Zum Hauptinhalt springen

We Are the Bomb: Opake Finanzströme und unwissentliche Beteiligung an nuklearer Rüstung

Nukleare Aufrüstung – konsensual?

Wir leben in einem Zeitalter der Aufrüstung. Die Doktrin der Mutually Assured Destruction (MAD), also die Prämisse der Sicherung des Friedens über die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts des Schreckens, gewinnt wieder an Zuspruch, der INF-Vertrag wurde aufgekündigt, und weltweit findet eine massive Vergrößerung und Modernisierung der nuklearen Arsenale statt. Nicht erst seit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika nehmen die staatlichen Rüstungsausgaben massiv zu; doch seit 2017 kann getrost von einer exponentiellen Zunahme gesprochen werden. Dies gilt insbesondere für die NATO-Staaten, deren jährliche Gesamtausgaben für Rüstung sich seitdem um mehr als hundert Milliarden US-Dollar erhöht haben.1 Eines der größten Probleme hieran: Dieses Vorgehen wird oft gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung von den Parlamenten durchgesetzt.2 Diese Tendenz gilt nicht nur für Gesamtrüstungszahlen, sondern insbesondere auch für die Finanzierung von Nuklearwaffen zur Aufrechterhaltung bzw. Vergrößerung des sogenannten nuklearen Schutzschildes. So sind für die Jahre 2019 bis 2028 insgesamt knapp 500 Milliarden US-Dollar für nukleare Rüstungsprogramme im US-Budget vorgesehen, während diese Ausgaben in der vorangegangenen Dekade noch bei rund 400 Milliarden US-Dollar lagen.3

Ähnliche Entwicklungen können wir auch in Europa beobachten. Basierend auf der Argumentation, dass durch den Brexit Frankreich der einzig verbleibende Mitgliedsstaat in der Europäischen Union ist, der über ein eigenes Atomarsenal verfügt, setzt die französische Regierung auf höhere Ausgaben zum Ausbau des Arsenals und plant, rund zehn Prozent ihres Rüstungsetats für nukleare Rüstung einzusetzen.4 Dieser Zugzwang entsteht auch durch einen politisch forcierten Aufrüstungsprozess, welcher ein multipolar gewordenes Gleichgewicht des Schreckens befördert, das in einer Kontinuität der Abschreckung durch Blockbildung im Sinne des Kalten Krieges zu interpretieren ist. Unterstützung bekommt diese Logik auch von deutscher Seite, sowohl von Politiker_innen als auch von anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Wolfgang Ischinger5. Hierzulande finden weiterhin Debatten statt, ob der deutsche Staat neue und kostspielige Trägersysteme für die in Büchel stationierten Nuklearwaffen anschafft. Sollte die Entscheidung dazu getroffen werden, wäre auch diese klar gegen den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung getroffen; rund 60 Prozent der Befragten lehnen die Anschaffung Umfragen zufolge ab.6

Diese Ausgaben lassen sich dem Bereich der staatlichen Finanzierung nuklearer Rüstung zuordnen; dies ist jedoch nicht der einzige Zugang von Nuklearwaffenproduzenten zu Finanzmitteln. Neben staatlicher gibt es auch die Möglichkeit der kapitalmarktbasierten Finanzierung, auf welche ein Großteil der Atomwaffenkonzerne zugreifen. Daran ist insbesondere problematisch, dass auch Menschen daran beteiligt werden, welche sich aktiv gegen nukleare Aufrüstung aussprechen – dass wir also von einer nicht konsensualen Einbindung in die Herstellung und Bereitstellung von Massenvernichtungswaffen sprechen müssen. Im Gegensatz zur staatlichen Rüstungsfinanzierung, welche in Nationalstaaten mit parlamentarischer Demokratie einem demokratischen Kontrollmoment und einem gewissen Maß an Transparenz unterliegt, kommen diese Merkmale bei der kapitalmarktbasierten Finanzierung nicht zum Tragen.

