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Der Operationsplan Deutschland – Baustein für eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Wehrhaftigkeit

Abschreckung: Wiederkehr eines vernachlässigten Konzepts

Mit der Gründung der NATO im April 1949 wurde der Grundstein für ein Bündnis gelegt, das, auf Freiwilligkeit beruhend, das Risiko für einen potenziellen Angreifer auf seine Mitgliedstaaten in einem Maße erhöhte, dass ein solcher Angriff von vornherein aussichtslos erscheinen sollte. Nach der Erfahrung aus zwei Weltkriegen innerhalb eines Jahrhunderts trat neben die pazifistische Motivation des „Nie wieder Krieg“ von Anfang an der auf Abschreckung setzende Grundsatz des „Si vis pacem para bellum“. Das ist nunmehr 75 Jahre her; wer seinerzeit in Europa zu den Erwachsenen gehörte, hatte einen, oftmals zwei Weltkriege miterlebt. Dennoch – oder gerade deswegen – war die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz für diese Maßnahmen innerhalb der demokratischen Gesellschaften Westeuropas und der USA überwältigend. Die Erfahrung, dass es einen dauerhaften Frieden ohne eine substanzielle militärische Abschreckung geben könnte, fehlte den damaligen Gesellschaften völlig. Das Gegenteil war der Fall: Fehlende militärische Vorsorge, einer möglichen Bedrohung zu begegnen, hatte Staaten wie Polen, Frankreich oder Großbritannien zu Beginn des Zweiten Weltkriegs an den Rand des Untergangs gebracht. Erst das Eingreifen der USA mit ihrer überwältigenden Wirtschaftskraft ermöglichte das militärische Niederringen des deutschen Aggressors und ebnete schlussendlich den Weg für den friedlichen und demokratischen

Wiederaufbau Europas. Auch in den Jahrzehnten danach war es das Konzept der militärischen Abschreckung, das Frieden in Freiheit für jene absicherte, die das Glück hatten, diesseits des „Eisernen Vorhangs“ zu leben. 

Heute ist die Kriegsgeneration nicht mehr unter uns. Seit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts haben die demokratischen Gesellschaften in Europa nur zu bereitwillig die erheblichen Mittel, die bis dato für die Verteidigung aufgebracht wurden, anderweitig verausgabt. Das ist aus Sicht der damaligen Zeit auch sehr nachvollziehbar. Als ich Anfang der 90er-Jahre Zugführer in der Panzergrenadiertruppe war, musste auch ich mich den Fragen der jungen Wehrpflichtigen nach dem Sinn unseres Dienstes stellen und fand nur schwer einfache, überzeugende Antworten. Und in der Tat gab es ein Zeitfenster, in dem das Üben mit dem Schützenpanzer am „Vorderen Rand der Verteidigung“ anachronistisch erschien. Unser Problem heute, und auch der Grund für diesen kurzen historischen Exkurs, ist, dass sich diese Geisteshaltung in drei Jahrzehnten des Friedens in den meisten Teilen Europas in der Gesellschaft verbreitet hat, flankiert durch massive Kürzungen bei der staatlichen Sicherheitsvorsorge. Heute stehen wir vor der Situation, auf eine wiedergekehrte Bedrohung reagieren zu müssen, ohne die anderen und berechtigten gesellschaftlichen Anliegen und staatlichen Aufgaben zu vernachlässigen. Der Einsatz von Streitkräften als letzte Konsequenz oder auch bereits das Versetzen der Armee in die Lage, mit glaubhafter Abschreckung einen potenziellen Gegner davon abzuhalten, ein unkalkulierbares Risiko einzugehen, ist auch für die eigene Seite immer mit Entbehrungen und Belastungen verbunden. Personal, Ausrüstung und Ausbildung einer nennenswerten Streitmacht bedeuten einen erheblichen Einsatz staatlicher Ressourcen. Sobald aber eine Freigabe dieser Ressourcen diskutiert wird, tritt das Militär in direkte Konkurrenz zur Finanzierung anderer staatlicher Aufgaben. Im Ergebnis sehen wir eine mögliche Polarisierung zwischen denen, die von der Notwendigkeit einer starken Abschreckung als Maßnahme zur Sicherung unseres Gesellschaftssystems überzeugt sind, und jenen, die in der Schaffung starker Streitkräfte gar eine Militarisierung der Gesellschaft oder keine Notwendigkeit bzw. mindestens eine Verschwendung mühsam erwirtschafteter Steuermittel zu sehen glauben. Letztere Gruppe ist in gleicher Zeitfolge erstarkt, in welcher die akute Bedrohung durch den Warschauer Pakt zurückreichte und je unwahrscheinlicher das Ausbrechen eines bewaffneten Konfliktes auf dem europäischen Kontinent wurde.

