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Militärseelsorge als ­Gesprächs- und ­Kooperationspartner in der Persönlichkeitsbildung von Soldatinnen und Soldaten

Die Bundeswehr braucht ­Gesprächspartner außerhalb des militärischen Systems

Die Vordenker der Bundeswehr wollten mit der Konzeption der Inneren Führung und dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform die neuen deutschen Streitkräfte in der demokratischen Gesellschaft verankern. Daher suchten sie von Anbeginn an Gesprächspartner in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Institutionen und Gruppen, die außerhalb des militärischen Systems standen. 

Die Konzeption des Inneren Führung war auch von der Grundeinsicht bestimmt, dass der freiheitlich-säkulare Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Daran müssen andere Institutionen wirken, will der Staat nicht in jenen Totalitätsanspruch zurückfallen, aus dem er herausgeführt wurde nach konfessionellen Bürgerkriegen und totalitärer Diktatur. Werteorientierung kann daher nicht staatlich verordnet werden. Vielmehr hat der Staat in seinen Einrichtungen dafür zu sorgen, dass Freiräume zu einer Werteorientierung ermöglicht werden. Für die Gestaltung dieser Freiräume braucht er andere Institutionen, die außerhalb des staatlichen Systems stehen. Das galt und gilt besonders für die Bundeswehr, will sie nicht der Gefahr erliegen, wieder „Staat im Staate“ zu werden.

Die Evangelische Kirche als Gesprächs- und ­Kooperationspartner

Schon vor der Gründung der Bundeswehr war die Evangelische Kirche bei der Entwicklung der Inneren Führung und der Werteorientierung in den deutschen Streitkräften Gesprächs- und Kooperationspartner. Der wesentliche Impulsgeber des Konzepts der Inneren Führung, der spätere Generalleutnant Graf von Baudissin, hatte seine entscheidende Prägung im westdeutschen Luthertum1. Die Leitgedanken der Konzeptionen „des gewissengeleiteten Individuums“, des „verantwortlichen Gehorsams“ sowie „der konflikt- und friedensfähigen Mitmenschlichkeit“ sind nur aus einem Denken her verständlich, das vom Luthertum geprägt ist. Die wichtigsten Anregungen für die Konzeption erhielt Graf von Baudissin insbesondere in den Gesprächen mit dem späteren ersten Militärbischof Dr. Hermann Kunst sowie durch die Diskussionen in den Evangelischen Akademien. 

Dass die Evangelische Kirche sich in diesen Fragen so stark engagierte, hatte seine Gründe. Nach der Versagensgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus wollte sich die Kirche aktiv am Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens beteiligen. Sie wollte „öffentliche Verantwortung“ übernehmen. Nach den heftigen Debatten um die Wiedereinrichtung von Streitkräften war es der Evangelischen Kirche besonders wichtig, sich bei der Konzeption der Inneren Führung als Beitrag zum Aufbau von Streitkräften in der Demokratie aktiv einzubringen. 

Die Evangelische Militär­seelsorge als Gesprächspartner in kritischer Solidarität

Daher nimmt es nicht wunder, dass nach der Implementierung der Militärseelsorge in den Jahren 1956/57 Militärgeistliche Gesprächs- und Kooperationspartner der Bundeswehr in Fragen der Inneren Führung waren und sind. Dabei verstand und versteht sich die Evangelische Militärseelsorge als eine von der militärischen Hierarchie unabhängige und zivil organisierte Institution innerhalb der Streitkräfte, die sich in kritischer Solidarität zur Bundeswehr sieht. Sie will einen konzeptionell wesentlichen Beitrag in Ergänzung zu den bundeswehreigenen Elementen der Inneren Führung leisten. Dies betrifft besonders ihren Beitrag zur Werteorientierung durch den Lebenskundlichen Unterricht. Die Erfahrungen und Diskussionen der ersten Jahre wurden in der ZDv 66/2 (Merkschrift) von 1959 festgeschrieben. 

Dabei greift der Begriff „Werteorientierung“ zu kurz, leitet er doch zum Missverständnis, dass Soldatinnen und Soldaten ausschließlich an den Werten und Normen des Grundgesetzes orientiert werden sollen. Der Lebenskundliche Unterricht impliziert demgegenüber eine umfassendere Konzeption, die in der neueren Literatur als „Vermittlung von gesellschaftlichem Orientierungswissen“ (K. Tanner) bezeichnet wird. Der Lebenskundliche Unterricht „[...] behandelt sittliche Fragen, die für die Lebensführung des Menschen, seine Beziehung zur Umwelt und für die Ordnung des Zusammenlebens in jeder Gemeinschaft wesentlich sind. [...] Er soll dem Einzelnen Quellen zeigen, die dem Leben Sinn geben, und zu Ordnungen hinführen, durch die die Gemeinschaft lebenswert und verteidigungswert sind“, so ein Zitat aus der ZDv 66/2 von 1959.

