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"Wir sollten menschliche Existenz nicht unreflektiert verändern"

Herr Dr. Dr. Fischer, Strategic Foresight beschäftigt sich mit plausiblen zukünftigen Entwicklungen und Szenarien. Welche Rolle spielt dies für die Wehrmedizin, und welche besonderen Herausforderungen sehen Sie?
In der Wehrmedizin erscheint mir vor allem die Frage nach dem Umgang mit Human Enhancement als zentral. Im zivilen wie auch im militärischen Kontext werden wir zunehmend mit verschiedenen Formen und Möglichkeiten der Optimierung bzw. des Enhancements ­konfrontiert. Die Frage nach dem Umgang mit Neuroenhancement, insbesondere der pharmakologischen Steigerung psychischer Fähigkeiten und der Vigilanz, bietet ein eindrucksvolles Beispiel. Natürlich gibt es eine Vielzahl weiterer, auch nicht pharmakologischer Anwendungsgebiete mit dem Ziel, soldatische Fähigkeiten zu verbessern. Denken Sie nur an die Entwicklung von Exoskeletten, Tiefer Hirnstimulation oder Mensch-Maschine-Schnittstellen. Hier entsprechende Zukunftsszenarien zu entwickeln, ist eine wichtige wehrmedizin­ethische Aufgabe. 

Wo sehen Sie den Unterschied zwischen Optimierung und Enhancement? 
Meiner Meinung nach ist es wichtig, zwischen solchen Techniken zu unterscheiden, die von Natur aus gegebene Fähigkeiten unterstützen, und solchen, die im Menschen einen neuen Wesenszug implementieren. Letztere ließen sich als invasive Techniken bezeichnen. Basierend auf dieser Sichtweise schlage ich folgende Definition vor: Human Enhancement meint die Entwicklung und Anwendung invasiv-technischer Methoden und Werkzeuge zur qualitativen Überwindung einer von Natur aus gegebenen Grenze menschlichen Seins, das dadurch eine neue Existenzebene erreicht. Nach der Anwendung einer solchen Methode oder eines solchen Werkzeugs des Human Enhancements bedeutet es etwas anderes, ein Mensch zu sein, als zuvor. 

Die Anwendung solcher Techniken stellt also mit anderen Worten unser Selbstverständnis als Menschen infrage? 
In der Tat, denn hier sehen wir uns eindrucksvoll  mit der Frage konfrontiert: Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Die von Natur aus gegebenen Grenzen beziehen sich in diesem Zusammenhang ja nicht auf quantitative, sondern auf qualitative Eigenschaften, das heißt auf ­Fähigkeiten, über die der Mensch als An­ge­höriger der Spezies Homo sapiens nicht verfügt. 

Welche Konsequenzen hat ein so definiertes Human Enhancement?
Losgelöst von der Diskussion über Human ­Enhancement in der Transhumanismusdebatte, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, stellt Human Enhancement als invasive Technik eine Herausforderung nicht nur für den Einzelnen, sondern für die gesamte Gesellschaft dar. Aus der Perspektive militärischer Notwendigkeit erscheint die Entwicklung von Enhancement-Techniken wichtig; dennoch sollte eine grundlegende Veränderung menschlicher Existenz eine Grenze darstellen, die nicht unreflektiert überschritten wird. Denken Sie beispielsweise an die mögliche Entwicklung eines posthumanen Supersoldaten und deren Auswirkung auf das humanitäre Völkerrecht beziehungsweiese auf das diesem zugrunde liegende Ethos. Obwohl wir heute nicht in der Lage sind, alle Merkmale der künftigen Entwicklung des Enhancements aufzuzeigen, bin ich doch zutiefst davon überzeugt, dass uns dieses Thema in Zukunft immens beschäftigen wird. 

Bestimmt dieses Thema die wehrmedizin­ethische Debatte? 
Im Verlauf der letzten Jahre hat die Frage nach Human Enhancement zunehmend an Bedeutung gewonnen. Weltweit werden enorme Anstrengungen in Forschung und Entwicklung unternommen, um hiervon zu profitieren. Militärische Szenarien spielen dabei eine wich­tige Rolle. Die Aufgabe des Sanitätspersonals in diesem Kontext bedarf noch einer Defini­tion. Da das das Sanitätspersonal im Dienst an der Menschlichkeit steht, wird es aber immer dann die Stimme erheben, wenn der Mensch ge­fährdet ist. Gemeinsam mit anderen Insti­tu­tionen liegt uns an der Lehr- und Forschungsstelle für Wehrmedizinische Ethik an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München die weitere Reflexion und Forschung auf dem Gebiet des Human Enhancements sehr am Herzen.

Herr Dr. Dr. Fischer, vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Dr. Rupert Dirk Fischer

Dr. Dr. Rupert Dirk Fischer studierte Humanmedizin, Philosophie und katholische Theologie und promovierte in Humanmedizin und katholischer Theologie. Er ist Spiritual am Herzoglichen Georgianum in München, ­medizinethischer Berater des Sanitätsdienstes der ­Bundeswehr sowie Leiter der Lehr- und Forschungsstelle für Wehrmedizinische Ethik an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München. 

lfwme@bundeswehr.org

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