Kontroversen in Militärethik und Sicherheitspolitik
Ethische Bildung in der Bundeswehr: Selbstbindung an Werte und moralische Urteilskraft
Das Bundesministerium für Verteidigung plant, in naher Zukunft eine Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) zur „Ethischen Bildung in der Bundeswehr“ herauszugeben. Mit dieser Regelung, die sich an alle Bundeswehrangehörigen sowie militärische und zivile Vorgesetzte richtet, sollen nicht nur allgemeine Ziele der ethischen Bildung in der Bundeswehr beschrieben, sondern auch Vorgaben für die Durchführung der Ausbildung gesetzt werden.
Nun zeichnen sich Streitkräfte bekanntlich durch das Organisationsprinzip von Befehl und Gehorsam aus. Militärische Vorgesetze können einem Untergebenen schriftlich, mündlich oder in anderer Weise Anweisungen zu einem bestimmten Verhalten erteilen und darin den Anspruch auf Gehorsam erheben (vgl. § 2 (2) WStG). Allerdings beinhaltet das Befehlsrecht in der Bundeswehr nicht einen blinden Gehorsam. Kein Soldat und keine Soldatin kann mit der Begründung „Befehl ist Befehl“ – wie noch in der Wehrmacht zur Zeit des Nationalsozialismus1 – verbrecherische Anweisungen ausführen und Gräueltaten verüben. Im Soldatenrecht werden der Befehlsbefugnis klare Grenzen auferlegt (§ 10 (4) SG), der Missbrauch wird unter Strafe gestellt (§ 32 WStG). Unverbindlich sind Befehle, die die Menschenwürde verletzen, nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt werden oder unzumutbar sind. Diese brauchen von Untergebenen auch nicht ausgeführt zu werden (§ 11 (1) SG). Soldatinnen und Soldaten sind sogar verpflichtet, einen Befehl dann nicht auszuführen, wenn mit der Befolgung eine Straftat begangen würde. Sie machen sich strafbar, wenn sie den Straftatbestand kennen oder nur hätten kennen müssen (§ 11 (2) SG i. V. m. § 5 WStG).
Angesichts dieser Rechtslage und der Tatsache, dass in den Akademien, Offiziersschulen und Truppenschulen über 50 zivile Rechtslehrer über diese Grenzen der Befehlsbefugnis informieren und ab der Divisionsebene sogar über 100 Rechtsberater die Kommandeure und Führungsstäbe der Bundeswehr beraten, stellt sich die Frage, warum es überhaupt noch einer eigenen ZDv zur „Ethischen Bildung in der Bundeswehr“ bedarf, zumal eine solche Notwendigkeit in den vergangenen 60 Jahren des Bestehens nicht gesehen wurde. Diese Zweifel verstärken sich noch, wenn bereits in der ZDv zur „Politischen Bildung in der Bundeswehr“ (A-2620/1) ethisch imprägnierte Ziele formuliert werden: Schon diese Unterrichtung soll nicht nur „Soldatinnen und Soldaten in die Lage versetzen, für die im Grundgesetz ausformulierten Grund- und Menschenrechte bewusst einzutreten“ (Nr. 203 Abs. 6), sondern auch „die Bereitschaft und Fähigkeit entwickeln und fördern, Grundfragen des Soldatenberufs – besonders auch seine ethische und moralische Dimension – zu reflektieren“ (Abs. 3).
Und dann gibt es in der Bundeswehr schon seit ihrer Gründung den in der Regel von Militärseelsorgerinnen und -seelsorgern erteilten Lebenskundlichen Unterricht, in dem die Soldatinnen und Soldaten ihre eigene Lebensorientierung reflektieren sollen und in dessen Curriculum viele ethische Themen aufgeführt werden (ZDv A-2620/3). Warum braucht es dennoch eine eigene „ethische Bildung“ in den Streitkräften und welche Inhalte sollen in ihr vermittelt werden?
Werteorientierung
Bei ethischer Bildung wird in der Bundeswehr zuerst an die Vermittlung von Werten gedacht. Im Vordergrund stehen dabei „Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität und Demokratie“, die auch als „die leitenden Werte unseres Staates“ deklariert werden (A-2600/1, Nr. 106). An einer anderen Stelle der aktuell gültigen ZDv „Innere Führung. Selbstverständnis und Führungskultur der Bundeswehr“ wiederum garantiert erst das „Wertesystem des Grundgesetzes (…) Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität und Demokratie“ (Nr. 304). Durch die „Innere Führung werden die Werte und Normen des Grundgesetzes in der Bundeswehr verwirklicht“ (Nr. 301), aus deren Grundsätzen sich dann ein eigener „soldatischer Wertekanon“ ableiten lässt, der die Soldatinnen und Soldaten „tapfer, treu und gewissenhaft, kameradschaftlich und fürsorglich, diszipliniert, fachlich befähigt und lernwillig, wahrhaftig gegenüber sich und anderen, gerecht, tolerant und aufgeschlossen gegenüber anderen Kulturen und moralisch urteilsfähig“ (Nr. 507) sein lässt. Die Kenntnis und Vertiefung der Werte und Normen des Grundgesetzes soll über die „Politische Bildung“ erfolgen (vgl. Nr. 625), und damit die Soldatinnen und Soldaten dann „jederzeit für die Werte und Normen der freiheitlich demokratischen Grundordnung eintreten“, soll auch der „Lebenskundliche Unterricht durch die Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorger einen unverzichtbaren Beitrag“ leisten (vgl. Nr. 508f).