Dabei ist klar: Eine grundsätzliche Änderung der sicherheitspolitischen Lage erfordert eine gesamtgesellschaftliche Anerkennung dieser Veränderung, einhergehend mit den damit verbundenen Bedrohungen, die sich im nächsten Schritt in einer politischen Willensbildung äußert, entsprechende Strukturreformen zu implementieren. Erst danach kann die militärische Führung in der Umsetzung der notwendigen Bedarfe tätig werden und dann auch nur im Rahmen der haushalterischen und sicherheitspolitischen Vorgaben aus der Bundespolitik. Aber es ist auch so, dass sich eine solche Erkenntnis nicht kurzfristig herausbildet, lebten wir doch in den letzten drei Jahrzehnten in der irrigen Annahme, dass ein Krieg auf dem europäischen Kontinent durch mindestens partnerschaftliche Verbindungen zwischen den Staaten Europas ausgeschlossen werden könne. Die Europäische Union, als ihr sichtbarer konstitutioneller Rahmen, die NATO und schließlich die USA als starker Partner waren die Gewähr für diese Annahme. Streitkräfte allein sind nur begrenzt handlungs- und durchhaltefähig und eben an politische Vorgaben gebunden. In der aktuellen Lage sind also alle staatlichen Institutionen und die gesamte Gesellschaft gefordert. Wir alle müssen uns durch eine umfassende staatliche Sicherheitsvorsorge auch wieder für Szenarien wappnen, die man jahrzehntelang für überkommen hielt. Verantwortliche Sicherheits- und Verteidigungspolitik erfordert, in wirksamer Abschreckung zumindest eine Möglichkeit zu sehen und sich planerisch darauf vorzubereiten. Dies schließt eine große Bandbreite an Maßnahmen ein, von der intensivierten Versorgung der Streitkräfte mit Munition und Treibstoff über den Schutz (verteidigungswichtiger) kritischer Infrastruktur unter Bedingungen eines massiven Cyberangriffs bis hin zum Schutz der Bevölkerung vor konventionellen oder nuklearen Angriffen. Dieser sich mühsam durchsetzenden Erkenntnis versucht die Bundeswehr seit einigen Jahren mit entsprechender Planung und dem intelligenten Einsatz begrenzter Ressourcen gerecht zu werden. Das im Oktober 2022 aufgestellte Territoriale Führungskommando der Bundeswehr ist dabei eine wichtige Komponente bzw. eine militärische Konsequenz aus der veränderten sicherheitspolitischen Lage. Dass einer solchen Konsequenz weitere folgen müssen, liegt in der Natur des Prozesses und aus diesem Grund gab es und wird es weitere Strukturanpassungen geben, von denen die Aufstellung eines Operativen Führungskommandos der Bundeswehr die derzeit aktuellste ist.

