Kontroversen in Militärethik und Sicherheitspolitik
Militärärzte und Sanitäter im Konflikt mit dem Kriegsvölkerrecht
Das Selbstverständnis von militärmedizinischem Sanitätspersonal scheint bedenkliche Entwicklungen anzunehmen. Meine Beobachtungen aus Weiterbildungsprogrammen zum Kriegsvölkerrecht (KVR) und militärmedizinscher Ethik zeigen, dass teilnehmende Militärärzte und Sanitäter häufig mit juristischen Unklarheiten und ethischen Bedenken bei ihren Einsätzen und ihrer Ausbildung zu kämpfen haben. In diesem Artikel werde ich daher die Rechte und Pflichten von Militärärzten und Sanitätern im Kriegsvölkerrecht herausarbeiten und auf juristische Probleme im Einsatz hinweisen.
Die geschilderten Beobachtungen in diesem Artikel entstammen Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen sowie Konferenzen und Besprechungen unter Beteiligung des ICMM Center of Reference for Education on IHL and Ethics (International Committee of Military Medicine, ICMM; International Humanitarian Law, IHL), deren Teilnehmer sich in größten Teilen aus militärmedizinischem Personal aller Dienstgradgruppen und Spezialisierungen zusammensetzen. Die Veranstaltungen wurden in Europa, Afrika und unter anderem dem Nahen, Mittleren und Fernen Osten durchgeführt. In Hinsicht auf die Beobachtungen macht es dabei keinen Unterschied, ob die Teilnehmer aus unterschiedlich entwickelten Ländern oder Bildungssystemen kommen oder welchen kulturellen Hintergrund sie haben. Auch ist für dieses Bild sehr häufig ohne Belang, seit wann der Teilnehmer im Dienst ist und aus welcher Dienstgradgruppe er stammt.
Der Konflikt im Selbstverständnis der militärischen Sanitätskräfte wird vermehrt deutlich. Im Vergleich zu den Sanitätern, die in ihrer Rolle einen strikt humanitären Charakter sehen, gibt es immer mehr Betroffene, die beispielsweise
überzeugt aktiv an Kampfhandlungen teilnehmen oder dazu bereit sind,
es als ihre Pflicht als Soldaten ansehen, bevorzugt für ihr eigenes militärisches Personal da zu sein
oder es als legitim ansehen, im Bedarfsfall Gefangene auch härteren Verhörmethoden auszusetzen und als Mediziner lediglich das Überleben des Verhörten zu sichern.
Diese Erfahrungen und der Diskurs innerhalb der Sanitätskräfte in den Ausbildungsveranstaltungen führen zu der grundsätzlichen Überlegung, wie zweckdienlich die Art und Weise ist, mit welcher heute Kriegsvölkerrecht im Sanitätswesen gelehrt wird und das Wissen hierzu präsent gehalten wird. Lassen sich die bedenklichen Entwicklungen aus rechtlicher Sicht in Selbstverständnis und Einsatz von militärischen Sanitätskräften in heutigen Konfliktszenarien auf ein Defizit zurückführen?
Denn eines steht fest: Allein die Genfer Konventionen mit ihren Protokollen bergen eine Menge Regeln, die insbesondere für militärmedizinisches Personal von erheblicher Bedeutung sind.
In der Bundeswehr kennen wir problematische Ansichtsweisen nicht zuletzt durch Afghanistan, aber auch durch den NATO-Lessons-Learned Prozess. Die Einsatzrealität und die Art und Weise, wie sanitätsdienstliche Unterstützung in Afghanistan teilweise gehandhabt wurde, verursachte eine besondere emotionale Nähe zwischen kämpfender Truppe und Sanität. So brachten es zum Beispiel die Teilnahme an Patrouillen und der Wachdienst in Forward Operation Bases (FOBs) mit sich, dass Forderungen nach schwereren Waffen, Gefechtsausbildung und dem Abtarnen der Schutzzeichen aufkamen. Es änderte sich die Bereitschaft zur Selbstverteidigung hin zur Bereitschaft zum Kampf, um den Kameraden nicht „im Stich“ lassen zu müssen.
