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Es geht noch besser! Medizin und die Debatte um Human Enhancement bei Soldaten

Therapie – Enhancement – Doping

„Falkland-Krieg ungültig. Britische Soldaten waren gedopt. Wiederholung im nächsten Jahr.“ Auch wenn man manchmal sportliche und kriegerische Auseinandersetzungen miteinander verglichen hat – eine solche Analogie wurde dann glücklicherweise noch nicht gezogen. Sport sollte Spiel sein, aber Krieg und militärische Gewalt sind bitterster Ernst. Liegt es dann nicht nahe zu sagen: „Da Krieg eine so ernste Sache ist, sollte man nichts dem Zufall überlassen und alles versuchen, um ein optimales, d. h. bestmögliches Ergebnis – den Sieg – zu erlangen. Für den Sieg aber muss man alles aufbieten, auch Doping oder eben ein militärisches Äquivalent dazu!“?

Doping sind die Einnahme unerlaubter leistungssteigernder Substanzen oder die Verwendung unerlaubter Methoden zur Leistungssteigerung im Sport. In einer gewissen Weise fällt auch Doping unter ein Phänomen, das man heute mit dem – ebenfalls englischen – Ausdruck enhancement zu fassen versucht: Leistungssteigerung durch medizinische oder biotechnologische Mittel, die über die Wiederherstellung oder Erhaltung eines Normalzustandes hinausgehen, also nicht einfach nur therapeutisch oder präventiv wirken. Insofern diese Leistungssteigerungen menschliche Aktivitäten betreffen, spricht man von Human Enhancement (Ich werde diesen Ausdruck für das Folgende unübersetzt lassen, denn wie der Begriff des Dopings hat er sich schon fast als solcher eingebürgert).

In der Praxis verlaufen die Grenzen zwischen therapeutischem Gebrauch eines Mittels und dem leistungssteigernden Gebrauch fließend,1 was bereits eine erste Schwierigkeit in der Sache anzeigt. Man denke nur an die Diskussionen, ob ein potenzermöglichendes oder potenzsteigerndes Mittel wie Viagra von den Krankenkassen bezahlt werden solle. Eine zweite Schwierigkeit besteht in dem einfachen Umstand, dass der Mensch alleine durch seine biologische Ausstattung nicht beim biologischen Naturzustand bleiben kann, sondern beispielsweise in Europa auf Kleidung angewiesen ist – eine durchaus frühe Form des Enhancement. Menschliche Kultur beginnt mit dem Gebrauch von Werkzeugen; auch das ist eine Methode der Selbstverbesserung. Heute aber kann der Optimierungsdrang des Menschen bis zum sogenannten Bodyhacking (grob gesprochen: technische Implantate in den Körper einbauen und fast zum Cyborg werden) und Human Genetic Engineering gehen, bei dem die Verbesserungserfolge durch Eingriffe in die Keimbahn erreicht werden sollen.2 Diese Forschung macht auch vor den Militärs nicht halt. Eher ist es umgekehrt: Militärische Forschungsprojekte bilden wie so oft die Speerspitze.  So berichtet Jonathan Moreno in „Mind Wars“ (New York 2006, Neuauflage 2012) von „DARPA’s neuromics program, which is aimed at finding ways to permit brains and machines to interact“. Darpa – Defense Advanced Research Projects Agency – ist eine Forschungsabteilung des Pentagon, und das Ziel dieser Forschungen sind Soldaten, die durch Gedanken Roboter steuern können. Im Jahr 2011 ließ sich diese Behörde alleine ihre Neuroscience-Projekte 240 Millionen Dollar kosten. Aber westliche Soldatinnen und Soldaten sind mit Enhancements nicht nur als mögliche oder tatsächliche Nutzer konfrontiert, sondern auch durch ihre Gegner. Mark Bowden berichtet schon in „Black Hawk Down“ davon, dass während des US-Somalia-Einsatzes im Jahr 1993 somalische Männer häufig Khat gekaut haben, über das das Amphetamin Cathin eingenommen wird, das diese Männer unter Umständen enorm aufstacheln oder gefährlich machen kann. 