Gesamtverteidigung koordinieren, Resilienz schaffen

Der völkerrechtswidrige russische Angriff auf die Ukraine hat die Notwendigkeit unterstrichen, die Führungsorganisation der Streitkräfte beschleunigt auf die Anforderungen der Landesverteidigung und Bündnisverteidigung auszurichten. In den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, die Verteidigungsminister Boris Pistorius auf der Bundeswehrtagung im November 2023 vorgelegt hat, wurden mit der klaren Ausrichtung auf die Landes- und Bündnisverteidigung der Kernauftrag der Bundeswehr für die kommenden Jahre formuliert und die Grundlagen für eine dazu leistungsfähige und einsatzbereite Bundeswehr der Zukunft unter anderem bei Personal, Organisation, Infrastruktur, Haushalt und Finanzen, Nachhaltigkeit sowie Rüstungspolitik und Beschaffung gelegt. Im Dokument heißt es: „Wir müssen Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein. Unsere Bevölkerung, aber auch unsere Partner in Europa, Nordamerika und der Welt erwarten von uns, dass wir uns dieser Verantwortung stellen.“ Es wird auch eine „Nationale Zielvorgabe“ für die zivile Verteidigung formuliert, in der zuallererst festgehalten wird, dass der Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung nur gesamtstaatlich und im Rahmen der Gesamtverteidigung zu erfüllen sei. Damit wurden auch die Bereiche herausgearbeitet, in denen wesentliche Unterstützungsleistungen für die Gesamtverteidigung durch die zivile Seite zu erbringen sind. Und auch das Ziel der zivilen Verteidigung wird dort aus Sicht des Verteidigungsministeriums festgehalten: „Übergeordnetes Ziel der Zivilen Verteidigung ist es, die Zivilbevölkerung sowie eigene und verbündete Streitkräfte versorgen zu können, um deren Operationsfähigkeit und Operationsfreiheit im Bedarfsfall uneingeschränkt und durchhaltefähig zu gewährleisten.“ Das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr und demnächst das Operative Führungskommando ist für die Planung, Führung und Koordination von Operationen der Bundeswehr auch innerhalb Deutschlands verantwortlich. Deutschland und die Bundeswehr müssen sich darauf einstellen, auf die aktuellen Bedrohungen und die territoriale Verteidigung in Frieden, Krise und auch Krieg zu reagieren. Mit diesem Ziel entwickeln Expertinnen und Experten aus allen Bereichen der Bundeswehr in einer gemeinsamen Planungsgruppe aus Bund, Ländern und Kommunen, den sogenannten Blaulichtorganisationen und der Wirtschaft den militärischen Anteil einer gesamtstaatlichen Verteidigungsplanung, den Operationsplan Deutschland, kurz den „OPLAN DEU“. Dieser ist somit ein wesentlicher Baustein der gesamtstaatlichen und auch gesamtgesellschaftlichen Wehrhaftigkeit. „Deutschland. Gemeinsam. Verteidigen.“ ist das Ziel und der Maßstab.

Dabei werden wir von der Erkenntnis geleitet, dass moderne Bedrohungen verknüpft sind und alle Ebenen von Staat und Gesellschaft treffen, zum Beispiel, wenn während einer Gesundheitskrise Drittstaaten Desinformationen verbreiten und gezielt Misstrauen gegenüber lokalen oder Bundeseinrichtungen schüren. Desinformation kann von außen und innen gesteuert werden und ist somit gleichzeitig ein außen- und sicherheitspolitisches wie ein gesellschaftliches Problem. Abhängigkeiten von komplexen Versorgungsketten zeigen Verwundbarkeiten im wirtschaftlichen Bereich. Naturkatastrophen haben gesellschaftliche und sicherheitspolitische Folgen. Die Auslöser von verketteten Krisen mögen sich unterscheiden, aber ihre schwerwiegenden Effekte ähneln sich. Um dem zu begegnen, bedarf es einer Strategie, die auch die gesamte Gesellschaft einbindet. Die zunehmende Untrennbarkeit von innerer und äußerer Sicherheit schlägt sich konkret etwa darin nieder, dass es für die Erfüllung unserer Rolle als „Drehscheibe Deutschland“ zentral auf ein funktionierendes Zusammenwirken ankommt. Eigene und verbündete Streitkräfte werden sich in und durch Deutschland bewegen, um letztendlich an der NATO-Ostflanke einen Beitrag zu glaubhafter Abschreckung und damit zu äußerer Sicherheit zu leisten. Für diesen Beitrag sind ungehinderte Marschbewegungen und somit deren Sicherheit und Bewegungsfreiheit essenziell – Angelegenheiten, die auf deutschem Hoheitsgebiet in Zuständigkeit der Behörden für Innere Sicherheit liegen. Und dies alles, da es um Abschreckung geht, unterhalb der Schwelle des Artikels 5 des NATO-Vertrags sowie eines Spannungs-, Bündnis- bzw. Verteidigungsfalls. Dies stellt eine besondere Herausforderung dar, zumal Deutschland und damit auch die Drehscheibe bereits heute umfangreich hybriden Bedrohungen ausgesetzt ist. Neben Desinformationskampagnen und Fakenews gegen unsere Demokratie und unsere Gesellschaft sind dies vor allem Cyberangriffe, Ausspähung und Sabotage gegen unsere (verteidigungswichtige) Infrastruktur.

