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Krieg um die Erinnerung – Museen und Gedenkstätten in Kroatien und Bosnien 30 Jahre nach den jugoslawischen Zerfallskriegen

Unmittelbar nach der Vollinvasion der Ukraine durch Russland im Februar 2022 behaupteten deutschsprachige Medien mehrfach, dass dies der erste Krieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg sei. Merkwürdig vergessen schienen da die Kriege im ehemaligen Jugoslawien, nicht nur der Zehn-Tage-Krieg in Slowenien 1991, sondern auch der Kroatienkrieg 1991 bis 1995, der Bosnienkrieg 1992 bis 1995 sowie der Kosovokrieg 1998 bis 1999.[1] Heute, 30 Jahre nach dem Genozid von Srebrenica im Juli 1995, dem Ende der Kampfhandlungen in Kroatien und Bosnien und dem Friedensvertrag von Dayton, werden diese Jahrestage vom größeren weltpolitischen Ereignis, dem 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, überschattet, hängen aber indirekt auch mit diesem zusammen. Dieser Beitrag beleuchtet die Entwicklung von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in Kroatien und Bosnien anhand von zeithistorischen Museen und Gedenkstätten. Sie sind Flaggschiffe nationaler Geschichtspolitik der Zeit, in der sie bzw. ihre jeweiligen Dauerausstellungen entstanden sind. Die jugoslawischen Zerfallskriege werden hier auch als ein „Krieg um die Erinnerung“[2] an die unaufgearbeitete Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg begriffen, vor allem den Bürgerkrieg zwischen dem kroatischen faschistischen Regime der Ustascha, den serbischen Tschetniks und den Tito-Partisan:innen. Die den Kriegen der 1990er-Jahre gewidmeten Museen zeugen davon, wie „heiß“ diese Erinnerungskonflikte auch heute noch sind.

Die serbisch-kroatische Erinnerungskonkurrenz

Im Zentrum des serbisch-kroatischen Krieges um die Erinnerung stand seit dem Ende der 1980er-Jahre das Konzentrationslager Jasenovac im NS-Satellitenstaat. Dort hatten die Ustascha einen Genozid an der serbischen, Roma- und jüdischen Bevölkerung des „Unabhängigen Staates Kroatien“ (USK, 1941–1945) begangen. Serbische Nationalist:innen übertrieben die Opferzahlen ins Unermessliche, während kroatische Geschichtsrevisionist:innen leugneten, dass es sich um ein Todeslager gehandelt hatte, und völlig unhaltbar niedrige Opferzahlen angaben. Im Kroatienkrieg ab 1991 griff die serbische Seite auf Symbole der Tschetniks zurück, serbische Monarchisten, die im Zweiten Weltkrieg zunächst gegen die NS-Besatzung gekämpft, später jedoch mit den Achsenmächten kollaboriert und Massaker an der nicht serbischen Bevölkerung begangen hatten. Auf kroatischer Seite wurde auf Ustascha-Symbole und -Namen zurückgegriffen: 1990 war zunächst jenes Staatswappen in Verwendung, das zuletzt die Ustascha verwendet hatten. Und noch 1994 führte Kroatien den Kuna ein, wie die Währung zuletzt im USK geheißen hatte. Soldaten der neu geschaffenen kroatischen Armee waren maßgeblich an der Zerstörung antifaschistischer Denkmäler beteiligt, die nunmehr als serbische Geschichtslüge umgedeutet wurden. Der kroatische Präsident Franjo Tuđman forcierte das Konzept einer „kroatischen Versöhnung“ (pomirba). Ihm zufolge hätten Partisan:innen wie Ustascha auf ihre jeweils eigene Weise im Zweiten Weltkrieg für die kroatische Sache gekämpft. Dies führte dazu, dass in den Geheimdiensten nach 1990 jugoslawische Sicherheitsbeamte nun mit jenen Exil-Ustascha zusammenarbeiten sollten, die sie zuvor im Ausland gesucht hatten.

