Resilienz ist gerade in aller Munde: von der Klimaresilienz bis hin zu resilienten Strukturen in der Verwaltung.[1] Resilienter werden für die nächste Krise – so heißt das Motto.[2] Resilienz scheint die Antwort auf den beständigen Krisenmodus unserer Gegenwart zu sein.
Wie bei vielen anderen populären Konzepten handelt es sich letztendlich um einen Containerbegriff, der mit sehr vielen unterschiedlichen Agenden von diversen Seiten angefüllt wird. Erst vor dem Hintergrund konkreter Resilienzmaßnahmen treten aber schließlich doch die differierenden Konzeptionen zutage. Baut man einen Damm gegen den steigenden Meeresspiegel oder „bewegt“ man die vom Ansteigen des Meeresspiegels betroffenen Menschen zur Umsiedelung? Wird im ersten Fall eine kurzfristige technische Lösung in Betracht gezogen, so im zweiten eine langfristige, umfassendere Anpassung. Wie steht es um die Haltung der Betroffenen und wie um die allgemeine Politik zum Thema?
Vor allem die Ethik ist herausgefordert, Fragen der zugrunde liegenden Normativität zu klären. Zu vermeiden ist dabei das Einführen weiterer unklarer Begriffe und Konzepte. Ein Verweis auf mehr oder minder naheliegende wie Freiheit, Menschenwürde und so weiter legt die im Resilienzdiskurs inhärenten Maßstäbe nicht offen, sondern auf der Agenda stehen dann (nur) wiederum verdeckt unterschiedliche Stoßrichtungen.[3]
Dieser Beitrag soll daher grundlegend in den Resilienzbegriff einführen und gängige sowie tragfähige Differenzierungen erläutern. Anschließend soll das Verhältnis zur oft als Kontrapunkt zur Resilienz herangezogenen Vulnerabilität besprochen und die Verbindung zwischen Resilienz und Spiritualität einbezogen werden, um abschließend den Bogen bis hin zu einer Friedensspiritualität im Kontext von kriegerischen Auseinandersetzungen zu spannen.
Unterscheidungen, die zu einer (resilienten) Definition führen
Ganz grundsätzlich gilt es zu unterscheiden, ob man eher ein konservatives Verständnis von Resilienz (vergleichbar dem Zurückspringen in den Urzustand) oder ein kreatives (die damit einhergehende Transformation mitdenkend) zugrunde legt. Eine weitere eingängige und einflussreiche Unterscheidung hat der Soziologe Wolfgang Bonß unternommen, indem er zwischen einfacher und reflexiver Resilienz eine Grenze zog.[4] Erstere ist die Reaktion auf ein vergangenes Ereignis, die Letztere mobilisiert Ressourcen in Antizipation zukünftiger größerer und kleinerer Krisen, um für diese vorzusorgen. Selbstschutz und das Bedürfnis nach Persistenz, also dem Erhalt des Status quo, stehen bei der einfachen Resilienz im Vordergrund. Die reflexive Resilienz fokussiert hingegen auf eine produktivere, auf Lernen und Weiterentwicklung zielende Auseinandersetzung mit Störungen und Herausforderungen.
Im Grunde geht es immer wieder darum zu überlegen, ob die Stoßrichtung darin bestehen sollte, die Verhältnisse zu verändern, oder darin, zu den Ausgangsstrukturen zurückzukehren. Im zweiten Fall werden diese als implizit erhaltenswert angesehen, was eine erste normative Komponente bedeutet. Dies kann in den Materialwissenschaften durchaus die Zielrichtung der Resilienz sein (wenn eine Feder in ihren Ausgangszustand zurückspringt), in den großen und drängenden Fragen einer gesellschaftlichen sozial-ökologischen Transformation jedoch weniger.
Außerdem gilt es den Kreis der Adressat:innen klug zu unterscheiden. Wer soll resilient werden? Das Individuum oder die Gesellschaft oder die Strukturen? Beispielsweise wird in einem psychologischen Diskurs – diese Disziplin hat sehr viel zum Resilienzverständnis beigetragen – meist das Individuum fokussiert: Wie wird man in psychischer Hinsicht in Krisen und in Problemkonstellationen widerstandsfähig? Was hilft individuell in der Krisenbewältigung? In der ökosystemtheoretischen Debatte jedoch ist eher ein ökologisches System im Blick: Durch welche Maßnahmen lassen sich Wälder am besten an steigende Temperaturen und die damit einhergehenden Folgen anpassen?