Die nicht immer konsistente Verwendung des Begriffs Wert, vor allem die (vor)schnelle Verknüpfung mit dem Begriff der Norm, weist auf ein defizitäres Verständnis hin. Normen und Werte sind sicherlich verwandt, meinen aber nicht dasselbe. Menschliche Handlungen oder staatliche Institutionen werden normiert und bewertet, Normen gehorchen jedoch einer „Logik des Verpflichtenden“, Werte folgen dagegen der „Logik der vorziehenden Wahl“.2 Während Normen zwingende bzw. beschränkende Merkmale aufweisen, ist Werten eine anziehende und motivierende Qualität zu eigen. Beide beziehen sich auf verschiedene Erfahrungen: dass etwas sein soll oder dass ich von etwas begeistert bin, dass ich eine Pflicht erspüre und erkenne oder dass mir etwas Orientierung gibt.
Diese kurze Skizze und Abgrenzung der inhaltlichen Bedeutung des Begriffs hat Auswirkungen auf die Entstehung und damit auch auf die „Vermittlung“ von Werten. Werte haben zunächst immer einen Bezug zum Wertenden selbst, zum subjektiven Urteil, dass mir etwas wertvoll ist. Sie entstehen weniger, indem ich mich zu etwas rational hinführen lasse, eher dadurch, dass ich von etwas emotional angezogen werde, vielleicht sogar hingerissen bin. Oder noch häufiger: wenn ich vom Gegenteil abgestoßen oder angewidert werde. Die rationale Aufarbeitung erfolgt oft erst später, quasi als Nachspiel bereits eingegangener Wertbindungen. Werte begründen nicht bloß individuelle Überzeugungen, sie können auch kollektiv geteilt werden. So gehören seit der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (Solidarität)“ zu den fundierenden Werten eines gerechten Gemeinwesens. Da sich Wertbindungen vor allem über Erfahrungen ausbilden und von einer gefühlten, aber keineswegs irrationalen persönlichen Gewissheit zeugen, muss eine ethische Bildung, die den Anspruch erhebt, Werte zu „vermitteln“, nicht – wie bei der Lehre von Normen – in Vorträgen oder Referaten auf die logische „Andemonstration“ von deren Geltung setzen, sondern den Erlebnisraum für persönliche Erfahrungen von Werten ermöglichen. Die erfahrene Attraktivität kann vielleicht am besten narrativ ausdrucksstark vermittelt werden. (Vielleicht hat Jesus deshalb selbst die Form der Erzählung gewählt, um für seine Werte zu werben: für den Wert der Barmherzigkeit in der Geschichte vom gütigen Samariter [Lk 10,25-37] und für den Wert der Versöhnung im Gleichnis vom verlorenen Sohn [Lk 15,11-32].)
Da der Begriff des Wertes nun sehr stark mit dem eigenen Selbstverständnis verknüpft ist, insofern „starke Wertungen“ (Charles Taylor) stets das artikulieren, worauf es dem Menschen im Leben ankommt, wer er sein will, hängen Wertfragen eng mit den Fragen des guten Lebens zusammen. Und weil unter modernen Bedingungen das gute Leben nicht mehr abgelöst werden kann von dem, was Menschen mit einem freien Willen für das gute Leben halten, es also eine Vielzahl ganz unterschiedlicher und gleichwohl guter Lebensformen gibt, müssen diese Themen pluralitätstauglich, hierarchiefrei, in offener Atmosphäre und beurteilungsfrei behandelt werden. Und hierzu eignet sich am besten der „Lebenskundliche Unterricht“, der in besonderer Weise zur Charakterbildung und Persönlichkeitsentwicklung der Soldatinnen und Soldaten beitragen und über enge berufsethische Zusammenhänge hinaus den Menschen zu einer bewussten Lebensführung und einer spirituellen Existenz begleiten will.
Anders dagegen verhält es sich mit der moralischen Urteilsbildung, die Vermittlung von Normen auf einen situativen Kontext. Hier wird von den Soldatinnen und Soldaten verlangt, dass sie bestimmen und begründen können, welche der als gültig bereits vorausgesetzten Normen einem gegebenen Fall im Lichte aller relevanten und möglichst vollständig erfassten Situationsmerkmale angemessen ist. Müssen sie hierzu über eine eigene moralische Urteilskompetenz verfügen oder reichen nicht die Kenntnisse des geltenden Rechts bereits aus?