Es sei hier kurz klargestellt, dass Unternehmen wie Boeing als Atomwaffenproduzenten zu klassifizieren sind. Zwar produziert der Konzern für die zivile Luftfahrt, ist jedoch unter anderem auch in die Entwicklung und die Herstellung verschiedener Raketen mit nuklearen Sprengköpfen verwickelt. Diese weit gefasste Klassifikation ist zum einen wichtig, da kein Konzern der Welt autonom Atomwaffen produziert, sondern immer nur Komponenten. Diese Teile stellen zwar als einzelne noch keine nukleare Bedrohung dar, doch zusammengesetzt bilden sie Nuklearwaffen. Zum anderen muss beachtet werden, dass, sobald ein Teil des Konzerns für die Produktion von Nuklearwaffen verantwortlich zeichnet, bei einer Investition in den Gesamtkonzern niemals ausgeschlossen werden kann, dass nicht auch ein Teil des Kapitals für den Rüstungsbereich eingesetzt wird.

Finanzströme im Zeitalter passiver Indexfonds

Zum besseren Verständnis dieses Finanzierungsmechanismus müssen wir uns mit aktuellen Entwicklungen auf den globalen Finanzmärkten beschäftigen. Die vermutlich wichtigste Veränderung neben der stetigen Zunahme der Bedeutung von Finanzmärkten der letzten Jahre ist der Umschwung weg von aktiv gemanagten Hedgefonds hin zu passiv verwalteten Indexfonds.

Noch bis mindestens 2007 war auf den Finanzmärkten die Überzeugung dominant, dass einzelne Player besser abschneiden können als der Marktdurchschnitt. Auf dieser Annahme beruhte das Anlagemodell von aktiven Fonds; hoch bezahlte Spekulant_innen verwalten große Mengen Kapital, das ihnen im Gegenzug für das Versprechen einer überdurchschnittlichen Rendite in Verwahrung gegeben wurde. Dieses Geld investierten sie in von ihnen als besonders gewinnträchtig eingestufte Anlagen, deren Risikoprofil von den Wünschen der Anleger_innen abhängt.

Da dieses Modell immer stärkere Verbreitung fand, versuchten in der Konsequenz immer mehr Finanzmarktakteure, eine bessere Rendite als die des Marktdurchschnitts zu erwirtschaften. Dies führte dazu, dass zu einem gewissen Punkt eine Mehrheit der Anbieter_innen von Fonds damit warben, besser als der Durchschnitt zu sein. Dass dies bereits rein logisch nicht funktionieren kann, scheint relativ offensichtlich. Ein weiterer Nachteil an diesem Modell sind die hohen (Personal-)Kosten, welche durch den Einsatz sehr gut bezahlter Spekulant_innen entstehen und die Rendite weiter schmälern.

Im Zuge der Veränderung von Finanzmarktstrukturen nach der fortlaufenden Krise von 2007 wurde eine stetig wachsende Menge an Kapital aus aktiv gemanagten Fonds in passive Fonds übertragen. Wir sprechen im Zeitraum von 2006 bis 2018 über eine Summe von ca. 3,2 Billionen US-Dollar.7 Dies bedeutet zwar nicht das Aussterben der aktiv gemanagten Hochrisiko-Hedgefonds; ihre Bedeutung schwindet jedoch stetig.

Unter dem Begriff passive Indexfonds werden einige Fondsarten zusammengefasst; etwas bekannter sind zum Beispiel die Begriffe Exchange Traded Funds (ETF) oder Index Mutual Funds. Die größten Anbieter dieser Dienstleistungen sind BlackRock, Vanguard und StateStreet. Insgesamt verwalten sie ein Vermögen von über elf Billionen US-Dollar; addiert man ihre Portfolios, halten sie bei über 40 Prozent aller börsennotierten US-amerikanischen Unternehmen die größten Anteile.8

Diese Fonds zeichnen sich im Gegenteil zu aktiv gemanagten dadurch aus, nicht darauf zu wetten, besser als der Marktdurchschnitt zu sein; stattdessen versuchen sie, ebenjenen möglichst exakt abzubilden. Dies bietet gegenüber dem aktiven Modell einige Vorteile; unbedingt zu nennen sind die deutlich geringeren (Personal-)Kosten und das geringere Ausfallrisiko. Kritisch zu sehen sind das gegebenenfalls steigende systemische Risiko und die starke Markt- und Machtkonzentration bei einigen wenigen Anbietern. Weiterhin führt dieser Mechanismus dazu, dass Finanzströme und bewusstes Investieren gemäß moralischen Anliegen, wie zum Beispiel der Ächtung nuklearer Waffen, komplizierter werden.