Schließlich sieht man, dass die Disziplinen mit einem jeweils unterschiedlichen Resilienzverständnis arbeiten. So ist beispielsweise in moralpsychologischer Perspektive mit Sautermeister die Rolle begünstigender und beeinträchtigender Faktoren zu betonen: „Als variable und dynamische Prozessgröße ist Resilienz vieldimensional und abhängig von situationsspezifischen und biografischen Faktoren. Aufgrund der Wechselwirkungen von Vulnerabilitäts-, Risiko- und Schutzfaktoren ist eine lineare Ableitung von Resilienz nicht möglich.“[5]
Relevant ist dies für den gesellschaftlichen Resilienzdiskurs insofern, als vor einem möglichen Fallstrick gewarnt werden muss: die Resilienzbemühungen zu sehr auf der individuellen Ebene anzusiedeln und darüber die fundamentale Transformation der Gesellschaft zu vergessen. Die Verantwortung und Last der Krisenbewältigung lediglich der oder dem Einzelnen aufzubürden, wird in der Krise des Klimawandels zu sozialen Verwerfungen führen oder die Ursachenbekämpfung, also die Hinwendung zu einer klimafreundlichen, nachhaltigen Lebensweise und ein entsprechendes Wirtschaftssystem, möglicherweise sogar konterkarieren.
Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Unter Resilienz kann einerseits Stabilität (Persistenz) verstanden werden; man denke an die einfache Widerstandsfähigkeit in den Materialwissenschaften. Andererseits fallen darunter auch Anpassungsstrategien (Adaptionen, zum Beispiel in der Klimafolgenforschung, wie das Pflanzen von hitzeresistenten Bäumen). Nicht zu vergessen ist als dritter Punkt aber in der hier vertretenen Auffassung von Resilienz die Frage nach der Transformation, also die vollständige Verwandlung, die neben dem Individuum auch die Gesellschaft als Gesamtheit betrifft. So kann man auf einer möglichen Skala der Resilienzbestrebungen von der Problem- bis zur Lösungsorientierung das ganze Spektrum möglicher Maßnahmen einordnen. Resilienz in meinem Verständnis müsste alle drei Dimensionen umfassen.
Von der Anpassung (des Individuums) zur Transformation (der Gesellschaft)
Mir geht es in diesem Nachdenken über Resilienz vor allem auch darum, zeitgenössische sozialwissenschaftliche Theorieansätze in der Diskussion fruchtbar zu machen. Besonders der vom Soziologen Philipp Staab dargestellte Ansatz der Anpassung erscheint mir dabei lohnend, um den Resilienzdiskurs zu durchdenken.
Anpassung kann einerseits die Stabilisierung einer sozialen Ordnung, beispielsweise auch angesichts der Klimafolgen, bedeuten. Anpassung wird aber zugleich in der heutigen Gesellschaft, die sehr stark konsumorientiert ist, „als Affront gegen die verdiente Selbstentfaltung des Individuums begriffen“[6], wenn geforderte Anpassungsmaßnahmen den individuellen Lebensstil oder deren Selbstentfaltung beschneiden.
Mit dem Fokus auf Anpassung geht jedoch nicht nur die Gefahr einher, dass Individuen möglicherweise nicht „abgeholt werden“, sondern dass Antworten auf normative Fragen bereits grundlegend schon dadurch besetzt werden. Wenn Anpassung als Ziel ausgegeben wird, kann dies unter Umständen zur Folge haben, dass gar nicht mehr auf politischer und gesellschaftlicher Ebene um die grundlegende Veränderung der Strukturen und Systeme gerungen wird. Es geht dann mehr um Symptom- und weniger um Ursachenbekämpfung.
Zum Beispiel könnten ausschließlich unter dem Paradigma der Anpassung die Abwendung des Klimawandels und die Diskussion über seine Ursachen nicht mehr ausreichend erörtert werden. Verhinderungspraktiken, die beispielsweise den Klimawandel betreffen, scheinen nicht mehr angezeigt, wenn das Paradigma der Anpassung als Mitigation im Sinne einer reflexiven Resilienz zu einseitig bespielt wird. Deswegen darf Anpassung nur eine Dimension von Resilienz ausmachen. Und für die Verhinderung des weiteren Voranschreitens des Klimawandels müssen alle Maßnahmen in Betracht gezogen werden.