Serbische Nationalist:innen rechtfertigten hingegen während der 1990er-Jahre ihr aggressives Vorgehen und letztlich auch ihre Kriegsverbrechen damit, dass sie einen neuen Genozid an Serb:innen verhindern wollten. Gegenüber der KZ-Gedenkstätte Jasenovac, auf dem anderen Ufer des Grenzflusses Save, im serbischen Teil Bosniens, liegen die Massengräber des Lagers. Vor den dort noch im sozialistischen Jugoslawien aufgestellten Tafeln mit weit überhöhten[3] Opferzahlen für Jasenovac, bevorzugt vor der Tafel, auf der groß „500.000 Srba/Serbs“ prangt, treten bosnisch-serbische Politiker:innen dieser Logik folgend im Fernsehen auf, um aktuelle politische Themen zu verhandeln bzw. um abweichende Sichtweisen mit dem Verweis auf das serbische Leiden zu delegitimieren.

Die ersten Gedenkstätten

Als in den 2000er-Jahren in Kroatien und Bosnien erste Gedenkstätten für die Kriege der 1990er-Jahre eröffnet wurden, wurde dort die serbische Seite als Tschetniks bezeichnet. In Ovčara, am Ort des einzigen serbischen Massenmords in Kroatien nahe der 1991 lange belagerten Stadt Vukovar an der kroatisch-serbischen Grenze, befindet sich eine 2006 gegründete Gedenkstätte. Sie wurde von der „Kroatischen Vereinigung der Insassen serbischer Konzentrationslager“ (HDLSKL) initiiert. Die serbischen Täter:innen der 1990er-Jahre wurden also bereits im Namen der Organisation mit den Nazis parallelisiert. Deutlicher wird dies noch im Fall des ebenfalls 2006 eingerichteten Gedenkraums im Atomschutzkeller des berüchtigten Krankenhauses von Vukovar, aus dem nach der serbischen Eroberung der Stadt 1991 die späteren Opfer von Ovčara weggeführt worden waren. Der Herausgeber der Publikation über die Gedenkstätte im Krankenhaus von Vukovar verwendet für die dortigen Ereignisse die Begriffe „Kriegstote, massive Verwüstung, die physische Zerstörung einer Stadt, ein Holocaust an ihren Bürger:innen“[4]. Auch die Leiterin des Krankenhauses während der Belagerung, Vesna Bosanac, schreibt darin von der „genozidalen großserbischen Politik“[5] der Jugoslawischen Volksarmee und der serbischen Paramilitärs. Die Kroat:innen werden damit also als die „neuen Jüdinnen und Juden“ der serbischen Nazis stilisiert.

Jenseits dieser Frage nach den Bezügen zu Feindbildern aus dem Zweiten Weltkrieg lässt sich über die beiden Gedenkräume in Ovčara und im Krankenhaus von Vukovar sagen, dass sie vor allem würdevoll der Opfer gedenken, die namentlich genannt und zum Teil auf Porträtfotos abgebildet sind. In Ovčara werden auch die bei der Exhumierung des Massengrabes mit den Leichen gefundenen Gegenstände sowie solche, die von den Angehörigen gespendet wurden, unter einem Glasboden gezeigt. Dieser aus Holocaust-Museen stammende Zugang, der individuellen Opfer ohne Sinnstiftung oder Verklärung als Held:innen oder Märtyrer:innen zu gedenken, indem man ihre Namen sowie private Fotos und Gegenstände ausstellt, stellt somit eine implizite, anders gelagerte Bezugnahme auf Holocaust-Erinnerung dar, die ohne Opferkonkurrenz oder Dämonisierung der Gegner:innen auskommt.