Weiterentwicklung der ­ethischen Bildung und des Lebenskundlichen Unterrichts

Die Militärseelsorge hatte sich dieser Verantwortung in der Vermittlung von gesellschaftlichem Orientierungswissen seit der Frühzeit der Bundeswehr gestellt. Allerdings hatten die neuen Herausforderungen für die Streitkräfte zu Beginn des 21. Jahrhunderts und die Veränderungen in der Gesellschaft (z. B. die veränderte konfessionelle Zusammensetzung, die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe der Soldatinnen und Soldaten sowie die Begegnung mit anderen Kulturen in den Einsatzgebieten) Anlass gegeben, die Konzeption des Lebenskundlichen Unterrichtes und der ethischen Bildung in den Streitkräften insgesamt zu überdenken.

Die Überlegungen, die seit September 2004 in beiden Zweigen der Militärseelsorge wie auch im Bundesministerium der Verteidigung diskutiert worden sind, haben damals zu folgenden Ergebnissen geführt: 

Erstens: Ethische Bildung ist eine Gesamtaufgabe der Streitkräfte.

Zweitens: Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Demokratie als gemeinsame Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bilden das ethische Fundament der Inneren Führung.2

Drittens: Im Rahmen der Inneren Führung muss den Soldatinnen und Soldaten Raum gegeben werden, diese Grundlagen in Selbsterziehungs- und Bildungsprozessen zu reflektieren und sich anzueignen. Sie leben und handeln selbstverantwortlich und können Verantwortung für andere überneh­men.3 

Viertens: Ethische Bildung wird mithin als ein Akt der Persönlichkeitsbildung beschrieben, in der Kompetenzen für ein verantwortliches Leben entwickelt, eine Vergewisserung der geistig-moralischen Grundlagen unseres Gemeinwesens ermöglicht und das Gewissen geschärft wird. Damit wird der umfassende Bildungsbegriff aufgegriffen, wie er schon in der alten Konzeption des Lebenskundlichen Unterrichts angelegt war: Ethische Bildung in der Bundeswehr wird in einem umfassenden Sinne verstanden. Es geht weder um das Nachbuchstabieren der friedensethischen oder sicherheitspolitischen Grundthesen noch um das Abarbeiten unterschiedlicher Gefechtsszenarien unter ethischen Gesichtspunkten. Vielmehr wird eine umfassende ethische Reflexion des Berufs- und Lebensfeldes von Menschen angestrebt, die sich die Sicherung bzw. Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden zur (Lebens-)Aufgabe gemacht haben. Die beschriebene Konzeption ist von einem Grundgedanken geleitet: Ethische Bildung in der Bundeswehr kann nur dann gelingen, wenn der ganze Mensch mit seiner kulturellen und religiösen Prägung, den verschiedenen Lebens- und Handlungsfeldern und ihren ethischen Herausforderungen in den Mittelpunkt gestellt wird.

Fünftens: Wird diese Form der Persönlichkeitsbildung als Gesamtaufgabe der Inneren Führung beschrieben, so bleibt die Militärseelsorge ihr Gesprächs- und Kooperationspartner. Dieses Kooperationsverhältnis konkretisiert sich im Lebenskundlichen Unterricht. 

Die Weiterentwicklung der ethischen Bildung in den Streitkräften hatte zur Folge, den Lebenskundlichen Unterricht in diesen neuen Kontext zu stellen. Auf die Neufassung der ZDv zur Inneren Führung folgte nun die Neufassung der ZDV 66/2 Lebenskundlicher Unterricht im Form einer neuen ZDv (heute A 2620/3). Folgende Punkte sind als wesentlich zu markieren:

Erstens: Der Lebenskundliche Unterricht ist nicht Teil, aber eine wesentliche und unverzichtbare Ergänzung der Inneren Führung.4 Daher wurde an den entscheidenden Stellen der ZDv LKU zunächst Bezug genommen auf die gerade neu verabschiedete ZDv Innere Führung, um dann zu erläutern, inwiefern hierbei der Lebenskundliche Unterricht eine wichtige Ergänzung darstellt. 

