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Werte und Normen: Nicht "vermitteln", sondern autonome Aneignung fördern!

In einer immer komplizierter und pluraler werdenden Welt kann nicht alles durch gesetzliche Regeln vorgeschrieben werden. Auch lassen im Zuge der Individualisierung die Bindung an Konventionen und die Sozialkontrolle nach. Deshalb muss das persönliche Moralbewusstsein der Handelnden eine große Rolle spielen, wenn ihr Handeln an moralischen Regeln ausgerichtet sein soll. Daher bekommen derzeit Professionsethiken eine immer größere Bedeutung, vor allem in Bereichen, in denen es buchstäblich um Leben und Tod geht, so beispielsweise in der Medizin, aber eben auch beim Militär. Auch wenn es altmodisch klingt: „Tugenden“, also eingeübte moralische Fähigkeiten, sind auch heute unverzichtbar. Da es außerdem für jede demokratische Gesellschaft wichtig ist, dass sich die Angehörigen der Streitkräfte als „Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Uniform“ verstehen und entsprechend verhalten, ist es unabdingbar, dass Soldatinnen und Soldaten über ein hohes Maß an ethischer Kompetenz verfügen. Die Vergangenheit Deutschlands führt diese Notwendigkeit besonders deutlich vor Augen. Soldatinnen und Soldaten müssen ja im Extremfall sogar in der Lage sein, aus eigener Gewissensentscheidung die Ausführung von menschenrechtswidrigen Befehlen zu verweigern. Bei der Bundeswehr soll dies neben einer gelebten „Inneren Führung“1 unter anderem durch einen „Lebenskundlichen Unterricht“ erreicht werden, der von den Militärgeistlichen geleitet wird, aber explizit kein „Religionsunterricht“ ist.

Was aber ist ethische Kompetenz – und wie kann dazu beigetragen werden, dass Personen sie erwerben?2 

Moralisches Handeln ist nicht einfach gleichzusetzen mit Gesetzestreue oder der Orientierung an überkommenen Konventionen oder Traditionen. Beides muss nicht moralisch falsch sein, aber nach einem anspruchsvollen Verständnis von moralischem Handeln ist zentral, dass der Handelnde nicht um einer in Aussicht stehenden Belohnung willen oder aus Angst vor Strafe oder aus Konformität gegenüber einer Vorschrift oder einem Befehl handelt, sondern aus eigener moralischer Überzeugung. Um es mit Kant zu sagen: „Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“3 Moral ist damit notwendig etwas höchst Individuelles, höchst Persönliches. Wie passt das aber mit der ebenfalls notwendigen Allgemeinheit moralischer Normen zusammen? Unter Moral verstehen wir in der Regel ein Gefüge von Normen, das eben nicht für jeden Handelnden ein anderes ist, sondern universelle Gültigkeit beanspruchen kann. Dementsprechend formuliert ja auch Kant seinen kategorischen Imperativ: „[...] handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Beispielsweise die Behauptung aufzustellen, dass man nicht morden darf, macht als moralische Forderung nur Sinn, wenn damit gemeint ist, dass niemand zu keiner Zeit und an keinem Ort morden darf – wobei man die Schwierigkeit einräumen muss, dass nicht jede Tötungshandlung ein Mord ist, beispielsweise nicht bei Notwehr. Wenn moralische Normen also „allgemeine Gesetze“ sind, so lässt sich dies mit der oben erwähnten Subjektivität moralischer Normen nur verbinden, wenn man zugleich den Anspruch erhebt, dass Moral vernünftig begründbar sein muss, denn nur dann kann man in moralischen Fragen argumentieren und verlangen, dass sich andere mit der Forderung ebenfalls argumentativ auseinandersetzen, um deren Richtigkeit (oder gegebenenfalls Falschheit) einzusehen und danach zu handeln. Mit einem Moralverständnis, das auf den individuellen „guten Willen“ abhebt, ist also zugleich die Entscheidung für eine Vernunftmoral verbunden – und damit eine Entscheidung gegen Moralkonzeptionen, die die Geltung moralischer Normen auf Gefühle, Intuitionen oder Autoritäten gleich welcher Art zurückführen. Wenn in diesem Kontext für Kant der Begriff der „Autonomie“, d. h. „Selbstgesetzgebung“, zentral ist, ist damit dann auch nicht nur eine mehr oder weniger willkürliche subjektive Selbstbestimmung gemeint, wie sich das in der deutschen Alltagssprache fälschlicherweise inzwischen eingebürgert hat, sondern die Orientierung des eigenen guten Willens an den selbst als richtig erkannten moralischen Forderungen.

