Zum Hauptinhalt springen

„Ich möchte Vorbild sein“: Porträt von Björn Baggesen

Vom 9. bis 16. September 2023 finden in Düsseldorf die Invictus Games statt. Fregattenkapitän Björn Baggesen hat vergangenes Jahr in Den Haag als Athlet daran teilgenommen. Ethik und Militär hat seine persönliche „Resilienz-Geschichte“ über Sport als Therapie und die Bedeutung der Spiele aufgezeichnet.

Samstag, der 13. Mai 2023, 7.30 Uhr. Durch die Biathlonarena in Oberhof/Thüringen hallen laute Beats. Knapp 7000 Läuferinnen und Läufer drängeln sich in ihre Startblöcke. Mittendrin Fregattenkapitän Björn Baggesen und seine Frau Grit, die auf ihr Startsignal wartet. Eigentlich wollten die beiden heute, beim 50. Rennsteiglauf, zusammen den Halbmarathon absolvieren – aber das ist eine längere Geschichte. Um sie zu verstehen, müssen wir ein paar Jahre in die Vergangenheit zurückgehen.

Der Unfall

Am 17. August 2016, dem Tag, der sein Leben in ein Davor und Danach einteilt, ist Björn Baggesen mit dem Rennrad in der Nähe seines Wohnorts in Ostfriesland unterwegs. Triathlontraining, das bedeutet Tempo und Tunnelblick. Weil der Wind ihn auf die regennasse Landstraße drückt, orientiert er sich am Bordstein. Den am Straßenrand parkenden Mercedes erkennt er viel zu spät. Mit rund 35 km/h rast er in den Heckspoiler. Kurz sieht er sich noch auf der Straße liegen, dann verliert er das Bewusstsein.

Als er wieder aufwacht, liegt er mit einer „komplexen Mittelgesichtsfraktur“, also Brüchen an Wangen- und Augenhöhlenknochen, im Krankenhaus Sande. Auch der 12. Brustwirbel ist gebrochen. Der Arzt nimmt kein Blatt vor den Mund: „Die gute Nachricht ist: Sie haben überlebt.“ Was zugleich bedeutet, dass die Prognose für seine zukünftige Leistungsfähigkeit überschaubar ist. Man wird ihn wieder so weit hinbekommen – aber mehr als sechs Kilometer laufen sei in Zukunft nicht drin, da ist sich der Arzt sicher.

Zuerst sei er mental ziemlich am Boden gewesen, erzählt Baggesen. Im ersten Augenblick habe er sich gedacht: „Das war’s wohl. Was machst du jetzt?“ Vor einem hat er besonders Angst: blind zu werden. Er ist überglücklich, als er das erste Mal wieder durch seine zugeschwollenen Augen sehen kann. Und es dauert nicht lange, bis ihm die Aussage des Arztes zu pessimistisch erscheint. „Ich habe das nicht geglaubt“, erzählt er. „Nicht ich, ich schaff das.“

Aber diese Überzeugung wird in den nächsten Monaten erst einmal auf die Probe gestellt. Allein im August 2016 hat er drei Operationen. Er wird ins Bundeswehrkrankenhaus Hamburg verlegt, wo man seine Wirbelsäule stabilisiert, seine zertrümmerte Augen-Nasen-Partie wiederherstellt und in einer Not-OP einen gefährlich nah an den linken Sehnerv gewanderten Knochensplitter entfernt.

Baggesen erzählt nicht viel über diese Zeit. Man kann nur ahnen, wie es ihm ging. Er ist dankbar, dass er seinen Dienstposten behält; aber an eine Bordverwendungsfähigkeit ist vorerst nicht zu denken. Er resigniert nicht, aber wie kann er vorwärtskommen? In Wilhelmshaven, wo er als Kommandant der Besatzung BRAVO auf der Fregatte 125 stationiert ist, sucht er bei der Leiterin des Sanitätsdienstes der Einsatzflottille 2 Rat. Und sie hat eine Idee: Warendorf, die Sporttherapie an der Sportschule der Bundeswehr in Nordrhein-Westfalen – das könnte für ihn genau der richtige Ansatz sein.