Als Instrument für die Anlagen werden Indizes bzw. Abbildungen dieser verwendet. Doch was genau ist ein Index? Als Beispiel kann hier der Deutsche Aktien Index (DAX) dienen. Dieser bildet den Wertverlauf der Aktien der 30 größten und liquidesten börsennotierten Unternehmen in Deutschland ab. Die Wertentwicklung des DAX ist, wie häufig fälschlicherweise angenommen, kein Maßstab der realökonomischen Entwicklung in Deutschland, sondern betitelt den spekulativ angenommenen Wert von 30 Unternehmen, die durch die oben beschriebenen Kriterien definiert werden. Neben dem DAX gibt es noch zahlreiche andere Indizes mit einer Vielfalt an unterschiedlichen Definitionsmerkmalen, weitere Bekannte sind z. B. der Dow-Jones-Index, der S&P500, der MSCI World Index oder der Nikkei225.

Es ist wichtig zu beachten, dass Indizes nicht mit dem Urknall entstanden, sondern Produkte privatwirtschaftlicher Indexprovider sind, welche die genauen Kriterien und den Berechnungsvorgang entscheidender Kennzahlen festlegen. Auch dieser Markt ist hochkonzentriert. Im Falle des DAX ist der Anbieter die Deutsche Börse AG.

Doch inwiefern hängt dies mit der Finanzierung nuklearer Rüstung zusammen? Ganz einfach: Nuklearwaffenproduzenten sind in einigen Indizes gelistet, wodurch diesen über den Investitionsmechanismus der passiven Indexfonds erhebliche Summen Kapital aus verschiedensten Kapitalverwaltungsgesellschaften zufließen. Zum jetzigen Zeitpunkt erfolgt die Finanzierung zwar noch zu einem wesentlichen Teil über direkte Kredite und Beteiligungen; wenn die Entwicklungen an den Finanzmärkten jedoch keinen abrupten Wandel erfahren, wird sich dies in absehbarer Zeit ändern. Der Einfluss der Covid-19-Pandemie auf die Entwicklung von passivem Investment ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Aktuell ist es für zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für die (nukleare) Abrüstung einsetzen, noch relativ einfach, Verantwortliche zu benennen und Änderung der Investmentrichtlinien einzufordern.9 Mit der neuen Komplexität des passiven Investments entsteht jedoch eine Verantwortungslücke.

An dieser Stelle kommt ein weiterer wichtiger Punkt hinzu: Im Zuge der Finanzialisierung (also der Zunahme der Bedeutung und der Menge an Finanzkapital) unserer ökonomischen Systeme entwickelten und entwickeln sich immer mehr Unternehmen zu Kapitalverwaltungsgesellschaften, das heißt, sie legen auf Finanzmärkten Geld zum Zwecke der Erwirtschaftung von Rendite an. Neben klassischen Kapitalverwaltungsgesellschaften wie zum Beispiel Banken treten Versicherungen, Staaten (etwa über Gesundheitsfonds oder staatliche Pensionsfonds) und auch eine stetig wachsende Zahl an Unternehmen als Kapitalverwaltungsgesellschaften auf.10 Wie alle anderen Akteure an Finanzmärkten investieren auch diese gern in passive Indexfonds.

Da es für eine Privatperson fast unmöglich ist, alle eigenen finanziellen Transaktionen und die daraus resultierenden Investitionen zu verfolgen, ist sie fast unweigerlich und möglicherweise nicht konsensual in Investitionen in Unternehmen involviert, deren Zweck sie moralisch ablehnt. Dieses Problem existiert selbstverständlich nicht nur im Zusammenhang mit nuklearer Rüstung, sondern betrifft zum Beispiel auch Menschen, welche die Verstromung von Kohle ablehnen, sich für einen Boykott von RWE aussprechen und über den oben beschriebenen Umweg trotzdem dem Konzern ihr Geld zur Verfügung stellen. RWE ist nämlich Teil des DAX, den viele passive Indexfonds abbilden. Um dieses etwas abstrakte Thema noch ein wenig greifbarer zu machen, schauen wir uns ein konkretes Beispiel an: private Versicherungen in Deutschland.