In der Ethik wird deshalb das Ineinandergreifen zwischen individual- und sozialethischem Zugang und näherhin organisationsethischen Prämissen, vornehmlich für Strukturfragen, bedacht. Damit reagiert sie auf die mit dem Resilienzstreben einhergehende Fokussierung auf die Anpassung. Diese findet, wie bereits dargestellt, zumeist im Rahmen schon bestehender Strukturen und Verhältnisse statt. Die Anpassungsleistung wird zugleich tendenziell im Verantwortungsbereich der je individuellen Ebene belassen. Deswegen muss im Rahmen von Resilienzfragen und -maßnahmen die Transformation – und dies vor allem auf gesellschaftlicher Ebene – unbedingt als Zielvorgabe beibehalten werden.
Dies setzt der Geograph Markus Keck im Sinne einer sozialen Resilienz um, die aus drei Komponenten besteht.[7] Zum Ersten aus der taktischen Resilienz, der Fähigkeit zur Bewältigung einer Krise. Zum Zweiten spricht Keck von einer strategischen Resilienz, die das Lernen aus vergangenen Krisen und die Anpassung an zukünftige Entwicklungen beinhaltet. Hinzu kommt als Drittes die transformative Resilienz, die Fähigkeit der Veränderung.
Zusammenhang mit dem Komplementärbegriff Vulnerabilität
Um den Resilienzbegriff im normativen Bereich zusätzlich zu unterfüttern, soll der gängige Komplementärbegriff der Vulnerabilität, der Verletzlichkeit (von lat. vulnus: Wunde, Verletzung), an dieser Stelle kurz skizziert und dann auf die Resilienzdimensionalisierung durchdacht werden. Oft wird Resilienz als Strategie zur Bewältigung von bzw. als Gegenpart für Vulnerabilität angeführt. Dies greift aber zu kurz, wie etwa die Konzeptualisierung des Deutschen Ethikrates in seinem Papier Vulnerabilität und Resilienz in der Krise – Ethische Kriterien für Entscheidungen in der Pandemie[8] deutlich macht.
Als geflügeltes Wort war die Vulnerabilität in der Krise der Pandemie in aller Munde, als die besonders vulnerablen Gruppen mit weitreichenden Schutzmaßnahmen belegt wurden. Neben dem damit verbundenen Appell zum besonderen Schutz darf dabei nicht übersehen werden, dass mit der Kennzeichnung einer Gruppe als vulnerabel eine gewisse Stigmatisierung einhergegangen ist.
Demgegenüber ist festzuhalten, dass Vulnerabilität ein allen Menschen gemeinsamer und unhintergehbarer Aspekt der conditio humana darstellt. „Sie dementiert jede Form von Überhöhung, die den Menschen zuallererst als autarkes Wesen deutet, das erst durch widrige Umstände in seiner Selbstgenügsamkeit und Stärke beeinträchtigt wird und nur dann auf solidarische Unterstützung angewiesen ist.“[9]
Physische Vulnerabilität ist für den Menschen als körperliches Wesen ein unhintergehbarer Fakt. Soziale und psychische Vulnerabilität kann sichtbar werden, wenn Anerkennung und Wertschätzung ausbleiben. Der Mensch wird nicht als der Vulnerabilität ausgeliefert verstanden, sondern als widerständig zu dieser. So wird Resilienz in der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates folgendermaßen normativ durchdacht: „Resilienz meint vielmehr die Kraft, inmitten der Situation der Verletzlichkeit und des konkreten Verletztseins mit den daraus resultierenden Herausforderungen so umzugehen, dass die Möglichkeit eines gelingenden Lebens offenbleibt oder durch die erhöhte Sensibilität für die Verletzlichkeiten und Stärken des Lebens sogar gesteigert werden kann.“[10]
Sind alle gleichursprünglich verletzlich, haben alle auch den gleichen Anspruch auf Solidarität und Gerechtigkeit
Wie die Vulnerabilität ist damit auch die Resilienz ein anthropologisches Datum. Es geht um die Selbsterhaltung des und der Menschen wie auch der Welt. Ohne den Willen zu dieser ist die Frage nach einer Resilienz auch nicht weiter zu stellen. Neben dieser Grundsatzannahme ist aber auch der Spur der Ausdeutung von Verletzlichkeit weiter nachzugehen. Die gemeinsame Verletzlichkeit als gesellschaftliches Band zu denken, ist in seinen Konsequenzen für den Zusammenhang zur Solidarität und in dem Verlangen nach gerechter Teilhabe nicht hoch genug einzuschätzen.[11] Sind alle gleichursprünglich verletzlich, haben alle auch den gleichen Anspruch auf Solidarität und Gerechtigkeit.
