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Resiliente Soldatenfamilien: Herausforderungen und Chancen in der Zeitenwende

Aktuelle Entwicklungen

Mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hat sich die weltweite Sicherheitslage schlagartig verändert. Seither wird tagtäglich über flüchtende, verwundete und getötete Menschen, Zerstörung, militärische Offensiven oder die Bedeutung von Waffenlieferungen berichtet. Das dazugehörige Bildmaterial ist selbst für Erwachsene nur schwer auszuhalten. Andererseits scheinen wir uns an den nahen Krieg zu gewöhnen und reagieren nur noch bei Superlativen des Schreckens wirklich emotional.

Für die Bundeswehr heißt es jetzt, dass ihre Kernaufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung wieder in den Vordergrund rücken. Das bringt neue Herausforderungen für Soldatenfamilien mit sich. Denn Soldaten und Soldatinnen müssen beispielsweise im Rahmen von NRF (NATO Response Force) und VJTF (Very high Readiness Joint Task Force) im Verteidigungsfall binnen sehr kurzer Zeit (etwa zwischen 48 bis 72 Stunden) einsatzbereit sein. Was für spezielle Einheiten schon immer unabdingbar war, wird nun für sehr viel mehr Menschen Realität. Knapp 17.000 Soldaten und Soldatinnen werden sich allein für 2023 mit ihren Partnern und Partnerinnen, Kindern und Angehörigen darauf vorbereiten müssen, im Ernstfall diesem Auftrag umgehend nachzukommen.[1] Dadurch muss präventiv wieder neu die Frage gestellt werden, was diese Veränderung für Beziehungen, aber auch für die körperliche und seelische Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten und die ihrer Angehörigen bedeuten kann, um sie effektiv unterstützen zu können. Langfristig werden nämlich keinerlei Sorgen oder Ängste abgebaut, wenn sie unterdrückt und verschwiegen werden. Auch dann nicht, wenn sich die Betroffenen schlicht zu verschonen suchen. Denn zahlreiche Kinder und Jugendliche haben zum Beispiel in Kitas und Schulen Kontakt mit geflüchteten Kindern, die Furchtbares erlebt haben. Noch immer sind Kinder zudem medial den Bildern und Meldungen aus Kriegsgebieten ausgesetzt, die sie aber im Gegensatz zu Erwachsenen nur sehr viel eingeschränkter ausblenden können. Darüber hinaus stellt sich für die Soldaten und Soldatinnen unmittelbar die Frage, wie viel Beachtung den Ängsten und Bedenken in ihren Familien mit Blick auf eigene Einsatzszenarien oder einen möglichen „Kaltstart“mit nur sehr kurzer Vorbereitunggeschenkt werden muss. Und für welche Themen benötigen sie jetzt schon angemessene Hilfestellung im Psychosozialen Netzwerk der Bundeswehr, insbesondere von der Militärseelsorge, im Lebenskundlichen Unterricht (LKU), in Sozialdienst/-beratung oder Familienbetreuungseinrichtungen?[2] Was brauchen also jene, die die Auswirkungen dieser Zeitenwende daheim mittragen müssen – und zu denen neben Familien aktiver Soldaten und Soldatinnen auch die von Reservisten und Reservistinnen oder von zivilen Angestellten gehören?

Familienresilienz – Kraftquellen in herausfordernden Zeiten

Familienresilienz muss unter zweierlei Gesichtspunkten betrachtet werden: Die Förderung der Widerstandsfähigkeit und die Belastbarkeit der Familie an sich (Familienresilienz) sowie der einzelnen Familienmitglieder (individuelle Resilienz). Beide bedingen sich reziprok. Aus präventiver Perspektive sind für die Familienresilienz zunächst drei grundlegende Säulen elementar:

  • Erstens eine verlässliche Entschiedenheit des Paares füreinander und die daraus resultierende Überzeugung, bei Herausforderungen gemeinsam einen Sinn finden zu können. Diese Überzeugung wird getragen durch gemeinsame Werte, wie beispielsweise Religiosität und Spiritualität, aber auch durch Erfahrungswerte, dass Probleme und Erschütterungen zusammen besser bewältigt werden können.
  • Zweitens die Verbundenheit durch verlässliche Organisationsmuster als Paar und Familie sowie die Flexibilität, diese – wenn nötig – verändern und anpassen zu können. Der Aktivierung und dem Erhalt von sozialen Ressourcen kommt dabei eine wichtige Unterstützungsfunktion zu. Zu nennen ist hier die Pflege von Freundschaften und der unterstützende Kontakt zu Verwandten.
  • Drittens eine gelingende Kommunikation und gemeinsame Problemlösekompetenzen als familiale Schlüsselprozesse. Dafür ist eine zu erringende Klarheit der Partner voreinander unabdingbar, durch einen regelmäßigen Austausch von Ängsten und Befürchtungen einerseits sowie von Hoffnungen und Erwartungen andererseits.

