Kontroversen in Militärethik und Sicherheitspolitik
„Es wird bestimmt schwierig, miteinander zu reden − aber genau darum geht es“
Combatants for Peace ist eine Graswurzelorganisation, die sich für gegenseitiges Verständnis und Gewaltfreiheit im Nahostkonflikt einsetzt. „Ethik und Militär“ sprach mit den Co-Direktorinnen Rana Salman und Eszter Korányi über den Ansatz und die Aktivitäten der Bewegung, ihr Verständnis von Versöhnung und Wege der Konfliktbeilegung.
Ethik und Militär: Rana und Eszter, könnten Sie kurz rekapitulieren, wie Combatants for Peace gegründet wurde und was die Hauptidee hinter der Organisation ist?
Rana Salman: 2006 beschlossen mutige Menschen auf beiden Seiten, ihre Waffen niederzulegen und sich zusammenzuschließen, um sich gegen die Besatzung und alle Formen der Unterdrückung zu wehren. Damit fing alles an. Als die Israelis den Dienst in der Armee verweigerten, war das ein großer Skandal, der Schlagzeilen machte. Eine Gruppe von Palästinensern, die in Israel zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden waren, hörte davon und nahm Kontakt zu ihnen auf. Sie begannen, sich heimlich zu treffen; es dauerte etwa ein Jahr, bis sie Vertrauen zueinander aufgebaut hatten. Das führte zur Gründung von Combatants for Peace. Heute gehören zu unseren Mitgliedern nicht nur ehemalige Kämpfer. Wir sind zu einer inklusiveren Bewegung geworden, der auch junge Menschen und Frauen angehören.
Was sind Ihre Aktivitäten und Ihre Hauptziele?
Eszter Korányi: Zusammen mit der Nichtregierungsorganisation Parents Circle – Family Forum veranstalten wir jedes Jahr eine gemeinsame Gedenkfeier, bei der wir der Opfer des Konflikts auf beiden Seiten gedenken. Außerdem gibt es eine gemeinsame Nakba-Gedenkfeier, die wir allein organisieren. Dieses Jahr fand sie zum sechsten Mal statt. Im Hinblick auf die Versöhnung sind diese beiden Veranstaltungen sehr wichtig.
Wir bieten auch Bildungsaktivitäten an, zum Beispiel Projekte zum Thema Führung für Palästinenser und Israelis. Besonders für junge Menschen ist es sehr wichtig, eine Peergroup zu haben, die ihre eigene Identität teilt. Nach Abschluss des Programms können sie an unseren binationalen Aktivitäten teilnehmen. Und es gibt weitere Projekte für die breite Öffentlichkeit. In sogenannten „Personal Story Meetings“ erzählen ein palästinensischer und ein israelischer Aktivist die Geschichte ihrer Wandlung. Wie unsere Gründer waren auch einige unserer neueren Mitglieder Teil des gewaltsamen Kampfes für die Freiheit der Palästinenser oder Mitglieder der israelischen Armee, die erkannt haben, dass gemeinsamer gewaltfreier Kampf der Weg zu Freiheit und Gleichheit für alle Menschen in diesem Land ist. Andere, wie wir, haben keinen bewaffneten Gruppen angehört; aber wir erkennen ebenfalls an, dass wir alle mit einem bestimmten Narrativ aufgewachsen sind. Um gemeinsam Widerstand leisten zu können, muss man aus seinem Narrativ heraustreten und eine gewisse Transformation durchlaufen.
Gibt es immer noch lokale Theatergruppen für Palästinenser im Westjordanland als Form des unbewaffneten Protests?
E. K.: Derzeit haben wir keine Theatergruppe, aber es gibt eine binationale Gruppe für gewaltfreie Kommunikation, die seit über einem Jahr besteht. Außerdem gibt es eine binationale Frauengruppe und Jugendgruppen. Eine weitere sehr wichtige Aktivität ist die Feldarbeit. Wir organisieren binationale Feldarbeit zur Unterstützung palästinensischer Gemeinden in Gebiet C (die Gebiete, die seit dem Oslo-II-Abkommen unter israelischer Verwaltung stehen, d. Red.), die am meisten unter der Besatzung leiden. Wir helfen beim Olivenpflücken, beim Pflanzen von Bäumen oder beim Säubern der Wasserkanäle, bevor die Regenzeit beginnt. Glücklicherweise gibt es eine ganze Reihe israelischer und internationaler Organisationen, die diese Gemeinden unterstützen, aber wir sind die Einzigen, die gemeinsame Gruppen von Israelis und Palästinensern zusammenbringen, was auch die Solidarität zwischen den Palästinensern im Westjordanland stärkt.