Wer ist Kombattant und wer nicht? Das Beispiel Afghanistan
„Der Gegner hat die Regeln auf dem Gefechtsfeld verändert“ – ein Argument, das auch von Sanitätspersonal benutzt wird, um das eigene Verhalten im Einsatz zu legitimieren. Diese Begründung ist für den Ausbilder wie für die Planung von Übungen und Einsatz in Bezug auf Sanitätskräfte herausfordernd, denn die referenzierten Konflikte mit ihren Konfliktparteien müssten zunächst einmal dem Kriegsvölkerrecht unterliegen, um rechtlich das Thema aufnehmen zu können.
Die Problematik wird deutlich am Beispiel Afghanistan: Während die für den ISAF-Einsatz (International Security Assistance Force, ISAF) Truppen stellenden Nationen sich einseitig auf die Einhaltung der humanitären Standards des Kriegsvölkerrechts verpflichteten, stellte die menschenverachtende Verhaltensweise der Aufständischen nach Auffassung vieler Teilnehmer der Veranstaltungen und aller Dienstgradgruppen anscheinend neue Anforderungen an die Definition von Kombattanten.
So waren Frontlinien und gegnerische Gruppen in Afghanistan kaum zu definieren und zahlreiche Akteure mit undurchsichtigen Interessen profitierten von andauernden gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die irregulären Kämpfer der Aufständischen ignorierten das Humanitäre Völkerrecht und nutzten perfide Kriegsmittel. Zudem bewegten sie sich in dynamischen kleinen Gruppen ohne Uniform kaum erkennbar inmitten der afghanischen Zivilbevölkerung. Nicht nur kämpfende Truppe, sondern auch militärische und zivile Sanitätskräfte wurden offensichtlich wiederholt durch diese Aufständischen attackiert.
Um die Definition von Kombattanten rechtlich anzupassen oder zu verändern, muss es sich allerdings bei den durch die Konfliktbeteiligten eingesetzten Kräfte überhaupt um Kombattanten im Sinne des Kriegsvölkerrechts handeln bzw. gehandelt haben.
Die Rechtsstellung eines Kombattanten, also den Kombattantenstatus, sieht das Humanitäre Völkerrecht jedoch nur für den internationalen bewaffneten Konflikt vor. Kombattant ist dabei, wer berechtigt ist, unmittelbar an Feindseligkeiten teilzunehmen (Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen, Art. 43 Abs. 2). Im Rahmen des Humanitären Völkerrechts dürfen nur Kombattanten auch außerhalb der Grenzen der Selbstverteidigung auf der Grundlage des Kriegsvölkerrechts Schädigungshandlungen vornehmen. Da es sich in Afghanistan jedoch um einen nichtinternationalen Konflikt handelt, gibt es keinen völkerrechtlichen Kombattantenstatus in diesem Konflikt.
Anders wäre es, wenn der Kampf der Aufständischen sich in diesem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung oder gegen ein rassistisches Regime in Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung (Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen, Art. 1 Abs. 4) richten würde, wodurch ihnen ein Kombattantenstatus bei Einhaltung gewisser Mindeststandards zugeschrieben werden müsste. Die Aufständischen müssten dann aber auch Streitkräfte haben, die einem internen Disziplinarsystem unterliegen, das unter anderem die Einhaltung der Regeln des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts gewährleistet (Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen, Art. 43 Abs. 1). Dies ist aber nicht der Fall.
Man muss die Aufständischen in Afghanistan daher als Terroristen oder Kriminelle werten, die nationales afghanisches Recht verletzen. Gelegentlich werden sie als „unrechtmäßige, illegale, ungesetzliche oder rechtswidrige Kombattanten“ bezeichnet. Eine solche völkerrechtliche Sonderkategorie ist aber weder für den internationalen bewaffneten Konflikt noch für den nichtinternationalen bewaffneten Konflikt anerkannt und auch nicht erforderlich.