Der konstruktiven Artikulation von Ängsten und Erwartungen kommt aus Sicht der Familienresilienz also eine Schlüsselfunktion zu. Davon abgeleitet gilt es nämlich neben einer grundlegenden Vergewisserung gemeinsam Konsequenzen zu ziehen, um die Belastungen zu minimieren oder mindestens gegenseitig anzuerkennen sowie Lösungsansätze umzusetzen. Das erfordert, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen und auch als Vorbild zu fungieren, insbesondere für Kinder.[3] Resilienzförderung bedeutet also für Partnerschaft und Familie, sich gegenseitig Freiraum zu schaffen, damit Gefühle – immer wieder neu – geschützt zum Ausdruck gebracht werden können.

Zu den zentralen Faktoren, die insbesondere die Resilienz von Soldatenfamilien stärken, gehören damit neben den bereits genannten Säulen weitere Aspekte, die es nachfolgend genauer zu erläutern gilt. Zu nennen sind hier konstruktive und zugewandte, gemeinsame Zeit zu planen und miteinander zu verbringen[4] (1), dauerhaft – auch über Entfernungszeiten hinweg – im Gespräch zu bleiben (2), sich aktiv gegenseitig das Gefühl der Verlässlichkeit zu vermitteln – und nicht nur vorauszusetzen (3), sowie die Sinnhaftigkeit und die Nachvollziehbarkeit der Herausforderungen des (Soldaten-)Berufs, welche für die Familie von Bedeutung sind, immer wieder neu füreinander zu klären (4). Denn die genannten Aspekte können durch die Bedingungen und Anforderungen der beruflichen Herausforderungen als Soldat und Soldatin im Umkehrschluss andernfalls eine eigene, negative Dynamik entwickeln, die die Verwundbarkeit stärkt und die Familienresilienz explizit zu schwächen vermag. So stehen möglicherweise zahlreiche dienstlich bedingte Abwesenheiten (etwa durch Übungen, Lehrgänge, Einsätze) der elementaren Notwendigkeit entgegen, Zeit vor Ort miteinander verbringen zu können. Ebenso verhält es sich mit dem damit verbundenen Pendeln und der Lebenszeit, die im wahrsten Sinn auf der Straße oder auf Schienen verbracht wird. Dauerhaft eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten, etwa im Einsatz, durch Fahrten auf See oder wegen spezieller Übungen, belasten den wichtigen Austausch und die Vernetzung in Partnerschaft und Familie langfristig.[5] Können dagegen die einzelnen Mitglieder in schwierigen Zeiten aufeinander zählen, seien sie vor Ort oder auch örtlich getrennt, lassen sich Herausforderungen und Krisen besser bewältigen. Damit werden nicht nur die Familienresilienz und mit ihr die Beziehungsqualität gestärkt, sondern auch jede und jeder Einzelne für sich kann widerstandsfähiger werden.

Für die Stärkung der individuellen Resilienz von Kindern und Jugendlichen ist die Vorbildfunktion von Eltern und anderen Bezugspersonen aus dem sozialen Umfeld nicht zu unterschätzen. Die Art und Weise, wie diese mit schwierigen Situationen und Themen umgehen, gibt den Heranwachsenden entscheidende Orientierung und zeigt Handlungsstrategien auf. Durch ihr Verhalten können Erwachsene dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche im besten Fall positive Verhaltensweisen übernehmen und ihre eigenen Fähigkeiten stärken. So trägt beispielsweise, um ein vermeintlich banales Beispiel zu nennen, schon die Vermittlung, dass nicht immer alle Dinge perfekt laufen können, dazu bei, Rückschläge besser meistern zu lernen. Zudem kann so unrealistischem Perfektionismus vorgebeugt werden.[6] Liegt doch ein wichtiger Teilaspekt der Resilienzkompetenz von Familien auch darin begründet, Veränderbares zu gestalten und Unveränderbares annehmen zu lernen.