Zweitens: Ebenso ist er nicht mit dem Religionsunterricht gleichzusetzen, geschweige denn eine Form der Religionsausübung im Sinne von § 36 Soldatengesetz. Er ist vielmehr eine berufsethische Unterrichtung, wie sie in anderen Organisationen (Bundespolizei, Krankenpflegeausbildung) und auch in Streitkräften anderer Nationen (z. B. Österreich, Schweiz, Niederlande, Norwegen) durch Geistliche als dafür besonders qualifizierte Lehrkräfte erteilt wird. Daher wendet er sich künftig an alle Soldatinnen und Soldaten.

Drittens: Mit dieser Neufassung wurde zur ursprünglichen Idee des Lebenskundlichen Unterrichts zurückgekehrt. Im Gespräch zwischen Bischof Hermann Kunst und Generalmajor Graf von Baudissin entstand der Gedanke einer konfessionsübergreifenden berufsethischen Bildung.

Viertens: Folgende Ziele sind ihm eigen: a) Er dient der Sinnorientierung (Sinn). b) Er soll die Soldatinnen und Soldaten befähigen, die ethische Dimension ihres Handelns zu erkennen, zu reflektieren und zu bewerten (Berufsethik). c) Er soll helfen, sich angesichts der kulturellen und religiösen Pluralität in der Bundeswehr wie in der Einsatzrealität der gemeinsamen Werte der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zu vergewissern. Dadurch werden Soldatinnen und Soldaten in die Lage versetzt, sich mit anderen Weltanschauungen und Kulturen kritisch auseinanderzusetzen, in den Dialog zu treten und interkulturelles Verstehen zu entwickeln (Vergewisserung der eigenen kulturellen Identität). d) Der Lebenskundliche Unterricht stärkt das Gewissen, bildet moralisches Urteilsvermögen und verantwortungsbewusstes Handeln der Soldatinnen und Soldaten aus (Gewissensschärfung). e) In besonderer Weise werden Kompetenzen für eine verantwortliche Lebensführung entwickelt (z. B. Vereinbarkeit von Familie und Dienst).

Fünftens: Die Militärgeistlichen sind in besonderer Weise für die beschriebene Aufgabenstellung des Lebenskundlichen Unterrichtes geeignet. a) Orientierungswissen kann nur in einem Ort freier und vertrauensvoller Aussprache entstehen. Der Staat misst diesem Freiraum inmitten des militärischen Bereichs große Bedeutung bei. Die besondere Dienststellung des Militärgeistlichen unterstreicht dieses Anliegen. Die Unabhängigkeit unserer Militärgeistlichen im Unterricht bleibt gewahrt. b) Die Militärseelsorge nimmt diese Verantwortung gerne wahr als Kooperationspartner der Streitkräfte. Sie sieht den Lebenskundlichen Unterricht als Teil ihres Gesamtauftrags. Die Militärgeistlichen vermitteln im Sinne eines „positionellen Pluralismus“ Kenntnisse über die Quellen unserer Kultur (Religion, Ethik, Tradition), fordern dadurch die Vergewisserung der jeweils eigenen Identität und leiten zur Dialogfähigkeit, kri­tischen Auseinandersetzung mit anderen Positionen und interkulturellen Kompetenzen an. c) Daher leistet die Militärseelsorge den Lebenskundlichen Unterricht für alle Soldatinnen und Soldaten. Insbesondere soll er sie in Phasen begleiten, in denen die Situation der Soldatinnen und Soldaten vermehrt zu grundsätzlichen Lebensfragen führt (Grundausbildung, einsatzgebundene Ausbildung, lehrgangsgebundene Ausbildung). 

Mit dieser Weiterentwicklung des Lebenskundlichen Unterrichts besteht für die Militärseelsorge die Möglichkeit, einen Beitrag zur demokratischen Kultur in den Streitkräften sowie zum Schutz und zur Achtung der Menschenwürde zu leisten.

Der Lebenskundliche Unterricht im neuen Setting der Vorschrift zur ethischen Bildung in den Streitkräften

Seit einigen Jahren gibt es Anstrengungen im BMVg, neben den beschriebenen Vorschriften eine eigenständige Vorschrift zur ethischen Bildung zu entwickeln. Bei der Entwicklung der neuen Vorschrift waren Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und anderer gesellschaftlicher Institutionen als Gesprächs- und Kooperationspartner beteiligt.

In den Diskussionen haben beide Zweige der Militärseelsorge die Besonderheit des Bildungsformats Lebenskundlicher Unterricht innerhalb der Maßnahmen zur ethischen Bildung herausgearbeitet.