Die rechtliche Klassifizierung als Kombattanten steht im Beispiel Afghanistan den Aufständischen also nicht zu. Wäre es anders, könnte man sie auch nicht für ihre Angriffe bestrafen, denn Kombattanten dürfen für ihre bloße Teilnahme an Feindseligkeiten (Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen, Art. 43 Abs. 2) nicht bestraft werden, während Zivilpersonen, wie es auch Kriminelle und Terroristen sind, gerade auf nationalem rechtlichen Niveau, bei unmittelbarer Teilnahme an Feindseligkeiten mit strafrechtlicher Verfolgung für ihre Teilnahmehandlungen rechnen müssen.
Die im Rahmen von ISAF eingesetzten Soldaten waren gleichfalls keine Kombattanten, auch wenn sie sich – aufgrund der Selbstverpflichtung ihrer Nationen – bei Anwendung von Gewalt während des ISAF-Einsatzes an die Prinzipien des Kriegsvölkerrechts halten mussten. Sie unterstützten lediglich die nationalen afghanischen Sicherheitskräfte bei der Aufstandsbekämpfung.
Selbst die Soldaten der ANA (Afghanische Nationalarmee) und die Angehörigen der ANP (Afghanische Nationalpolizei) waren und sind im Übrigen keine Kombattanten. Die Soldaten der ANA sind aber die legitime militärische Macht des Staates, die Aufständische zulässigerweise mit dem Einsatz militärischer Mittel bekämpft.
Die Forderung nach einer neuen Definition von Kombattanten auf der Grundlage des Beispiels Afghanistan ist also fachlich nicht korrekt. Bei der Frage nach Anpassung oder Änderung dieser Definition nach Kriegsvölkerrecht muss stets hinterfragt werden:
Ist das Kriegsvölkerrecht auf den zugrunde liegenden Konflikt überhaupt anwendbar?
Und wenn ja, für welche Art von Konflikt ist es anwendbar: internationale oder nichtinternationale Konflikte?
Ein schmaler Grat zwischen Hilfeleistung und Strafbarkeit?
Für das sanitätsdienstliche Personal können Unklarheiten in den Definitionen nach Kriegsvölkerrecht schwerwiegende Auswirkungen haben; so sehr, dass sich das handelnde Personal bei Fehlverhalten unter Umständen unterhalb der Schwelle eines Kriegsverbrechens der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzt.
In den letzten Jahren entwickelte sich gerade unter Sanitätskräften führender Militärnationen die Überzeugung, dass es Sanitätern gestattet sein müsse, schwerere Waffen auch offensiv einzusetzen, um z. B. den Zugang zu Verwundeten und deren Bergung erzwingen zu können, bis hin zu der Forderung, in kritischen Gefechtssituationen Kampftruppen z. B. durch Feuer zu unterstützen. Ausgelöst wurde dies durch immer wiederkehrende Berichte von Übergriffen durch Konfliktparteien, insbesondere von offenbar gezielten Angriffen, eben auch auf militärmedizinisches Personal und dessen Einrichtungen.
Die Berechtigung, unmittelbar an Feindseligkeiten teilzunehmen, wird auch als Kombattantenprivileg bezeichnet. Die Angehörigen der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei sind Kombattanten und sind dazu berechtigt, unmittelbar an Feindseligkeiten teilzunehmen, während das Sanitäts- und Seelsorgepersonal davon ausgenommen ist (Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen, Art. 43 Abs. 2). Den Personen mit Kombattantenstatus ist also im bewaffneten Konflikt die Bekämpfung rechtmäßiger militärischer Ziele gestattet. Dies bedeutet die Befugnis zur Verletzung oder Tötung von gegnerischen Kombattanten oder Personen, die ohne Berechtigung unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen (Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen, Art. 51 Abs. 3), sowie zur Beschädigung, Neutralisierung oder Zerstörung von Objekten, die als militärisches Ziel einzuordnen sind (Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen, Art. 52 Abs. 2 Satz 2).