Sind Menschen, die an diesen Aktivitäten teilnehmen, auch Risiken ausgesetzt?
E. K.: In Palästina kann generell alles, was wir vor Ort tun, insbesondere seit dem 7. Oktober, zu Gewalt führen. An einem der Tage, an denen wir Oliven pflückten, richteten Soldaten ihre Waffen auf uns, und eine andere Gruppe teilte uns mit, dass sie auch Tränengasgranaten bei sich hätten. An einem anderen Tag wurden zwei unserer jungen israelischen Aktivisten und sogar unser palästinensischer Medienvertreter für einige Stunden festgenommen. Kürzlich wurden zwei unserer jungen Aktivisten von Siedlern angegriffen, einer von ihnen wurde dabei schwer verletzt.
R. S.: Für Palästinenser ist es generell riskanter. Bei unseren gemeinsamen Demonstrationen oder Aktivitäten hier stehen unsere israelischen Aktivisten normalerweise in vorderster Reihe, um die palästinensischen Aktivisten zu schützen. Eines Tages wurde einer unserer palästinensischen Aktivisten am Tag vor der Demonstration verhaftet. Allein der Gedanke, dass gewaltfreier Protest organisiert wird, scheint also beängstigend zu sein.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Punkte für die Förderung von Versöhnung?
R. S.: Wie unsere Gründer vor 20 Jahren haben die meisten von uns in der Bewegung bereits persönliche Traumata oder Leiden durchlebt oder, entweder persönlich oder in unseren Familien, Unrecht erfahren. Wir sind also an einem Punkt angelangt, an dem wir so nicht weitermachen können; wir brauchen einen alternativen Weg zu Frieden und Gerechtigkeit.
Für mich ist das Wichtigste an der Versöhnung die Anerkennung des Schmerzes, des Leids, der Erzählung und der Verluste des anderen. Dies geschieht durch verschiedene Teile unserer Aktivitäten, wie zum Beispiel die Nakba-Zeremonie. Für mich als Palästinenserin ist es sehr wichtig, dass die Menschen mein Leiden anerkennen.
Gleichzeitig wissen wir, dass Versöhnung nicht über Nacht geschieht. Für uns geht sie mit einer Veränderung der aktuellen Realität einher. Wir arbeiten viel an zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Aufbau von Empathie. Aber es geht nicht nur um Dialog; wir handeln gemeinsam, um eine andere Zukunft aufzubauen.
E. K.: Aktuell ist der Ausgangspunkt tatsächlich anzuerkennen, dass auch diejenigen auf der anderen Seite Menschen sind – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber leider gehört es dazu – und dass der Konflikt von Anfang an bis heute für beiden Seiten Verluste verursacht. Vor allem die Zeremonien stellen dies heraus. Mit allem, was wir tun, zeigen wir uns als Vorbild für die Öffentlichkeit und laden andere ein, sich dieser Reise und diesem Ansatz anzuschließen.
Spielt Religion auch eine Rolle?
R. S.: Als Bewegung konzentrieren wir uns auf universelle Menschenrechte und internationales Recht. Aber unsere Mitglieder und Aktivisten sind Juden, Christen, Muslime, daher schätzen und würdigen wir, wie der Glaube Menschen dazu bewegen kann, das Richtige zu tun.
Jüngere Umfragen zeigen, dass die allgemeine Stimmung in Israel und Palästina nicht sehr versöhnlich ist und das Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern auf einem historischen Tiefstand ist.[1] Die Hälfte der jüdischen Israelis und 70 Prozent der Palästinenser bewerteten die Menschlichkeit der anderen Seite mit null Punkten. Wo nehmen Sie die Hoffnung her, dass eines Tages Versöhnung möglich sein wird?
E. K.: Insbesondere was die Umfragen in Palästina während des Krieges angeht, heißt es, dass die Menschen dort kaum andere Mittel haben, um zu verstehen, was vor sich geht. Außerdem gibt es viele Aspekte, die man nicht wirklich überprüfen kann, zum Beispiel ob derjenige, der antwortet, demjenigen vertraut, der die Fragen stellt. Deshalb versuchen wir, uns von solchen Zahlen nicht zu sehr deprimieren zu lassen. Und es gibt auch einige positive Zahlen, zum Beispiel, dass etwa 60 Prozent der israelischen Bevölkerung den Krieg mit einem umfassenden Geisel- und Gefangenenaustausch beenden wollen.
Andere Konflikte auf der Welt zeigen uns außerdem: Sobald der politische Wille zur Beendigung vorhanden ist und es Mittel zur Versöhnung gibt, sowohl an der Basis als auch auf politischer Ebene, kann es recht schnell zu einem Wandel kommen. Aus Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ist Ihnen das wahrscheinlich bekannt, aber vielleicht auch aus Südafrika und Nordirland. Es ist nicht einfach, aber definitiv möglich.