Normen begründen, Urteile bilden

Diese grundsätzliche Einsicht hat Auswirkungen auf das Verständnis von ethischer Kompetenz. Denn diese muss dann mindestens die Fähigkeit implizieren, mithilfe von Argumentationen vorgeschlagene Normen daraufhin zu überprüfen, ob ihnen moralische Richtigkeit bescheinigt werden kann. Dafür gibt es unterschiedliche Verfahren. Meiner Erfahrung nach ist das Gedankenmodell von John Rawls besonders geeignet. Man kann es einsetzen, ohne seine „Theorie der Gerechtigkeit“5 vollständig übernehmen zu müssen. Rawls schlägt ein Gedankenexperiment vor, indem er dazu einlädt, sich vorzustellen, dass die Mitglieder einer künftigen Gesellschaft sich in einer Urzustandsversammlung treffen, um gemeinsam die Regeln ihres künftigen Zusammenlebens festzulegen. In dieser verfassungsgebenden Versammlung, in der alle zu einem Konsens kommen müssen, haben nicht nur alle das gleiche Recht zu reden und ihre Meinung zu bekunden, sondern sie befinden sich auch unter einem „Schleier des Nichtwissens“6. Das bedeutet, dass die Teilnehmenden an der Urzustandsversammlung im Gedankenexperiment nicht wissen, welche soziale Position sie in der künftigen Gesellschaft einnehmen werden. Sie wissen beispielsweise nicht, ob sie Arbeiter oder Unternehmerinnen, Schwarze oder Weiße, Frauen oder Männer, Reiche oder Arme sein werden. Dieser Schleier des Nichtwissens hat einen sehr wichtigen Effekt auf die moralische Qualität der Konsense, zu denen man gelangt. Konfrontiert mit einem Vorschlag für eine Norm, fragen sich alle im Urzustand, was diese für sie in den verschiedenen möglichen Situationen bedeuten könnte, und versuchen, mögliche schlechtere Situationen für sich zu vermeiden. Der Schleier des Nichtwissens zwingt also alle dazu, sich in jede mögliche spätere Situation hineinzuversetzen, sodass sie einen „moralischen Standpunkt“ einnehmen, unabhängig von möglichen egoistischen Partikularinteressen. Ungerechte Normen, die einseitig nur bestimmte Personen begünstigen würden, würden unter diesem Schleier des Nichtwissens nicht akzeptiert, denn die Beteiligten in der Versammlung wissen, dass sie zu den nicht oder weniger Begünstigten gehören könnten, sodass sie diese Norm nicht akzeptieren würden. Oft kann man moralisch strittige Themen dadurch zu lösen versuchen, dass man (in einer Gruppe möglicherweise auch mit geteilten Rollen) ein solches Gedankenexperiment einmal tatsächlich durchspielt.

Ethische Kompetenz hat aber sicherlich noch eine weitere Dimension. Will man nämlich aus moralischen Normen einzelne Handlungsfolgerungen ableiten, muss man sie auf konkrete Situationen anwenden und dazu diese Situationen möglichst gut analysieren. Genauso wenig, wie aus einer bloßen Beschreibung (Deskription) eine Sollensforderung (Präskription) abgeleitet werden kann, genauso wenig können moralische Normen sinnvoll und richtig angewandt werden, wenn man keine ausreichende Klarheit über die Anwendungssituation hat. Um sich das klar zu machen, hat sich das Toulmin-Schema als didaktisches „Tool“ als hilfreich erwiesen.7 Danach braucht man zunächst die Informationen über die Situation („data“), die man dann mit einer moralischen Norm oder einen Wert („warrant“) verbinden muss, um zu einer Schlussfolgerung darüber zu gelangen, was zu tun ist („conclu­sion“). Außerdem haben diese Norm oder dieser Wert ihre Grundlage in umfassenderen Wertesystemen oder Moraltheorien („backing“), die den Geltungshintergrund für die angewandte Norm bilden. Dieses Schema von Toulmin hilft bei moralischen Kontroversen zu identifizieren, wo genau die Dissense liegen: Die am Diskurs Teilnehmenden können sich in der Wahrnehmung der Situation unterscheiden, sie können unterschiedliche Normen haben, was sowohl innerhalb ein und desselben Normensystems vorkommen kann, oder aber sie können aus unterschiedlichen theoretischen oder kulturellen Hintergründen stammen. Deshalb muss jedes moralische Urteil mit Bezug auf die ­Situation, in der zu handeln ist, mit Bezug auf die anzuwendenden Normen und mit Bezug auf die theoretischen oder kulturellen Hintergründe dieser Normen gerechtfertigt werden. Diese Unterscheidungen können erheblich dazu beitragen, dass man in einer Diskussion immer weiß, worüber genau man gerade spricht, um sich dann leichter zu verständigen oder zumindest klarer zu sehen, warum man sich nicht einig geworden ist. Unter anderem ist das auch im Falle einer interkulturellen Debatte über die Geltung von Normen hilfreich.