Deutsche Verwicklung in nukleare Rüstung am Beispiel von Versicherungen

Im Zuge der zunehmenden Privatisierung von Vorsorge nimmt die Bedeutung von privatwirtschaftlichen Versicherungskonzernen stetig zu; immer mehr Menschen nutzen Angebote der privaten Altersvorsorge11, da sie befürchten, dass die staatliche nicht ausreichen wird. Nehmen wir nun als Beispiel an, dass ich mich als Privatperson, die für die Ächtung von Nuklearwaffen eintritt, gegen verschiedene Eventualitäten und für meinen Ruhestand durch eine Lebensversicherung absichern möchte. Dabei lege ich Wert darauf, dass ich Teil einer großen Versicherungsgemeinschaft bin, da diese mir vermeintlich die meiste Sicherheit bieten kann. Die drei größten privaten Versicherungsgruppen nach Marktanteil in Deutschland sind die Allianz AG, die Munich Re und die Talanx AG.

Ich informiere mich also bei diesen Anbietern über Angebote zu Lebensversicherungen und lande bei meiner Recherche relativ schnell bei den entsprechenden Subunternehmen der Konzerne: der Allianz Lebensversicherung AG, der ERGO Vorsorge Lebensversicherung AG und der HDI Lebensversicherung AG. An dieser Stelle gibt es zwei Szenarien. Das erste: Ich schließe nichts ahnend einen Vertrag ab und beteilige mich somit an der Finanzierung von Atomwaffenkonzernen. Ich kann nicht damit rechnen, von meiner Versicherung über diesen Zusammenhang in Kenntnis gesetzt zu werden, die diese keiner derartigen Informationsverpflichtung unterliegt.

Das zweite Szenario sieht wie folgt aus: Ich bringe vor Vertragsabschluss bereits eine gewisse Skepsis gegenüber dem Investitionsverhalten von Versicherungen mit. Von dieser Basis ausgehend beschließe ich, mich mit den selbst auferlegten Investitionskriterien der Konzerne auseinanderzusetzen. Bei der Allianz AG lande ich relativ schnell beim „ESG Integration Framework“, einem Dokument, welches die Ausschlusskriterien für Investitionen des Unternehmens festlegt. Auf Seite 16 des Dokuments finde ich die Aussage, dass die Allianz AG Investitionen in Unternehmen ausschließt, welche in irgendeiner Art und Weise an der Produktion, der Wartung oder dem Handel von „kontroversen Waffen“ in Verbindung stehen. Da von über 80 Staaten ein Nuklearwaffenverbotsvertrag unterschrieben wurde, gehe ich selbstverständlich davon aus, dass auch diese Waffengattung eindeutig als kontrovers eingestuft wird. Dieses Verständnis teile ich nicht mit der Allianz AG. Nuklearwaffen finden in der Aufzählung kontroverserer Waffen keinen Platz, wie ich auf Seite 33 nachlesen kann. Zur Erläuterung: Der Vertrag wurde in den Vereinten Nationen auf den Weg gebracht und verbietet den ihn ratifizierenden Staaten u. a. Tests, Produktion, Weitergabe, Besitz, Lagerung und den Einsatz von Nuklearwaffen.

Daraufhin versuche ich es bei der Munich Re und lande schnell beim Corporate-Responsibility-Bericht, welchen das Unternehmen jedes Jahr publiziert. Hier suche ich zwar auch vergeblich nach dem kategorischen Ausschluss von Investitionen in Nuklearwaffen, kann jedoch auf Seite 22 nachlesen, dass sich das Unternehmen damit rühmt, nicht in geächtete Waffen zu investieren. Bei der Aufzählung geächteter Waffen sind jedoch nur Landminen und Streumunition zu finden; Bio- und Chemiewaffen scheinen kein Problem darzustellen.

Deswegen recherchiere ich auf der Website der Talanx AG und stelle fest, dass sie sich den United Nations Principles for Responsible Investment (UNPRI) verpflichtet fühlen. Mit diesen Prinzipien versuchen die Vereinten Nationen Kapitalverwaltungsgesellschaften dazu anzuregen, basierend auf freiwilliger Selbstverpflichtung Kapitalanlagen verantwortungsbewusst zu tätigen. Hierbei wird unter anderem darauf gesetzt, dass die teilnehmenden Unternehmen ESG-Kriterien (steht für: Environment, Social, Governance) in ihre Investmentscheidungen einbinden sowie auch ihr eigenes Geschäftsgebaren nach diesen ausrichten. Die Umsetzung soll durch regelmäßiges öffentliches und transparentes Reporting erreicht werden. Die Talanx AG hat die Prinzipien allerdings erst im November 2019 unterzeichnet, weswegen zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes noch keine Daten zur Verfügung gestellt wurden. Auf der Liste der Unterzeichnenden der UNPRI findet sich unter anderem die Warburg Invest, einer der wichtigsten Akteure in den – wie mittlerweile gerichtlich festgestellt wurde – strafbaren Cum-Ex-/Cum-Cum-Raubzügen auf Kosten des Fiskus. Eine bloße Unterzeichnung der Richtlinien impliziert also nicht notwendig ein moralisch geleitetes Investmentverhalten und/oder den Verzicht auf Investitionen in kontroverse Waffen. Weiterhin finde ich im Sustainability Report der Talanx AG keinen einzigen Hinweis dazu, wie sich der Konzern bezüglich Investitionen in Rüstungskonzerne verhält.