Erstens: Der Lebenskundliche Unterricht als Bildungsformat ist speziell auf die Persönlichkeitsbildung ausgerichtet. Im LKU werden aktuelle Themen der Bundeswehr im Rahmen des Curriculums (Diversity, Tradition, Work-­Life-Balance, Einsatzbelastungen etc.) bearbeitet. Ergänzt wird diese Themenpalette durch ethische Perspektiven. Damit leistet der LKU einen Beitrag zur Fachkompetenz der Soldatinnen und Soldaten. Über die beruflichen Fragen hinaus nimmt er den ganzen Menschen mit seinen inneren Prozessen und seinen sozialen Interaktionen in den Blick trägt damit zur Entwicklung der personalen Kompetenz bei.

Zweitens: Der LKU ermöglicht offene Diskurse und den für die ethische Bildung notwendigen Freiraum. Der Unterricht ist nicht beurteilungsrelevant; die Lehrenden genießen ein besonders Vertrauen in Bezug auf ihre Verschwiegenheit; sie stehen außerhalb der militärischen Hierarchie.

Drittens: Der LKU fördert die Persönlichkeitsbildung durch spezielle Lernsettings: durch besondere Lernorte (Seminarformat, externe Tagungshäuser etc.), durch die besondere Qualifikation der Lehrenden im Bereich der Ethik und Selbstreflexion sowie der qualifizierten Begleitung von Einzelpersonen und von Gruppen, schließlich durch ein kontinuierliches institutionelles Engagement der Kirchen im Sinne methodischer und inhaltlicher Professionalisierung. Gerade beim letztgenannten Punkt haben beide Zweige der Militärseelsorge in den letzten Jahren ein großes Bündel an Professionalisierungsmaßnahmen unternommen bis hin zu Einrichtung eines eigenen Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis).

Viertens: Der LKU erfolgt in einer bildungsförderlichen institutionellen Kooperation: Er ist strukturell integriert in die Bildungsarbeit der Bundeswehr. Er stellt ein kontinuierliches ziviles Element in der Bildung dar. Als systemischer Blick von außen fördert er die Reflexivität. Durch die Lehrenden ist die Zivilgesellschaft im Sinne kritischer Solidarität repräsentiert.

Fünftens: Der LKU umfasst auch ethische Bildung als eigenständiges Thema im Rahmen des Curriculums und im Sinne der Grundidee der ethischen Bildung als Querschnittsaufgabe der Gestaltungsfelder der Inneren Führung.

Der LKU ist also auch ethische Bildung in den Streitkräften. Er geht aber darüber hinaus. Im Sinne der Inneren Führung sind für die Bildung von Soldatinnen und Soldaten der Blick auf den ganzen Menschen und die Ausweitung der Themenpalette über explizit militärische Gesichtspunkte hinaus notwendig und hilfreich, insbesondere auch für die Gewissensbildung. Dies wird im oben genannten Sinne im Lebenskundlichen Unterricht geleistet.

Diese Gedanken zur Schärfung des Profils des Lebenskundlichen Unterrichts gegenüber anderen Bildungsmaßnahmen im Bereich der ethischen Bildung sind in die neue Vorschrift zur ethischen Bildung in den Streitkräften eingeflossen. Der Lebenskundliche Unterricht wird als notwendige, wesentliche und unverzichtbare Ergänzung zu den Gestaltungsfeldern der Inneren Führung als gesondertes Element erhalten und in einer eigenständigen Vorschrift geregelt bleiben. 

Künftige Herausforderungen

Die Ziele des Lebenskundlichen Unterrichts durch die Militärgeistlichen können nur dann erreicht werden, wenn der Unterricht in Zusammenarbeit mit den Vorgesetzten und den zu unterrichtenden Soldatinnen und Soldaten geschieht. Von daher darf der Lebenskundliche Unterricht nicht als Veranstaltung der Militärseelsorge missverstanden werden. Der Lebenskundliche Unterricht ist explizit kein Religionsunterricht (s. o.). Er bildet vielmehr eine wesentliche und unverzichtbare Ergänzung zu dem, was im Rahmen der Inneren Führung an Vermittlung von gesellschaftlichem Orientierungswissen geschieht. Für die zukünftige Umsetzung der Konzeption wird es daher darauf ankommen, die Initiativen zur ethischen Bildung in den Streitkräften mit dem Konzept des Lebenskundlichen Unterrichts zu koordinieren. Ohne Kooperation und Koordinierung besteht die Gefahr, dass einzelne Konzepte ethischer Bildung nebeneinanderher laufen und so eher zur Verwirrung der Soldatinnen und Soldaten beitragen als zur Orientierung. 