 

In Bosnien ist die zentrale Gedenkstätte jene in Srebrenica bzw. dem Vorort Potočari. Die erste Gedenkveranstaltung fand im Jahr 2000 bei der ehemaligen Batteriefabrik aus sozialistischen Zeiten statt, die im Krieg den UN-Blauhelmen als Zentrale und Unterkunft gedient hatte. 2003 setzte der Hohe Repräsentant, der Vertreter der internationalen Gemeinschaft im Post-Dayton-Bosnien, gegen den Widerstand der bosnisch-serbischen Seite die Schaffung einer Gedenkstätte durch. Gegenüber vom ehemaligen UN-Hauptquartier wurde der beeindruckende Gedenkfriedhof errichtet, der aus einem scheinbar endlosen Feld muslimischer Grabsteine besteht, weißer, schmaler Marmor-Obelisken, die die Namen der bisher über 6700 dort bestatteten Genozidopfer tragen. Da die bosnisch-serbischen Täter:innen die Leichen aus den ursprünglichen Massengräbern ausgehoben und in sekundäre, tertiäre, ja manchmal sogar quartäre Massengräber umgebettet hatten, um ihre Verbrechen zu verschleiern, geht die Suche nach zahlreichen Opfern nach wie vor weiter. Manchmal werden einzelne Knochen von Ermordeten in verschiedenen Massengräbern gefunden und mittels DNA-Analyse identifiziert. Die Hinterbliebenen stehen vor der unzumutbaren Entscheidung, wann sie „genug“ Überreste ihrer geliebten Angehörigen haben, um diese bei der jährlich am 11. Juli stattfindenden Zeremonie bestatten zu lassen. Zuletzt wurden 2024 14 Särge bestattet, darunter auch die Überreste des bei seiner Ermordung 17-jährigen Beriz (Omera) Mujić aus Zvornik. Bis heute hat die serbische Seite den Genozid als solchen nicht anerkannt. Es gab jedoch Phasen, in denen das Massaker anerkannt wurde, sich serbische Vertreter:innen dafür entschuldigten und zur Gedenkveranstaltung anreisten, wo sie auf Feindseligkeit stießen.

2007 wurde in der ehemaligen Batteriefabrik ein Gedenkraum eingerichtet. Darin finden sich an zentraler Stelle neben Privatfotos und Empathie weckenden Kurzbiografien von 20 Genozidopfern, allesamt Männer, auch die Gegenstände, die bei ihrer Exhumierung gefunden wurden. Darüber hinaus stellt aber auch dieser frühe Gedenkraum, wie im kroatischen Fall, eine Analogie zwischen dem Genozid in Srebrenica und dem Holocaust her. Ausgestellt wurde nämlich auch ein Bild des Künstlers Tarih Samaran. Es zeigt eine der „Mütter von Srebrenica“, wie die Angehörigenorganisation heißt, die auf ein Foto von der jungen holländischen Jüdin Anne Frank und ihrer Schwester, die beide im Holocaust starben, schaut. Überschrieben ist das Ganze mit 1945–1995–2005 (letzteres das Jahr, in dem die Installation entstand).

Museen und Dauerausstellungen in Bosnien

In den 2010er-Jahren entstanden in Kroatien wie in Bosnien die ersten Museen mit Dauerausstellungen zu den Kriegen der 1990er-Jahre. In Srebrenica eröffnete im Gebäude rechts vom Gedenkraum die Ausstellung „Srebrenica Genocide – Failure of the International Community“ auf Bosnisch und Englisch. Sie entstand in Zusammenarbeit mit zwei niederländischen Organisationen, der Gedenkstätte Westerbork und der NGO Pax. Deren Beteiligung hängt mit dem Umstand zusammen, dass es niederländische UN-Blauhelme waren, die in Srebrenica stationiert waren und dabei zusahen, wie die bosnischen Serb:innen im Juli 1955 vor ihrer Tür Frauen und Kinder in eine Lastwagenkolonne luden, die sie in bosniakisches[6] Gebiet in Sicherheit brachte, die Männer aber in Lastwagen, die sie in den Tod fuhren. In dieser Dauerausstellung findet sich keinerlei Parallelisierung des Schicksals der Bosniak:innen mit jenem von Holocaust-Opfern. Im Gegenteil wirkt es bei genauerer Betrachtung so, als würden solche Analogien bewusst vermieden. So wird die Kolonne der aus Srebrenica durch die Wälder in bosniakisches Gebiet Flüchtenden, von denen ungefähr die Hälfte von den bosnischen Serb:innen ermordet wurde, als Marsch des Todes (march of death) bezeichnet. Das ist zwar nahe am Begriff Todesmarsch (death march), wie die Märsche vor allem jüdischer Häftlinge in der Endphase des Zweiten Weltkriegs bezeichnet werden, aber eben keinesfalls eine Gleichsetzung. Die Ausstellung setzt auf individuelle Opferbiografien und verzichtet beim Verdeutlichen der „Leere“, die der Genozid hinterließ, auf jegliche Sinnstiftung.