Kenntnis von Rechtsregeln und moralisches Urteil
Im militärischen Einsatz gelten die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts. Zudem unterliegen die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr den jeweiligen Rules of Engagement (RoE), die die Anwendung von militärischer Gewalt – entsprechend den operativen, politischen und rechtlichen Vorgaben – im Rahmen von nationalen wie multinationalen Einsätzen rechtlich regeln. Doch selbst die nationale Taschenkarte als übersichtliche Kurzversion der RoE mit den wichtigsten Grundregeln zu Selbstschutz, Notwehr und Nothilfe, zur Einrichtung von geschützten Bereichen und zur Anwendung militärischer Gewalt ohne Schusswaffengebrauch, zur Anwendung des Schusswaffen- und Kampfmitteleinsatzes mit und ohne Anrufverfahren sowie den Regeln für die Auftragsdurchsetzung erhöht zwar durchaus die Verhaltenssicherheit, ersetzt aber keineswegs die moralische Urteilsfähigkeit. Denn spätestens dann, wenn Regel- oder Normkonflikte individuelle Situationsinterpretationen und Konfliktlösungen verlangen, wird es unerlässlich sein, auch das moralische Urteil der Soldatinnen und Soldaten in Rechnung zu stellen.
Eine Einsatzregel etwa kann militärische Handlungen erlauben, die mit moralischen Überzeugungen in Konflikt geraten. So geriet ein militärisches Kontingent aus Sambia im Rahmen einer Friedensmission in Sierra Leone (UNAMSIL) in einen von der „Revolutionary United Front“ (RUF) gelegten Hinterhalt. Die RoE erlaubten den sambischen Soldaten den Einsatz von verhältnismäßiger Gewalt, um den Angriff auf sich selbst abzuwehren. Die Rebellen hielten sich jedoch inmitten der Zivilbevölkerung auf und missbrauchten sie als menschliche Schutzschilde. Die Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts hätte insofern den Tod zahlreicher unschuldiger Frauen, Männer und Kinder bedeutet, zu deren Schutz die Soldaten in das Konfliktgebiet befohlen wurden. Sollen die Soldaten ihr Selbstverteidigungsrecht in Anspruch nehmen und damit unweigerlich auch ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung anrichten oder auf dieses Recht verzichten, sich ergeben und der Gewalt der Rebellen ausliefern?3
Die Kenntnis einer Einsatzregel kann auch die situationsgerechte Anwendung nicht ersetzen. So erlaubten etwa die veränderten Einsatzregeln des Bundesministeriums der Verteidigung von 2009 den Soldaten in Afghanistan nicht mehr nur die verhältnismäßige Gewaltanwendung zur Abwehr eines erfolgten Angriffs, sondern bereits zur Präemption, d. h. um einen unmittelbar bevorstehenden Angriff (imminent attack) mit militärischer Gewalt zuvorzukommen (im Unterschied zur Prävention, die einem möglichen Angriff schon vorbeugend begegnet). Die Beurteilung einer Lage als eine offenkundige, gegenwärtige und ernsthafte Bedrohung bleibt am Ende aller notwendiger Prüfung auch ein subjektiver Akt des militärischen Führers. Die Forderung nach absoluter Objektivierung zeugt von einem technizistischen Missverständnis menschlicher Urteilsfindung. Keine noch so detaillierte Definition des imminent attack kann die Urteilskompetenz des Betroffenen ersetzen, wie an folgendem Beispiel verdeutlicht werden soll: An einem von deutschen Soldaten und afghanischen Polizisten besetzten Kontrollpunkt südöstlich von Kundus (Nordafghanistan) werden zwei Fahrzeuge gestoppt. Plötzlich startet einer der Pkw mit fünf Insassen, darunter eine Frau und zwei Kinder, und rast auf den Kontrollposten zu. Sollen die Soldaten das Feuer auf den Pkw eröffnen und damit möglicherweise Unschuldige töten oder Gewaltanwendung unterlassen und das Risiko eines Sprengstoffanschlages mit eigenen Toten eingehen?4
Schließlich können Soldaten in Situationen geraten, die durch keine Einsatzregel normiert ist. So wurden die bereits erwähnten Soldaten aus Sambia bei ihrer Friedensmission in Sierra Leone mit Kindern als Waffenträgern konfrontiert. Zum einen genießen sie als Kinder den allgemeinen Schutz Minderjähriger, wie sie in dem völkerrechtlichen Übereinkommen über die Rechte des Kindes (20.11.1989) formuliert sind, zum anderen unterliegen sie dem Status des Kombattanten. Auf der einen Seite sind sie bedauernswerte Opfer – oftmals gewaltsam entführt, vielfach unter Drogen gesetzt und als willfährige Instrumente der jeweiligen Machthaber ausgebeutet –, auf der anderen Seite sind sie häufig besonders grausame Täter, wovon die unvorstellbaren Gräueltaten an Kindern und Frauen zeugen. Sollen im Fall einer Notwehr- oder Nothilfesituation die Soldaten Gewalt gegen Kindersoldaten anwenden? Damals wurde der Umgang mit unberechenbaren Kindersoldaten durch keine Einsatzregel normiert.5
Diese drei angeführten und mit Beispielen erläuterten Konfliktarten zeigen unmissverständlich auf, dass Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vor allem, aber nicht nur im Einsatz über eine moralische Urteilskompetenz verfügen müssen. Sie ist notwendig, um das Vertrauen, das die Führungsphilosophie der Bundeswehr in ihre Soldatinnen und Soldaten setzt, zu rechtfertigen. Denn „die Grundsätze der Inneren Führung verlangen, die Erfordernisse des militärischen Auftrages mit der geistigen und moralischen Mündigkeit des Staatsbürgers in Einklang zu bringen“ (ZDv A-2600/1: Innere Führung, Leitsätze für Vorgesetzte. Vorbemerkung).