Bezüglich einer Weiterentwicklung des Bildungsformats ethische Bildung in den Streitkräften sollten methodisch-didaktische Maßstäbe gesetzt werden, die eine Persönlichkeitsbildung effektiv befördern. Hierzu zählt insbesondere auch der Nachvollzug des Paradigmenwechsels hin zur Kompetenzentwicklung, den die aktuelle Personalstrategie der Bundeswehr und der Europäische und Deutsche Qualitätsrahmen für Lebenslanges Lernen der Kultusministerkonferenz vorgeben. Die Jahrzehnte andauernde Praxis der Militärseelsorge im Lebenskundlichen Unterricht und die daraus erwachsenen Erkenntnisse und Erfahrungen sollten hierbei gewinnbringend einfließen. 

In diesem Zusammenhang ist davor zu warnen, wenn Disziplinarvorgesetze als Unterrichtende eingeplant werden, besteht doch die Gefahr, dass statt ethischer Bildung als selbstreflektierendem Prozess mit offenen Diskursen (Freiraum) eine Vermittlung der Vorgesetztenmeinung im Sinne von vorschriftenkonformem Verhalten durchgeführt wird. Dies wäre ein Abschied von den Ursprüngen der Inneren Führung, die in diesen Fragen bewusstermaßen auf Gesprächs- und Kooperationspartner außerhalb des Systems gesetzt hat (s. o.).

Die Militärseelsorge steht als Partner weiterhin zur Verfügung. Sie will zu der notwendigen Kooperation und Koordinierung sowie zur konzeptionellen Weiterentwicklung ihren Beitrag leisten. Insofern bleibt sie in ihrem Auftrag und Beitrag für die ethische Bildung in den Streitkräften den Ursprüngen verpflichtet. Die Militärseelsorge bleibt ein Gesprächs- und Kooperationspartner der Streitkräfte in der Weiterentwicklung der Inneren Führung.

1 Vgl. Angelika Dörfler-Dierken (2005): Ethische Fundamente der Inneren Führung. Strausberg.

2 Vgl. ZDv A 2600/1, Ziffer 304.

3 Vgl. ZDv A 2600/1, Ziffer 508.

4 Vgl. ZDv A 2600/1, Ziffer 503. 

5 ZDv 2620/3, Ziffer 103: „Ethische Bildung ist eine Querschnittsaufgabe, die sich in allen Gestaltungsfeldern der Inneren Führung und vielen Bereichen des täglichen Dienstes wiederfindet. Hier werden die ethischen und moralischen Herausforderungen des soldatischen Handelns erörtert. Es gilt, die moralische Urteilsfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten zu verbessern und ihre Handlungssicherheit zu erhöhen. Darüber hinaus sind Reflexionsfähigkeit, interkulturelle und konzeptionelle Fähigkeiten, Entscheidungsfähigkeit und ganzheitliches Denken zu fördern. Dazu gehört auch die Fähigkeit, mit anderen Menschen Problemlagen und ethische Konflikte zu erörtern und gemeinsam zu lösen.“ 

Zusammenfassung

Dr. theol. Dirck Ackermann

Dr. theol. Dirck Ackermann, Jahrgang 1962, ist Leitender Militärdekan. Er studierte Evangelische ­Theologie, Orientalistik und Islamwissenschaft in Kiel und Jerusalem und ist seit 2005 Referatsleiter im Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr, zuständig unter anderem für theologischen Grundsatz, Friedensethik und Sicherheitspolitik, Lebenskundlichen Unterricht. Zudem ist er Herausgeber des „JS-Magazins“ sowie Chefredakteur von „zur sache bw“.

Dirck.Ackermann@ekd.de


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Alle Artikel dieser Ausgabe

Friedensethik – Militärethik – Sicherheitspolitik: eine erste ­Verhältnisbestimmung
Bernhard Koch
Werte und Normen: Nicht "vermitteln", sondern autonome Aneignung fördern!
Gerhard Kruip
Ethische Bildung – ein zentraler Bestandteil der Aus- und Fortbildung in der Bundeswehr
Friedrich Lohmann
Ethische Bildung in der Bundeswehr: Selbstbindung an Werte und moralische Urteilskraft
Matthias Gillner
Militärische Praxis zwischen Ethik und Tragik: Moralische Dilemmata im Kontext der Friedensbildung für Streitkräfte
Fred van Iersel
Innere Führung – Normative Grundlage der Persönlichkeitsbildung in der Bundeswehr
Angelika Dörfler-Dierken, Markus Thurau
Medizinische Ethik im militärischen Kontext – eine Herausforderung für Forschung und Lehre
Rupert Dirk Fischer
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