Aber nicht nur die menschliche Dimension von Verletzlichkeit wurde vom Deutschen Ethikrat herausgestellt, sondern auch die strukturelle Vulnerabilität wie auch Resilienz erörtert – vor allem angesichts der Corona-Krise. „Die Resilienz von Organisationen zeigt sich umgekehrt in ihrer adaptiven Kapazität. Situative Resilienz meint in diesem Zusammenhang den Umgang mit unerwarteten Ereignissen auf der Mikroebene (z. B. Patientenströme, Versorgungsengpässe), strukturelle Resilienz die Optimierung von Ressourcen und Praktiken auf der Mesoebene (zum Beispiel Anpassungen von Arbeitsabläufen, Personaleinsatz, Hygienekonzepten oder Kommunikationsprozessen) und systemische Resilienz längerfristige Veränderungen von Ressourcen und Praktiken auf der Makroebene (zum Beispiel durch administrative oder politische Entscheidungen).“[12]
Denkt man neben den Strukturen aber vor allem die anthropologischen Grundaussagen weiter und nimmt das Konzept der Resilienz ernst, so ist die Akzentuierung als responsive Resilienz durch Martin Schneider und Markus Vogt wegweisend. Bei allen Resilienzbemühungen braucht es doch und schlussendlich den Menschen, der auf dessen Anforderungen reagiert: “Wer resilient ist, verhält sich responsiv, er/sie antwortet auf etwas, auf einen anderen Menschen, auf eine Situation oder auf eine Entwicklung.“[13]
Dieses Konzept ist für die Fragen der Klimaforschung und näherhin der Umsetzung von Maßnahmen bedeutend, aber auch die Friedensethik könnte davon profitieren. Alexander Merkl stellt im Zusammendenken von Friedensethik und Resilienz die Frage, wie sich bisheriges Sicherheitsdenken durch neue Resilienzkonzepte verändert. Könnte mit Resilienz die Anpassung im Krisenfall – fast ist man schon versucht zu sagen, die einfache Resilienz – an die vermeintlich nicht zu ändernden Umstände eingeläutet werden? Ist mit Resilienz eher die Krisenprävention gemeint oder wird einer allzu schnellen Fortschrittsgläubigkeit das Wort geredet? Ist mit der Forderung nach Resilienz nur Symptom- oder auch Ursachenbekämpfung verbunden und intendiert?[14]
In diesem Beitrag soll es allerdings weniger um Fragen der Sicherheitsarchitektur gehen, sondern ein anderes Konzept mit Resilienz in Verbindung gebracht werden – nämlich Spiritualität und speziell Friedensspiritualität –, um damit den transformativen Anspruch des Friedensdiskurses zu begründen und zu untermauern.
Bereits im Zitat von Jochen Sautermeister ist angeklungen, dass eine einlinige Ableitung von der Spiritualität auf die Resilienz zu kurz greift. Wie auch schon die Verhältnisbestimmung zur Vulnerabilität nicht in einem einfachen Gegenüber gedacht werden darf, so ist auch die Resilienz nicht als Ausfluss einer wie auch immer gearteten Spiritualität zu verstehen.
Resilienz und Spiritualität
Denn nicht ins Oberflächliche und wenig Konkrete, sondern – genau umgekehrt – in die Tiefenstruktur soll es gehen, wenn der Konnex zwischen Resilienz und Spiritualität eröffnet wird. Spiritualität soll dabei als eine für den Resilienzdiskurs fruchtbare Größe nach vorne gebracht werden.