Auch im 2021 hinzugefügten Ausstellungsteil über die Kolonne, die durch den Wald zu flüchten versuchte, bemühten die Kurator:innen ein aus Holocaust-Museen bekanntes Symbol: Schuhe, aber ohne Gleichsetzung des Leidens. Die Verantwortlichen hatten jahrelang mit Überlebenden bzw. in ihrer Doppelfunktion als Kurator:innen und Überlebende in den Wäldern Gegenstände für die Ausstellung gesammelt. Die Schuhe hat man nun paarweise auf einer Glasplatte so arrangiert, dass sie auf dem Boden darunter Schatten werfen, die wie Schritte wirken. Die Ausstellung heißt dementsprechend „In the footsteps of those who did (not) cross“.[7] Die Schuhe symbolisieren also nicht, wie die schier endlose Anhäufung in Auschwitz-Birkenau, die Masse der Ermordeten, sondern den spezifischen Kontext dieser Kolonne. Zusammen mit den Gegenständen, die die Resilienz und den Erfindungsgeist jener repräsentieren, die sich zum Teil monatelang in den Wäldern verstecken mussten, gehen sie konkret auf die Ereignisse vor Ort ein.

Anders verhält es sich bei dem an der zentralen Fußgängerzone in Sarajevo gelegenen, privaten Museum der Verbrechen gegen die Menschheit und des Genozids. Hier werden nicht nur „die Serben“ pauschal als Tschetniks bezeichnet. In einer stilisierten Folterzelle werden sie auch mit Nazis parallelisiert, da an der Zellenwand ein Zitat von Heinrich Himmler steht. Sowohl am ursprünglichen Standort dieses 2016 eröffneten Museums als auch am 2019 bezogenen Ort unweit davon findet sich zu Beginn der Ausstellung ein Exponat, das die Verbrechen an Bosniak:innen in den 1990ern mit dem Warschauer Ghetto in Beziehung setzt. Neben das Foto eines Jungen, der im Warschauer Ghetto Armbinden mit „Judensternen“ verteilt, wurde ein Foto eines Mannes montiert, der eine weiße Armbinde trägt. In der Bildunterschrift ist von „Vernichtung“ und „Konzentrationslagern“ in der bosnischen Stadt Prijedor 1992 die Rede. Ferner heißt es: „This was the first time since the 1939 Nazi decree for Polish Jews to wear white armbands with the blue Star of David that members of an ethnic or religious group were to be marked for extermination in this way.“ Interessanterweise wird die Parallele hier nicht etwa zum Holocaust in Sarajevo selbst hergestellt, dem unzählige bosnische Jüdinnen und Juden zum Opfer fielen, sondern zum Warschauer Ghetto, das zu einer negativen Ikone der „Universalisierung des Holocaust“ geworden ist.[8] Die bosnische Museumslandschaft erweist sich im Umgang mit Holocaust-Bezügen also als vielfältig.

