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Mannbarkeitsriten – Gewaltrituale, sexuelle Übergriffe und Rechtsextremismus in der Bundeswehr

Einleitung

In der Zentralen Dienstvorschrift zur Inneren Führung heißt es zum Leitbild des mündigen, seinem Gewissen verpflichteten „Staatsbürgers in Uniform“: „Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr erfüllen ihren Auftrag, wenn sie aus innerer Überzeugung für Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität und Demokratie als den leitenden Werten unseres Staates“ und damit auch der Bundeswehr „aktiv eintreten“1. Der dafür notwendige Zusammenhalt beruht nach dem Soldatengesetz wesentlich auf Kameradschaft, deren Normen allerdings nicht allein von oben nach unten im Rahmen linearer Befehls- und Gehorsamsketten umgesetzt werden. Kameradschaftsnormen bilden sich vielmehr, so der Soziologe Stefan Kühl, „im Schatten der offiziellen formalen Organisation aus – durch das autonome, selbstinitiierte Handeln der Soldatinnen und Soldaten“2.

Aus der Ritualforschung wissen wir seit Émile Durkheim, dass ritualisiertes Handeln konstitutiv für die Erzeugung, die Festigung und die Repräsentation von Gemeinschaftsbindungen ist. Dazu gehört auch die Sicherung von Zugehörigkeit zur jeweiligen Bezugsgruppe und deren innere Differenzierung durch die Zuweisung bestimmter Rollen. Dies gilt bei der Bundeswehr sicherlich für die bekannten offiziellen militärischen Rituale und Zeremonien wie das Rekrut:innengelöbnis oder den Großen Zapfenstreich. Wie aber lassen sich in diesen Zusammenhang die skurrilen und meist erniedrigenden Gewalt- und Ekelrituale in der Bundeswehr einordnen? Auch dabei geht es ja um eine eigenaktive Form der Selbstermächtigung, mit der die daran beteiligten Soldaten auf die Herstellung und Festigung eines kameradschaftlichen Gemeinschaftsgefühls zielen. Aber dieses rituelle Zusammenschweißen erfolgt durch anstößige, oft sogar rechtswidrige Handlungen, die das Leitbild eines staatsbürgerlich verantwortlichen Soldaten mit der für ihn postulierten konflikt- und friedensfähigen Mitmenschlichkeit missachten, konterkarieren und beschädigen. Bei den in jüngerer Zeit bekannt gewordenen Vorfällen in der Staufer-Kaserne in Pfullendorf, bei einem Gebirgsjägerbataillon in Bad Reichenhall, bei Teilen des Kommandos Spezialkräfte (KSK), bei deutschen Panzergrenadieren in Litauen sowie beim Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung fällt außerdem auf, dass mit den bizarren und gewaltförmigen Ritualen regelmäßig auch sexuelle Belästigungen und Übergriffe sowie rechtsextremistische, verschwörungsideologische und antisemitische Äußerungen einhergehen.

Wo liegen die tieferen Ursachen für dieses rituelle Verhalten? Was macht aus einer sozialpsychologischen Perspektive den Kern dieser grenzüberschreitenden Regelverletzungen aus, und was verbindet sie im militärischen Kontext miteinander? Die folgenden Ausführungen werden der These nachgehen, dass sich alle drei Handlungsfelder, vor allem aber die im Hauptfokus stehenden Rituale, als Versuch einer mann-männlichen Selbstinitiation verstehen lassen. Nach dieser These ist diese rituelle Selbstinitiation von dem mehr oder weniger unbewussten Wunsch nach Herstellung und Abhärtung einer kampf-, tötungs- und opferbereiten Gruppenmännlichkeit durch die tatkräftige und körperbezogene Überwindung der als weiblich geltenden, nicht männlichen Zivilität getragen. Die offizielle militärische Ausbildung dient in großen Teilen zwar ebenfalls diesem Ziel, scheint aber als nicht hinreichend wahrgenommen zu werden. So bildet sich vor allem auf der Ebene der Mannschaftsdienstgrade immer wieder eine exklusive Subkultur mit männerbündischem Charakter aus, bei der die Neuankömmlinge den Beweis ihrer Zugehörigkeit erbringen müssen. Hier kommt bei den beteiligten Soldaten ein maskuliner und zugleich nationalistischer Ehrbegriff zum Ausdruck, mit dem die elementare Angst abgewehrt werden soll, als weiblich und/oder homosexuell markierter und denunzierter „Schwächling“, „Verlierer“ oder als unzuverlässiger „Versager“ zu gelten und ausgegrenzt zu werden.3 Das dahinterstehende traditionelle, archaisch kriegerische Männlichkeitsideal ist mit dem heroischen Männerbild der neuen Rechten kompatibel. Darin liegt sicherlich eine der Hauptquellen der in der Bundeswehr immer wieder auffallenden Affinitäten zum Rechtsextremismus.4 