Moralische Urteilskompetenz
Doch was heißt moralische Urteilskompetenz? In der Ethik werden klassisch vier Ebenen des Diskurses unterschieden. Mit der basalen Frage, ob sich Moral überhaupt rational begründen lässt, beschäftigt sich die metaethische Reflexion. Hier konkurrieren emotivistische und dezisionistische Ansätze mit kognitivistischen Theorien, insofern jene eine moralische Letztbegründung von Normen oder Prinzipien ablehnen, da sie entweder auf ein moralisches Gefühl oder eine willkürliche Entscheidung zurückgehen, diese aber moralische Geltungsansprüche als vernünftig ausweisbar behaupten. Auf der zweiten Ebene liegen – die rationale Begründung von Moral vorausgesetzt – grundlegende moralische Prinzipien, wie etwa der kategorische Imperativ von Immanuel Kant („Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde!“) oder das biblische Gebot der Nächstenliebe („Du sollst deinen Nächsten lieben wie Dich selbst!“ [Mk 12,31]. Auf sie müssen sich die dann auf der dritten Ebene liegenden moralischen Normen oder Regeln von beschränkter Reichweite – wie etwa „Du sollst nicht lügen!“ oder „Das Leben der Kameraden darf nicht gefährdet werden!“ – zurückführen lassen. Auf der letzten Ebene – man kann sie als oberste oder unterste Stufe betrachten – liegen dann die singulären moralischen Urteile, die Vermittlung einer Regel oder einer Norm auf eine konkrete Situation – wie etwa die Beurteilung eines Einsatzes von Streubomben in einer konkreten militärischen Lage als indiskriminatorisch. Und gerade hier bedarf es einer eigenen moralischen Urteilskompetenz, auf die Soldatinnen und Soldaten insbesondere in militärischen Einsätzen angewiesen sind.
Die Ausbildung einer solchen Kompetenz darf nicht unterschätzt werden; sie ist „kein nachrangiges Geschäft“ (Klaus Ebeling). Denn das moralische Urteil kann nicht immer einfach aus einer Regel abgeleitet werden, es bedeutet nicht die bloße Unterordnung eines Sachverhaltes unter den Tatbestand einer moralischen Norm. Zum Urteil gehört auch die empirische Erkenntnis des situativen Kontextes, auf den die Normen angewendet werden sollen. Der moralisch Urteilende muss zeigen können, welche der als gültig bereits vorausgesetzten Normen einem gegebenen Fall im Lichte aller relevanten und möglichst vollständig erfassten Situationsmerkmale angemessen ist.6
Moralische Urteile müssen gerechtfertigt, d. h. mit guten Gründen prinzipiell vor allen Betroffenen vertreten werden können. Dies gelingt aber nur dann, wenn ein unparteilicher Standpunkt eingenommen wird. Ein unparteilicher Standpunkt lässt sich aber nur durch eine anspruchsvolle „Streckübung“ (Günter Anders) gewinnen, durch das Sich-Hineinversetzen in die Lage all jener, die von den Folgen einer – manchmal auch moralisch problematischen – Handlung betroffen sind. Hierzu bedarf es der Empathie, sowohl der kognitiven Fähigkeit, sich in die Betroffenen hineinzudenken, als auch der emotionalen Bereitschaft, die Gefühle der betroffenen Menschen nachzuempfinden. Je besser sich Soldatinnen und Soldaten in andere hineindenken und -fühlen können, desto wahrscheinlicher wird ein moralkonformes Urteil.
Zur moralischen Urteilsbildung gehören jedoch nicht nur Situationskenntnis und die für einen Perspektivenwechsel notwendige Fähigkeit der Empathie, sondern auch das Wissen um verschiedene Kategorien von Normen oder Pflichten sowie die Kompetenz, bei Normenkonflikten bzw. Pflichtenkollisionen mögliche Vorrangigkeiten zu erkennen und entsprechend den Regeln danach gewichten zu können.
Schon der antike Kirchenvater Ambrosius lehrte die Unterscheidung zwischen obligatorischen Vorschriften (z. B. die Verbote aus dem Dekalog in Ex 20,2-17) und (bloßen) Ratschlägen (z. B. die Weisungen Jesu aus der Bergpredigt in Mt 5-7). In der Philosophie der Neuzeit werden vollkommene Pflichten, die vom Menschen „erzwingbar“ sind, von unvollkommenen Pflichten abgegrenzt, die der freiwilligen Erfüllung überlassen bleiben (Samuel Pufendorf) oder Rechtspflichten von Tugendpflichten getrennt, die dem starken Gesetz der Schuldigkeit bzw. dem schwachen der Gütigkeit unterliegen (Immanuel Kant). Heute spricht man eher von Erlaubnissen, die sich etwa auf Handlungen der Barmherzigkeit beziehen, die – obwohl moralisch hoch bedeutsam – nach Belieben getan oder unterlassen werden können, und Pflichten, die sich auf Handlungen richten, die moralisch geboten sind (z. B. John Rawls).