Keine der drei größten deutschen Versicherungsgesellschaften scheint also ein Interesse daran zu haben, nicht in nukleare Rüstung zu investieren. Deswegen entscheide ich mich – meiner persönlichen Überzeugung entsprechend – gegen das Abschließen einer Lebensversicherung. Wenn ich nicht an der Finanzierung von nuklearer Rüstung beteiligt sein möchte, bleibt mir tatsächlich keine andere Wahl.

Bei Untersuchungen der Investmentportfolios der Allianz Lebensversicherung AG, der ERGO Vorsorge AG sowie der HDI Lebensversicherung AG lässt sich ihre Beteiligung mit entsprechendem Know-how relativ schnell nachweisen. Alle drei weisen in ihren Geschäftsberichten eine Beteiligung am Black-Rock Global Allocation Fund aus, welcher unter anderem den S&P500 abbildet. Dieser Index wird von S&P Dow Jones Indices bereitgestellt und beinhaltet gleich zwei Konzerne, welche an der Produktion nuklearer Rüstung beteiligt sind. Neben Boeing, der auch für die zivile Flugfahrt produziert, ist dies Honeywell. Da der Fonds den S&P500 unter anderem mit dem FTSE World Index kombiniert, erhält der Atomwaffenhersteller Safran SA an dieser Stelle ebenfalls Kapital.

Wie bereits weiter oben erwähnt: Sobald ich einem beliebigen Teil dieses Konzerns mein Kapital zur Verfügung stelle, kann dieses innerhalb des Unternehmens frei verwendet werden, ohne dass mir noch eine Einflussmöglichkeit bliebe.

Neben diesen passiven Investitionen tätigt insbesondere die Allianz AG umfangreiche Direktinvestitionen in die Nuklearwaffenproduktion. Schätzungen zufolge investiert sie insgesamt über 900 Millionen US-Dollar in Atomwaffenhersteller. Neben der Allianz AG sind die am stärksten in nukleare Rüstung involvierten deutschen Kapitalverwaltungsgesellschaften­ die Deutsche Bank (ca. 6757,4 Millionen US-Dollar), die DZ Bank, der Mutterkonzern der Volksbanken-Raffeisenbanken (ca. 1525,1 Millionen US-Dollar), die Commerzbank (ca. 1322,3 Millionen US-Dollar), die BayernLB (ca. 518,6 Millionen US-Dollar), die IKB Deutsche Industriebank Aktiengesellschaft (ca. 163,2 Millionen US-Dollar), die Landesbank Hessen-Thüringen (ca. 148,1 Millionen US-Dollar), die KfW (ca. 115,1 Millionen US-Dollar), die Landesbank Baden-Württemberg (ca. 115,1 Millionen US-Dollar), sowie Siemens (ca. 114,1 Millionen US-Dollar) und Munich Re (ca. 43 Millionen US-Dollar).12

Entgegen der Ohnmacht: Bestrebungen und Handlungsansätze

Die Komplexität der Zusammenhänge lässt die Frage naheliegend erscheinen, ob es überhaupt erfolgversprechende Handlungsansätze gibt, die Finanzierung von Atomwaffenkonzernen zu erschweren oder zu verhindern. Einleitend sei gesagt, dass der effektivste und sicherste Weg zur Ächtung von Nuklearwaffen der politische ist. Wenn die jahrelange politische Kampagnen- und Überzeugungsarbeit ihr anvisiertes Ziel erreicht und eine stetig wachsende Zahl Nationalstaaten den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen und ratifizieren, wird über dieses Instrument die größtmögliche Wirkung erzielt. Bis dato ist der Vertrag von 81 Staaten unterzeichnet und von 35 ratifiziert13. Hierbei wird nicht nur die staatliche Finanzierung von Atomwaffen verhindert, welche den Löwenanteil ausmacht, sondern zeitgleich ein klares Zeichen an Finanzmarktakteure gesendet. Es ist davon auszugehen, dass Banken und Versicherungen, die gerade durch die letzte Krise von 2007/2008 in Verruf geraten sind, stark an der Pflege eines positiven Images interessiert sind; deswegen ist durch die weitere Unterzeichnung und Ratifikation des Verbotsvertrages ein teilweiser Rückzug aus der Finanzierung nuklearer Rüstung zu erwarten. Zum Ziele der Kappung von Finanzmitteln für die Atomwaffenproduktion reicht dieser Weg allein jedoch noch lange nicht.