Eine rein theoretische Befassung mit Situationsanalysen und moralischer Argumentation, sozusagen eine Art ethisches Trockenschwimmen, hat natürlich auch Grenzen. Spannender und motivierender wird dies schon dann, wenn es in einer Lerngruppe tatsächliche moralische Kontroversen unter den Mitgliedern gibt, die man aufgreifen kann. Durch Pro-und-Con­tra-Diskussionen hat man beispielsweise die Chance, die einzelnen Argumente zu schärfen und zu prüfen.8 Eine besondere Relevanz bekommen solche Debatten dann, wenn die Teilnehmenden tatsächlich in einer Handlungs­situation stehen, die analysiert und auf mögliche moralisch legitime Handlungsoptionen hin reflektiert werden soll. Ideal wäre es, wenn man sich in diesem Moment tatsächlich dafür die Zeit nehmen könnte. Hilfsweise kann es aber auch sinnvoll sein, entsprechende Überlegungen im Nachgang oder anhand eines realen ­Beispiels, von dem andere Handelnde betroffen waren, durchzuspielen. Das würde zumindest eine zeitweise engere Verzahnung eines Ethikunterrichts mit anderen Unterrichtsfächern im Rahmen einer Ausbildung nahe­legen.9 

Moralische Sensibilität

Die beiden bisher genannten kognitiven Dimensionen der Analyse der Handlungssituation und der argumentativen Begründung moralischer Richtigkeit reichen jedoch nicht aus, um ethische Kompetenz vollständig zu beschreiben. Zwei eher emotionale, die Tiefendimension der Persönlichkeit betreffende Dimensionen gehören noch dazu: die Sensibilität für moralisch relevante Aspekte einer Situation, durch die man sich „betreffen“ und herausfordern lässt. Sie ist häufig mit Empathiefähigkeit verbunden und setzt voraus, das Leiden anderer an sich heranzulassen. Eng verknüpft ist diese Sensibilität mit der grundsätzlichen Bereitschaft, überhaupt moralisch sein zu wollen, sich selbst als ein moralisches Subjekt zu verstehen. Ohne diese Bereitschaft wird man sich gar nicht erst anrühren lassen, die Situation nicht genauer wahrnehmen wollen und nicht die Mühe aufwenden, über die Richtigkeit einschlägiger Sollensforderungen nachzudenken. 

Im Falle der ersten beiden, eher kognitiven Dimensionen der Situationswahrnehmung und der moralischen Argumentation ist noch relativ leicht vorstellbar, wie die entsprechenden Fähigkeiten in einem „Unterricht“ vermittelt werden können. Bei den anderen beiden Dimensionen kann jedoch kaum mehr von „Vermittlung“ gesprochen werden, sondern allenfalls von der Förderung und begleitenden Unterstützung von Lernprozessen, die den Lernenden sicherlich nicht äußerlich bleiben können, sondern großen Einfluss auf ihre Persönlichkeitsentwicklung und Identität haben.10 Moralische Sensibilität und moralische Motivation wird wahrscheinlich jede/r in einem gewissen Maße bereits durch seine Erziehung und Sozialisation mitbringen. Aber die Persönlichkeitsentwicklung ist sicher mit dem Einritt ins Erwachsenenalter nicht abgeschlossen. Ethisches Lernen sollte auch danach noch stattfinden. Moralische Sensibilität und moralische Motivation werden durch Erfahrungen verstärkt, durch die Menschen erleben, dass sie als empathische und moralisch motivierte Personen in ihrem Umfeld Anerkennung erfahren. Für Bildungskontexte heißt das, dass die Lehrperson als Persönlichkeit und die Lerngruppe als unterstützendes Umfeld besonders bedeutsam sind. Die Anerkennung innerhalb einer moralischen Gemeinschaft, wie sie auch die Lerngruppe darstellen kann, die Konfrontation mit persönlichen Schicksalen und das Vorbild moralisch richtig handelnder Personen können dazu führen, dass einem Menschen Moral wichtiger und seine moralische Motivation gestärkt wird. Allerdings dürfen solche Lernprozesse nicht manipulativ gestaltet werden, sondern müssen transparent bleiben und von den Beteiligten explizit reflektiert werden können. Dies wiederum setzt eine offene, verständigungsorientierte Kommunikation ohne Zwang oder Diskriminierung voraus. Um solche Kommunikation wahrscheinlicher zu machen, empfiehlt es sich, in einer Lerngruppe regelmäßig Zeiten für eine Metakommunikation zu reservieren, in denen die Gruppe gemeinsam ihren Lernprozess und mögliche Störungen oder Hindernisse reflektiert und mögliche, verdeckt ablaufende Machtausübung, Tabuisierung oder Exklusionsdrohungen, die sowohl von den Lehrenden als auch von der Lerngruppe ausgehen können, analysiert und kritisiert. Im Rahmen einer solchen Feedback-Kultur müssen sich auch die Lehrenden der Kritik aussetzen, diese manchmal sogar regelrecht einfordern, um dann zu versuchen, ihre Lehrpraxis und die damit verbundene anerkennende und unterstützende Haltung gegenüber den Lernenden zu verbessern. Die Entwicklung von Menschen zu reflektierteren und motivierteren moralischen Subjekten kann nur fördern, wer sich auch als Lehrende/r selbst den gleichen Ansprüchen unterstellt und sich diesbezüglich weiterhin als Lernende/r versteht.