Dieses Museum in Sarajevo setzt außerdem einerseits auf überwältigende Horrorbilder aufgeschlitzter Bäuche schwangerer Frauen, blutiger Kinderleichen oder verwesender menschlicher Überreste. Zugleich arbeitet es andererseits mit Privatfotos und Gegenständen der Opfer, deren Geschichten auch Besucher:innen wie mich, die seit Jahren mit „professionellem“, distanziertem Blick Museen analysieren, zum Weinen bringen. Während in den ersten Ausstellungen in Srebrenica und dieses Museums in Sarajevo die Viktimisierung der Opfer alles dominierte, werden in den neuen Ausstellungen nun verstärkt auch Resilienz und Kreativität im Überlebenskampf betont. Besonders rührte mich ein scheinbar simpler Teller zu Tränen, und zwar aufgrund seines Begleittextes: Er gehört einer ehemaligen Restaurantbesitzerin, die in einem serbischen Vergewaltigungslager neben vielen anderen Frauen unvorstellbare Gewalt erfahren hat. Als das Lager aufgelöst wurde und sie eine der Letzten war, die es verließen, erkannte sie das Geschirr aus ihrem eigenen Restaurant wieder, nahm es mit und übergab später den Teller dem Museum. Dies ist ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Museen: Während in Srebrenica sexuelle Gewalt nur wenige Male kurz an Rande angedeutet wird, steht sie in Sarajevo im Fokus.

Letzteres Museum zieht somit einerseits harsche Kritik aufgrund seiner überwältigenden „Pädagogik des Horrors“ und der plumpen Gleichsetzungen auf sich, ist andererseits aber auch dasjenige, das das umfassendste Bild des Bosnienkriegs in vielen seinen Aspekten zeichnet. Was jedoch in beiden bosnischen Museen nur ganz am Rande erwähnt wird, sind bosniakische Kämpfer:innen. Es gab ja bewaffnete bosniakische Streitkräfte, die zum Teil auch in Reaktion auf die serbischen Angriffe selbst Verbrechen begangen haben, wenn auch keinesfalls in einem mit der bosnisch-serbischen Seite annähernd vergleichbaren Ausmaß. Aber nicht nur diese Verbrechen, sondern auch die Existenz bosniakischer Kämpfer im Allgemeinen scheinen in den Museen über den Genozid und Verbrechen gegen die Menschheit die (Selbst-)Darstellung als „reines“ Opfer zu stören und kommen daher im Wesentlichen nicht vor. Die aus bosniakischer Perspektive gestalteten Museen befinden sich heute in einem Land, das sich vor allem aufgrund der starken Abspaltungstendenzen des serbischen Teils, der Republika Srpska, von der bosniakisch-kroatischen Föderation Bosnien und Herzegowina als „failed state“ bezeichnen lässt und in dem die serbische Seite den Genozid nicht anerkennt.

Museen und Dauerausstellungen in Kroatien

Genau umgekehrt verhält es sich mit den Museen des „Heimatländischen Krieges“, wie der Kroatienkrieg in diesem Land genannt wird. In den kroatischen Museen, die ebenfalls in den 2010er-Jahren eröffnet wurden, liegt der Fokus vor allem auf den „Verteidigern“ Kroatiens, so der Sammelbegriff, der auch die Zeit vor der Existenz einer offiziellen kroatischen Armee einschließt. Kroatien hat 1995 mit der Rückeroberung der serbisch gehaltenen Krajina den Krieg gewonnen, was für die serbischen Krajina-Bewohner:innen Flucht, Vertreibung – und im Falle der zurückgebliebenen, vor allem der alten Menschen – zum Teil auch Ermordung zur Folge hatte. In den Museen herrscht daher im Gegensatz zum bosnischen Fall, aber auch zu der Gedenkstätte, die den Opfern von Ovčara gewidmet ist, ein Siegernarrativ vor.