Nimmt man noch einmal auf die unterschiedlichen Definitionen von Resilienz Bezug, ist Spiritualität als transformative Kraft auf der Individualebene zu verorten. Natürlich wären hier unterschiedliche Formen von Spiritualität zu unterscheiden, was an dieser Stelle aber zu weit führt. Auch das schon bei der Resilienzdebatte monierte Verweilen auf der rein individuellen Ebene ist in diese Erörterung einzuführen.
So gilt es gerade bei der Verbindung zwischen Resilienz und Spiritualität die Strukturen in den Blick zu nehmen. Auf unterschiedliche Ebenen bezogen, kann dies bedeuten, zwischen Lösungen erster Ordnung (dem Dammbau angesichts des Anstiegs des Meeresspiegels) und denen zweiter Ordnung zu unterscheiden, was im Beispiel bedeuten würde, Gerechtigkeitsfragen global zu klären. Beiden Konzepten müssten die Strukturen ins Stammbuch geschrieben werden.
Mit Sautermeister kann zusammengefasst werden: „Eine moralpsychologisch ausgerichtete ethische Reflexion von Resilienz hat daher auch identitätsformende Prozesse der Selbstsorge, des Einübens und der Bildung, des existenziellen, moralischen und spirituellen Lernens und der Habitualisierung von entsprechenden Verhaltensweisen, Einstellungen und Lebensstilen zu berücksichtigen. Denn in ihnen macht der Mensch in seinem Ringen um Selbstgestaltung und Sinn ernst.“[15] Es wird also auf die dahinterliegenden Prozesse geblickt, um die Spiritualität gerade in ihrer Tiefendimension zu erfassen. Die gleiche Denkbewegung hat auch die Resilienz vollzogen. Nicht einfach die Angepasstheit, sondern die kreative Transformation anzustreben, lautet bei beiden die Devise.
Neben friedensethischen Fragen, wie der Frage nach dem gerechten Krieg bzw. Frieden, geht es der Spiritualität darum, diese lebensweltlich abstrakten Fragen auf einer persönlichen Ebene zu denken
Dies gilt meiner Meinung nach vor allem für eine in unseren Zeiten notwendige Friedensspiritualität. Neben friedensethischen Fragen, wie der Frage nach dem gerechten Krieg bzw. Frieden, geht es der Spiritualität darum, diese lebensweltlich abstrakten Fragen auf einer persönlichen Ebene zu denken. Merkl/Schlögl-Flierl 2022 haben auf diesen unhintergehbaren Konnex zwischen Spiritualität und Moraltheologie hingewiesen.[16] Heruntergebrochen vom Feld der (theologischen) Friedensethik auf die Friedensspiritualität kann formuliert werden, dass nur in der Durchdringung der Themen auch auf spiritueller Ebene die Transformation, die bei der Resilienz leitend ist, erreicht werden kann. Aber die Denkrichtung kann auch umgekehrt werden: Wie kann Spiritualität für eine Friedensethik impulsgebend sein? Dies soll nun zum einen grundlegend, zum anderen konkret angegangen werden.
Responsive Resilienz: Friedensspiritualität ausgehend von der Lehre des gerechten Friedens
Friedensspiritualität kann allzu leicht zu einer Routineübung verkommen und als solche wahrgenommen werden. Noch kurz eine Kerze anzünden … Noch schnell das Friedensgebet sprechen … Noch unverbindlich eine Friedensplakette ans Revers heften … Was kann man tun angesichts eines geopolitisch nahen, aber im Letzten doch lebensweltlich fernen Kriegs (außer natürlich man ist im Kontakt mit geflüchteten Personen) und als einzelne Person, die nicht unmittelbar betroffen ist?
Friedensspiritualität kann allzu leicht zu einer Routineübung verkommen und als solche wahrgenommen werden
Natürlich kann man jederzeit ein Gebet sprechen, aber erfährt man es als tiefgreifende Maßnahme oder eher als Ausweichmanöver, als eigene Sinnübung? Der Frieden in der Welt, der so brüchig geworden ist, wird an unterschiedlichen Stellen in der Eucharistiefeier thematisiert, doch dies fühlt sich in Zeiten eines geografisch nahen Krieges und geopolitischer Verwerfungen möglicherweise noch schaler als sonst an, wobei natürlich die diversen Kriege rund um den Globus nicht vergessen werden dürfen. In diesem Gefühl drückt sich die empfundene Ohnmacht aus, den Krieg mithilfe spiritueller Praxis ohnehin nicht beenden zu können. Schlussendlich muss man auch überlegen, wen man in das Gebet miteinschließt. Auch die Angreifer:innen?