Sie soll recht behalten: In Warendorf findet Björn Baggesen in Oberstarzt Dr. Andreas Lison, dem Leiter der Sportmedizin, nicht nur jemanden, der seine Leidenschaft für Ausdauersport teilt. Sondern auch einen Arzt und Betreuer, der ihn in seiner positiven Haltung bestätigt. „Das mit den sechs Kilometern vergiss mal. Du siehst ja ganz gut aus“, habe Dr. Lison zu ihm gesagt. Mit zwei Titanstäben und neun mehrere Zentimeter langen Schrauben im Rücken wird er im November 2016 ins Sporttherapie-Programm aufgenommen.

Prinzip Fördern und Fordern

Seine Trainingsgruppe ist ein „gemischter Haufen“, wie er es nennt. Und das hat in Warendorf Methode. Weil jeder andere Beschwerden hat, wird mit jedem individuell gearbeitet. Genau das sieht Baggesen als Vorteil: dass sich die gesamte Gruppe nicht nur auf ein Problem wie die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) fixiert. Einerseits habe jeder „seinen Sack zu tragen“. Andererseits säßen alle im selben Boot, können sich gegenseitig unterstützen und verschiedene Perspektiven einbringen. Sichtbarer Ausdruck dieser Situation: Alle tragen Sportkleidung – Uniformen und Rangabzeichen gibt es hier nicht.

Auf eines legt Baggesen besonderen Wert: In der Therapie gehe es nicht drum, das eigene Schicksal oder das der Kameraden zu beweinen. „Mitleid ist da völlig fehl am Platz“, sagt er. Wer so auftrete, könne eigentlich gleich wieder nach Hause gehen. Stattdessen geht der Blick nach vorn, weg von den eigenen Einschränkungen und hin auf das, was jeder erreichen möchte und kann. „Du wirst dir wohl ein neues Rennrad kaufen müssen“, habe Dr. Lison zu ihm gesagt – das alte sei schließlich nicht mehr zu gebrauchen.

In Warendorf nutzt er das breite Sportangebot, tauscht sich mit seinen Betreuern aus, schreibt mit ihnen Trainingspläne. Wie in einem guten Führungsprozess legen die mit ihren Patienten individuelle Ziele fest, sportliche genauso wie mentale oder Ernährungsvorgaben; alles kann wichtig sein. Auch Baggesen unterschreibt seine erste Zielvereinbarung, um seine Leistungsfähigkeit zu stärken und sich auf die anstehenden OPs vorzubereiten. „In drei Monaten“, steht darin, „will ich in meinem Trainingstagebuch einen persönlichen Punktestand von mindestens 25.000 Punkten erreichen.“ Dafür muss er regelmäßig Kraft- und Fitnessübungen absolvieren. Außerdem verpflichtet er sich, im kommenden halben Jahr mindestens 2,5 kg abzunehmen.

Schon in Warendorf, aber vor allem zu Hause, in den drei Monaten zwischen den sportmedizinischen Leistungschecks, geht die Arbeit los. Ernährung umstellen, Sportprogramm absolvieren, Trainingsstand dokumentieren. Und dranbleiben. „Man bekommt ein Tool an die Hand, das man für sich nutzen kann“, sagt Baggesen. Aber es bedeute auch persönliche Härte. Natürlich würden Ziele daraufhin überprüft, ob sie realistisch sind. „Aber wenn jemand dauerhaft seine Vorgaben nicht erfüllt, dann ist er irgendwann draußen.“ Er hat es selbst erlebt, dass ein Kamerad deshalb aus der Gruppe ausscheidet.

Doch bei Björn Baggesen hat es „im Kopf klick gemacht“, wie er sagt. Die Therapie nimmt all das, was er mitbringt, auf – seinen sportlichen Ehrgeiz und seine Überzeugung, mehr schaffen zu können, als ihm andere zutrauen. Vor allem aber gibt sie dem Ganzen einen Rahmen; er bekommt fachlichen Rat und das nötige Zutrauen. Regelmäßig liegt er über seinen Zielvereinbarungen, wird schnell fit.