Unterschieden werden müssen auch „natürliche“ Pflichten, deren Einhaltung sich Menschen als gleichrangige moralische Subjekte wechselseitig schulden (wie z. B. „Du sollst nicht stehlen!“), von den Verpflichtungen, die etwa aus freiwillig eingegangenen schriftlichen Verträgen (z.B. die beim Kauf einer Wohnung einhergehende Verpflichtung, den Kaufpreis in der ausgehandelten Höhe zu bezahlen) oder mündlichen Versprechen (z. B. Hilfe bei einem häuslichen Umzug) resultieren und die gewöhnlich nur gegenüber bestimmten Menschen bestehen. Und schließlich muss zwischen positiven Pflichten, etwas Gutes zu tun, z. B. anderen in Not oder Gefahr zu helfen, und negativen Pflichten, etwas Schlechtes zu unterlassen, z. B. anderen keinen Schaden zuzufügen oder kein Unrecht anzutun, differenziert werden.
Und diese Pflichten können miteinander kollidieren: die negative Pflicht zur Unterlassung eines Medikamentendiebstahls mit der positiven Pflicht zur Heilung eines Kranken, die Verpflichtung, einen versprochenen Termin einzuhalten, mit der „natürlichen“ Pflicht, einem Unfallopfer zu helfen, aber auch die Pflicht, der Mutter in einer Notsituation beizustehen, mit der „Erlaubnis“, einem Bekannten beim Umzug zu helfen. Dann gilt es, zwischen den allgemeinen, aber nicht ausnahmslos geltenden „Prima-facie-Pflichten“7 die „aktuale Pflicht“ in einer genau erkannten Situation unter Prüfung erprobter Vorzugsregeln – wie die Dringlichkeit, die Wahrscheinlichkeit oder die Quantität – zu bestimmen.
An zwei leicht verfremdeten Beispielen aus der Einsatzrealität der Bundeswehr soll eine Pflichtenkollision zwischen „natürlichen Pflichten“ und Verpflichtungen veranschaulicht werden. Ein der ISAF-Mission wohlgesonnener afghanischer Kriegsfürst kommt mit seiner schwer erkrankten Frau in ein Feldlager der Bundeswehr. Der diensthabende Arzt untersucht die Frau und stellt eine akute Appendizitis („Blinddarmentzündung“) mit Darmperforation fest, die eine sofortige Operation indiziert. Kurz nach der Diagnose erhält die „Klinik-Kompanie“ einen Notruf, der die baldige Landung eines Hubschraubers mit einem schwer verletzten Soldaten der Bundeswehr ankündigt, dessen Geländewagen auf eine Landmine gefahren ist. Auch hier ist eine sofortige Operation im Sinne einer medizinischen lebensrettenden Maßnahme notwendig. Im Lazarett kann aber nur eine Operation durchgeführt werden. Der Operateur muss sich also entscheiden, ob er den schwer verletzten Soldaten oder die lebensgefährlich erkrankte Frau operiert. Der Rückgriff auf Vorzugsregeln hilft nicht weiter, da weder eine größere Dringlichkeit vorliegt noch eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit ermittelt werden kann. Es bleibt lediglich der Unterschied zwischen einer „natürlichen“ Pflicht und einer Verpflichtung. Insofern hat hier der Bundeswehrarzt gegenüber der afghanischen Frau nur die allgemeine Pflicht zur lebensrettenden Hilfe, gegenüber dem deutschen Soldaten jedoch eine Verpflichtung. Denn der Soldat hat einen rechtlichen Anspruch auf die lebensrettende Operation. Im Unterschied zu einem allgemeinen Krankenhaus ist das Lazarett des Feldlagers zur medizinischen Hilfe für die Soldaten aufgebaut worden. Lediglich bei freien Kapazitäten kann der ärztliche Notdienst auf andere Personen ausgeweitet werden. Unter sonst gleichen Bedingungen (ceteris paribus) geht also die Verpflichtung – pacta sunt servanda! – einer „natürlichen“ Pflicht vor. Der Arzt hat unter moralischem Gesichtspunkt also den Soldaten zu operieren.
Etwas anders verhält es sich in einem Fall des deutschen Unterstützungsverbandes in Somalia während der Mission UNOSOM II.8 In einem deutschen Lager ist ein Rettungshubschrauber stationiert, der im Notfall den eigenen Soldaten, die in Konvois zwischen Beled Weyne und Mogadischu zur Rückführung von Personal und Material verkehren, zur Hilfe kommen soll. Eines Tages erscheinen Einheimische mit einer unter großen Schmerzen leidenden schwangeren Frau. Der Notarzt sieht die einzige Chance zur Rettung von Mutter und Kind in deren sofortiger Verlegung in ein Krankenhaus. Das einzige taugliche Transportmittel ist jedoch der Rettungshubschrauber, der dann aber für etwa zwei Stunden nicht mehr zur ärztlichen Nothilfe im Falle verletzter Soldaten zur Verfügung stehen würde. Der Arzt entscheidet sich für den Einsatz des Rettungshubschraubers und begründet dies mit der hohen Dringlichkeit für die schwangere Frau und der extrem geringen Wahrscheinlichkeit einer notärztlichen Situation für verletzte Soldaten, da in dieser Zeit kein Konvoi außerhalb des Lagers unterwegs ist. Wenn Verpflichtung und natürliche Pflicht nicht mehr auf der gleichen Ebene liegen, da die Dringlichkeit (Verletzungs- oder Krankheitsgrad) und Wahrscheinlichkeit (Tod) der Betroffenen unterschiedlich bestimmt wird, kann es gerechtfertigt sein, die „natürliche“ Pflicht der Verpflichtung vorzuziehen.