Die vergangenen Jahre haben zudem gezeigt: In einem föderalen System wie in Deutschland ist ein zentrales Krisenmanagement keine einfache Sache. Unterschiedliche Kompetenzen liegen bei Bund, Ländern und Kommunen. Zum Beispiel ist der Zivilschutz, also der Schutz der Bevölkerung im Kriegsfall, Aufgabe des Bundes; der Katastrophenschutz, sprich: der Schutz vor großen Unglücken wie Naturkatastrophen, ist hingegen Ländersache. Ehrenamtliche Organisationen übernehmen wichtige Leistungen. Privatunternehmen werden beispielsweise im Rahmen des Schutzes kritischer Infrastruktur mit eingebunden. Auf Regierungsseite sind die Kompetenzen zwischen Auswärtigem Amt, Verteidigungsministerium und Bundesinnenministerium verteilt. Das alles will koordiniert sein. Grundsätzlich ist eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen im Katastrophenfall dringend nötig. Einzelne Initiativen reichen aber nicht aus. Um Resilienz zum funktionsfähigen verteidigungspolitischen Instrument und zum Maßstab für innen- und außenpolitisches Handeln im Zeitalter komplexer Krisen zu machen, muss das Konzept in die gesamte Gesellschaft getragen werden. Aufnehmen kann Deutschland aber den Nutzen eines gemeinsamen Verständnisses von Resilienz, das die Gesellschaft für Risiken aller Art wappnet. Die von der Bundesregierung angekündigte neue Sicherheitsstrategie sollte eine Sicherheitspolitik für die Gesellschaft definieren und Netzwerke schaffen. Zivil- und Katastrophenschutz und der Umgang mit hybriden Bedrohungen sollten dabei zusammengebracht werden. Aber Resilienz sollte noch breiter definiert werden: nicht nur als reaktives Modell, das es erlaubt, Krisen besser zu meistern, sondern als proaktiver Beitrag zu einer sicheren, kohäsiven Gesellschaft nach innen und außen. Der Nutzen einer Strategie der Resilienz wäre dann ein dreifacher: Deutschland wäre besser für den Umgang mit neuen sicherheitspolitischen Risiken und anderen komplexen Katastrophen gerüstet, der Erhalt einer funktionierenden demokratischen Gesellschaft würde gestärkt – und nebenbei würde auch noch das Interesse an demokratischer Sicherheitspolitik gefördert.