Die genannten Aspekte gilt es nun nochmals auf ihre Bedeutung für Soldatenfamilien konkreter zu beleuchten.

(1) Gemeinsame Zeit – für starke Soldatenfamilien

Die Beziehungen innerhalb einer Familie werden durch gemeinsam verbrachte, konstruktive und zugewandte Zeit gestärkt. Wer wertschätzend Zeit miteinander plant und verbringt, sich in Aktion und Interaktion befindet, entwickelt eine sichere und positive Bindung. Dazu gehört, sich gegenseitig zu unterstützen und emotionalen Beistand zu leisten, gerade in herausfordernden Zeiten. Für Kinder sind stabile emotionale Beziehungen zu unterstützenden Erwachsenen ein elementarer Faktor für die Resilienzentwicklung. Das können die Eltern, im Abwesenheitsfall aber auch andere verlässliche und enge Bezugspersonen sein. Im Idealfall fühlen sie sich innerhalb des Familiensystems sicher, geborgen und geliebt, werden unterstützt und in ihrem Handeln ermutigt.[7]

Viele Soldaten und Soldatinnen führen zeitweise oder regelmäßig eine Fernbeziehung mit ihren Partnern, Partnerinnen, ihren Familien und ihrem Freundeskreis. Sie gehen in Einsätze, auf Übungen und Lehrgänge oder haben ihren Dienstort in einer anderen Stadt als ihr soziales Umfeld. Hinzu können örtliche Versetzungen kommen, die wiederum mit einem Neuanfang und dem Verlust des sozialen Umfelds vor Ort einhergehen können. So ist das Zeitfenster, in dem Soldatenfamilien Zeit am gemeinsamen Lebensmittelpunkt verbringen können, in vielen Lebensphasen stark begrenzt. Der Wunsch nach Spontanität muss für sie oft einer langfristigen Planung weichen, die Halt verleiht, aber wenig Raum für unerwartete Entwicklungen lässt. Umso mehr gilt es für Soldatenfamilien, Zeitfenster für Partnerschaft und Familie verlässlich einzuplanen und auch kreativ Wege zu finden, vielfältig miteinander in Verbindung zu kommen. Um Möglichkeiten des Beisammenseins zu schaffen bzw. die zur Verfügung stehende Zeit als gehaltvolle quality time zu nutzen, ist es erforderlich, alle zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen. Dabei ist jeder bewusst zusammen verbrachte Moment wertvoll (auch über digitale Medien); selbst kurze Interaktionen und Gesten tragen dazu bei, die Verbundenheit innerhalb der Familie zu stärken und das Wohlbefinden der einzelnen Familienmitglieder zu fördern.[8] Speziell für die Resilienz von Kindern und Jugendlichen ist es wichtig, dass der häufig abwesende Elternteil zugewandt und möglichst auch einzeln exklusive Zeit mit ihnen verbringt. Dadurch haben Heranwachsende die Möglichkeit, sich mit Vater oder Mutter auszutauschen, etwa über Ereignisse und die dadurch ausgelösten Gefühle, aber verlässlich ebenso ohne unmittelbaren Anlass. Idealerweise findet sich ein Ritual, wie und wo diese gemeinsamen Momente geteilt werden können. Gemeinsame Aktivitäten helfen zudem nach schwierigen Ereignissen oder langen Phasen der Abwesenheit, wieder mehr Vertrautheit herzustellen und neu zueinanderzufinden. Für Kinder bis ins Grundschulalter ist es bedeutsam, dass sie die Nähe ihrer Eltern über Sinneseindrücke sowie Gefühle, etwa über Gesten und Mimik, wahrnehmen können. Ältere Kinder und insbesondere Jugendliche verbringen zwar einen großen Teil ihres Alltags außerhalb der Familie. Dennoch wünschen sich die meisten auch Zeit, um als Familie etwas zusammen zu unternehmen. Wenn es phasenweise auf Grund der Umstände nicht möglich ist, ausreichende Zeitfenster für jedes Familienmitglied zur Verfügung zu haben, trägt es spürbar zu einer stabilen Familienresilienz bei, Perspektiven zu schaffen und gemeinsame Zukunftspläne zu entwickeln, wie etwa das nächste verlängerte Wochenende, einen gemeinsamen Urlaub sowie absehbar gemeinsame Aktivitäten zu planen.[9]