Ausbildung einer moralischen Urteilskompetenz
Die Erwägung von kollidierenden Pflichten verlangt – neben der Situationskenntnis, der Fähigkeit zur Empathie und dem Vorstellungsvermögen – eine geschulte Urteilskraft. Und hierzu können berufsethische Seminare – durchaus mit Beurteilungsrelevanz – an den verschiedenen Schulen, den Universitäten und der Führungsakademie der Bundeswehr einen wichtigen Beitrag leisten. Sie können die Kenntnis von elementaren Theorien und grundlegenden Begriffen der philosophischen Ethik vermitteln, die Fähigkeit zur folgerichtigen Argumentation stärken und die Bereitschaft zur selbstkritischen Überprüfung der Gründe fördern. Hierzu bieten sich aus der Ethik-Didaktik verschiedene Methoden an, von denen nur zwei in Kürze vorgestellt werden sollen: die ethische Debatte9 und das Gedankenexperiment10.
Die Methode des Debattierens basiert auf den Bedingungen eines moralischen Diskurses (Jürgen Habermas) als einer zwanglosen Form der Kommunikation, in der das partikulare Eigeninteresse zugunsten einer unparteilichen Beurteilung aufgegeben wird und das bessere Argument anerkannt wird. Ein Konsens ist dann erreicht, wenn etwas alle wollen können. Im Unterschied zur Diskussion, in der Menschen ihre kontroversen Meinungen spontan austauschen, folgt die Debatte formalen Regeln und wird häufig auf eine umstrittene moralische Entscheidungsfrage angewendet, bei der sowohl eine Pro- wie eine Contra-Einstellung möglich ist. Die Seminarteilnehmer und -teilnehmerinnen werden über den Verlauf und die Regeln der Debatte aufgeklärt, über das moralische Problem hinreichend informiert und danach in die verschiedenen Gruppen (Pro, Contra, Jury) eingeteilt. In einer ersten Beratungsphase sollen die beiden Gruppen eine schlüssige Begründung ihres Standpunktes erarbeiten, währenddessen die Jury einen Beachtungskatalog erstellt, der die Bewertungskriterien und deren Gewichtung beinhaltet. In begrenzten Redezeiten werden dann die verschiedenen Argumente von einzelnen Mitgliedern der beiden Gruppen nacheinander und abwechselnd vorgetragen. In der darauffolgenden zweiten Beratungsphase müssen die beiden Gruppen die Argumente der jeweiligen Vertreter und Vertreterinnen des anderen Standpunktes aufgreifen und zu widerlegen versuchen, um sie anschließend erneut vorzutragen. Zum Abschluss spricht die Jury ihr Urteil, das sich an den zuvor erstellten Kriterien orientiert und die Leistungen der Einzelredner wie auch die Teamarbeit bewertet. Diese Methode fördert eine diskursive Form der Auseinandersetzung und – durch das Hineinversetzen in die Position des anderen – die kognitive Seite der Empathiefähigkeit. Ihre besondere Stärke aber liegt in der Ausbildung einer Argumentationskraft und Redefähigkeit, die es den Soldatinnen und Soldaten ermöglicht, ihren moralischen Standpunkt auch in der Öffentlichkeit angemessen rechtfertigen zu können.
Eine weitere Methode ist das Gedankenexperiment, wobei sich bei den Soldatinnen und Soldaten solche Experimente besser eignen, die einen realen Bezug zu ihrem beruflichen Alltag, am besten zu einem Szenario im militärischen Einsatz haben, deren Annahmen also im Bereich des real Möglichen liegen. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen eines Seminars können etwa in verschiedenen Gruppen mit der Annahme konfrontiert zu werden, sie müssten Sicherheitsmaßnahmen für ein militärisches Lager in einem durch die Religion des Islam geprägten Land treffen. Ihr besonderes Augenmerk sollen sie dabei auf ein Treibstoffdepot innerhalb des Lagers richten, das sowohl das Ziel von Einbrechern aus dem Kreis der benachbarten Zivilbevölkerung sein kann, die sich mit dem Diebstahl von Benzin ihren äußerst kargen Lebensunterhalt aufbessern möchten, als auch von in der Gegend operierenden Terroristen, die durch eine Explosion des Depots das Lager zerstören wollen. Bei diesem Szenario sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer – immer unter der moralischen Perspektive der Gewaltminimierung – nicht nur die eigenen Vorstellungen klären und die gängigen Optionen diskutieren, wie etwa die Ausstattung des Wachpersonals mit effizienten und zielgenauen Schusswaffen, sondern auch die eigene Kreativität und Fantasie fördern, um außerhalb der üblichen Denkmuster Maßnahmen zu entwickeln, die schon den Versuch von Einbrüchen unwahrscheinlich machen, wie etwa den Einsatz von für die muslimische Bevölkerung als unrein geltenden Hunden. Die Stärke dieser Methode liegt vor allem in der Anreicherung des Vorstellungsvermögens.11
Exkurs: Und das Gewissen?