Zivile Nutzung 

Human Enhancement gelangte in die öffentliche Debatte insbesondere durch Studien, die zeigen sollten, dass sogenannte Neuro-Enhancement-Produkte - zu denen herkömmliche Mittel wie Koffein, aber auch Drogen gehören – bei Schülern und Studenten auf dem Vormarsch sind. Insbesondere Methylphenidat, das eher unter seinem Handelsnamen Ritalin bekannt ist, gehört zu den gängigen Leistungssteigerungsmitteln in diesem Bereich. „In einer Studie zu Formen der Stresskompensation und Leistungssteigerung bei knapp 8000 Studierenden in Deutschland zeigte sich, dass 12 % der Studierenden seit Beginn des Studiums eine oder mehrere Substanzen eingenommen haben, um die Studienanforderungen besser bewältigen zu können“.3

Leistungsorientierung und Leistungsdruck bei Soldatinnen und Soldaten

Stress und Leistung sind aber Faktoren, die im soldatischen Beruf erst recht eine Rolle spielen. Das militärische Berufsfeld zählt zu den folgenschwersten Arbeitsbereichen, die man sich denken kann. Jeder Fehler im Einsatz kann bedeuten, dass ein Mensch unnötigerweise getötet wird oder dass man selbst unnötigerweise in eine äußerst kritische Situation gerät oder sein Leben verliert. Von Soldatinnen und Soldaten wird – wenn es hart auf hart kommt – Höchstleistung abgefordert; ein Umstand, der sie natürlich auch unter enormen Stress setzt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass immer dort, wo über die Zukunft des Militärs diskutiert wird, auch die Frage nach dem Human Enhancement aufkommt; eine Frage, die insbesondere auch die Militärmedizin vor besondere, zumal ethische Herausforderungen stellt.

Das Spektrum dessen, was Human Enhancement bedeutet, ist auch im soldatischen Feld weit. So bezahlt beispielsweise die US Army seit 2001 ihren Angehörigen die sogenannte refraktive Chirurgie, also die laseroperative Korrektur der Augenhornhaut, mit der im günstigen Fall eine Fehlsichtigkeit, meistens Kurzsichtigkeit, so behoben werden kann, dass die betroffenen Personen keine Sehhilfe wie Brille oder Kontaktlinsen mehr benötigen. Ein solcher Eingriff in die Hornhaut wird gemeinhin noch als therapeutische Maßnahme angesehen. Sie führt die Sehfähigkeit nur auf einen vorab bestimmten Normalzustand zurück. Für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bezahlt der Dienstherr diesen Eingriff (noch) nicht, obwohl sich der Wehrmedizinische Beirat bereits dafür ausgesprochen hat.4 Wir wissen darüber hinaus, dass in nicht allzu langer Zeit die Möglichkeit bestehen wird, auch über technologische Implantate, wie beispielsweise Nanochips, die sinnliche Aufnahmeleistung zu steigern. Liegt es nicht nahe, gerade Soldatinnen und Soldaten, von deren Sinnesfähigkeit so viel abhängt, vorrangig mit solchen Verbesserungsmitteln auszustatten?

Das andere Feld bezeichnet die Weise, wie wir Stress und Schmerz bewältigen und Müdigkeit unterdrücken können. Selbst in weniger ernsten Arbeitsgebieten helfen sich viele Beschäftigte mit etwas Koffein über den Tag. Die Hoffnung, Militärmediziner könnten Soldatinnen und Soldaten im Einsatz durch medikamentöse Enhancer aufmerksamer und durchhaltefähiger machen, ist vor dem Hintergrund der Folgenschwere von Fehlern durchaus verständlich. David N. Kenagy5 schildert, dass während des Irak-Krieges 2003 Piloten, die von der Whiteman Air Force Base in Missouri gestartet sind, bis in den Irak und zurück über 35 Stunden in der Luft sein mussten, andere, die bis nach Afghanistan geflogen sind, sogar 44 Stunden. Ohne Hilfe durch Enhancement-Medikamente ist so eine Belastung nicht durchzustehen.