(2) Im Gespräch bleiben – Vertrauen schaffen, Konflikte lösen

Eine resiliente Basis entsteht, wenn Familienmitglieder ehrlich miteinander kommunizieren können. In dieser Atmosphäre sollen Freuden geteilt, aber dürfen und müssen auch negative Gedanken, Gefühle und Probleme angesprochen werden können. Der offene Umgang damit fördert das gegenseitige Verständnis innerhalb der Familie. Er ebnet den Weg für die Entwicklung gemeinsamer Strategien zur guten Bewältigung herausfordernder Situationen und macht handlungsfähig. Dies ist besonders dann wichtig, wenn Kinder sich etwa für den Beruf ihrer Eltern rechtfertigen oder mit Aussagen über die Bundeswehr und deren Aufgaben umgehen müssen.

In Zeiten spezieller und teils neuer Bedrohungslagen für Soldatenfamilien, aber auch bei persönlichen und familiären Belastungen braucht es den Mut, dies in Worte fassen zu lernen und die eigenen damit verbundenen Gefühle zu benennen

Um als Soldatenfamilie ins Gespräch zu kommen – und es zu bleiben –, muss auch der inhaltliche Dialog berücksichtigt werden: Worum geht es im gemeinsamen Austausch? Sind wir als Familie in der Lage, über unangenehme oder schwierige Themen zu sprechen? Und wie können wir dafür einen entspannten Rahmen schaffen? In Zeiten spezieller und teils neuer Bedrohungslagen für Soldatenfamilien, (klima-)politischer und gesellschaftlicher Herausforderungen, aber auch bei persönlichen und familiären Belastungen braucht es den Mut, dies in Worte fassen zu lernen und die eigenen damit verbundenen Gefühle zu benennen. Kinder und Jugendliche machen so die Erfahrung: „Es ist wichtig und bereichernd, über das, was mich beschäftigt, zu reden – und ich darf es auch!“ Selbst wenn gerade Jugendliche aus den vielfältigsten Gründen nicht immer mit ihren Eltern sprechen möchten, gilt es für die Bezugspersonen dennoch, immer wieder unaufdringlich Gesprächsbereitschaft zu signalisieren und wach für Gelegenheiten zu bleiben: „Wenn du reden möchtest, bin ich für dich da!“[10]

Angemessene Worte zu finden, um als Paar und auch mit Kindern über konfliktbeladene oder unterschiedlich bewertete Themen zu sprechen, ist nicht immer leicht. Kinder und Jugendliche in Soldatenfamilien stellen teils sehr spezifische Fragen in Bezug auf mögliche Bedrohung, sinnhafte militärische Einsätze (nicht erst seit dem Abzug aus Afghanistan), persönliche Opferbereitschaft, aber auch zu möglichen Gefährdungen („Was kann dir da passieren?“). Dazu sollten Eltern und Partner auskunftsfähig sein, mindestens über eigene Positionen. Deshalb ist es nach wie vor von großer Bedeutung, dass Kindern in Soldatenfamilien Raum gegeben wird, ihre Eindrücke, Fragen und Ängste in Bezug auf den Krieg (in der Ukraine) und andere Konflikte zu äußern. Ihre Sorgen müssen auch nach so langer Zeit des Konflikts ernst genommen und ihre Fragen so gut wie möglich beantwortet werden. Akzeptieren müssen wir aber auch, dass es Momente und Ereignisse gibt, die uns – Erwachsene und Kinder – angesichts des sinnlosen Leids sprach-los machen oder zurücklassen können. Eigene Grenzen einzugestehen und anzunehmen sind ebenfalls wichtige Teilaspekte familialer Resilienz.[11]

Es ist nach wie vor von großer Bedeutung, dass Kindern in Soldatenfamilien Raum gegeben wird, ihre Eindrücke, Fragen und Ängste in Bezug auf den Krieg (in der Ukraine) und andere Konflikte zu äußern