Nun wird hinsichtlich dieser offenkundigen Anfälligkeit für Aufnahmerituale sowie für sexistische und rechtsextremistische Ideologien der Ungleichheit und Gewalt immer wieder darauf hingewiesen, dass die Bundeswehr ein „Spiegel der Gesellschaft“ ist und es deswegen kein Wunder sei, dass sich in ihr in ähnlichem Umfang die gleichen negativen Phänomene ausbreiten wie in der außermilitärischen Wirklichkeit. Das stimmt sicherlich, wenn auch mit einer wesentlichen Einschränkung, auf die noch einzugehen sein wird. Aber nehmen wir die These von der Bundeswehr als Spiegel der Gesellschaft einmal ernst, dann ist es sinnvoll, zunächst die Gesamtgesellschaft und dabei insbesondere die Strukturen der nach wie vor dominierenden Geschlechterverhältnisse in den Blick zu nehmen. Diese Verhältnisse sind seit Längerem von Erosionen und als Folge davon insbesondere von einem Kampf um die Sicherung der männlichen Vorherrschaft bestimmt, ein Kampf, der in verschiedenen gesellschaftlichen Arenen ausgetragen wird. Das Militär ist eine dieser Arenen der Männlichkeit.

Männliche Vorherrschaft

In den postmodernen westlichen Gesellschaften sind seit längerer Zeit die traditionellen Geschlechterverhältnisse unter dem Einfluss gleichstellungspolitischer Fortschritte in Bewegung geraten. Diese Veränderungen bleiben jedoch weitgehend an der Oberfläche, solange die dahinterstehenden Strukturen einer nach wie vor asymmetrischen und hierarchischen Geschlechterordnung grundsätzlich unangetastet bleiben. Verschleiert und verleugnet wird damit, so die Soziologin Sylka Scholz, vor allem die trotz aller Modernisierungen in den Geschlechterbeziehungen nach wie vor geltende „geistige und moralische Vorherrschaft von männlichen Wert- und Ordnungssystemen“, die an die „Produktion einer hierarchischen Kultur der Zweigeschlechtlichkeit“ gebunden ist. Diese Kultur der Ungleichheit weist einen grundlegenden Kern auf: Das „Männliche gilt als Norm und gegenüber dem Weiblichen als überlegen“, das Weibliche dagegen weiterhin als untergeordnet, nachrangig und weniger wert.5

Dieses System der männlichen Vorherrschaft ist tief in der kulturellen Ordnung der Gesellschaft und in den weitgehend unbewussten Wahrnehmungs- und Einstellungsmustern (nicht nur der Männer) verankert. Das bedeutet, dass Männer in männlich dominierten Gesellschaften nach wie vor dem mehr oder weniger starken Druck unterliegen, Unterschiede gegenüber den Frauen zu betonen, diese Differenzwahrnehmungen zu bewerten und sich damit nicht nur als ein anderes, sondern grundsätzlich als das wichtigere und überlegene Geschlecht zu setzen. Diese Selbstsetzung muss geschützt und „im Notfall“ unter Beweis gestellt werden. Als kulturelles Konstrukt ist Männlichkeit vor diesem Hintergrund als ein fragiler und krisenanfälliger Zustand zu verstehen, der bei Konflikten, die immer auch als Krise der Männlichkeit erlebt werden, repariert oder gar neu hergestellt werden muss. Das heißt: Im Zentrum des Selbstverständnisses einer auf hierarchischen Geschlechtergegensätzen aufgebauten Kultur steht das Bild einer intakten und autonomen, aber immer wieder bedrohten Männlichkeit.

