: Politische Vierteljahresschrift, 64, S. 525–547.

[17] Graf, Timo (2024): Was bleibt von der Zeitenwende in den Köpfen? Sicherheits- und verteidigungspolitisches Meinungsbild in der Bundesrepublik Deutschland 2023. Potsdam, S. 66–67.

[18] Graf, Timo (2024): s. Endnote 17, S. 24.

[19] Graf, Timo (2024): s. Endnote 17, S. 31.

[20] Graf, Timo (2024): s. Endnote 17, S. 32–33.

[21] Eine Umfrage von Forsa aus dem Februar 2024 kommt zu ähnlichen Ergebnissen: „Würden Sie Deutschland im Falle eines Angriffs mit der Waffe verteidigen?“ Gesamt: 38 Prozent Zustimmung; 59 Prozent Ablehnung. Männer: 54 Prozent Zustimmung; 44 Prozent Ablehnung. Frauen: 23 Prozent Zustimmung; 72 Prozent Ablehnung. https://www.n-tv.de/politik/Nur-eine-Minderheit-waere-bereit-mit-der-Waffe-zu-kaempfen-article24784229.html (Stand: 11.10.2014).

[22] Prof. Dr. Sönke Neitzel zitiert in Seliger, Marco (2023): Deutschland soll kriegstüchtig werden. Das heißt, die Zeiten sind vorbei, als das Land Checks ausstellte und dafür andere den Kopf hinhielten. Neue Zürcher Zeitung, 5.11.2023. https://www.nzz.ch/international/pistorius-und-die-kriegstuechtigkeit-deutschland-muss-kaempfen-lernen-ld.1763792 (Stand: 11.10.2024).

[23] Seliger, Marco (2023), s. Endnote 22.

[24] Vgl. Graf, Timo (2024): Zeitenwende in den Köpfen: Russlands Angriffskrieg verändert das verteidigungspolitische Meinungsbild. In: Die Politische Meinung Nr. 584, S. 49–55; Graf, Timo, Steinbrecher, Markus und Biehl, Heiko (2024): From reluctance to reassurance: Explaining the shift in the Germans’ NATO alliance solidarity following Russia’s invasion of Ukraine. In: Contemporary Security Policy, 45(2), S. 298–330.

Zusammenfassung

Timo Graf

Dr. Timo Graf ist wissenschaftlicher Oberrat im Forschungsbereich Militärsoziologie am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Dort leitet er die jährliche Bevölkerungsbefragung im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung. Er forscht und publiziert zur öffentlichen Meinung über außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Themen, zu den zivil-militärischen Beziehungen in Deutschland, zur Bündnisverteidigung im Rahmen der NATO und zu strategischen Kulturen. Er ist Lehrbeauftragter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Sönke Neitzel an der Universität Potsdam und unterrichtet im Rahmen der politischen Bildung in und außerhalb der Bundeswehr. 


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Alle Artikel dieser Ausgabe

Kriegstüchtig? Friedensethische Reflexionen
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„Erhaltung des Friedens“: Die Logik der Abschreckung und die Sprache der militärischen Leistungsfähigkeit
Paul Silas Peterson
Plötzlich kriegstüchtig? Der Pazifismus der Deutschen in der Zeitenwende
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Wehrpflicht, kriegstüchtige Bundeswehr und wehrhafte Gesellschaft in Zeiten hybrider Kriegsführung
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Wer Frieden will, muss Krieg führen können: Abschreckung heute
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