Exkurs: Mögliche Ängste und Bedrohungen von Soldatenfamilien
Drei Kategorien der Angst seien hier knapp aufgezeigt, mit denen Soldatenfamilien aufgrund der Rahmenbedingungen des Soldatenberufs besonders konfrontiert sein können. Zum einen sind das körperliche (physische) Bedrohungen, etwa die Angst vor Tod oder Verwundung. Aktuelle Ereignisse oder die tagesaktuelle Nachrichtenlage in den Medien verstärken diese Ängste gerade bisweilen enorm.[12] Der neue Schwerpunkt der Bundeswehr in der Bündnis- und Landesverteidigung wird hierzu eine offene Diskussion über mögliche Szenarien und die dafür notwendige Unterstützung von Soldatenfamilien erforderlich machen. Eine zweite Kategorie möglicher Ängste ist damit eng verbunden: seelische (psychische) Bedrohungen. Hierzu gehört beispielsweise die Angst vor Veränderungen der Persönlichkeit, vor moralischer Verwundung bzw. einer möglichen Traumatisierung, aber auch die Befürchtung eines Burnouts und die Sorge, bedingt durch schwer zu verarbeitende Erlebnisse etwa während der Einsatzzeit oder bei einsatzgleichen Verwendungen zu erkranken.[13]Eine dritte Hauptkategorie darf keinesfalls unerwähnt bleiben: soziale Bedrohungen.Typisch ist die Angst vor negativer Beeinflussung von Partnerschaft, Familie oder Freundeskreis sowie die generelle Angst vor den Auswirkungen des langen Getrenntseins.[14] Besonders sind hier Herausforderungen und Belastungen einer langfristigen oder regelmäßigen Fernbeziehung zu nennen.[15] Selbstredend überschneiden sich diese drei Kategorien in Inhalt und Auswirkung. Und alle Ängste betreffen auf unterschiedliche Weise sowohl die Soldatinnen und Soldaten als auch die Angehörigen daheim – und ebenso die Begleitenden im Psychosozialen Netzwerk der Bundeswehr. Auch sie haben (Herkunfts-)Familien, Beziehungen und wichtige Menschen, die für ihr gesundes Sozialleben unersetzlich sind.[16] Kinder erleben und bewältigen die oben angedeuteten Herausforderungen dabei oft anders – je nach Alter und Lebenssituation. Ihre Emotionen, Reaktionen und Verhaltensweisen sowie ihre Verlustangst lassen sich nicht mit denen Erwachsener vergleichen. Sie brauchen daher präventive und begleitende Unterstützung, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.

(3) Verlässlichkeit – Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit stärken

Ein Gesichtspunkt im Kontext familialer Resilienz für Soldatenfamilien ist die Verlässlichkeit. Partner und Partnerinnen, Kinder und Jugendliche, die darauf vertrauen können, von ihrem Gegenüber oder den Eltern bzw. weiteren Bezugspersonen bedingungslos unterstützt zu werden, können so ihr Selbstvertrauen und ihre Selbstwirksamkeit steigern. Sie lernen, dass ihre Bedürfnisse ernst genommen werden.[17] Verlässlichkeit erfahren Paare, Kinder und Jugendliche aus Soldatenfamilien beispielsweise während einer Fernbeziehung, wenn der oder die Abwesende sowie die Angehörigen zu Hause sich regelmäßig als verbunden erweisen und trotz Distanz in Alltag und Krise so gut wie möglich Kontakt halten.[18] „Du hältst mir den Rücken frei während meiner Abwesenheit“ ist ein häufig gebrauchtes Bild in diesem Kontext. Wichtig ist aber, dass sich die Unterstützung und die Wertschätzung immer als gegenseitig erweisen.

(4) Sinnhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit – Basis für Verständnis und Veränderungsbereitschaft

Wer sich darüber im Klaren ist, warum und wofür etwas vor sich geht oder auszuhalten ist (wie etwa ein Umzug, ein Einsatz oder eine Übung, aber auch die Bedrohungslage als Soldat und Soldatin), ist eher in der Lage, mit den damit verbundenen Belastungen umzugehen oder Unabänderliches zu akzeptieren. Die Gründe nachvollziehen zu können, hilft sowohl Kindern als auch Erwachsenen, die eigene Einstellung immer wieder neu anzupassen. Im Kontext der Bundeswehr betrifft dieser Faktor der Resilienz Fragen wie: Warum bin ich Soldat/Soldatin? Warum bin ich bereit, die Herausforderungen, Belastungen und Entbehrungen, die dieser Beruf mit sich bringt, zu ertragen oder mitzutragen? Hierzu immer wieder aufs Neue Antworten für sich selbst zu erringen, ist für Soldatenfamilien nicht einfach, aber elementar. Nur so kann man auch gegenüber dem sozialen Umfeld auskunftsfähig bleiben.[19]