Neben diesem Ansatz gab und gibt es weitere Maßnahmen. So haben öffentliche Konfrontation, zivilgesellschaftliche Advocacy-Bemühungen und direkte Gespräche dazu geführt, dass sogar die Deutsche Bank, welche überdurchschnittlich häufig durch kontroverse und menschenrechtsverletzende Investitionen auffällt14, Richtlinien entwickelt hat, welche Investitionen in Atomwaffenkonzerne untersagen. Diese bestehen jedoch aus mehr Schlupflöchern als Verpflichtungen, und selbst deren Umsetzung lässt sich als mangelhaft bezeichnen.15 Die Bemühungen der Vereinten Nationen zur Schaffung von Richtlinien für nachhaltiges Investment scheinen vielversprechend und haben gewisse Erfolge hervorbringen können. An dieser Stelle wird ein großes Problem von Finanzmärkten direkt attackiert: Intransparenz. Da die teilnehmenden Institutionen sich verpflichten, ein öffentliches Reporting abzulegen, werden ihre Finanzströme für eine kritische Öffentlichkeit mit relativ geringem Aufwand einsehbar und nachvollziehbar. Sie können kommentiert und damit öffentlicher Druck geschaffen werden. Hierbei bleiben jedoch zwei Probleme unangetastet: Ambitionen supranationaler Institutionen wie der UN können potenziell durch stärkere Souveränitätsrechte von Nationalstaaten ausgehebelt werden. Weiterhin basiert der oben geschilderte Ansatz ausschließlich auf freiwilliger Selbstverpflichtung. Wenn ich etwas zu verheimlichen habe, werde ich mich kaum freiwillig dazu verpflichten, meine Finanzen vollständig öffentlich darzulegen. Dazu muss auf die Beteiligten öffentlicher Druck ausgeübt werden. So hat ICAN eine Online-Aktion durchgeführt, in deren Rahmen unter anderem die Volksbanken-Raiffeisenbanken dazu aufgefordert wurden, ihre kontroversen Investitionen abzustellen. Daraufhin rühmte sich die Bankengruppe mit der Formulierung neuer Richtlinien, die jedoch nichts an ihrer Beteiligung an nuklearen Massenvernichtungswaffen ändern. Zwar werden keine projektbasierten Kredite zur Entwicklung von Nuklearwaffen mehr gewährt, jedoch weiterhin Kredite für „allgemeine Zwecke“ an Atomwaffenproduzenten vergeben.

Auch solche Methoden erzielen also nur begrenzte Effekte. Hinzu kommt, dass durch den Investitionsmechanismus passiver Indexfonds das bereits erwähnte Verantwortungsloch entsteht. Werden Kapitalverwaltungsgesellschaften damit konfrontiert, dass sie auf diesem Wege kontroverse Investitionen tätigen, verweisen sie zumeist darauf, dass Investieren in passive Indexfonds Usus und die Verantwortung bei den Fonds zu suchen ist. Die Fonds verweisen darauf, dass sie bloß Indizes abbilden, deren Schaffung nicht in ihrer Verantwortung liegt. Die Indexprovider ruhen sich auf dem Standpunkt aus, dass sie verschiedene Produkte für verschiedene Wünsche ausgeben – unter anderem Indizes, welche strengen ESG-Kriterien unterliegen. Es sei also an ihren Kund_innen, diese Entscheidung zu treffen. Es gab verschiedene Versuche, in diesem Zirkus Verantwortlichkeit zu schaffen; so forderte 2019 die Initiative Swiss Sustainable Finance (deren Mitglieder immerhin ein Kapital von 6,8 Billionen US-Dollar verwalten) Indexprovider dazu auf, Unternehmen, welche an der Produktion kontroverser Waffen beteiligt sind, aus ihren Indizes zu entfernen. Die Reaktionen auf diese Forderung können getrost als lächerlich bezeichnet werden und eröffnen damit einen tiefen Blick auf das abstinente Verantwortungsbewusstsein einer krisenschaffenden Branche.16