Diese Bedrohung zeigt sich insbesondere auf dem Feld der Sexualität, denn sein nach der Norm der Heterosexualität auf Frauen gerichtetes Begehren macht den Mann im hohen Maße abhängig: abhängig von seinem eigenen Begehren und mit dieser Fixierung gleichzeitig abhängig von den Frauen, auf die seine Sexualität programmiert bleibt. Der Mann ist unter diesen Bedingungen nirgends schwächer und (scheinbar) einer fremden Kontrolle unterworfen als auf dem Feld der Sexualität. Damit wird er einem unausweichlichen Dilemma unterworfen: einem nicht auflösbaren Gegensatz von zwanghaftem Autonomiewunsch und einer tief sitzenden Abhängigkeitsangst. Die Folge ist die Entwicklung einer im Krisenfall kampfbereiten Abwehrhaltung, deren unbewusster Kern eine ambivalente, aus Angst, Lust und einer bis zum Hass reichenden Feindseligkeit gekennzeichnete Einstellung zur Weiblichkeit sowie zu allem Bedrohlichen ist, das unbewusst als weiblich markiert wird: Zeichen von „Schwäche“, die als nicht männlich empfunden, mit Frau und Weiblichkeit assoziiert und nun im Außen als legitime „Notwehr“ energisch bekämpft werden können. Hier liegt psychologisch eine der wichtigsten Quellen für alle Formen des alltäglichen Sexismus bis hin zu manifester sexueller und sexualisierter Gewalt im zivilen gesellschaftlichen Alltag. Damit aber auch, folgen wir der These von der Bundeswehr als Spiegel der Gesellschaft, im militärischen und schließlich sogar im Kriegs-Alltag. Sexismus und sexuelle Übergriffe im Militär, vor allem aber die in fast allen Kriegen vorkommenden Vergewaltigungen legen hiervon ein beredtes Zeugnis ab. Bei sexueller Kriegsgewalt geht es nicht nur um eine spezifische Mischung aus sexueller Lust, Macht und Gewalt als kriegsstrategisches Mittel, sondern gleichzeitig immer auch um einen elementaren Männlichkeitsbeweis.6

Vor diesem Hintergrund sind die immer mal wieder, auch aus der Bundeswehr selbst heraus, als wichtige „gruppenstabilisierende Elemente“ verharmlosten internen Rituale der Bundeswehr eben keine bloßen spätpubertären Mutproben unreifer junger Männer, die ein bisschen aus dem Ruder gelaufen sind, sich aber irgendwann schon von allein geben. Sie müssen vielmehr als selbst gewähltes Mittel der Erzeugung einer intakten soldatischen Männlichkeit verstanden werden, die sich bei Bedrohungen ihrer Unversehrtheit als abwehr- und kampfbereit bis hin zur Überwindung des Tötungstabus erweisen soll. Und hier finden wir in der Ausbildung an Waffen und in der damit verknüpften Erzeugung der Bereitschaft, im Einsatzfall gegebenenfalls zu töten und getötet zu werden, den entscheidenden Unterschied zu ähnlichen männlichen Selbstinitiationen außerhalb der Streitkräfte.

Selbstverständlich lassen sich militärischer Alltag und Kriegseinsätze nicht auf diese Geschlechterdimension reduzieren, sie sind aber ohne die Berücksichtigung ihrer Mobilisierung nicht hinreichend zu erfassen. Die inszenierten Gewaltrituale mögen dabei zwar im Widerspruch zum soldatischen Idealbild der Inneren Führung stehen – nicht aber grundsätzlich im Widerspruch zu den männlichkeitsprägenden Zielen und Aufgaben, die der militärischen Ausbildung als einer Form des organisierten Übergangs von einer zivilen zu einer soldatischen Männlichkeit ohnehin zu eigen sind. 