Effektive Verschränkung von ziviler und militärischer Unterstützung

Der als Konsequenz dieser Lage erstellte Operationsplan Deutschland, der „OPLAN DEU“, ist ein geheimes, hoch adaptives Dokument, welches stetig weiterentwickelt wird. Die Erstellung dieses Plans ist ein militärischer Kernbeitrag zur Verteidigung Deutschlands, zum Schutz unserer Souveränität und territorialen Integrität. Er trägt dazu bei, die Resilienz von Staat und Gesellschaft gegen äußere Bedrohungen zu stärken, und stellt sicher, dass innerhalb von wenigen Tagen Truppen mit ihrem Material durch Deutschland transportiert werden können, falls dies erforderlich wird. Dabei erfüllt der „OPLAN“ mehrere Aufgaben gleichzeitig: Er koordiniert die zivil-militärische Interaktion zur gegenseitigen gesamtstaatlichen Unterstützung, er maximiert die Möglichkeiten zur zivilen Unterstützung, um die Bundeswehr in Bezug auf die Leistungen ziviler Institutionen und der Wirtschaft zum Schutz kritischer Infrastruktur gezielt zu entlasten. Dafür braucht es ein gemeinsames Verständnis und die Motivation, die Gesamtverteidigung tragfähig auszugestalten. Bei einer sich abzeichnenden Krise gilt es, flexibel und situativ zu einer glaubhaften Abschreckung beizutragen. Hierbei stellt sich die besondere Struktur des Territorialen Führungskommandos mit den ihm unterstellten 16 Landeskommandos der Bundeswehr als Ansprechpartner für die Landesregierungen in allen territorialen Fragen als äußerst zielführend heraus. Der Plan stellt eine reaktionsschnelle und resiliente militärische Verteidigungsbereitschaft in Deutschland sicher und präzisiert den Schutz verteidigungswichtiger und lebenswichtiger ziviler kritischer Strukturen. Auch der „Host Nation Support“ ist dabei als gesamtstaatliche Aufgabe zu verstehen. Militärische Kompetenz kann bei Bedarf zivile Expertise unterstützen, gegebenenfalls ergänzen und umgekehrt. So wie im Friedensfall die Bundeswehr zivile Behörden im Rahmen der Amtshilfe unterstützt, so ist die Bundeswehr im Spannungs- und Verteidigungsfall auf die Unterstützung ziviler Behörden und der Wirtschaft angewiesen, bei Maßnahmen zur Abschreckung an der Ostflanke bereits im Frieden. Zusammenfassend führt der „OPLAN DEU“ die zentralen militärischen Anteile der Landes- und Bündnisverteidigung und der dafür erforderlichen zivilen Unterstützungsleistungen zusammen. Er muss im Ergebnis konkret ausführbar sein und trifft die planerische Vorsorge dafür, dass im Krisen- und Konfliktfall nach erfolgter politischer Entscheidung schnell, zielgerichtet und im verfassungsrechtlichen Rahmen militärisch gehandelt werden kann. Er ist somit sowohl Scharnier zwischen der Landes- und der Bündnisverteidigung als auch zwischen ziviler und militärischer Verteidigung.

Neben der Sicherstellung des Aufmarsches deutscher und verbündeter Streitkräfte aus und durch Deutschland, was mit dem Begriff der „Drehscheibe“ beschrieben wird, und der Sicherstellung des militärischen Anteils der Gesamtverteidigung geht es hier insbesondere um die zivil-militärische Zusammenarbeit bzw. um die Koordination zur gegenseitigen Unterstützung. Dies bedeutet nichts anderes als die Verschränkung von militärischer Unterstützung der Zivilverteidigung einerseits und ziviler Unterstützung der militärischen Verteidigung andererseits. Damit ist nach vielen Jahren planerischer Zurückhaltung eine außerordentlich anspruchsvolle Aufgabe unter den Vorzeichen eines möglichen Krieges von außen definiert. Aufgrund der laufenden Aufrüstung der russischen Streitkräfte, neuer Doktrinen sowie der unverhohlenen Drohungen Russlands in Richtung Westen müssen wir die eigene Verteidigungsfähigkeit unverzüglich neu aufstellen. Ein Abgleich mit der zivil-hoheitlichen Seite auf Landesebene – und perspektivisch sowohl der zivil-hoheitlichen Seite auf Bundesebene als auch der zivil-gewerblichen Seite – ist für die operative Umsetzung des Operationsplans Deutschland als ausführbarer Plan unabdingbar.

Am 23. Mai 2024 hat der Generalinspekteur der Bundeswehr den „OPLAN DEU“ in seiner ersten Iteration gebilligt und seine Weiterentwicklung angewiesen. Hieran anknüpfend haben wir zuletzt unsere Planungen für den initialen Bedarf militärischer Kräfte festgelegt. Mit einem sogenannten „Stresstest“, einer Planübung Ende November 2024, also nach dem Redaktionsschluss dieses Beitrags, beabsichtigen wir, insbesondere die Schnittstellen zwischen militärischem und zivilem Wirken zu beüben und weitere Handlungsfelder für die Revision festzulegen. Hierauf aufbauend wird es darauf ankommen, im Rahmen feststehender Zuständigkeiten, konkrete Lösungen zu erarbeiten, die in ausführbaren Planungen verbindlich festgeschrieben werden. Im Zuge dessen und dem Anspruch folgend, möglichst viele Annahmen durch Fakten zu ersetzen und in der Aufgabenbeschreibung präziser zu werden, planen wir zum Ende des ersten Quartals 2025 die zweite Iteration „OPLAN DEU“ vorzulegen. Im Zuge der bisherigen Planungen mit Bund und Ländern konnten erste entsprechende Herausforderungen identifiziert werden. Ein gemeinsames Verständnis, also der zivilen und militärischen Seite, ist der Schlüssel zur Bewältigung der vor uns stehenden Herausforderungen. 