Arbeiten Sie an einer politischen Lösung oder eher daran, eine solche zu ermöglichen?
E. K.: Wir sind für eine Zweistaatenlösung oder jede andere Lösung, die von beiden Seiten vereinbart wird und Freiheit, Gleichheit und Frieden für alle bringt. Es ist wichtig, die Grundlage für jede denkbare Lösung zu schaffen; natürlich befürworten wir einen politischen und keinen militärischen, gewaltsamen Weg.
Aus Ihrer Erfahrung heraus: Ist es für Menschen irgendwie „einfacher“, feindselig zu bleiben, weil sie dann nicht wirklich in Kontakt treten müssen?
R. S.: Ja, es ist sehr einfach, sich zurückzuziehen und nichts zu tun. Es wird bestimmt schwierig, miteinander zu reden − aber genau darum geht es. Wir wollen nicht nur nett sein und uns umarmen, und das war’s dann. Wir wollen wirklich über die Realität sprechen und überlegen, wie wir sie verändern können, weil wir glauben, dass wir dieses Land gemeinsam dauerhaft bewohnen werden.
Wir können verstehen, dass Menschen an ihrem eigenen Narrativ festhalten. Sie denken, dass sie ihre eigene Identität verlieren könnten, wenn sie Empathie für die Erzählungen der anderen empfinden.
Wie schafft man es dann, einen Dialog zu beginnen?
R. S.: Wir versuchen, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem Menschen ihre Geschichten teilen können – das macht es uns leichter, miteinander in Kontakt zu treten. So hat die Bewegung auch begonnen. Es geht nicht um politische Statements, sondern um etwas Wahres, etwas, was ich erlebt habe, und etwas, was die andere Seite erlebt hat. Wir sagen nicht: Das ist richtig, das ist falsch. Es geht eher darum, wie ich mich fühle. Man kann ein Gefühl oder eine Erfahrung nicht beurteilen.
Unsere Bildungssysteme, die Medien, sie alle beeinflussen, wie wir den anderen sehen. Besonders für unsere jungen Menschen kann das sehr schwierig sein, weil sie vielleicht noch nie einen Israeli oder einen Palästinenser getroffen haben. Wir wachsen mit dem gleichen stereotypen Bild vom anderen auf: Das ist der Feind. Ein Soldat mit einer Waffe. Ein gewalttätiger Siedler. Wenn wir Menschen zusammenbringen, durchbrechen wir diese Art von Stereotypen, weil man einen Menschen vor sich sieht, der andere Erfahrungen gemacht hat.
Und vielleicht entdecken die Menschen dann, dass die Gefühle auf beiden Seiten dieselben sind?
R. S.: Ja, genau das tun wir in unseren Zeremonien: Wir kommen zusammen, trauern gemeinsam, gedenken unserer geliebten Menschen. Aber es ist auch ein großer Schritt, dass wir gemeinsam Aktivitäten unternehmen, gemeinsam protestieren, gemeinsam Oliven pflücken. Wir zeigen, dass wir nicht nur einen Traum verkaufen. Es geschieht in diesem Augenblick.
Was ist mit Ihren Familien und Freunden, gibt es Konflikte wegen Ihrer Arbeit?
E. K.: Glücklicherweise unterstützen mich meine engsten Familienmitglieder und Freunde. Nicht immer ideologisch. Ich streite mich viel mit einigen meiner Freunde, sogar mit meinem Vater, und wir sind uns nicht einig darüber, wie die politische Lösung aussehen sollte, wer den Konflikt ausgelöst hat und so weiter. Aber zumindest erkennen sie an, dass dies eine sehr authentische und echte Beziehung ist, die etwas Gutes zwischen den beiden Völkern bewirkt. Andere Menschen in größeren Kreisen sind mit der ganzen Sache offensichtlich überhaupt nicht einverstanden. Aber das wirklich Wichtige ist für mich, die Unterstützung meiner engsten Zirkel zu haben.
R. S.: Auch meine engste Familie unterstützt mich in dem, was ich tue, und das gibt mir Kraft. Aber andere, sogar aus meiner erweiterten Familie, sind nicht einverstanden. Sie sehen es möglicherweise als Normalisierung, aber ich kann das nachvollziehen. Auch unsere Aktivisten sind mit dieser Art von Kritik und Widerstand konfrontiert. Aber allein die Tatsache, dass wir Teil einer gleichgesinnten Gemeinschaft sind, ermutigt uns weiterzumachen. Wir glauben, dass der Weg, den wir gewählt haben, uns zu einem nachhaltigeren Frieden führen wird. Das bedeutet nicht, dass alle anderen unrecht haben und wir recht.