Militärische Sozialisation und Geschlecht

Weder eine stärkere Integration von Frauen in die Streitkräfte noch die Transformation traditioneller Staatenkriege in neue asymmetrische oder in moderne Kriege mit professionellem Hightech-Charakter haben grundsätzlich etwas daran geändert, dass Militär und Krieg nach wie vor zutiefst männlich bestimmt sind. „Das Militär bestimmt wie kaum ein anderer Lebensbereich die Konstruktion von Männlichkeit und ist selbst in hohem Maße von Männlichkeit durchdrungen.“7 Das bezieht sich nicht nur auf die lange und bis heute prägende militärische Tradition sowie die quantitative Dominanz von Männern in den Armeen, sondern vor allem auf die in ihnen verkörperten und die Ausbildung der Soldaten bestimmenden Werte und Verhaltensnormen. Die deutschen Streitkräfte sind auch nach Aussetzung der Wehrpflicht eine maßgebliche Institution für die Produktion des vorherrschenden Konstrukts Männlichkeit. Und zu diesem Konstrukt gehört nun einmal das Selbstbild einer intakten, aber vielfältig bedrohten Gruppenmännlichkeit, deren Militarisierung innerhalb einer homosozialen Kampfgemeinschaft Schutz und eine erfolgreiche Immunisierung gegen diese Bedrohungen verspricht.

In seiner affirmativen Rechtfertigung des exklusiv männlichen Charakters von Militär und Krieg bringt einer der bekanntesten Militärhistoriker, Martin van Creveld, diesen Aspekt naiv und fast zynisch zugespitzt auf den geschlechterideologischen Punkt: Krieg, so van Creveld, ist und bleibt ein kulturell und entwicklungspsychologisch notwendiger Männlichkeitsbeweis. Notwendig, weil es im Unterschied zur Entwicklung der weiblichen Gebärfähigkeit keine biologischen Übergänge des Jungen zum Mann gebe und der Junge folglich durch kulturelle Riten erst männlich gemacht werden müsse. Diese Erzeugung von Männlichkeit könne nur durch Männer selbst erfolgen, da es vor allem darum gehe, endgültig die Bindung an die Mutter aufzulösen und die damit verbundene „weibliche Substanz“ aus den Körpern und der Seele der jungen Heranwachsenden auszutreiben. Nur eine solche Initiation könne diese Abhängigkeit von Frauen überwinden und die Jungen halbwegs gegen zukünftige weibliche Einflüsse immunisieren, die eng mit einer von Lust, Angst und Neid begleiteten Imagination der weiblichen Sexualität verbunden sind. Da es aber, so van Creveld weiter, in den entwickelten Gesellschaften keine traditionelle Stammesinitiation mehr gebe, müssten zwangsläufig soziale Einrichtungen wie das Militär diese Funktion der Weiblichkeitsüberwindung übernehmen. Und in letzter Konsequenz, so lautet seine männlichkeitsverherrlichende und gleichzeitig frauenverachtende Schlussfolgerung, sei kein Tätigkeitsfeld so geeignet, „die Männlichkeit zu bestätigen, wie der Krieg“. Angesichts der „überlegenen sexuellen und Fortpflanzungsqualitäten der Frauen“ biete der Krieg den Männern die Gelegenheit, endlich einmal unter Beweis zu stellen, „wozu sie denn überhaupt gut sind“. Und der Krieg biete damit „der menschlichen Persönlichkeit“, und die ist aus van Crevelds androzentristischer Sicht selbstverständlich die männliche, generell „eine gute Möglichkeit, sich voll zu entfalten“.8

Dies liest sich wie ein Handbuch zur männlichen Initiation in einer kriegerisch-patriarchalen Stammesgesellschaft. Kritisch gewendet bedeutet diese heroisierende Kriegsverherrlichung: Die Zugehörigkeit zum Militär und die Teilnahme am Krieg tragen den Charakter einer hypervirilen mann-männlichen Wiedergeburt mit initiationsähnlichen Zügen, durch die Spuren des Mütterlichen beseitigt werden und damit der Einfluss der angstauslösenden Weiblichkeitsbilder abgewehrt wird. „Der militärische Initiationsritus“, so Eva Kreisky kurz und bündig, „lässt also in die Welt ‚wahrer‘ Männlichkeit eintreten.“9 Kriege dienen unter dieser Perspektive auch der Mobilisierung, dem Einsatz und dem Beweis dieser militarisierten, auf Abwehr und Kampf ausgerichteten Männlichkeit sowie der Reparatur ihrer als gefährdet oder gar als beschädigt erlebten Subjektivität.