Und wo bleibt in dieser Konzeption von „ethischer Bildung“ das Gewissen? – so lässt sich mit einiger Berechtigung ein kritischer Einwand formulieren. Schließlich bildet das Gewissen die Mitte personaler Existenz, in dem der einzelne Mensch sich als unmittelbar und unvertretbar Betroffener unter dem Anspruch des Guten gestellt erfährt, das ihn zu einem moralischen Dasein bestimmt und über die Integrität seines Lebens ein „wachsames Auge“ wirft. Zudem verlangt schon das Soldatengesetz, dass der Untergebene Befehle nicht nur vollständig und unverzüglich, sondern auch gewissenhaft auszuführen hat (vgl. §11 (1) SG), wobei die verlangte gewissenhafte Ausführung des Befehls nicht bloß als sorgfältig, sondern als ein die „ethischen ‚Grenzmarken‘ des eigenen Gewissens ‚bedenkender‘ Gehorsam“ interpretiert werden muss.12 Und schließlich schützt das Grundgesetz in Art. 4 (1) auch die Gewissensfreiheit der Soldatinnen und Soldaten, die den Gehorsam gegenüber einem einzelnen militärischen Befehl oder einem konkreten militärischen Einsatz verweigern. Denn Befehle, deren Ausführung ein Untergebener vor seinem Gewissen nicht verantworten kann, haben keinen Anspruch auf Gehorsam (vgl. BVerwGE 127,302).13
Ethische Bildung ist immer auch Gewissensbildung. Denn der einzelne Gewissensspruch ist in seiner inhaltlichen Bestimmtheit kein unfehlbares Orakel. Im konkreten Urteil kann sich der Mensch durchaus täuschen (das sogenannte irrende Gewissen). Dies verlangt von jedem einzelnen nicht nur eine permanente kritische Selbstprüfung, sondern ein lebenslanges moralisches Lernen. Der Mensch ist auch für sein Gewissen verantwortlich. Die ethische Bildung in den Streitkräften ist insofern Gewissensbildung, als sie – wie schon zuvor ausgeführt – die Empathiefähigkeit der Soldatinnen und Soldaten fördert, deren Vorstellungsvermögen an alternativen Handlungsoptionen anreichert und deren moralische Urteilsbildung schult.
Der Gesetzgeber schützt die Gewissenstätigkeit der Soldatinnen und Soldaten, etwa, wenn sich ein solches wachsames Gewissen vor einer Handlung warnend „zu Wort“ meldet, ein bestimmtes militärisches Tun doch zu unterlassen. Die rechtliche Gewährleistung der Gewissensfreiheit soll ihnen ermöglichen, ihrer existenziellen Verantwortung vor ihrem Gewissen gerecht zu werden. Auch die Stärkung dieser Verantwortung gehört in den Bereich der ethischen Bildung, zielt sie am Ende doch auf gewissensgeleitete und in ihrer Persönlichkeit gefestigte Soldatinnen und Soldaten. Die Wertschätzung eines reflektierten Gehorsamsverständnisses verlangt darüber hinaus noch die Förderung einer entsprechenden internen Kultur, in der Gewissensurteile auch faktisch eine breite Akzeptanz erfahren.
Fazit
Ethische Bildung soll moralische Kompetenzen stärken. Hierzu gehört zweifellos die moralische Urteilskraft, die Bestimmung dessen, was in einer konkreten Konfliktsituation überhaupt gerechtfertigt ist. Um sie zu schärfen, muss die Wahrnehmung verfeinert, das Vorstellungsvermögen angereichert und die Urteilsfähigkeit selbst geschult werden. Aber aus dem richtigen Urteil folgt nicht automatisch auch die richtige Handlung. Die sokratische Überzeugung, dass der Einsicht per se motivierende Kraft zukommt, ist nicht haltbar. Moralisches Urteil und moralische Motivation bleiben unabhängige Variablen. Konstitutiv für die Willensbildung ist die Selbstbindung an Werte und Überzeugungen, die durch Tugenden als Willensdispositionen stabil gehalten, sozusagen auf Dauer gestellt werden. Diese Fragen greifen aber tief in die persönliche Lebensführung der Soldatinnen und Soldaten ein und thematisieren auch die lebens- und weltanschaulichen Hintergrundüberzeugungen, die spirituelle Dimension menschlicher Existenz. Deren „Vermittlung“ braucht oftmals auch andere Unterrichtsformate und Lernorte, vor allem aber einen für ein vertrauensvolles und offenes Gespräch notwendig hierarchiefreien Raum. Wechselseitig aufeinander bezogen, aber sich auf die eigenen Schwerpunkte konzentrierend können beurteilungsfreier „Lebenskundlicher Unterricht“ und beurteilungsrelevante berufsethische Lehre gemeinsam zu einer ganzheitlichen ethischen Bildung der Soldatinnen und Soldaten beitragen.