Also was tun? Vielleicht kann der Friedensspiritualität mit Resilienz auf die Sprünge geholfen werden: Was bedeutet Friedensspiritualität unter den Auspizien des Resilienzgedankens? Dieser Frage möchte ich abschließend nachgehen. Weniger unterschiedliche Frömmigkeitspraxen sollen dabei betrachtet, sondern eher die Transformationswirkung zwischen beiden für die Spiritualität und Resilienz und näherhin Friedensspiritualität als verbindendes Element gesehen werden.
Ganz kurz sei an dieser Stelle auch konstatiert, dass nicht nur jede und jeder Einzelne, sondern auch die Machtvollen aus einer möglichen Hilflosigkeit geholt werden müssen. Das ist auch ein wahrnehmbarer Unterschied zwischen der Corona-Krise und dem immer noch andauernden Ukrainekrieg. Konnte man sich und andere in der Pandemie mit einfachen Maßnahmen schützen, die zugegebenermaßen von vielen auch als sehr gravierend empfunden wurden, so ist diese mehr oder minder als effektiv empfundene Aktivität für die Suche nach Frieden, wenn nur wenige Kilometer entfernt Krieg geführt wird, nicht möglich.
Was tun? Die Resilienz sei hier – und das sei noch einmal in Erinnerung gerufen – als responsive zu verstehen. Es geht darum, dass der Mensch sich antwortend auf das Geschehen verhält, also aktiv teilnimmt. Aber wie kann dies angesichts eines Krieges gelingen? Angesichts der nicht mehr abstrakten Vision, sondern der konkreten Realität? Nicht geleugnet werden soll, dass eine so verstandene spirituelle „Praxis“ in dieser komplexen Materie anstrengend ausfallen kann.
Drei Möglichkeiten bzw. Orte fallen mir dazu ein: Zum einen ist es an der Zeit, die Frage nach der Mitverantwortung und Verstrickung auch deutlich und öffentlich zu stellen. Wenn der beschriebene transformative Anspruch ernst genommen wird, ist es unumgänglich, die Perspektive zu weiten und den je eigenen Anteil zu reflektieren und zu benennen. Dabei geht es nicht nur um die Frage der vorherigen Politik, sondern in einer friedensspirituellen Perspektive um den eigenen Anteil, den eigenen Bias, der erst bewusst wahrgenommen werden muss, um damit ein allzu simples Freund-Feind-Schema zu konterkarieren: für sich, aber auch um immer wieder Anfragen an Politiker:innen zu stellen.
An welchen Anzeichen hätte man erkennen müssen oder können, dass der Krieg unweigerlich bevorsteht? Wie kann jegliche Form von Nationalismus überwunden werden? Welche Abhängigkeiten wurden in der Vergangenheit etabliert und befördert, die nun zu schwierigen Asymmetrien geführt haben? Einer Friedensspiritualität geht es genau um die Diskursvorbereitung dieses nicht einfachen Unterfangens. Aber die Blickrichtung sollte dabei nicht rückwärtsgewandt sein, sondern auf Lernen für die Zukunft abzielen.
Die zweite Möglichkeit zielt auf das zunehmende Abstumpfen im Zeichen und Zeiten von Krieg ab: Noch ist das World Press Foto des Jahres 2022 den Gräueln des Krieges gewidmet, personifiziert in einer tödlich getroffenen schwangeren Frau in Mariupol. Aber wie schnell wandert das öffentliche Interesse, aber auch die mediale Aufmerksamkeit zu einem anderen Thema. Nicht wenige werden feststellen, dass die Frage des Ukrainekrieges mit zunehmender Dauer die Gemüter und Herzen nicht mehr so sehr bewegt und erhitzt.