Auf welchem Wege und mit welchen Methoden wird nun dieses Konstrukt der soldatischen Männlichkeit hergestellt? Im Zentrum der militärischen Sozialisation, deren immer wieder gern vergessener Kern eine Sozialisation zum Töten ist, steht ein grundlegender Umbau der Persönlichkeit: die Verwandlung eines „zivilen“ in ein „militärisches Ich“. Für Markus Euskirchen heißt das: „Zunächst wird der junge Mann – während der Grundausbildung – teildestruiert, umstrukturiert und umgebaut.“ Die anschließende „Restrukturierung“ der jungen Männer „findet unter der Verheißung von kollektiv zu erwerbender Super-Männlichkeit statt“10. Zu den wichtigsten Mitteln dieses Umbaus gehört die Entwicklung und Kanalisierung von Verarbeitungsmechanismen der durch die militärische Ausbildung erzeugten und unter Einsatzbedingungen massiv verstärkten Ängste. Die Ängste sollen damit in eine aggressive Feindbildung umgewandelt, und das heißt, im Zeichen von Kameradschaft und Korpsgeist abgewehrt und in den berechtigt erscheinenden Kampf gegen einen äußeren Gegner transformiert werden. Auf diesem Wege kann Angst in Feindseligkeit, Hass und Grausamkeit umgewandelt werden.

Diese Transformation in eine mehr oder weniger kriegerisch ausgerichtete Männlichkeit als möglichst reibungslos funktionierender Teil einer wehrhaften und kampfbereiten Tötungsmaschinerie setzt vor allem am Körper der Rekruten an. Die körperbezogenen Ausbildungspraxen und ihre Methoden der Abhärtung, Ermüdung, Stärkung, Bestrafung und so weiter sollen den Körper und damit den Geist der Soldaten in einen Zustand kontrollierter Selbstdisziplin, lückenloser Überwachung und ständiger Kritisier- und Bestrafbarkeit versetzen.

Zu den klassischen Merkmalen dieses militärisch-männlichen Körperselbst gehören Stärke, Mut, Entschlossenheit, aggressive Kampfbereitschaft, Härte, Disziplin, bedingungslose Hingabe- und Gehorsamsbereitschaft, Kameradschaftsgeist, Tapferkeit, Zähigkeit und Opferbereitschaft. Diese Merkmale müssen in der militärischen Sozialisation gleichsam in den Körper und die Seele des Soldaten eingeschrieben werden. Dieser Kanon an soldatischen Werten macht, wie bereits angedeutet, auch deutlich, was nicht dazugehört: alles, was als Gegenteil dieser militärisch aufgerüsteten Männlichkeit gilt und typischerweise als weiblich (oder „schwul“) denunziert und unter den Etiketten „Weichei“, „Schlappschwanz“ und so weiter rubriziert wird. Und genau in diesen Kontext gehören die sogenannten „Aufnahmerituale“, denen damit vorrangig die Funktion von Männlichkeitsbeweisen zukommt.

In (un)guter Erinnerung sind hier etwa die im Februar 2010 in die Schlagzeilen geratenen bizarren Aufnahmerituale bei den Gebirgsjägern in Mittenwald. Um als „Fux“ im sogenannten „Hochzugskult“, einer internen Mannschaftshierarchie, aufzusteigen, mussten die Novizen bis zum Erbrechen rohe Schweineleber und mit Rohhefe gefüllte Rollmöpse essen, exzessiv Alkohol trinken und, für eine soldatische Männergemeinschaft nicht ohne Pikanterie, nackt Kletterübungen vor den versammelten Kameraden absolvieren. Nur wer sich diesen Prüfungen ausgesetzt und sie überstanden hatte, galt fortan als „echter“ Gebirgsjäger.