Aufsehenerregend sind auch die Entwicklungen von sogenannten Powered Exoskeletons, wenngleich die Forschung auf diesem Feld schon einige Jahrzehnte lang andauert. Dabei handelt es sich um eine Art mechanische Außenhaut, ähnlich dem Exoskelett eines Insekts, bei der ein motorisiertes oder hydraulisches System die Bewegungen des Trägers dieser „Kleidung“ unterstützt. Exoskelette können so helfen, Kräfte zu sparen, die Ausdauer (und die Fähigkeit, Lasten zu tragen) zu steigern und die Präzision zu verbessern. Neben Soldaten werden vielleicht Ärzte – auch militärmedizinisches Personal –, insbesondere bei chirurgischer Tätigkeit, in der Zukunft mehr auf die Hilfe von (zumindest Teil-)Exoskeletten (beispielsweise am Arm) vertrauen, wenn es darum geht, Bewegungen mit äußerster Genauigkeit auszuführen. Wie bei mobiler Computertechnologie besteht heute eine der Schwachstellen dieser Außenhäute noch in der dauerhaften Stromversorgung. Bei der Wartung derartiger Enhancements bei Soldaten sind Mediziner – Orthopäden – gefragt, die auch über Ingenieurskenntnisse verfügen. Aber ist es denn überhaupt in Ordnung, dass Soldatinnen und Soldaten sich selbst in derartiger Weise „erweitern“, „verbessern“ oder „verbessern“ lassen? Entspricht Human Enhancement überhaupt unseren ethischen Vorstellungen, Prinzipien und Urteilen?

Müssen, sollen, dürfen Enhancements sein?

In der ethischen Befassung mit solchen Neuentwicklungen müssen wir drei Fragen unterscheiden: a) Sind Enhancements verboten? Leute, die diese Frage bejahen, nennt Nick Bostrom „Biokonservative“ (bioconservatives).  b) Sind Enhancements erlaubt? Leute, die diese Frage bejahen, könnten wir mit einem weiteren Ausdruck von Nick Bostrom als „Transhumanisten“ (transhumanists) bezeichnen. c) Sind Enhancements geboten oder verpflichtend? Wir können jene, die diese Frage bejahen, „Biooptimisten“ nennen. Den Regeln der deontischen Logik nach können wir mithilfe der Negation die Frage c) in eine Frage der Form von a) umformulieren: Ist es verboten, dass Enhancements nicht eingesetzt werden?

Wenn wir die Folgen eines Handelns als das entscheidende ethische Kriterium ansetzen, liegt durchaus eine Pflicht zur Aufbesserung der Leistungsfähigkeit nahe. Soldatisches Handeln entscheidet oft über das Leben und den Tod von Menschen: das eigene Leben, das Leben von Gegnern, das Leben von Zivilisten. Soldaten müssen an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gehen, um die besten Resultate zu erzielen, und wenn sich diese Grenzen mit biotechnologischen Mitteln in eine Richtung verschieben lassen, die bessere Resultate erbringt, scheint die Pflicht zum Enhancement geradezu unausweichlich. Natürlich müssen eventuelle langfristige Schäden durch das Enhancement an den Soldatinnen und Soldaten selbst dem realen oder vermeintlichen Nutzen gegenübergestellt werden, aber da Soldaten gewisse professionelle Lasten zugemutet werden dürfen, kann es sein, dass die Lasten-Nutzen-Rechnung nach wie vor zugunsten des Enhancements ausfällt. Ähnlich wie in der Debatte um bewaffnete Drohnen bringt also das konsequentialistische Räsonnement eine starke Präferenz für die technische Fortentwicklung mit sich. Es scheint also, dass die Biooptimisten recht haben und eine biokonservative Position gar nicht haltbar ist.

Ein neues normatives Feld entsteht

Aber so einfach ist es nun doch nicht. Technologie zu verbieten, ist zwar fast immer aussichtslos; auf sie zu verzichten, kann aber Ausdruck ethischen Bewusstseins sein. Ein solcher Verzicht erscheint durchaus sinnvoll, wenn wir die Fülle von ungeklärten Schwierigkeiten bedenken, die Human Enhancement in den Streitkräften aufwirft. So geht es zum einen um die Frage, wie man vermeiden kann, dass durch Enhancement Individualrechte von Soldatinnen und Soldaten verletzt werden. In den allermeisten Fällen werden wir es beispielsweise für ethisch erforderlich halten, die Soldaten nach ihrer Zustimmung zum Enhancement zu fragen. Der Biooptimist aber muss fordern, dass selbst dann, wenn sich ein Soldat verweigert, man gewissermaßen „paternalistisch“ über ihn hinweghandeln darf, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Dennoch widerspräche so ein Vorgehen den Werturteilen, die wir uns von der Autonomie eines erwachsenen Menschen und dem Respekt, den wir dieser schulden, machen. Es erscheint auch ethisch vernünftig zu fordern, dass vorgenommene Enhancements wieder rückgängig gemacht werden können. Bei Exoskeletten ist das sicherlich der Fall, aber bereits beim Augenlasern ist der Schritt unumkehrbar. 