Abschließend bleibt bei alledem wichtig zu betonen, dass die genannten Aspekte, die für die Resilienz von Paaren und Soldatenfamilien so wesentlich sind, keinesfalls nur Belastungen darstellen, sondern auch herausragende Erfahrungsschätze und wertvolle Entwicklungspotenziale entfalten, an denen die Beziehungen und Persönlichkeiten wachsen können.[20]

Wie Unterstützung von Soldatenfamilien gelingen kann

Die Soldaten und Soldatinnen leisten einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes, was vor dem aktuellen Hintergrund (Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg) vermehrt positiv wahrgenommen wird. Sie nehmen, um diesem Auftrag nachzukommen – oft ein Berufsleben lang –, viele Herausforderungen auch für Partnerschaft und Familie auf sich. Soldatenfamilien müssen in der Lage sein, die vielfältigen Herausforderungen für die Vereinbarkeit von Familie und Dienst gut zu bewältigen, um langfristig als Paar und Familie stabil und widerstandsfähig zu bleiben. Um ihre individuelle, aber insbesondere auch ihre familiale Resilienz passgenau stärken zu können, brauchen sie das Wissen um und den Zugang zu Ressourcen, die mit den spezifischen Anforderungen dieses Berufs vertraut sind.

Hilfreich können dafür Unterstützungsmöglichkeiten durch das Psychosoziale Netzwerk der Bundeswehr (PSN) sein. Eine Vielzahl von bundeswehrinternen und -externen Organisationen bieten zudem im Netzwerk der Hilfe spezielle Unterstützungs- und Beratungsangebote für Soldaten, Soldatinnen und ihre Angehörigen an.[21] Deren Angebote gilt es nun aber aktiv deutlich bekannter zu machen, damit die Betroffenen Hilfe nicht suchen müssen, sondern bestenfalls schon in noch unbelasteten Phasen darum wissen. Neben den Entwicklungen, welche die Bundeswehr selbst betreffen, sind für eine belastbare Familienresilienz auch familiäre Veränderungen zu berücksichtigen: darunter Herausforderungen durch unterschiedliche Familienmodelle, aber auch normativ-biografische Wenden und Krisen im Lebenslauf als Paar, die sich im ungünstigen Fall in Scheidungsquoten widerspiegeln.[22] Insbesondere aber die bereits mehrfach angesprochenen Unsicherheiten, die aus der Zeitenwende resultieren, werden neue Chancen, aber auch Fragen, Belastungen, Ängste und Sorgen für Soldatenfamilien mit sich bringen. Sie dabei widerstandsfähig zu machen und zu halten, kann nur gelingen, wenn Unterstützungsinitiativen sich vernetzten, zusammenarbeiten und ihre Kompetenzen und Angebote den Familien bekannt machen.

Das Psychosoziale Netzwerk und in ihm insbesondere die Militärseelsorge hat ein hoch präventives Potenzial für die Stärkung der Paar- und Familienresilienz, indem – neben der grundlegenden seelsorglichen Begleitung in allen Lebenslagen – Formate für geschützten Austausch angeboten werden, die durch Vernetzung soziale Ressourcen stärken und wertvollen Erfahrungsaustausch fördern. Schließlich bieten vielfältige seelsorgliche bzw. religiöse, spirituelle oder auch gemeinschaftliche Formate, insbesondere bei Intensivveranstaltungen wie Familienwochenenden, Raum für Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Teilnehmer und Teilnehmerinnen (vgl. Gaudium et spes 48).

Sich die Verletzlichkeit von Leib und Seele grundlegend bewusst zu machen, ist wichtiger Bestandteil des Menschen- und Soldatenbilds und hat daher seinen Platz im Curriculum des Lebenskundlichen Unterrichts