Vor diesem Hintergrund müssen diese Rituale und mannschaftsinternen Härteprüfungen als das eingeordnet werden, was in der meist schnell erregten und dann ebenso schnell wieder abflauenden öffentlichen Debatte weitgehend ausgeblendet bleibt: Rituale einer militarisierten Männlichkeit, deren kriegerisch-heldische Komponente nicht, wie viele annehmen, durch inszenierte Rituale in Schach gehalten und überwunden, sondern gerade hervorgebracht und verstärkt wird.

Die Logik der männlichen Initiation

Wie weit aber trägt der hier angesprochene Vergleich von militärischer Sozialisation und erniedrigenden Bundeswehrritualen mit der klassischen männlichen Initiation? In allen Gesellschaften mit männlicher Vorherrschaft ist die Initiation oder eine analoge, mehr oder weniger organisierte Statuspassage das wichtigste Mittel zur Herstellung und Sicherung der kulturell erwünschten Männlichkeit. Entsprechend des grundlegenden Modells Arnold van Genneps über die „rites de passage“ folgen die männlichen Übergangsriten einem dreiphasigen Grundschema, das aus einer Trennung (séparation), einer Umwandlung (marge) und einer Angliederung (agrégation) besteht:11 Nach einer radikalen, häufig gewaltsamen Trennung von der weiblichen Welt werden die Initianden komplexen Inszenierungen und oft schmerzhaften Prüfungen unterworfen, um alle Spuren des Weiblichen aus ihrem Geist und Körper auszutreiben und die fortan mit dem Bild bedrohlicher Weiblichkeit verknüpften Ängste zu überwinden. Erst nach der Inszenierung eines symbolischen Todes und einer sich anschließenden zweiten Geburt, einer sozialen Wiedergeburt in der exklusiven Gruppe erwachsener Männer, ist eine Rückkehr in die weibliche Welt, nun als „wahrer“, „potenter“ und meist auch als kriegerischer Mann, möglich.12

Die Befunde der jüngeren einschlägigen ethnologischen Forschung zeigen aber, dass die Immunisierung gegen die vermeintlichen Gefahren, die von Frauen und vor allem ihrer als bedrohlich empfundenen Sexualität ausgehen, niemals vollständig gelingt.13 Die durch die Initiation oder, wie in unseren Gesellschaften, auf initiationsähnlichen Wegen erworbene Männlichkeit bleibt grundsätzlich ein fragiler und permanent bedrohter Zustand. Die größten Gefahren scheinen, wie bereits aufgezeigt, auch nach der virilen Wiedergeburt (und dann vielleicht sogar erst recht) von den Frauen, der weiblichen Sexualität und all jenen Verhältnissen und Zuständen auszugehen, die als schwächend, als Verlust der mit dem eigenen Geschlecht verbundenen Integrität und Autonomie empfunden werden. Aus diesem Grund ist die Arbeit am und mit dem männlichen Körper gleichsam als dem wichtigsten Träger der initiierenden Rituale so wichtig. Rituale können nicht ohne diesen Körperbezug existieren.

Übertragen auf die selbst inszenierten Übergangsriten im Militär sehen wir hinsichtlich der Rolle von Körper und Sexualität, dass die Soldaten einem Dilemma unterworfen werden: Sexualität gehört elementar zum Ideal von männlicher Vitalität und Stärke, aber damit ist selbstverständlich ausschließlich Heterosexualität gemeint. Homosexualität ist nach wie vor und durch die Rituale verstärkt, zutiefst verpönt. In den Ritualen der Gebirgsjäger in Mittenwald wird diese sexuelle Dimension körperlich zur Schau gestellt: Die nackt absolvierten Kletterübungen demonstrieren, dass der Körper der Soldaten der ganzen Gruppe gehört. Nicht nur zum Zwecke der Abhärtung, sondern auch zur Kontrolle möglicher sexueller Anfeindungen, die wie in einem Spiel mit dem Feuer gleichzeitig in voyeuristischer Form angestachelt und in Schach gehalten werden. Das Posieren von Angehörigen der Gebirgsjäger mit Totenschädeln bei ihrem Einsatz in Afghanistan 2003 neben ihrem entblößten und erigierten Geschlechtsteil erfüllt einen ähnlichen Zweck. Die Nähe von Sexualität, Tod und Potenz bei einer unter Kriegsbedingungen existenziellen Ängsten ausgesetzten soldatischen Männlichkeit ist auffällig.