Enhancements bei Soldatinnen und Soldaten werden sich auch auf das eigene Rollenverständnis und möglicherweise auf ihre rollenspezifischen Pflichten auswirken. So kann man vielleicht von einem Soldaten, der ein Enhancement erhalten hat, erwarten, dass er auch spezifische Aufgaben übernimmt, von denen ein Soldat ohne Enhancement verschont bleibt. Aber er wird sich vielleicht auch als soldatische Elite fühlen und seine Kameraden verächtlich betrachten oder behandeln. Möglicherweise übernimmt er dieses Eliteverständnis – über dessen Sinn und Berechtigung selbst eigens zu diskutieren wäre – auch in sein ziviles Leben. Schließlich verliert er ja auch bestimmte Eigenschaften, die aus dem Enhancement resultieren, beispielsweise verbesserte Sinnesfähigkeiten, nicht mit dem Ausscheiden aus dem soldatischen Dienst.

Sollte sich eine Praxis durchsetzen, dass Soldatinnen und Soldaten mehrheitlich oder doch in beträchtlichem Anteil mit den besprochenen Enhancements ausgestattet werden, stellt sich auch die Frage, ob nicht deswegen die Regeln des ius in bello neu justiert werden müssen. Sollte es beispielsweise ein Waffenkontrollregime – also so eine Art „Dopingkontrolle“ – für Enhancements geben, oder muss man davon ausgehen, dass Soldaten, die ein Enhancement erhalten haben, selbst zu einer Waffe geworden sind? In einem solchen Fall müsste ihr Einsatz nach Art. 36 des Zusatzprotokoll I der Genfer Konventionen erst völkerrechtlich überprüft werden. Manche Völkerrechtswissenschaftler und Militärethiker werden vielleicht argumentieren, dass Soldaten mit Enhancement „den Grundsätzen der Menschlichkeit und den Forderungen des öffentlichen Gewissens“ widersprechen, wie es in der Martens‘schen Klausel heißt – eine Formel, die uns wieder an den Ausgangspunkt zurückverweist und fragen lässt, ob Enhancements ethisch gerechtfertigt sein können. 

Die Liste der uns heute noch kurios anmutenden Fragen lässt sich erweitern. So ist ein Szenario denkbar, in dem nicht Menschen, sondern Tiere ein bestimmtes Enhancement erhalten. Allerdings könnte ein solches „verbessertes“ Tier dann durchaus als biologische und damit kriegsvölkerrechtlich ausgeschlossene Waffe aufgefasst werden. Zweifellos werden auch Proliferationsprobleme auftreten, denn die Nutzung einer Technologie lässt sich auf Dauer nie nur bei einem Staat oder einer Staatengemeinschaft monopolisieren.

Nicht zuletzt aber sind die Militärmediziner von den ethischen Fragen, die sich rund um das Human Enhancement stellen betroffen: Wenn beispielsweise zwei Soldaten verwundet sind, von denen einer ein unter Umständen durchaus kostspieliges Enhancement erhalten hat, liegt aus ökonomischen Gründen durchaus nahe, den Soldaten mit Enhancement zu bevorzugen. Aber ethisch ließe sich dagegenhalten, dass der Soldat ohne Enhancement in einer gewissen Hinsicht die größere Leistung erbracht hat. Militärmedizinisches Personal ist auch gefordert, wenn es um die richtige Behandlung von gefangen genommenen Soldatinnen und Soldaten mit Enhancement geht. In vielen Fällen könnte eine Art „Drogenentzugstherapie“ notwendig sein.