In diesem Kontext ist auch die seit über zwanzig Jahren bestehende Kooperation der Katholischen Militärseelsorge mit dem Zentralinstitut für Ehe und Familie in der Gesellschaft (ZFG) der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt zu nennen.[23] Zugleich gilt es jene Soldatinnen und Soldaten im Zusammenwirken mit Fachleuten des PSN zu unterstützen, die hoch belastet sind, weil sie Erlebnisse und Bilder nicht verarbeiten können und beispielsweise mit Verwundung, Tod, Traumatisierung oder Schusswaffengebrauch direkt oder indirekt konfrontiert waren. Von herausragender Bedeutung sind dabei unter anderem das Psychotraumazentrum der Bundeswehr in Berlin oder das wichtige ökumenische Seelsorgeprojekt ASEM unter der Leitung der evangelischen Militärseelsorge. Sich die Verletzlichkeit von Leib und Seele grundlegend bewusst zu machen, ist zudem wichtiger Bestandteil des Menschen- und Soldatenbilds und hat daher seinen Platz im Curriculum des Lebenskundlichen Unterrichts (LKU). Hier können wesentliche Grundlagen der individuellen und der familialen Resilienz gestärkt werden.

Seit 2002 besteht eine intensive Kooperation der Katholischen Militärseelsorge mit dem Zentralinstitut für Ehe und Familie in der Gesellschaft (ZFG)der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Durch diese Zusammenarbeit sind u. a. passgenau Praxisinitiativen und Publikationen für Soldatenfamilien, Paare und speziell für Kinder entwickelt worden. Diese zeigen Strategien auf, wie die speziellen Herausforderungen, Entbehrungen und Belastungen gemindert und gemeistert werden können.

Im Kontext Pendeln und Fernbeziehungen sind das z. B. die Publikationen Gelingende Fern-Beziehung. Entfernt zusammen wachsen und Soldat im Einsatz – Partnerschaft im Einsatz sowie die Broschüre Zusammen schaffen wir das! Speziell für Kinder bis ins Grundschulalter ist die Kinderbuchreihe des ZFGs entstanden mit Titeln wie Jonas wartet aufs Wochenende, Mamas/Papas Auslandseinsatz und Wie Papa wieder lachen lernt. Alle Publikationen sind für Bundeswehrangehörige kostenlos beim Katholischen Militärpfarramt erhältlich.[24]

 

 


[1] Vgl. Manthey, Florian (2022): Jahr der Zeitenwende: Verteidigung im Fokus. www.bmvg.de/de/themen/dossiers/die-nato-staerke-und-dialog/vjtf-speerspitze-der-nato (Stand: 18. April 2023); Krone, Alexander (2023): Fragen und Antworten zur VJTF. www.bundeswehr.de/de/aktuelles/meldungen/vjtf-speerspitze-schnelle-nato-eingreiftruppe (Stand: 21.April 2023).

[2] Vgl. Wendl, Peter, Puhl-Regler, Peggy und Hoff-Ressel, Alexandra (2023): In Worte fassen, was Angst macht: mit Kindern (noch immer) über den Krieg reden. In: Christ in der Gegenwart. Freiburg, S. 5 f.

[3] Vgl. Fröhlich-Gildhoff, Klaus und Rönnau-Böse, Maike (2021): Resilienz in Familien, In: dies.: Menschen stärken. Resilienzförderung in verschiedenen Lebensbereichen. Wiesbaden, S. 43. Sowie exemplarisch dies. (2003): Family resilience: a framework for clinical practice. In: Family Process 42, S.1 ff.

[4] Dies meint nicht ausschließlich Aktivität! Es kann sehr wohl auch Passivität im wertschätzenden und zugewandten „Nichtstun“ bedeuten.

[5] Siehe hierzu Wendl, Peter (62019): Soldat im Einsatz – Partnerschaft im Einsatz. Praxis- und Arbeitsbuch für Paare und Familien in Auslandseinsatz und Wochenendbeziehung. Freiburg.

[6] Vgl. Fröhlich-Gildhoff, Klaus und Rönnau-Böse, Maike (2021), s. Endnote 3, S. 45f.

[7] Vgl. ebd., S. 44.

[8] Siehe hierzu Zentralinstitut für Ehe und Familie in der Gesellschaft (2022): Zusammen schaffen wir das! Informationen, Hilfen und Flyer für Eltern, Kitas und Schulen rund um Auslandseinsatz und Wochenendbeziehung. Eichstätt.

[9] Vgl. Puhl-Regler, Peggy (2016): Ängste von Kindern. Präventive und begleitende Maßnahmen für Einsatzzeit und Grundbetrieb. edoc.ku.de/id/eprint/19931/. (Stand 20. April 2023).