1 Allerdings hat das Statut des Internationalen Militärgerichtshofs vom 8. August 1945 in Art. 8 die Handlung aufgrund eines Befehls nicht als Strafausschließungsgrund gelten lassen, sondern lediglich unter Umständen als Strafmilderungsgrund berücksichtigt.
2 Vgl. hierzu die instruktiven Erläuterungen von Wright, Georg Henrik von (1994): Normen, Werte und Handlungen. Frankfurt am Main, S. 9 ff.
3 Eine genaue Schilderung dieser militärischen Konfliktsituation findet sich bei Eisele, Manfred (2000): Die Vereinten Nationen und das internationale Krisen-Management. Ein Insiderbericht. Frankfurt am Main, S. 35 ff.
5 Auch diese Schilderung der moralischen Konfliktsituation habe ich entnommen aus Eisele (2000), S. 48ff.
6 Äußerst instruktiv zur Vermittlungsproblematik von Normen und den Problemlagen einer bestimmten Situation Ebeling, Klaus (2000): „Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Friedensethische Kriterien zur Beurteilung des Konflikts“. in: Militärseelsorge 28 (2000), Dokumentationsheft Juli, S. 78 ff.
7 Der Begriff der prima-facie Pflicht stammt von dem schottischen Philosophen William D. Ross. In deutscher Sprache erschienen: „Ein Katalog von Prima-facie Pflichten“. In: Birnbacher, Dieter/Hoerster, Detlef (Hg.) (1976): Texte zur Ethik. München, S. 253–268. Zur Einführung vgl. auch Wolf, Jean-Claude (1996): „Ein Pluralismus von prima-facie Pflichten als Alternative zu monistischen Theorien der Ethik“. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 50 (1996), H. 4, S. 601–610.
8 Die Informationen entnehme ich aus dem vom Zentrum Innere Führung herausgegebenen Arbeitspapier: Entscheiden und Verantworten. Konfliktsituationen in Auslandseinsätzen. 2. Auflage 2003. Koblenz-Strausberg, S. 13.
9 Eine umfassendere Darstellung dieser Methode findet sich z. B. bei Montag, Bärbel: „Debatten im Ethik- und Philosophieunterricht“. In: Nida-Rümelin, Julian u. a. (2015): Handbuch Philosophie und Ethik. Band 1: Didaktik und Methodik. Paderborn, S. 196–205.
10 Diese Methode wird präzise erläutert etwa bei Engels, Helmut (2004): „Nehmen wir an ...“ Das Gedankenexperiment in didaktischer Absicht. Weinheim/Basel, S. 187–196.
11 Das Beispiel geht auf einen realen Fall im Lager Beled Weyne in Somalia im Rahmen des UN-Einsatzes UNOSOM II vom 21. Januar 1994 zurück, bei dem ein deutscher Wachsoldat einen Somali, der nahe dem Betriebsstoffdepot in das Lager eindrang, nach mehreren erfolglosen Warnschüssen – und in Übereinstimmung mit den Rules of Engagement – erschossen hat. Vgl. Deutscher Bundestag. 12. Wahlperiode. Drucksache 12/6989: Zwischenfälle beim Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen der VN-Mission in Somalia (UNOSOM II), 8. März 1994. Die norwegischen Streitkräfte hatten ihr Camp aus den oben genannten Gründen zusätzlich durch den Einsatz von Wachhunden gesichert, sodass es dort nicht zu einem solcher Vorfall kam.
12 Vgl. zu dieser exakten Auslegung des Wortlauts dieses Paragrafen des Soldatengesetzes das maßgebliche Urteil des BVerwG vom 25. Juni 2005: BVerwGE 127,302 (322).
13 Eine genaue Analyse und Interpretation dieses Urteils findet sich in: Gillner, Matthias (2008): Gewissensfreiheit unter den Bedingungen von Befehl und Gehorsam. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2005 zur Gewissensfreiheit des Soldaten und die katholische Lehre von der Kriegsdienst- und Gehorsamsverweigerung aus Gewissensgründen. Bonn.
Dr. Matthias Gillner studierte katholische Theologie, Philosophie und Religionspädagogik in Frankfurt am Main, München und Petrópolis (Brasilien). Von 1990 bis 1995 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Katholische Sozialethik der Bundeswehruniversität in Hamburg. Nach der Promotion im Fach Katholische Theologie arbeitete er von 1996 bis 1999 als Wissenschaftlicher Referent am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg. Seit Dezember 1999 ist er Wissenschaftlicher Direktor für Katholische Sozialethik an der Fakultät Politik, Strategie und Gesellschaftswissenschaften der Führungsakademie der Bundeswehr und seit April 2016 Lehrbeauftragter für Theologische Ethik am Institut für Katholische Theologie der Universität Hamburg.