Nur ein Aspekt, aber ein zentraler

Angesichts der Fülle von Fragen und Anfragen kann hier zur Anregung der ethischen Diskussion nur ein sehr genereller Aspekt herausgegriffen werden. Das oben erwähnte Ergebnis, dass im Hinblick auf den Nutzen die technologische Innovation meistens vorzugswürdig ist, ist für sich nicht überraschend, denn das angelegte konsequentialistische Denken stellt selber einen technoformen Vernunftgebrauch dar. Ethisches Denken erschöpft sich aber nicht in Folgenabwägungen. Auch nichtfinalistische Gesichtspunkte dürfen und müssen berücksichtigt werden. Ein wichtiger Aspekt dieser Art ist die Entscheidungsfreiheit in Bezug auf den eigenen Körper als Leib, nicht als bloßes Instrument eines Menschen. Zu unserem Körper nehmen wir ein eigen- und einzigartiges Verhältnis ein. Zwar „haben“ wir einen Körper und „sind“ nicht ein Körper, aber dieses Haben ist von anderer Art als das Haben eines äußerlichen Werkzeugs, wie beispielsweise eines Messers. Ein Messer ist gut, wenn es gut schneidet, sagt Aristoteles. Wenn wir gute Schnitte brauchen, müssen wir die Klinge schärfen. Dieses Enhancement muss sein. Ein stumpfes Messer zu verwenden, kann gefährlich und daher unverantwortlich sein. Aber der Körper ist nicht ein Instrument zu einem Zweck, sondern selbst der Ausdruck unserer Verfasstheit als leibliche Menschen. Wir brauchen – auch allen gegenwärtigen Bedürfnissen nach Schönheitsoperationen zum Trotz – unseren Körper nicht auf fremde Ziele hin zu optimieren. Wir dürfen es aber, wenn wir andere dadurch nicht ihrerseits in der Verwirklichung ihrer Freiheit unangemessen einschränken. Doping im Wettkampfsport beispielsweise ist Betrug und daher immer eine Einschränkung von Freiheit anderer. Aber Doping und Enhancement haben gemeinsam, dass die ernste Gefahr besteht, dass Personen, die eigentlich Enhancement beim Menschen ablehnen, durch die Nutzung von Enhancements bei anderen unter sozialen Druck gesetzt werden (vor allem in kompetitiven Kontexten). 

Sport und gesunde Lebensweise sind in vernünftigen Grenzen richtig und wichtig. Diese Grenzen können bei Soldaten auch etwas anders liegen als bei Menschen mit anderen Berufen. Aber auch wenn von der Soldatin oder vom Soldaten in der Rolle als Soldatin oder Soldat höchste Leistung gefordert ist, bleibt sie oder er dennoch auch Mensch und leibliches Wesen, das selbst entscheiden kann, in welcher Weise es sich in seiner Leiblichkeit entfaltet. Eine – biooptimistische – Pflicht zum Enhancement übertreibt die Macht des konsequenzorientierten Denkens. Insofern kann man sich verantwortungsbewusst für oder gegen das Enhancement entscheiden. Andere Fragen sind jedoch, ob der Soldat ohne Enhancement Aufgaben übernehmen sollte, die aus guten Gründen der mit einem Enhancement ausgestatte Soldat besser erfüllen kann, oder ob bestimmte Enhancements verboten werden sollten. Enhancements können sich auf die betreffenden Personen langfristig negativ auswirken, sei es durch giftige Aussonderungen aus dem verwendeten Material oder durch Sucht und Abhängigkeit. In vielen der sehr diversen Fälle von Human Enhancement fehlen jegliche langfristige Studien über die Effekte. Das bedeutet auch, dass Mediziner, die solche Verbesserer verabreichen, über die ungeklärten Risiken aufklären müssen, und dass die betroffenen Personen Nein sagen dürfen – auch Soldatinnen und Soldaten sowie militärmedizinisches Personal. Bei Mitteln, deren Einsatz mit mutmaßlich massiven Gefährdungen einhergeht, muss sogar über ein Verbot nachgedacht werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gefahren nicht nur den aufgeklärten Nutzer des Enhancements betreffen, sondern Personen, die keinen Einfluss auf die Nutzung hatten, wie beispielsweise Zivilisten, die von einem Soldaten bedroht werden, der aufgrund eines Enhancements „ausrastet“. 