Natürlich darf nicht übersehen werden, dass alle Organisationen auch durch Sachzwänge, Befehlsstrukturen und vorgegebene Regeln geprägt sind, die verständigungsorientierter Kommunikation nur teilweise Raum geben. Für die Bundeswehr mit ihren streng hierarchischen Strukturen trifft dies sicherlich in besonderer Weise zu. Trotzdem könnte es auch dort mindestens in Ausbildungsphasen möglich sein, an geeigneten Stellen „Unterbrechungen“11 zuzulassen, um kontextbezogen über ethische Fragen zu reflektieren. Jürgen Habermas verwendet dazu die schöne Metapher, nach der „praktische Diskurse, wie alle Argumentationen, den von Überschwemmung bedrohten Inseln im Meer einer Praxis [gleichen], in dem das Muster der konsensuellen Beilegung von Handlungskonflikten keineswegs dominiert“12. Für die Vermittlung ethischer Kompetenz und deren Umsetzung kommt es entscheidend darauf an, dass diese Inseln nicht komplett überschwemmt werden, sondern vielmehr geschützt und nach Möglichkeit vergrößert werden. Der Lebenskundliche Unterricht bietet dafür beste Chancen, wenn er mindestens eine minimale „Auszeit“ mit kritischer Distanz zur Praxis in der Bundeswehr ermöglicht und den Soldatinnen und Soldaten erlaubt, die Beziehungen ihres Berufs zu ihrer Persönlichkeit und ihrer Lebenswelt herzustellen, ohne sich dabei freilich von ihrer beruflichen Praxis abzukoppeln. 

1 Das Heft 2016/1 von Ethik und Militär war der „Inneren Führung“ gewidmet, ging aber so gut wie nicht auf ethikdidaktische Fragen ein. Siehe www.ethikundmilitaer.de/fileadmin/ethik_und_militaer/E-Journal_2016-012-Deutsch.pdf (Stand: 17.8.2019).

2 Ich beziehe mich im Folgenden einerseits auf eigene Erfahrungen in der Lehre an der Universität, in der allgemeinen Erwachsenenbildung und der Ethikfortbildung für Manager aus der Privatwirtschaft, anderseits auf ein zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft für Katholische Erwachsenenbildung durchgeführtes Projekt: Gisbertz, Helga, Kruip, Gerhard und Tolksdorf, Markus (Hg.) (2010): Ethisches Lernen in der allgemeinen Erwachsenenbildung. Bielefeld. Speziell zur ethischen Kompetenz siehe auch mit ähnlicher Konzeption: Dietrich, Julia (2007): „Was ist ethische Kompetenz? Ein philosophischer Versuch einer Systematisierung und Konkretion“. In: Ammicht Quinn, Regina u. a. (Hg.) (2007): Wertloses Wissen? Fachunterricht als Ort ethischer Reflexion. Bad Heilbrunn, S. 30–51.

3 So der berühmte erste Satz des ersten Abschnitts von Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ich empfehle die mit einem ausgezeichneten Kommentar versehene Ausgabe: Horn, Christoph, Mieth, Corinna und Scarano, Nico (2007): Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Frankfurt am Main, hier S. 18.