Während Kombattanten also für ihre bloße Teilnahme an Feindseligkeiten gemäß ihrer Kombattantenimmunität (Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen, Art. 43 Abs. 2) nicht bestraft werden dürfen, müssen andere Personen, also auch militärisches Sanitätspersonal, bei unmittelbarer Teilnahme an Feindseligkeiten mit strafrechtlicher Verfolgung für ihre Teilnahmehandlungen wie z. B. Totschlag, Körperverletzung oder Sachbeschädigung etc. rechnen. Zudem verlieren Sanitätseinrichtungen oder bewegliche Einheiten des Sanitätsdienstes ihren Schutz durch das Kriegsvölkerrecht, wenn sie außerhalb ihrer humanitären Bestimmung dazu verwendet werden, die Truppe des Gegners anzugreifen oder auf sonstige Weise zu schädigen. Sobald sie in den Kampf eingegriffen haben können sie mit rechtlicher Deckung zum legitimen militärischen Ziel werden.
Auch die Forderung, militärische Sanitäter müssten sich im Zweifelsfall gewaltsam den Zugang zu den Verwundeten verschaffen können und deren Bergung durchsetzen, muss am Kriegsvölkerrecht abprallen. Geregelt ist, dass,wann immer es die Umstände gestatten, Feuerpausen oder andere örtliche Abmachungen vereinbart werden, um die Suche nach den auf dem Schlachtfeld gebliebenen Verwundeten, Kranken und Gefallenen sowie ihre Identifizierung, ihre Sammlung, ihre Bergung, ihren Austausch und ihren Abtransport zu ermöglichen. Dies mag schwer zu ertragen sein, findet seinen Ursprung aber im selben Interesse, das auch gegebenenfalls Kollateralschäden legitimiert, nämlich das Interesse der Nationen an einer gewichteten Betrachtung von militärischer Notwendigkeit und humanitärem Schutz. Dem Gegner (aber auch den eigenen Kräften) ist es insofern erlaubt, trotz des Umherliegens von Verwundeten auf dem Gefechtsfeld weiterzukämpfen.
Die Grenzen der Selbstverteidigung
Wenn der Dienstherr doch aber Waffen auch an Sanitäter ausgibt, wofür sind dann diese Waffen? Jedenfalls nicht zur Schädigung des Gegners, um z. B. einen taktischen Vorteil – wie Unterdrückung von Feindfeuer auf eine Patrouille – zu gewinnen oder um einen Gegner von legitimen Handlungen wie z. B. Bekämpfung gegnerischer Kräfte abzuhalten. Sie dienen der Selbstverteidigung gegen unrechtmäßige Übergriffe auf Patienten, Personal und Material durch Personen, gleich ob militärischer oder ziviler Zugehörigkeit. Die Grenzen der Selbstverteidigung sind an dieser Stelle ein interessantes, viel diskutiertes und über den hier betrachteten Themenbereich hinaus brisantes Thema, das aber nur den wenigsten militärmedizinischen Teilnehmern in ihrer Ausbildung zumindest in Grundzügen vermittelt wurde.
Wie werden die Waffen also richtig eingesetzt? Wie gesehen, sind die Angehörigen des Sanitätsdienstes nicht zur unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten berechtigt, aber das Tragen und der Einsatz von Waffen zur Verteidigung der eigenen Person und von Patienten sowie von Material gegen völkerrechtswidrige Angriffe sind gemäß dem Recht auf Selbstverteidigung zulässig.
Doch bietet das Kriegsvölkerrecht nur selten beachtete oder genutzte Auswege für den Fall an, dass eine Konfliktpartei medizinisches Personal schwer bewaffnen und auch an Kampfhandlungen teilnehmen lassen will. Allerdings wird diese Maßnahme mit gleichzeitig entstehenden Nachteilen „erkauft“, warum sie wohl auch nur extrem selten genutzt wird.