Wo aber bleibt konkret die Sexualität der Soldaten, die ständig mobilisiert und als Mittel des Potenzbeweises und der Überlegenheit angesehen und eingesetzt wird? Das Thema Sexualität ist im Militär dauerpräsent, aber gleichzeitig mit Tabus versehen. Zum soldatischen Selbstbild gehört eine als „naturgegeben“ aufgefasste urwüchsige Heterosexualität, die keinen Aufschub duldet. Das ist keine als Aufstau misszuverstehende „sexuelle Not“, sondern ein aus Prestigegründen und Kameradschaftsdruck „notwendiger“ Männlichkeitsbeweis, der sich häufig auch im demonstrativ gesteigerten, gruppenstabilisierenden Konsum von Pornografie und Prostitution zum Ausdruck bringt. Hier kommt erneut die körperliche Dimension ins Spiel, denn aus dieser, die männlichen Wahrnehmungs-, Einstellungs- und Handlungsmuster bestimmenden Perspektive gilt der Grundsatz: Der Mann hat einen Körper, den er beherrschen, manipulieren und als Instrument, gegebenenfalls als Waffe benutzen kann. Die Frau dagegen ist Körper und damit potenzielles Objekt des Zugriffs. Sexuelle Belästigungen bis hin zu Übergriffen gegenüber Kameradinnen finden hier ihren (psycho)logischen Kern und ihre unbewusste Legitimation. 

Schlussbemerkung

Selbstverständlich zielen diese Überlegungen nicht pauschal auf das gesamte Klima in der Bundeswehr. Aber die grenzverletzenden Männlichkeitsriten sowie die mit ihnen verbundenen sexistischen und rechtsextremistischen Vorkommnisse werden sich ohne eine systematische Berücksichtigung der hier angedeuteten geschlechtsbezogenen Perspektive nicht angemessen verstehen und wirksam bekämpfen lassen. Was folgt daraus für die Praxis? Konkrete, rezeptähnliche Vorschläge lassen sich aus den Ausführungen zwar nur schwer ableiten, aber einige grundlegende Konsequenzen zumindest andeuten. Zunächst geht es um eine unabhängige „aktuelle und vorbehaltlose Lageanalyse, die über die Auflistung von ‚Vorfällen‘ hinausgeht“, wie es vom Historiker Klaus Naumann gefordert wird. Die Einrichtung einer Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle im Verteidigungsministerium reicht hier vermutlich nicht aus. Zu einer solchen Untersuchung gehören Fragen „nach den strukturellen Affinitäten zwischen Militär und Rechtsaußen, den selbstverstärkenden Mechanismen der militärisch-politischen Sozialisation und nach der Bedeutung subkultureller Milieus für die Ausprägung politischer Einstellungen und ihre Radikalisierung“14. Auch hier gilt: Das kann nur Erfolg haben, wenn die geschlechtliche Dimension in die Untersuchung dieser drei Felder einbezogen wird. Angesichts der Tatsache, dass mehr als jede zweite Bundeswehrsoldatin mindestens eine Form sexueller Belästigung im Truppenalltag erlebt15, gilt dies vor allem für die alltägliche Aufklärungs- sowie die Ausrichtung der politischen Bildungsarbeit. Der Kampf gegen Rechtsextremismus und gegen alle Formen des Sexismus sowie die damit verbundenen militarisierten Männlichkeitsvorstellungen ist aber keine exklusive Aufgabe der Bundeswehr, sondern eine gesamtgesellschaftliche.