Schon im Juni 2017, der Unfall liegt kein Jahr zurück, absolviert er seinen ersten Triathlon

Schon im Juni 2017, der Unfall liegt kein Jahr zurück, absolviert er seinen ersten Triathlon. Als er in Lübeck am Start steht, hat er noch die Stabilisatoren im Rücken. Glücklicherweise habe er damit nie Schmerzen gehabt, sagt er. Aber schon bald darauf muss er wieder unters Messer: Die Metallteile werden entfernt. Insgesamt elf Mal wird er operiert. Trotzdem trainiert er weiter und macht einen Wettkampf nach dem anderen – 2018 sogar einen 70,3 Ironman auf Rügen; mittlerweile arbeitet er beim Marinekommando in Rostock. Zuvor hat er einen anderen wichtigen Meilenstein erreicht: Bereits seit Januar 2018 ist er wieder bordverwendungsfähig, kann als Kommandant der DELTA-Besatzung auf seinen Dienstposten zurückkehren. Wieder als Vorbild vor der Mannschaft zu stehen, zu zeigen, dass man zurückkommen kann – das habe ihn motiviert, erzählt Baggesen. Aber er ist sich sicher: „Ohne Dr. Lison hätte ich das alles nicht geschafft.“

Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann

2019, er ist gerade wieder zur Leistungsdiagnostik in Warendorf, sprechen ihn seine Betreuer der Gruppe Sporttherapie an: Willst du nicht bei den Invictus Games in Den Haag mitmachen?

Erst einmal müssen sie ihm erklären, worum es bei den Spielen geht. Er hat noch nie davon gehört. Und lehnt spontan ab: Er sei schließlich kein Einsatzgeschädigter, da gäbe es doch bestimmt geeignetere Kandidaten? Aber man gibt ihm zu verstehen, dass es so nicht läuft. Gerade ihn, der seine Reha so konsequent absolviert hat, will man am Start sehen. Auch als Ansporn für andere.

Dann beginnt eine lange Durststrecke. Wegen der Corona-Pandemie werden die Spiele zweimal verschoben. Vor allem aber kann er sich nicht gut vorbereiten. Mittlerweile hat er sich aus privaten Gründen auf einen Referentenposten im Verteidigungsministerium nach Berlin versetzen lassen. Die Bedingungen aus Rostock, das gewohnte Schwimmbad vor der Haustür und die Laufstrecke um die Ecke, all das fehlt hier. 2022, als die Spiele in Den Haag endlich stattfinden können, fährt er zusammen mit rund 20 Athleten und dem Betreuerteam in die Niederlande, um Deutschland vom 16. bis 22. April bei den Invictus Games zu vertreten. Aber er war schon mal deutlich besser in Form.

Trotzdem könnte es für Björn Baggesen bei den Invictus Games sportlich nicht besser laufen. Beim Radrennen und beim Schwimmen erreicht er jeweils das Finale; im Becken schafft er 50 m Freistil in 31 Sekunden und 100 m in 1:18 Minuten – das sind sogar neue persönliche Bestzeiten.

Und nur darauf komme es bei den Spielen am Ende an, sagt er: dass jeder sein Bestes gebe oder es zumindest ernsthaft versuche. Wer am Ende auf welchem Platz oder wo im Medaillenspiegel lande, sei unerheblich. Natürlich sind die Spiele ein Wettkampf – „aber am Ende stehen alle erhobenen Hauptes da“. Weil sie sich alles abverlangt haben. Weil sie sich und anderen gezeigt haben, wozu sie fähig sind. Egal ob es drei Meter oder sechs Meter beim Weitsprung sind.

So erlebt er in Den Haag vieles, was er schon aus der Sporttherapie kennt, in konzentrierter Form. Der Stolz auf die eigene Leistung. Die Freude über die Leistung anderer. Die gegenseitige Unterstützung. Die Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander. Dem einen fehlt vielleicht ein Arm, dem anderen beide Beine. Na und? „Dann ist das halt so“, sagt Baggesen. Und kann dann doch nicht weiterreden, als er von David erzählt, dem beidseitig bis knapp unter die Hüfte beinamputierten US-Soldaten. Wie gut und schnell der schwamm. Wie stolz die neben ihm sitzenden Eltern gewesen seien. Wie sie geweint hätten, als er ihnen einen Coin, eine Art Erinnerungsplakette, schenkt. „Ich hätte nicht gedacht, dass mich das emotional so verhaftet“, erzählt er.

Vor allem ist er froh, dass er sich damals nicht gegen die Teilnahme gesträubt hat. Er hätte vieles verpasst. Die Bestätigung, dass das Mentale das Wichtigste ist. Die Begegnungen mit dem Schirmherrn Prinz Harry und seiner Frau Meghan, die sich unter die Athleten mischen und sich auch für die Begleiter interessieren. „Absolut authentisch und charismatisch“, findet Björn Baggesen.