Insbesondere in der Dauerausstellung im Gedenkzentrum des Heimatländischen Krieges in Vukovar aus 2013 und im Museum des Heimatländischen Krieges im zentralkroatischen Karlovac aus 2019 wird der Krieg auf die heroisierende Darstellung der Verteidiger:innen reduziert, während zivile Kriegserfahrungen in einem überraschenden Ausmaß fehlen. War dies für ältere Kriegs- und Militärmuseen typisch, so geht bei im 21. Jahrhundert eröffneten Museen der internationale Trend derzeit in eine andere Richtung. Das Militärhistorische Museum in Dresden thematisiert etwa die fatalen Auswirkungen von Krieg auf den menschlichen Körper von Soldat:innen wie Zivilist:innen und setzt sich selbstkritisch mit den heroisierenden früheren Ausstellungen des eigenen Museums auseinander. Das 2017 eröffnete Museum des Zweiten Weltkriegs im polnischen Gdańsk/Danzig widmet den gesamten zentralen Gang seiner riesigen Dauerausstellung zivilen Aspekten wie Essen, Kleidung, Unterhaltung et cetera im Krieg. Auch thematisiert es zum Beispiel verbotene sexuelle Beziehungen zwischen Bäuer:innen und Zwangsarbeiter:innen. Auch im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien wird unter der neuen Leitung endlich für 2026 eine selbstkritische Ausstellung über die Zeit von 1918 bis 1955 vorbereitet, die erinnerungskulturelle zivile Aspekte jenseits von Wehrmacht und Opfermythos einschließen wird.

Es überrascht nicht, dass es schwierig ist, die von der kroatischen Seite im Kroatienkrieg begangenen Verbrechen zu thematisieren, wenn die Kriegstraumata noch relativ frisch sind – einfordern kann man eine solche selbstkritische Auseinandersetzung trotzdem. Was jedoch überrascht, ist, dass im Museum in Karlovac die Zivilist:innen in einen symbolischen Schutzraum eher ans Ende des Hauptausstellungsraums verbannt wurden. In dem, was ich als „Hierarchie der Sichtbarkeit“[9] in der Ausstellung bezeichne, nehmen manche Informationen nur einen untergeordneten Platz ein. In einer unglaublich umfassenden Chronologie der Kriegsereignisse, die man nach vielen Stunden im Museum immer noch nicht vollständig gelesen hat, findet sich unter anderem irgendwann der Hinweis, dass während der ständigen Angriffe auf Karlovac im Krieg der Schulunterricht auf Radio-Schule umgestellt werden musste. Etwas umfassender als in Vukovar und Karlovac werden im Museum des Heimatländischen Krieges in Dubrovnik die zivilen Erfahrungen gewürdigt. Wie in Sarajevo steht ein Schlitten, auf dem in Kriegszeiten Güter transportiert wurden, für die Resilienz und Kreativität der Bevölkerung in unerträglichen Zeiten.

Wie in Sarajevo und den Gedenkstätten in Vukovar und Ovčara werden auch in den kroatischen Museen die Serben als Tschetniks bezeichnet, die „Konzentrationslager“ betrieben hätten. Weil das Museum in Karlovac aber nicht kontrafaktisch einen Genozid an der kroatischen Bevölkerung behaupten kann, stellt es den „Urbizid und Kulturozid“, also den „Genozid an der Stadt Karlovac“ und ihrer Kultur aus. Man könnte argumentieren, dass hier nicht mehr der Holocaust als negatives „Vorbild“ dient, sondern der Genozid in Srebrenica, für den das Haager Kriegsverbrechertribunal diesen Begriff etablierte.

Fazit und Ausblick

Vielleicht verwundert der starke Fokus dieses Artikels auf die Frage, welche Bezüge auf Feindbilder aus dem Zweiten Weltkrieg sich in der Geschichtspolitik und in den neueren Museen in Kroatien und Bosnien finden lassen. Diese Schwerpunktsetzung ist nicht nur meinem vergleichenden Projekt über „Globalized Memorial Museums“ geschuldet, sondern auch dem Umstand, dass der Rückgriff auf dämonisierende Feindbilder aus dem Zweiten Weltkrieg einem friedlichen oder gar gedeihlichen Zusammenleben im Wege steht. Das heißt keinesfalls, dass nach einer bestimmten Zeit alles vergeben und vergessen sein sollte, ganz im Gegenteil. Nur eine kritische Aufarbeitung erlaubt es, die Gräben zwischen den Ethnien zu überwinden, vor allem auch, wenn jede Seite die eigene Verantwortung anerkennt – die keinesfalls in einem vergleichbaren Ausmaß gegeben war, da die bosnischen Serb:innen die bei Weitem meisten und schwerwiegendsten Verbrechen begangen haben. Aber wenn „wir“ die „neuen Juden“ von heute sind und „sie“ die „neuen Nazis“, erlaubt dies nur schwarz-weiße „Wahrheiten“ über reine Opferschaft und das absolut Böse.