Spiritualität wird hier verstanden als ein Auf-dem-Weg-Sein, als Einüben einer kritischen Haltung und nicht das passive Erleiden oder Erdulden militärstrategischer Maßnahmen, die als nicht verhinderbar wahrgenommen werden. Friedensspiritualität wird in ihrer politischen Dimension stark gemacht. Eine achtsame und wache Rezeption des Mediendiskurses liegt damit ebenfalls auf dieser Linie. Im Sinne der responsiven Resilienz wäre zu formulieren: Es geht darum, sich immer wieder aufs Neue berühren lassen von den durchweg schrecklichen Nachrichten. Dies wäre eine mögliche friedensspirituelle Übung, die natürlich jede und jeder für sich täglich in die Tat umsetzen muss.
Drittens beinhaltet responsive Resilienz im Zusammenhang mit Friedensspiritualität, die Frage der Grundlage, der grundlegenden Einstellung zur Legitimation militärischer Gewalt, deutlich anzusprechen. Dem einen oder der anderen ist vielleicht in der Zwischenüberschrift aufgefallen, dass gar nicht die Rede vom gerechten Krieg war. Seit Jahrhunderten wird die Frage diskutiert, ab wann man von einem gerechten Krieg sprechen kann oder darf und welche Kriterien dabei jeweils erfüllt sein müssen. Das neue – nicht ganz alte – Paradigma des gerechten Friedens aber weitet den Blick: Es umfasst viel mehr als die Frage nach den Erlaubnisgründen und Bedingungen für Gewaltanwendung, weil die Gewaltprävention von Anfang an mitgedacht wird und sich auch der zeitliche Horizont bei Weitem nicht nur auf das Kriegsgeschehen beschränkt. Hier geht es um Wege der Friedensvorsorge, damit Konflikte nicht wieder in eine kriegerische Auseinandersetzung münden.
Die Frage nach dem gerechten Frieden übersteigt diejenige nach dem gerechten Krieg, wobei dem Recht auf Selbstverteidigung anhand der schon lange diskutierten Kriterien trotzdem Raum gegeben wird
Das Denken in Kategorien des gerechten Krieges wäre somit eher mit einfacher Resilienz in Verbindung zu bringen, dasjenige in Fragen des gerechten Friedens mit transformativer Resilienz. Die Transformationsfähigkeit wäre eher im Konzept des gerechten Friedens zu verorten, die Rückkehr zur Abschreckung und Hochrüstung ein möglicher Ausfluss einer einfachen Resilienz. Die Frage nach dem gerechten Frieden übersteigt diejenige nach dem gerechten Krieg, wobei dem Recht auf Selbstverteidigung anhand der schon lange diskutierten Kriterien trotzdem Raum gegeben wird. Das Konzept des gerechten Friedens ist umfassender, aber auch komplexer, denn Transformation ist dabei mitzudenken.
Damit ist auch gleich die Denkbewegung der Resilienz aufgenommen: das Zurückkehren zu den bestehenden Verhältnissen wäre genau der falsche Weg, sondern mit dem Resilienzgedanken wurde die Transformation nach vorne gebracht. Wie kann dieses geschehen? Nicht das fraglose Weiterführen von bestehenden Verhältnissen, sondern die Umwandlung hin zu gerechten Friedensstrukturen wäre hier der Weg. Es geht also um eine Verhaltens- wie Verhältnisänderung. Verhältnisse sind zu verändern (ja sie werden durch diesen Resilienzansatz möglicherweise erst als veränderbar wahrgenommen), um einen gerechten Frieden zu ermöglichen. Nicht das Zurückspringen in den Ursprungszustand ist dann mit Friedensspiritualität anzugehen, den auch der Mensch als passive Figur nur erduldend lebt, sondern das aktive Handeln im Rahmen der eigenen Möglichkeiten.
Aber was treibt den Menschen an, aktiv zu werden? Hier würde ich gerne den Blick auf die Hoffnung auf eine Lösung lenken. Diese Zielperspektive unterscheidet eine Friedensethik auch von einer Friedensspiritualität, denn Letztere bedeutet, auf dem Weg zu sein und ein Ziel vor Augen zu haben, und weniger, Kriterien für einen möglichen Krisenfall festzuklopfen. Damit einhergehend ist es aber im Grunde eine Haltungsfrage, die in unseren Zeiten gefragt ist. Das Kriegsgeschehen einfach zu ertragen, Waffenlieferungen nicht zu hinterfragen, alles klaglos in andere Hände zu delegieren … das wäre keine resiliente Friedensspiritualität, wie ich sie hier beschrieben habe.