Bei den Invictus Games zählt weniger die Leidensgeschichte als das, was man erreichen will und kann

Hier, bei den Invictus Games, zählt weniger die Leidensgeschichte als das, was man erreichen will und kann. Wer nicht selbst betroffen sei, für den sei das möglicherweise schwierig zu verstehen, räumt Björn Baggesen ein. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – gehören die Spiele und die damit verbundenen Themen für ihn in die Bundeswehr, in die Politik, in die Öffentlichkeit. Dass manche, die für ihr Land in Einsätze gehen, nicht heil wieder zurückkommen. Dass es so viele Rehabilitations- und Therapieangebote gibt, von denen er selbst profitiert hat. „Ich hoffe, dass die Invictus Games nachhaltig wirken“, sagt Baggesen. Ob das Motto jetzt „A Home for Respect“ oder sonst wie heißt, spielt für ihn keine Rolle. Etwas anderes erscheint ihm viel wichtiger: dass dieses „Home“ auch dann noch offen bleibt, wenn die Invictus Games wieder vorbei sind.

Als Team funktionieren

Dass die Sporttherapie und die Spiele auch für ihn ein Lernprozess waren, gibt er zu. Gerade mit der PTBS-Symptomatik habe er sich schwergetan. Einmal gibt es bei den Invictus Games einen lauten Knall; ein Plakat ist umgefallen. „Da sind sofort zwei Leute in Deckung gegangen“, erzählt er. „Aber dann nimmt man sie zur Seite und sagt: Alles okay, kann ich dir helfen?“ Selbst bei der Eröffnungsfeier und der Closing Ceremony, wo laut geklatscht wird, seien Therapeuten dabei. Wie schwer es sein muss, mit solchen Symptomen und Ängsten auf einem Dienstposten wieder Fuß zu fassen, ist ihm mittlerweile klar geworden. „Und wenn dann da jemand steht, der so strukturiert ist wie ich früher, und sagt: Jammer nicht so rum, mach erst mal deinen Dienst? Ich glaube, so einfach ist das nicht.“

Nicht zu vergessen die „Family & Friends“, wie es in der Sprache der Invictus Games heißt. Das ganze private Umfeld der Traumatisierten und Versehrten, das mache schließlich am meisten durch. Die Ehepartner, aber auch die Kinder, die oft zurückstecken müssen und dadurch selbst Ängste entwickeln können. Björn Baggesen weiß das auch aus den Erzählungen seiner Frau Grit, die selbst als Traumapädagogin und auch in Seelsorgeprojekten wie ASEM (Arbeitsfeld Seelsorge für unter Einsatz- und Dienstfolgen leidende Menschen) arbeitet und mit solchen Sekundärtraumatisierungen vertraut ist. „Die Familien allein können es unmöglich schaffen“, sagt sie. Statt gut gemeinter Ratschläge bräuchten sie Unterstützung, Luft zum Atmen – und Anerkennung. Wie bei den Invictus Games, wo auch die Angehörigen und Begleiter gewürdigt werden, oder beim Empfang im Verteidigungsministerium im April 2023, wo Boris Pistorius alle mit einem Coin bedachte, die Athleten und ihre Familien. Beiden hat dieser Termin etwas bedeutet.

Auch die Betroffenen müssten begreifen, dass sie keine Einzelkämpfer sind, sagt Björn Baggesen

Auch die Betroffenen müssten begreifen, dass sie keine Einzelkämpfer sind, sagt Björn Baggesen. Weder dürfe man sich nur noch auf seinen Sport fokussieren und alles andere vernachlässigen, noch dürfe man sein Umfeld dazu missbrauchen, einen ständig zu motivieren oder zu ertragen. In seiner ersten Zeit in Berlin, als er nicht trainieren konnte, sei er in ein Loch gefallen und sogar ein bisschen krank geworden. Seine Frau habe ihn da wieder rausgeholt, habe ihm Tipps gegeben, neue Routinen aufzubauen. Mittlerweile hat er sich angewöhnt, gleich nach dem Aufstehen um 5.30 Uhr Stabilitätsübungen mit Liegestützen und Yoga-Elementen zu machen. Spaß mache ihm das keinen, sagt er – aber ohne die morgendliche Schinderei bekomme er nach ein paar Tagen die Quittung.