Das Kriegsvölkerrecht zwingt die Nationen nämlich nicht automatisch dazu, jemanden nur aufgrund seiner medizinischen Ausbildung zu einem Sanitäter zu machen. Sanitäter sind zwar nach Kriegsvölkerrecht geschützt, aber eben nicht mit dem Kombattantenprivileg ausgestattet. Entfällt dieser Verwaltungsakt der Beauftragung mit ausschließlich medizinischen Aufgaben sowie die dazugehörige Kennzeichnung mit dem internationalen Schutzzeichen und damit die Beanspruchung des vorgesehenen Schutzes durch die Regelungen des Kriegsvölkerrechts, steht einer schweren Bewaffnung und der Teilnahme an Kampfhandlungen im Rahmen der Kampftruppe nichts im Wege.
Auch wenn das Kriegsvölkerrecht also eine Wahlmöglichkeit offenlässt, so steht diese Entscheidung doch nicht dem Einzelnen (1. Genfer Abkommen, Art. 7), sondern nur den Organen des Staates bzw. den entsprechenden Entscheidungsebenen der Streitkräfte zu.
Angriffe auf Sanitäter – welches Recht gilt?
Keinesfalls lassen sich aber gerade in asymmetrischen Konflikten Taktiken ausschließen, insbesondere Sanitätskräfte zu bekämpfen, um damit letztlich den Einsatz- und Risikowillen der kämpfenden Truppe zu treffen. Ein Infanterist überlegt es sich im Gefecht natürlich zweimal, ein Risiko einzugehen, wenn er weiß, dass er im Falle der Verwundung nicht unmittelbar und kompetent versorgt werden kann.
Auch hier muss aber bei der Frage, ob diese Taktiken in asymmetrischen Konflikten ein Grund für Veränderungen am Kriegsvölkerrecht sein können, zunächst wieder geklärt werden, ob der zugrunde liegende Konflikt überhaupt durch das Kriegsvölkerrecht geregelt ist. Die Konflikte der neueren Zeit sind in der weit überwiegenden Zahl der Fälle von nichtinternationalem Charakter und können die Schwelle zur Geltung des Kriegsvölkerrechts nicht überschreiten. Letztlich ist dann die Forderung nach Veränderung des Kriegsvölkerrechts auf der Grundlage von Erfahrungen aus Konflikten, die hiervon nicht erfasst sind, der berühmte Vergleich von Äpfeln mit Birnen. In Fällen, die also nicht durch das Kriegsvölkerrecht erfasst sind, ist es eine Frage nationalen Rechts oder anderer Beschränkungen außerhalb der Grenzen des Kriegsvölkerrechts, wer aktiv an Kampfhandlungen teilnehmen darf und wer nicht. Eine Änderung des Kriegsvölkerrechts wäre hierdurch jedenfalls nicht gerechtfertigt.
Aber gehen wir einmal davon aus, das Kriegsvölkerrecht wäre betroffen. Dann wäre dennoch zu überprüfen, was wirklich zu Vorkommnissen führte: Vorsatz des Gegners, konkret Sanitätskräfte zu treffen, oder z. B. unmittelbare Nähe der Sanitätskräfte und ihrer Einrichtungen zur Kampftruppe und/oder deren Einrichtungen und Gerät, unglückliche Umstände, militärische Notwendigkeit? Denn es kann auch zu einem missbräuchlichen oder den Angriff provozierenden wie auch fahrlässigen Verhalten der eigenen Truppe gekommen sein, wie z. B. durch die mit Waffengewalt erzwungene Bergung von Verwundeten im Gefecht, die Teilnahme von militärmedizinischen Personal an Patrouillen und an Wachdiensten in nichtsanitätsdienstlichen Einrichtungen.