Das, worum es uns geht, ist die Zielsetzung einer maximalen Abstützung auf zivile Leistungserbringung. Das ist, angesichts der im Vergleich zur Gesamtbevölkerung geringen Personalstärke der Bundeswehr sowie vor allem der Erwartungen der NATO an Deutschland, neben der „Drehscheibe“ einen substanziellen Beitrag der Bundeswehr an der NATO-Ostflanke zu leisten, gar nicht anders möglich. Dies erstreckt sich sowohl auf die zivil-hoheitliche Seite (mit Oberen und Obersten Bundesbehörden und gleichermaßen die Landesebene) als auch auf die zivil-gewerbliche Seite und damit den „Einkauf“ von Leistungen aus der Wirtschaft. Diese Zielsetzung kommt nicht von ungefähr, sondern ist logische Ableitung aus dem Umstand, dass wir versuchen müssen, unseren originären Auftrag, die Exekutive nach außen zu sein, zu erfüllen. Jede Soldatin und jeder Soldat, die oder der auf der „Homebase“ gebraucht wird, steht – obgleich erwartet und erforderlich – nicht zur Abschreckung an der Ostflanke zur Verfügung. Eine verlässliche Planung der Gesamtverteidigung kann nur durch einen gesicherten Zugriff auf gesamtstaatliche Ressourcen in Frieden, Krise und Krieg erfolgen. Für die ressortübergreifende Priorisierung und Abstimmung der Unterstützungsleistungen innerhalb Deutschlands (beispielsweise Kommunikation, Gesundheit, Energie) wird neben zivil-hoheitlichen Leistungen wesentlich auch auf zivil-gewerbliche Leistungserbringung zurückgegriffen werden müssen. Die dabei entstehenden Anstrengungen und Kosten verlangen nach gesamtstaatlichen und gesamtgesellschaftlichen Ansätzen. 

Mit der Entscheidung zur Aufstellung des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr zur Bündelung der Aufgaben zur militärischen Verteidigung unseres Landes hat die Bundeswehr bereits einen großen Schritt getan. Das ist angesichts der sicherheitspolitischen Lage nicht außergewöhnlich, sondern konsequent. Die endlichen Ressourcen an Material und vor allem an Personal müssen nachhaltig auf die Verteidigung unseres Landes und unseres Bündnisses ausgelegt werden. Dafür braucht es aber nicht nur den vollen Einsatz der Frauen und Männer in Uniform, unserer Beamten und der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern eben auch den Einsatz der gesamten Gesellschaft. Der im „OPLAN DEU“ formulierte Auftrag ist äußerst ambitioniert. Wichtigste Erkenntnis muss sein, dass es sich beim Schutz unseres Landes um eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Wir brauchen ein vertieftes Bewusstsein, dass eine existentielle Bedrohung nie nur die Sicherheitskräfte eines Staates betrifft, sondern immer auch eine Gesellschaft als Ganzes, also ein breites Verständnis der Notwendigkeit einer gesamtgesellschaftlichen Wehrhaftigkeit.

Dies betrifft auch die notwendige Akzeptanz, (finanzielle) Belastungen und gewisse Einschränkungen im Alltag durch eine erheblich gesteigerte Übungstätigkeit auch in Deutschland zu tragen. Frieden, Demokratie und Freiheit gibt es nicht zum „Nulltarif“ und nur eine glaubhafte Abschreckung ist wirksam. Erst wenn sich diese Erkenntnis wieder durchgesetzt haben wird, kann der effektive Schutz unseres Landes glaubhaft, nachhaltig und in sich stimmig sein.

André Bodemann

Generalleutnant André Bodemann ist seit April 2023 Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr und im neuen Operativen Führungskommando der Bundeswehr Stellvertreter des Befehlshabers und Kommandeur Territoriale Aufgaben. Unter seinem Kommando wurde der Operationsplan Deutschland erstellt und verantwortet.   


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