Damit nicht immer nur einer im Fokus steht, haben sich Björn und Grit Baggesen etwas ausgedacht, das sie scherzhaft „Lose-lose-Situation“ nennen. Regelmäßig plant einer der beiden irgendetwas Außergewöhnliches, setzt ein sportliches Ziel, das beide herausfordert. So hat Grit, selbst Leistungssportlerin und langjähriges Mitglied des Apnoe-Nationalteams, vergangenes Jahr eine Finnlandreise organisiert. Eistauchen unter einem zugefrorenen See, 20 Meter in 4 Grad kaltem Wasser, von einem selbst gebohrten Loch zum anderen. Allein die Vorbereitung sei für ihn der Horror gewesen, erzählt Björn Baggesen. Aber er hat sich auch da durchgebissen. Vergangenes Jahr hat er sich mit einem olympischen Triathlon am Werbellinsee revanchiert. So ist auch die Idee entstanden, dieses Jahr gemeinsam beim Halbmarathon über den Rennsteig anzutreten.

Fünf Tage Intensivstation

Am 26. April 2023, kurz vor dem Lauf, ist die zwölfte OP angesetzt. Ein letzter Eingriff an Nasenneben- und Stirnhöhlen, eher eine kleine Sache im Vergleich zu dem, was er bereits hinter sich hat. Doch es gibt Komplikationen, seine Sauerstoffwerte verschlechtern sich plötzlich. Offenbar ist Wasser in die Lunge gelangt. Auf Drängen seiner Frau verlegt man ihn auf die Intensivstation, schließt ihn wie einen Covid-Patienten ans Beatmungsgerät an. Die Ärzte sind sich nicht sicher, ob er überleben wird. Am ersten Abend, erzählt Grit Baggesen, habe man ihr gesagt, es könnte „knapp werden“ in dieser Nacht.

Doch es geht gut. Baggesen kann nach fünf Tagen die Intensivstation verlassen. Und ist eine Woche darauf sogar schon fit genug, um seine Frau zum Rennsteiglauf zu begleiten. „Lauf für mich mit“, hat er zu ihr gesagt. „Verzichte nicht drauf, sonst dreht sich wieder alles nur um mich.“

Beim Rennsteiglauf am 13. Mai ist Björn Baggesen mittlerweile in Schmiedefeld angekommen, um Grit nach dem Halbmarathon in Empfang zu nehmen. Auf dem zum Zielbereich umfunktionierten Sportplatz herrscht Volksfestatmosphäre, es riecht nach Bratwurst und Bier. Als sie sich zwischen Tausenden müden, verschwitzten Läufern und Zuschauern finden, nimmt er seine Frau, die heute mit 2:17 Stunden ihre persönliche Bestzeit gelaufen ist, in den Arm. Es ist eine Win-win-Situation.

 

Neue Herausforderung

Fregattenkapitän Björn Baggesen und seine Frau Grit am 13. Mai 2023 beim Start zum Rennsteiglauf in Thüringen. Obwohl sich beide immer wieder gemeinsame sportliche Ziele setzen, kann diesmal nur sie teilnehmen. Dass er sie überhaupt zu dem Halbmarathon begleiten kann, war vor einer Woche noch nicht abzusehen.

Einschneidendes Ereignis

Björn Baggesen im August 2016 im Krankenhaus in Ostfriesland. Obwohl er in den folgenden Jahren durch die Sporttherapie und die Unterstützung der Bundeswehr wieder rehabilitiert wird, sieht er den Radunfall als einen entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben. Nicht in dem Sinne, dass danach alles anders wurde – sondern dass er viel bewusster über seinen persönlichen Lebensweg und die Ziele, die er sich setzt, nachdenkt.

Wieder auf der Bahn

Bereits 2017 ist Baggesen durch die Therapie an der Sportschule in Warendorf wieder so in Form, dass er einen Triathlon absolvieren kann. Das Bild zeigt ihn bei einem späteren Wettkampf im Jahr 2018 in Lübeck. Das Hinarbeiten auf realistische sportliche Ziele, das Austesten der eigenen Grenzen war und ist für ihn ein wesentlicher Faktor in der Genesung. Es dürfe aber nicht in Verbissenheit ausarten.

Trophäensammlung

Vom Nordsee Man bis zum Ironman: Die Jahre 2017 bis 2019 werden für Baggesen eine sportlich sehr aktive Zeit. In Rostock, wo er von 2018 bis 2021 beim Marinekommando stationiert ist, findet er ideale Trainingsbedingungen vor. Die Plaketten dokumentieren eine Auswahl der Lauf- und Triathlonwettbewerbe, an denen er in dieser Zeit teilnimmt.  