Wie nach dem Nationalsozialismus, dem Holocaust und dem Genozid an den Sinti und Roma im Zweiten Weltkrieg ist dabei jedoch bei dem Begriff „Versöhnung“ Vorsicht geboten. Diese darf nicht vonseiten der Täter:innen und ihrer Nachkommen von den Verfolgten und ihren Angehörigen eingefordert werden, auch nach einer schonungslosen Anerkennung der eigenen Verantwortung nicht. Sollten die Verfolgten und ihre Nachkommen selbst diesen Begriff wählen als Bezeichnung für den Prozess, den sie anstreben, wie etwa die Tutsi-Regierung nach dem Genozid in Ruanda, so ist das etwas anderes (auch wenn am Militärregime in Ruanda und seiner Geschichtspolitik viel zu kritisieren wäre). Es mag sein, dass die bosniakischen Rückkehrer:innen in die ehemalige bosniakische Enklave Srebrenica im serbischen Teil Bosniens eines Tages von Versöhnung sprechen, um für sich eine Zukunftsperspektive im serbisch dominierten Ort zu schaffen. Das Gegenteil von Versöhnung ist es jedoch, wenn die bosnischen Serb:innen jährlich am 12. Juli, also einen Tag nach der Gedenkveranstaltung in Srebrenica, den Gedenktag für die serbischen Opfer begehen. Diese Aufrechnung und Opferkonkurrenz halten den „Krieg um die Erinnerung“ am Leben.

In Bosnien, Kroatien und Serbien gibt es aber auch Organisationen und Einzelpersonen, die sich entschlossen dem Prinzip entgegenstellen, dass die eigenen Verfehlungen, sofern überhaupt zugestanden, kleingeredet, die der anderen hingegen zur Obsession werden. In Belgrad kämpfen die „Frauen in Schwarz“ seit Langem für eine Anerkennung des Genozids von Srebrenica durch die serbische Regierung. In Kroatien setzen Organisationen wie das Zentrum zur Aufarbeitung der Vergangenheit Documenta die Aufarbeitung kroatischer Verbrechen an Serb:innen zwischen 1991 und 1995 fort, die unter anderem von der Zeitschrift Feral Tribune bereits in den 1990er-Jahren trotz Einschränkungen der Medienfreiheit begonnen wurde. 2023 nutzte die kroatische Regierung ihren Vorsitz in der International Holocaust Remembrance Alliance neben vielen begrüßenswerten Maßnahmen zur Aufarbeitung des Holocaust und des Genozids an den Roma und Sinti auch dazu, den von den Ustascha begangenen Genozid an der serbischen Bevölkerung zu leugnen. Der frühere Direktor der Gedenkstätte Jasenovac gab diesbezüglichen Regierungsdruck als wichtigen Grund für seinen Rücktritt an. Documenta und das 2024 an der Universität Rijeka neu gegründete Zentrum für Holocaust- und Genozidforschung in Südosteuropa protestierten laut.

Im besten Fall richtet sich das Engagement also gegen jegliche Verfälschung, einseitige Darstellung und Instrumentalisierung von Geschichte, bezogen auf den Zweiten Weltkrieg, die jugoslawischen Zerfallskriege und darüber hinaus. Ein multiperspektivischer, kritischer Umgang mit der Vergangenheit stellt neben dem Empathie weckenden Gedenken an die eigenen Opfer auch schmerzhafte Fragen in Bezug auf die Mitverantwortung der eigenen „Wir-Gruppe“ ins Zentrum von Geschichtspolitik, Erinnerungskultur, Forschung und Vermittlung. In Europa haben wir im Gegensatz etwa zu Russland das Privileg, dass wir bei Protesten nicht die persönliche Freiheit aufs Spiel setzen, wenn auch beispielsweise in Ungarn seit 2010 sehr wohl die Karriere und finanzielle Sicherheit. Als in Kroatien geborene österreichische Wissenschaftlerin sagt man mir wiederholt, dass auch Österreich lang gebraucht habe, um den Opfermythos zu überwinden, und es somit nicht verwundern kann, dass es in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens ebenfalls länger dauert. Dem kann ich nur entgegnen, dass dieses Denken die unermüdlichen Kämpfer:innen um eine selbstkritische, schonungslose Aufarbeitung im Regen stehen lässt – oder noch schlimmer, schulterzuckend die Lage im „Pulverfass Balkan“, wie das Stereotyp lautet, zur Kenntnis nimmt. Der Holocaust und die Verbrechen der Wehrmacht in der Region sind schließlich auch ein Vermächtnis Deutschlands und Österreichs – und damit gehen sie auch die Konsequenzen dieser unbewältigten Vergangenheit etwas an.