Die Liste der Gefährdungen für Sanitätspersonal, mit dem Kriegsvölkerrecht und/oder nationalem Strafrecht in Konflikt zu geraten, ist lang. Sie umfasst auch Themen wie die Teilnahme an oder Absicherung von „harschen“ Verhörmethoden sowie die Bevorzugung von eigenem militärischem Personal bei der medizinischen Behandlung. Insbesondere der letzte Punkt wird vorzugsweise durch die militärisch überlegenen Kräfte gefordert, und gerade hier muss der Forderung der Gedanke entgegengehalten werden „Was Du nicht willst, was man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu“.
So wird, wie auch zu anderen Diskussionspunkten, vielfach übersehen, dass Veränderungen an den Rechten und Pflichten aus dem Kriegsvölkerrecht immer in zwei Richtungen wirken: Gegen den Gegner zum einen und in die eigene Richtung zum anderen. Wenn man also einen Kombattanten fragt, ob er – egal ob durch eigene oder Feindeskräfte – nach Nationalität oder nach medizinischer Notwendigkeit behandelt werden möchte, scheint es plausibel, dass er Letzteres vorzieht. Eine in diesem Rahmen argumentierte Legitimierung durch „militärische Notwendigkeit“ existiert jedenfalls im Kriegsvölkerrecht nicht. Diese hat ihre Bedeutung in anderen Bereichen des Kriegsvölkerrecht, nicht aber bei den Regelungen über den Zugang zu medizinischer Versorgung.
Fazit
Derzeit kann sich nach Lage der Dinge wohl kaum eine Nation und können sich nur wenige Angehörige der Sanitätskräfte frei von Defiziten in der Ausbildung des für Sanitäter wichtigen Teils des Kriegsvölkerrecht sprechen. Dabei überschreiten die Defizite die Grenzen der Vertrautheit mit Gesetzen und berühren ganz offensichtlich die ethischen Wurzeln bezüglich der Rolle des Sanitäters in gewaltsamen, militärischen Konflikten und damit grundsätzlich auch das Selbstverständnis des militärmedizinischen Personals.
Teils drängt sich dabei der Eindruck auf, dass seitens der Streitkräfte Defizite nicht zuletzt aus Haushaltsgründen bewusst in Kauf genommen werden, zumal Unwissenheit den Sanitäter im Konfliktfall flexibler einsetzbar macht, gerade wenn politische und haushälterische Vorgaben Auswirkungen auf Einsatzgrundsätze im Hinblick auf Ausrüstungs- und Kräfteansatz haben.
Damit werden aber doch gerade diejenigen Werte der internationalen Gemeinschaft zum größten Teil unnötigerweise über Bord geworfen, zu deren Verteidigung viele der gerade heutzutage geführten Konflikte – zumindest offiziell – eingegangen werden.
Es erscheint daher dringend geboten, im Sinne der Erhaltung humanitärer Grundsätze sowie nicht zuletzt zum Schutz von Sanitätspersonal vor Strafverfolgung die Anstrengungen für die Ausbildung und den Erhalt des Wissens in diesen Bereichen weiter auf- und auszubauen.
Cord von Einem ist Jurist, Unternehmer und Oberstleutnant der Reserve (d. R.). Derzeit ist er eingeplant als Gruppenleiter Bundeswehraufgaben beim Streitkräfteamt in Bonn. Er hat Einsatzerfahrung aus vier Einsätzen, davon zwei in Afghanistan als Abteilungsleiter Civil Military Cooperation (CIMIC)/Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) in Mazar-e Sharif 2007 und Kunduz 2009. Außerdem wurde er u. a. als Querschnittsreferent ZMZ im Einsatzführungsstab des BMVg und als stellvertretender Abteilungsleiter ZMZ im Heeresführungskommando eingesetzt. Weiter war er Projektleiter beim Civil-Military Cooperation Center of Excellence (CCOE) in den Niederlanden sowie Ausbilder für Kriegsvölkerrecht am Reference Center of Education of International Humanitarian Law and Ethics des International Committee on Military Medicine (ICMM) in der Schweiz.