[10] Vgl. Puhl-Regler, Peggy, Ressel, Alexandra und Wendl, Peter (2022): Mit Kindern über den Krieg reden: Was Kinder brauchen und Eltern wissen sollten. Eichstätt, S. 1 ff.

[11] Vgl. Wendl, Peter, Puhl-Regler, Peggy und Hoff-Ressel, Alexandra (2023): s. Endnote 2; Berndt, Christina (2013): Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. München, S. 67 ff, S. 82 ff.

[12] Vgl. Wendl, Peter (62019): s. Endnote 5, S. 47 ff.

[13] Vgl. dazu die vom Psychotraumazentrum der Bundeswehr am Bundeswehrkrankenhaus Berlin herausgegebenen Broschüren: „Wenn der Einsatz noch nachwirkt…“ sowie „Wenn der Einsatz nicht endet…“.

[14] Vgl. Wendl, Peter (92021): Gelingende Fernbeziehung: entfernt – zusammen – wachsen, Freiburg, S. 32 ff.

[15] Vgl. Wendl, Peter (62019): 100 Fragen, die Ihre Beziehung retten, München, S.142 ff.

[16] Vgl. Wendl, Peter (2010): Psychohygiene von Militärseelsorgern: ein „Resilienz-Routenplaner“ – Spiritualität – und psychische Widerstandsfähigkeit im Kontext von Auslandseinsätzen stärken; ders. (2016): Was Militärseelsorger* bewegt: Reflexion – Selbstkonzept – Perspektive.

[17] Vgl. Krenz, Armin (2008): Kinder brauchen Seelenproviant. Was wir ihnen für ein glückliches Leben mitgeben können. München, S. 132 ff:

[18] Vgl. Zentralinstitut für Ehe und Familie in der Gesellschaft (2022): s. Endnote 8.

[19] Vgl. Wendl, Peter (62019): s. Endnote 5, S. 49 ff.

[20] Siehe zu den geschilderten Aspekten der Familienresilienz bei Soldatenfamilien: Wendl, Peter (62019): s. Endnote 5, S. 49ff.

[21] Im Postkartenheft des Netzwerks der Hilfe findet sich eine Übersicht über bundeswehrinterne und -externe Unterstützungsangebote für Soldatenfamilien. Das Heft ist unter der DSK-Nummer FF328220248 bundeswehrintern erhältlich.

[22] Vgl. dazu grundlegend Wendl, Peter (62019), s. Endnote 15.

[23] Siehe hierzu die vertiefenden Informationen im folgenden Informationskasten.

[24] Weiterführende Informationen zur Kooperation und den damit verbundenen Publikationen sind auf der Seite www.ku.de/zfg zu finden.

Zusammenfassung

Peggy Puhl-Regler

Peggy Puhl-Regler ist Diplom-Pädagogin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Ehe und Familie (ZFG). Im Rahmen der Kooperation mit der Katholischen Militärseelsorge beschäftigt sie sich mit dem Familienleben unter besonderen Bedingungen, u. a. mit Ängsten von Kindern aus Soldatenfamilien. Sie ist vertreten in unterschiedlichen Gremien, darunter die AG3 „PTBS“ des Netzwerks der Hilfe des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg).

Alexandra Hoff-Ressel

Alexandra Hoff-Ressel ist Diplom-Pädagogin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Ehe und Familie (ZFG). Im Rahmen der Kooperation mit der Katholischen Militärseelsorge beschäftigt sie sich mit der Lebenswirklichkeit von Soldatenfamilien, insbesondere aus Perspektive der Kinder und Jugendlichen. Zudem ist sie in verschiedenen Gremien vertreten, u. a. in der AG2 „Familie und Dienst“ des Netzwerks der Hilfe des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg).

Dr. Peter Wendl

Dr. Peter Wendl ist Diplom-Theologe, Einzel-, Paar- und Familientherapeut sowie Traumafachberater. Er arbeitet als wissenschaftlicher Projektleiter am ZFG und verantwortet seit 2002 die unbefristete Kooperation mit der Katholischen Militärseelsorge. Seither hat er über 350 Paar- und Familienseminare durchgeführt – meist in Zusammenarbeit der Katholischen Militärseelsorge und für die Deutsche Bundeswehr. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu Partnerschaft, Familie und Erziehung, insbesondere zu Soldatenfamilien.  

peter.wendl@ku.de

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Desinformation und Desinformationsresilienz
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