Militärmedizinisches Personal ist besonders gefordert

Für Militärmediziner stellen sich neue Fragen und alte Fragen stellen sich neu. Die zentrale neue Frage ist, inwieweit sie an solchen Aufbesserungen bei Soldatinnen und Soldaten beteiligt sein dürfen. Aus den alten Fragen, die sich neu stellen, greife ich nur eine heraus, die gegenwärtig diskutiert wird: Dürfen Militärärzte – was ihrem beruflichen Ethos nach ausgeschlossen sein sollte – nun vielleicht doch eine – begleitende oder gar unterstützende –  Rolle bei Folterhandlungen spielen, wenn sie wissen, dass das Folteropfer aufgrund eines Enhancements fast oder gänzlich schmerzunempfindlich ist? Dieses Folteropfer mit Enhancement ist also von der Folter nicht in der Weise betroffen, wie man es von einem Folteropfer in einem Nicht-enhanced-Zustand annehmen müsste.6 „In changing human biology, we also may be changing the assumptions behind existing laws of war and even human ethics“, schreibt Patrick Lin dazu in The Atlantic Monthly (2/2012)7. Möglicherweise hat das Folterverbot die mögliche Schmerzresistenz, die durch biotechnologische Mittel erlangt werden kann, noch nicht vorhergesehen, so dass man rechtliche Fragen in dieser Hinsicht neu diskutieren müsste. Vielleicht wird diese Möglichkeit aber auch gerade von jenen, die ohnehin gerne das Folterverbot beschneiden möchten, argumentativ ins Spiel gebracht, um ihrem Ziel näher zu kommen. Die Frage, wie nämlich Enhancements wirklich wirken, wird eine sehr langfristige empirische Forschungsaufgabe darstellen, und ob wir uns aufgrund von wirkungsbezogenen Argumenten schnell von erkämpften ethischen Standards abwenden sollten, ist mehr als fraglich. Aber selbst wenn wir solche Studien hätten, bleibt ein viel tiefer liegendes Problem: Möglicherweise verschieben Enhancements – insbesondere neurologische – das, was wir unter Handlungsurheberschaft verstehen. In dieser Hinsicht könnten ethische Standards tatsächlich unter enormen Druck geraten. Mit welchem Recht sollte beispielsweise ein Soldat für ein Kriegsverbrechen noch zur Verantwortung gezogen werden können, wenn er durch ein Neuro-Enhancement geradezu ferngesteuert agiert? Hier muss man im Vorfeld entgegenarbeiten und Soldatinnen und Soldaten aufklären: Handlungsurheberschaft abzugeben ist selbst keine verantwortbare Handlung. Soldaten sollten dieser Preisgabe nicht zustimmen, und Militärmediziner sollten dabei nicht helfen, wenn wir nicht wollen, dass unser ethisches Feld zur Gänze kollabiert.

1 Vgl. Bostrom, N.; Roache, R. (2008): Ethical Issues in Human Enhancement, in: Ryberg, J.; Petersen, T.; Wolf, C. (Hrsg.): New Waves in Applied Ethics, Basingstoke, S. 120-152.

2 Als Einstieg in diese mittlerweile geradezu unüberschaubare Debatte dient vielleicht Sandel, M. (2004): The Case Against Perfection, in: The Atlantic Monthly April, S. 1-11 (http://www.theatlantic.com/magazine/archive/2004/04/the-case-against-perfection/302927/, abgerufen am 7. Mai 2015).

3 Akademien der Wissenschaften Schweiz (Hrsg.) (2012): Medizin für Gesunde? Analysen und Empfehlungen zum Umgang mit Human Enhancement – Bericht der Arbeitsgruppe, Bern, S. 54.

4 So in einer Nachricht des Deutschen Bundeswehrverbandes von 2011: www.dbwv.de/C12574E8003E04C8/Print/W28HEJVV857DBWNDE (abgerufen am 7. Mai 2015).

5 Dextroamphetamine Use During B-2 Combat Missions, in: Aviation, Space, and Environmental Medicine 75/5 (2004).

6 Wahrscheinlich sollte man den Handlungstyp der Folter nicht von den Wirkungen her, sondern wie Handlungen von den Absichten her definieren.

7 www.theatlantic.com/technology/archive/2012/02/more-than-human-the-ethics-of-biologically-enhancing-soldiers/253217/ (accessed 4 June 2015). Ich verdanke viele meiner Beispiele Patrick Lin und seiner Arbeit zu diesemThema.

Zusammenfassung

Dr. Bernhard Koch

Dr. Bernhard Koch ist kommissarischer Leiter des Instituts für Theologie und Frieden in Hamburg und außerplanmäßiger Professor für Moraltheologie an der Universität Freiburg. Er studierte Philosophie, Logik und Wissenschaftstheorie sowie katholische Theologie in München und Wien und lehrte an der Pädagogischen Hochschule Weingarten, der Goethe-Universität Frankfurt a. M., der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr und der Universität Hamburg. 2014 war Bernhard Koch Visiting Fellow am Oxford Institute for Ethics, Law and Armed Conflict (ELAC). Seit 2012 ist er Co-Teacher Ethics am ICMM Center of Reference for Education on IHL and Ethics, Zürich.

koch@ithf.de

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