Schluss: Frieden wieder als Aufgabe verstehen
Aber warum ist genau diese anzustreben? Aus der oben aufgezeigten Vulnerabilität aller Menschen heraus. Hier ist das gemeinsame Band, das alle Menschen eint und so die Solidarität ohne Ansehen der Person und der Leistung fördert. Aus der Vulnerabilitätserfahrung heraus solidarisch werden mit den von Krieg in unterschiedlicher Weise Betroffenen und sich dann in eine aktive, um Transformation bemühende Haltung hineinbegeben, die resiliente, zukunftsfähige Strategien vorandenkt: Das wäre für mich eine lebendige Friedensspiritualität, die tugendethisch unterfüttert wird − im Gegensatz zu erstarrten Formen wie dem routinemäßigen Sprechen des Friedensgebetes.
[1] Für konstruktive Hinweise danke ich Rüdiger Frank.
[2] vgl. Schlögl-Flierl, Kerstin (2022): Was lehrt uns die Pandemie in ethischer Vergewisserung? In: Werz, Joachim und Faber, Toni (Hg.): Zwischen Himmel und Erde. Die Himmelsleiter von Billi Thanner. Regensburg, S. 106−114.
[3] vgl. Schneider, Martin und Vogt, Markus (2017): Responsible resilience. Rekonstruktion der Normativität von Resilienz auf Basis einer responsiven Ethik. In: GAIA 26/S1, S. 174–181.
[4] Bonß, Wolfgang (2015): Karriere und sozialwissenschaftliche Potenziale des Resilienzbegriffes. In: Endreß, Martin und Maurer, Andrea (Hg.): Resilienz im Sozialen. Theoretische und empirische Analysen. Wiesbaden, S. 15−31.
[5] Sautermeister, Jochen (2016): Resilienz zwischen Selbstoptimierung und Identitätsbildung. In: MThZ 67, S. 209−223, S. 217.
[6] Staab, Philipp (2022): Anpassung. Leitmotiv der nächsten Gesellschaft. Berlin, S. 26.
[7] Keck, Markus (2015): Gewalt, Raum und Resilienz. Handeln im Kontext bewaffneter Konflikte. In: Korf, Benedikt und Schetter, Conrad (Hg.): Geographien der Gewalt. Kriege, Konflikte und die Ordnung des Raumes im 21. Jahrhundert. Stuttgart, S. 146−162, S. 147.
[8] Deutscher Ethikrat (2022): Vulnerabilität und Resilienz in der Krise – Ethische Kriterien für Entscheidungen in einer Pandemie: Stellungnahme. Berlin, S. 24.
[14] Merkl, Alexander (2017): Schlüsselbegriff Resilienz. Die europäische Sicherheitsagenda in ethischer Lesart. In: AMOS international 11, S. 30–36.
[15] Sautermeister, Jochen (2018): Selbstgestaltung und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen. Moralpsychologische und ethische Anmerkungen zum Verhältnis von Resilienz und Identität. In: Karidi, Maria, Schneider, Martin und Gutwald, Rebecca (Hg.): Resilienz. Interdisziplinäre Perspektiven zu Wandel und Transformation. Wiesbaden, S. 127–140, S. 138.
[16] Merkl, Alexander und Schlögl-Flierl, Kerstin (2022): Moraltheologie Kompakt. Regensburg.
Kerstin Schlögl-Flierl hat seit 2015 den Lehrstuhl für Moraltheologie an der Universität Augsburg inne und ist in diversen Gremien als Beraterin in ethischen Fragen tätig. So ist sie seit Mai 2020 im Deutschen Ethikrat und seit 2016 Beraterin der Bischöflichen Unterkommission „Bioethik“ der Glaubenskommission (I) der Deutschen Bischofskonferenz. Vor allem Fragen der Bio- und Klimaethik beschäftigen sie. Seit 2022 ist sie verantwortliche Wissenschaftlerin im RAICenter, bei dem es um die Frage nach Verantwortung und Vertrauen in der KI-Forschung geht.