Die Situation sowie ihre Strukturen sind hochkomplex, die bisher getätigten Vorstöße waren nicht von Erfolg gekrönt und reichen bei Weitem nicht aus; vor allem nicht bei Inbetrachtnahme der zu erwartenden Entwicklungen der globalen Finanzmärkte. Die politischen und gesellschaftlichen Mittel und Wege müssen ausgereizt werden, und es muss endlich ein massiver Druck auf konkret benannte Finanzmarktakteure ausgeübt werden.

Ein Zusammenspiel von individueller, gesellschaftlicher und struktureller Ebene ist notwendig, um die hier gestellten Forderungen nach Transparenz und Verantwortungsübernahme einzufordern und umzusetzen. Eines scheint offensichtlich: die nukleare Rüstungsindustrie wird nicht freiwillig die Produktion einstellen; genauso wenig wie die Finanzbranche selbstständig Investitionen in die lukrative Branche der Massenvernichtungswaffen aussetzen wird. Beides ist nur in Folge von koordiniertem, vielfältigem und öffentlichkeitswirksamen Druck zu erwarten.

Politische Mehrheiten zur nuklearen Abrüstung sind in Deutschland zu aktuellem Zeitpunkt nicht gegeben. Ohnehin ist Erfolg bei diesem Thema nur in fraktionsübergreifender Arbeit zu suchen. Diese wird von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie ICAN durchgeführt, welche mit Politiker_innen verschiedener Fraktionen Gespräche führen, um sie von der Notwendigkeit eines Atomwaffenverbots und entsprechender politischer Handlungen zu überzeugen; von kommunalpolitischer über nationale und supranationale bis zur internationalen Ebene. Weiterhin ist die Schaffung einer informierten und engagierten Öffentlichkeit notwendig, welche ihrer Stimme im Diskurs Gehör verschafft. Möglich wären diese Prozesse selbstverständlich nicht ohne Individuen, welche bereit sind, Ressourcen einzubringen und Verantwortung zu tragen.

Finanzmärkte und Kapitalverwaltungsgesellschaften dürfen sich ihrer Verantwortung dem Planeten und der Gesellschaft gegenüber nicht entziehen. Aufgrund der mangelnden demokratischen Kontrolle und der oft undurchsichtigen Kapitalströme ist die Forderung nach Transparenz sowie der strikten Implementierung und Einhaltung von ESG-Kriterien an dieser Stelle grundlegend. Unbedingt zu erwähnen ist hier die Kampagne „Don’t bank on the bomb“, welche sich seit Jahren für ein Divestment aus Nuklearwaffen einsetzt. Mittel zum Zweck sind hier Nachforschungen über Finanzierungszusammenhänge, Publikationen und direkte Gespräche mit Finanzmarktinstitutionen. Da an der Finanzierung von Nuklearwaffen jedoch nicht bloß ausgewählte Banken, sondern, wie in diesem Artikel gezeigt, eine Vielzahl von Kapitalverwaltungsgesellschaften beteiligt sind, müssen diese zu der Verantwortung gezwungen werden, selbstständig ihre Kunden vollumfänglich und transparent über kontroverse Investitionen ihrer Produkte zu informieren. Nur dadurch kann gewährleistet werden, dass Individuen nicht unwissentlich und oftmals auch unwillentlich an der Finanzierung von Atomwaffen beteiligt sind. Dies erfordert den Druck von Individuen, die zu einer Bank mit Moralkompass wechseln und von ihren Versicherungen die Änderung der Investmentrichtlinien und Transparenz einfordern.

Denn seien wir ehrlich: Covid-19 zeigt uns, dass die Ressourcen unserer Gesellschaft nicht in Massenvernichtungswaffen gesteckt werden dürfen, sondern an anderen Stellen dringend gebraucht werden.

1 NATO Public Diplomacy Division (2019): Defence Expenditure of NATO Countries. Brüssel, S. 7.

2 Körber Stiftung (2019): The Berlin Pulse. Hamburg, S. 37.

3 Reif, Kingston (2019): „Trump Budgets Boosts Nuclear Efforts“. www.armscontrol.org/act/2019-04/news/trump-budget-boosts-nuclear-efforts (Stand: 5.3.2020).