 


[1] Eine Überblicksdarstellung der jugoslawischen Zerfallskriege bietet zum Beispiel die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: https://osteuropa.lpb-bw.de/jugoslawien-krieg (Stand: 19.5.2025).

[2] Radonić, Ljiljana (2010): Krieg um die Erinnerung. Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und europäischen Standards. Frankfurt am Main.

[3] Seriöse kroatische wie serbische Wissenschaftler:innen gehen heute von einer Größenordnung von rund 100.000 Jasenovac-Opfern aus, von denen die Gedenkstätte Jasenovac bis heute über 83.000 namentlich identifiziert hat. https://www.jusp-jasenovac.hr/Default.aspx?sid=6711 (Stand: 4.6.2025).

[4] Biro, Štefan (2007): Bolnička logistika u sustavu ratne bolnice Vukovar 1991. godine. In: Biro, Štefan (Hg.): Vukovarska bolnica 1991. Vukovar, S. 179–188, S. 179.

[5] Bosanac, Vesna (2007): Ratna skloništa u Vukovaru. In: Biro, Štefan (Hg.), s. Endnote 4, S. 108-111, S. 111.

[6] Statt bosnische Muslime verwendet man heute vorwiegend die Bezeichnung Bosniak:innen, um – wie bei Kroat:innen und Serb:innen – nicht die religiöse Zugehörigkeit in den Vordergrund zu stellen, weil es ja auch säkulare Bosniak:innen gibt.

[7] Srebrenica Memorial Center (2021): In the footsteps of those who did (not) cross. An exhibition of the Srebrenica Memorial Center, Srebrenica.

[8] Das Foto von der Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto, in dessen Zentrum ein kleiner Junge mit erhobenen Händen steht, findet sich in Museen in aller Welt, in deutschen, amerikanischen oder israelischen wie in der Holocaust-Ausstellung im Crossroads of Civilizations Museum in Dubai.

[9] Radonić, Ljiljana (2024): Croatian Homeland War Memorial Museums – Exhibiting Urbicides and Concentration Camps. In: Nationalities Papers 52(4), S. 935–960, S. 937.

Zusammenfassung

Ljiljana Radonić

Ljiljana Radonić ist Vize-Direktorin des Instituts für Kulturwissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und leitete dort von 2019 bis 2024 das ERC-Projekt „Globalized Memorial Museums. Exhibiting Atrocities in the Era of Claims for Moral Universals“. Ihre Habilitationsschrift „Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen“ erschien 2021 bei De Gruyter. Seit 2004 lehrt sie am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien über Antisemitismustheorie sowie (Ostmittel-)Europäische Erinnerungskonflikte seit 1989. Sie ist Mitglied der österreichischen IHRA-Delegation.


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Alle Artikel dieser Ausgabe

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Wahrheit nach Gewaltkonflikten – Wahrheitsfindung im Kontext von Transitional Justice und Versöhnungsprozessen
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Eli – Täter und Opfer? Ein Fallbericht
Claudia Patricia Bueno Castellanos, Christoph Perleth
Krieg um die Erinnerung – Museen und Gedenkstätten in Kroatien und Bosnien 30 Jahre nach den jugoslawischen Zerfallskriegen
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