Manche Leute sind der Ansicht, dass Sie durch die gemeinsame Gedenkfeier für die Opfer des Konflikts auf beiden Seiten die Verteidiger Israels mit Terroristen gleichsetzen.
E. K.: Wir konzentrieren uns auf die zivilen Opfer des Konflikts. Das bedeutet nicht, dass wir alle ausschließen, die jemanden verloren haben, der Soldat war oder sogar Mitglied der Hamas oder Fatah oder einer anderen Gruppe, die auf Gewalt setzt. Letztendlich sind sowohl diejenigen, die mit jemandem sprechen, der einen Angehörigen durch den Konflikt verloren hat, als auch diejenigen, die bei der Gedenkfeier über ihren Verlust sprechen, offensichtlich für Gewaltlosigkeit und Versöhnung – und dafür, des Verlusts zu gedenken. Selbst wenn ihr Sohn sich für Gewalt entschieden hat, beschreiten sie einen anderen Weg, wenn sie sich entschließen, bei unserer Gedenkfeier zu sprechen. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass bei der Gedenkfeier jemand von palästinensischer Seite dabei war, der einen Angehörigen bei einem Terroranschlag verloren hat.
Würden Sie sagen, dass Gewaltlosigkeit immer die richtige Lösung ist?
E. K.: Wir konzentrieren uns auf den Konflikt vor Ort und haben dazu eine sehr klare Meinung. Wir erleben seit fast 80 Jahren immer wieder, dass Gewalt uns nicht weiterbringt; wir sollten gewaltfreie Mittel einsetzen, um ihn zu lösen. Aber wenn Sie mich nach anderen Konflikten in der Welt fragen, ob zum Beispiel die Ukraine ihre Armee auflösen und Russland einfach ihr Territorium besetzen lassen sollte, bin ich mir nicht einmal sicher, ob wir uns alle über die Antwort einig wären. Meiner Meinung nach sollte man überall auf der Welt alles tun, um einen aufkommenden Machtkonflikt auf politische Weise zu lösen, indem man Liebe statt Hass lehrt. Und wenn es zu Gewalt kommt, dann kommt es eben zu Gewalt. Aber jedes Land, jede Armee sollte sich vergewissern, dass sie alles getan hat, um dies zu vermeiden.
R. S.: Ich denke, hier ist die Situation anders, weil wir unter Besatzung leben. Sobald wir einen unabhängigen palästinensischen Staat haben, brauchen wir vielleicht eine Armee zur Verteidigung und Sicherheit. In jedem Land ist es legitim, sich gegen Angriffe von außen zu schützen. Das bedeutet aber nicht, dass ich Gewalt oder Kriege in irgendeiner Weise befürworte. Derzeit erleben wir eine stark militarisierte Gesellschaft. Überall in Jerusalem sieht man beispielsweise Bewaffnete. Vor ein paar Monaten hatte ich einen Passierschein, und wir konnten mit den Kindern in den Zoo gehen. Am Eingang stand eine israelische Familie, und der Vater trug eine Waffe. So etwas ist beängstigend, genauso wie in einen Bus einzusteigen und einen anderen Fahrgast mit einer Waffe einsteigen zu sehen. Das wirkt sich konkret auf die Gesellschaft aus und darauf, was wir unseren Kindern beibringen. Es gibt Generationen der Angst.
Mit Blick auf Ihre Erfahrungen, was wäre Ihre Botschaft an unsere Leserschaft?
E. K.: Seit Jahrtausenden wird darüber debattiert, ob es so etwas wie einen guten Soldaten gibt. Ich halte es für sehr wichtig, sich vor Augen zu halten, dass sie in erster Linie dazu da sind, Zivilisten zu schützen.
R. S.: Es ist wichtig, dass sie sich daran erinnern, warum sie diese Entscheidung getroffen haben. Wenn junge Israelis den Wehrdienst verweigern und stattdessen ins Gefängnis gehen, weil sie nicht Teil eines Unterdrückungssystems sein wollen, sehen wir als Palästinenser das als einen mutigen Schritt. Aber es ist ein ganz anderer Kontext. Vielleicht ist es in Deutschland eine Ehre, dem Land zu dienen und Zivilisten zu schützen. Es geht einfach nur darum, nicht seine Menschlichkeit zu verlieren, ob in Uniform oder ohne – das ist alles.
Rana, Eszter, vielen Dank für das Interview.
[1] Palestinian-Israeli Pulse 2024; Kobi Michael, What Can We Learn From the Public Opinion Polls in Palestinian Society? INSS Insight, 12. Nov. 2024.