4 Ebd., S. 52.

5 Rawls, John (1993): Eine Theorie der Gerechtigkeit. 7. Aufl. Frankfurt am Main.

6 Ursprünglich entwickelte Rawls sein Gedanken­experiment mit dem „Schleiers des Nichtwissens“, um in Form seiner beiden berühmten Gerechtigkeitsprinzipien die Bedingungen einer gerechten Gesellschaftsordnung zu kennzeichnen. Er liefert dadurch aber auch eine anschauliche Methode, um die jeweils eigenen moralischen Überzeugungen auf ihre Fairness (Unparteilichkeit) hin zu überprüfen. Deshalb lassen sich moralische Fragen nach persönlichen Werten durch diese Methode ebenfalls aus einer überzeugenden Perspektive erhellen, weshalb der „Schleier des Nichtwissens“ auch gerne als Katalysator für moralisch-praktische Diskurse in der Erwachsenenbildung angewendet wird.

7 Es geht zurück auf Toulmin, Stephen Edelston (1996): Der Gebrauch von Argumenten. 2. Aufl. Weinheim.

8 Vgl. dazu Kruip, Gerhard (2015): „Moralische Konflikte - eine Chance zum ethischen Lernen?“ In: DIE - Zeitschrift für Erwachsenenbildung 22 (1), S. 45–47.

9 Im Rahmen des oben genannten Projekts der Katholischen Erwachsenenbildung haben wir deshalb ein Konzept entwickelt, wie implizit vorhandene ethische Themen identifiziert werden können, wie daraufhin ein Lernprozess dazu initiiert und begleitet werden kann und wie eine solche Exkursion in die Ethik auch wieder sinnvoll so abgeschlossen werden kann, dass man zum ursprünglich bearbeiteten Thema zurückkehrt. Siehe besonders den Abschnitt „Vier Schritte zur Gestaltung ethischen Lernens“ in Kruip, Gerhard/Winkler, Katja (2010): „Moraltheoretische, entwicklungspsychologische und andragogisch-konzeptionelle Grundlagen ethischen Lernens“. In: Gisbertz, Helga, Kruip, Gerhard und Tolksdorf, Markus (Hg.): Ethisches Lernen in der allgemeinen Erwachsenenbildung. Bielefeld, S. 15–55,
S. 32-47.

10 Weil der Begriff der „Wertvermittlung“ doch sehr nach einer heteronomen Weitergabe moralischer Vorstellungen klingt, bei der der „Eigensinn“ der Subjekte zu wenig ernst genommen wird, bevorzugt die Moralpädagogik heute eher andere Modelle moralischer Bildung wie die „Werterhellung“, die „Wertentwicklung“ und die „Wertkommunikation“. Siehe hierzu umfassend Roebben, Bert (2011): Religionspädagogik der Hoffnung. Berlin, S. 19–41, und auch schon Ziebertz, Hans-Georg (2003): „Ethisches Lernen“. In: Hilger, Georg, Leimgruber, Stephan und Ziebertz, Hans-Georg (Hg.): Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf. 2. Aufl. München, S. 402–419. Problematisch auch an dieser Redeweise ist jedoch, dass der Begriff der „Werte“ notorisch unscharf ist, weshalb ich ihn auch eher vermeide. Oft ist es präziser, von Rechten, Pflichten, Normen oder Prinzipien bzw. von Haltungen und Tugenden zu sprechen, zumal der Begriff „Werte“ auch im nicht ethischen Bereich eine Rolle spielt, wenn etwa von ökonomischen Werten die Rede ist.

11 Ralph Bergold hat den interessanten Vorschlag gemacht, ethische Bildung im Rahmen der Erwachsenenbildung als „Unterbrechung“ zu konzeptualisieren: Bergold, Ralph (2005): Unter-brechende Ethik. Ein neues religionspädagogisches Konzept für ethische Bildungsarbeit mit Erwachsenen. Frankfurt am Main.

12 Habermas, Jürgen (1996): „Diskursethik Notizen zu einem Begründungsprogramm“. In: ders.: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln. 6. Aufl. Frankfurt am Main, S. 53–126, S. 116.

 

Zusammenfassung

Gerhard Kruip

Gerhard Kruip, geb. 1957 in München, ist seit 2006 Professor für Christliche Anthropologie und Sozialethik an der Universität Mainz. Von 1975 bis 1981 studierte er Mathematik und Katholische Theologie in Würzburg und wurde 1989 promoviert, 1995 habilitiert. Von 1995 bis 2000 war er Direktor der Katholischen Akademie für Jugendfragen, von 2000 bis 2009 Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover. Seit 2012 gibt er die theologische Fachzeitschrift ET-Studies (Journal of the European Society for Catholic Theology) heraus. (Foto: Peter Pulkowski)

kruip@uni-mainz.de


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