Training für den Tag X

An der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf findet nicht nur das Sporttherapieprogramm, sondern auch das vorbereitende Training für die Invictus Games statt. Die Spiele in Den Haag, für die Baggesen wegen seiner erfolgreichen Teilnahme an der Therapie nominiert wird, sollen ursprünglich 2020 stattfinden, müssen wegen der Pandemie aber zweimal abgesagt werden.

Invictus Games: Finale!

Bei den Invictus Games sind die Athleten je nach Grad der körperlichen Einschränkung in drei Klassen eingeteilt. Björn Baggesen geht in seiner Klasse sowohl beim Radfahren als auch beim Schwimmen an den Start. Obwohl er nicht optimal vorbereitet ist, erreicht er Bestzeiten.

Miteinander statt gegeneinander

Bei den Schwimmwettkämpfen in Den Haag wird kurzfristig ein Staffelwettbewerb angesetzt. Das Bild zeigt Björn Baggesen (l.) mit seinen Teamkameraden in der Schwimmhalle. Auf Platzierungen komme es nicht an, sagt er – wichtig sei einzig und allein, dass jeder und jede an diesem Tag sein Bestes gibt.

Flagge zeigen

Deutschland bei den Spielen zu vertreten, hat Björn Baggesen zusätzlich motiviert. Man startet einerseits für sich selbst, andererseits für das eigene Land – „da muss auch die Haltung stimmen“. Selbst wenn es am Ende weniger auf den Medaillenspiegel ankommt.

Unvergessliche Begegnung

Mit David (l.), dem beidseitig beinamputierten Irak-Veteranen, verbindet Björn Baggesen eines der aufwühlendsten Erlebnisse bei den Invictus Games. In der Schwimmhalle, erzählt seine Frau Grit, werden die zum Teil schwersten Verletzungen erst sichtbar. Von den zehn Stunden, die sie dort verbracht hat, habe sie mindesten neun Stunden Tränen in den Augen gehabt.

Nahbarer Schirmherr

Prinz Harry (M.), der die Spiele 2014 ins Leben gerufen hat, und seine Frau Meghan nehmen ihre Aufgabe ernst. Sie sind bei den Sportlern und ihren Familien, fragen nach, hören zu. Björn Baggesen, hier mit seinem Teamkameraden Carsten Stephan (r.), hat mehrfach Gelegenheit, mit beiden zu sprechen. „Now it makes sense to me“, sagt Harry, als er sich später mit Grit Baggesen unterhält und erfährt, dass sie mit Björn verheiratet ist.

Dabei sein ist alles

Björn und Grit Baggesen vor der Namenstafel in Den Haag. Hier sind alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer verewigt; nicht nur die Aktiven, sondern auch die Familienmitglieder und Freunde, die sie begleiten. Dass das Umfeld der Verletzten und Traumatisierten nicht vergessen wird, das häufig so viel auffängt und aushalten muss, halten beide aus eigener Erfahrung für extrem wichtig.

Kalte Füße? Von wegen

Es muss nicht immer Triathlon sein: 2022 sind Björn und Grit Baggesen nach Finnland gereist – nicht ohne eine Challenge, versteht sich. Die Vorbereitung auf das Streckentauchen im eiskalten Wasser habe ihm bislang die größten „mentalen Schmerzen“ zugefügt, sagt Björn. Umso besser fühle man sich, wenn man auch solche selbst gestellten Aufgaben gemeinsam bewältige. 

Anerkennung von höchster Stelle

Beim Empfang im Bundesverteidigungsministerium zu den diesjährigen Invictus Games in Düsseldorf waren auch die letztjährigen Teammitglieder und Begleiter eingeladen. Björn und Grit Baggesen haben sich über die nachträgliche Ehrung gefreut. Der Coin von Verteidigungsminister Boris Pistorius liegt auf Björn Baggesens Schreibtisch im BMVg.

Gemeinsame Sache

Am Ziel: Grit Baggesen mit Björn und der gemeinsamen Freundin Evelyn (l.) nach dem Rennsteiglauf. Dass Grit ihren Halbmarathon in Bestzeit absolviert hat, ist ein Grund zur Freude. Ein noch größerer, dass sie nach Björns letzter Operation, die ihn fast das Leben gekostet hätte, hier zusammen im Ziel stehen.