4 Granholm, Niklas und Rydqvist, John (2018): Nuclear weapons in Europe: British and French deterrence forces. Stockholm, S. 64.

5 N-TV (2019): „Neue Strategie der Abschreckung: Frankreichs Atomwaffen sollen EU schützen“. www.n-tv.de/politik/Frankreichs-Atomwaffen-sollen-EU-schuetzen-article20850074.html (Stand: 29.4.2020).

6 ICAN Germany (2019): „Umfrage: Deutsche gegen neue Atombomber“. www.icanw.de/pressemeldungen/umfrage-deutsche-gegen-neue-atombomber/ (Stand: 5.3.2020).

7 Petry, Johannes, Fichtner, Jan und Heemskerk, Elke M. (2019): „Steering capital: the growing private authority of index providers in the age of passive asset management“. Review of International Political Economy.www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/09692290.2019.1699147, S. 2. (Stand: 6.3.2020).

8 Fichtner, Jan, Heemskerk, Elke und Garcia-Bernardo, Javier (2019): „BlackRock, Vanguard and State Street own Corporate America“. ponderwall.com/index.php/2019/09/29/vanguard-blackrock-statestreet-america/ (Stand: 9.3.2020).

9 Beenes, Maaike (2019): Beyond the bomb. Global exclusion of nuclear weapon producers. Utrecht.

10 Sahr, Aaron (2017): Keystroke-Kapitalismus: Ungleichheit auf Knopfdruck. Hamburg, S. 24.

11 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2020): „Statistik zur privaten Altersvorsorge (Riester-Rente)“. www.bmas.de/DE/Themen/Rente/Zusaetzliche-Altersvorsorge/statistik-zusaetzliche-altersvorsorge.html (Stand: 29.4.2020).

12 Beenes, Maaike (2019), S. 72–89.

13 ICAN Germany (2020): „Positionen zum Atomwaffenverbot“. www.icanw.de/grunde-fur-ein-verbot/offizielle-positionen/ (Stand: 29.4.2020).

14 Facing Finance (2020): „Schlagwort-Archive: Deutsche Bank“. www.facing-finance.org/de/tag/deutsche-bank/ (Stand: 29.4.2020).

15 Beenes, Maaike (2019), S. 46.

16 Rust, Susanne (2019): „Index providers respond to controversial weapons campaign“. www.ipe.com/index-providers-respond-to-controversial-weapons-campaign-/10029460.article (Stand: 29.4.2020).

Zusammenfassung

Robin Jaspert

Robin Jaspert studiert Politikwissenschaften, Ethnologie und Wirtschaftssoziologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Studienschwerpunkte sind Strukturen von Finanzmärkten und ihre gesellschaftlichen Folgen. Neben der Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft an der Professur für Internationale Beziehungen und Internationale Politische Ökonomie ist Robin Jaspert bei mehreren Gesellschafts- und friedenspolitischen Organisationen tätig, unter anderem als Botschafter für ICAN – die internationale Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen.

jaspert@em.uni-frankfurt.de


Download als PDF

Alle Artikel dieser Ausgabe

Das Ende der "Frist" – Die atomare Abschreckung im Licht der römisch-katholischen Soziallehre
Heinz-Günther Stobbe
Warten auf Harmagedon: Theologische und ethische Aspekte der nuklearen Abschreckung
Drew Christiansen SJ
Zur Aktualität der Heidelberger Thesen
Ines-Jacqueline Werkner
Die fehlerhafte Logik nuklearer Abschreckung als internationale Sicherheitsstrategie – eine feministisch-postkoloniale Betrachtung
Madita Standke-Erdmann, Victoria Scheyer
We Are the Bomb: Opake Finanzströme und unwissentliche Beteiligung an nuklearer Rüstung
Robin Jaspert
Erweiterte nukleare Abschreckung und Teilhabe: Gemeinsam überwinden, nicht einsam aussteigen
Wolfgang Richter
Nukleare Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung: Die tiefe Krise des internationalen Systems
Tom Sauer
"No Way Out" – Nuklearwaffen bleiben ein wichtiger Faktor in der internationalen Politik
Michael Rühle
Russische Kernwaffen: Vernunft- oder Gefühlssache?
Konstantin Bogdanov
Chinas Nuklearstrategie in einem neuen geopolitischen Umfeld
Sven Bernhard Gareis

Specials

Markus Bentler Burkhard Bleul