In der Bundeswehr wird diese notwendige sanktionierende und präventive Arbeit erheblich durch jenen grundlegenden Widerspruch erschwert, auf den bereits am Anfang hingewiesen wurde: die tiefe Kluft zwischen dem Ideal staatsbürgerlich und moralisch verantwortlicher Soldat:innen und dem rituellen Zusammenschweißen zu einer abwehr- und kampfbereiten Kameradschaft mit einer, seit den Erfahrungen der Auslandseinsätze, zunehmenden Renaissance des archaischen Bildes einer kriegerischen Männlichkeit. Angesichts dieser Kluft ist das Diktum von Graf von Baudissin einer „Entmilitarisierung des soldatischen Selbstverständnisses“ ein hehres Ideal, aber praktisch nur annäherungsweise umzusetzen. Aber gerade weil dieses Ideal im Sinne der Inneren Führung nicht vollumfänglich erreichbar ist, sind alle Maßnahmen, die diese Annäherung stärken, anzuwenden und zu intensivieren. Wichtig ist dabei, dass im Gegensatz zu einer immer noch verbreiteten Kultur des Verleugnens, Verschweigens oder Bagatellisierens bei allen Beteiligten ein Bewusstsein dieses Widerspruchs verankert wird. Der männlich-kameradschaftliche Korpsgeist suggeriert das Kontinuum einer widerspruchsfreien Gemeinschaft, die real nicht existiert. Diese Kluft und die damit einhergehenden typischen Krisen und Konflikte müssen angenommen, akzeptiert und ausgehalten werden. Dazu ist auch ein offener reflexiver und selbstreflexiver Umgang mit jenen eigenen Affekten notwendig, die immer wieder als unmännlich, schwach und damit nach der militärischen Logik als untauglich denunziert werden. Dies gilt insbesondere für das Eingehen auf persönliche Ängste, ehe diese durch zusammenschweißenden Drill und rituelle Härteprüfungen in ein Potenzial von Feindseligkeit und Hass transformiert werden. Etwas pathetisch ausgedrückt geht es, angelehnt an einen auf einen anderen Zusammenhang gerichteten Aphorismus Theodor W. Adornos darum: insbesondere für den Soldaten Verhältnisse zu schaffen und zuzulassen, „wo du schwach dich [auch] zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren“16.

1 Bundesministerium der Verteidigung (2017): Zentrale Dienstvorschrift – Innere Führung. Selbstverständnis und Führungskultur. https://www.bmvg.de/resource/blob/13998/01082632986ceeb2c82c36c61785fec9/b-01-02-01-download1-data.pdf (Stand: 29. Oktober 2021).

2 Kühl, Stefan (2017): Über Kameradschaft in der Bundeswehr – und ihre Erosion. https://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/bundeswehr-stefan-kuehl-ueber-erosion-von-kameradschaft-15181715-p2.html (Stand: 29. Oktober 2021).

3 Vgl. Pohl, Rolf u. Roock, Marco (2011): Sozialpsychologie des Krieges: Der Krieg als Massenpsychose und die Rolle der militärisch-männlichen Kampfbereitschaft. In: Jäger, Thomas und Beckmann, Rasmus (Hg.): Handbuch Kriegstheorien. Wiesbaden, S. 45−53, S. 51.

4 Vgl. Naumann, Klaus (2020): Nicht ganz dicht am rechten Rand? Rechtsextremismus und Rechtspopulismus als Probleme der Bundeswehr. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Aus Politik und Zeitgeschichte: Militär. Heft 16−17, S. 25−30.

5 Scholz, Sylka (2004): „Hegemoniale Männlichkeit“ – Innovatives Konzept oder Leerformel? In: Hertzfeldt, Hella, Schäfgen, Katrin und Veth, Silke (Hg.): GeschlechterVerhältnisse. Analysen aus Wissenschaft, Politik und Praxis. Berlin, S. 33−45, S. 41.

6 Vgl. Pohl, Rolf (2012): Die Zerstörung der Frau als Subjekt: Macht und Sexualität als Antriebskräfte männlicher Vergewaltigungsstrategien im Krieg. In: Gender Initiativkolleg (Hg.): Gewalt und Handlungsmacht. Queer Feministische Perspektiven. Frankfurt a. M., S. 113−124.

7 Apelt, Maja u. Dittmer, Cordula (2007): “Under pressure” – Militärische Männlichkeiten im Zeichen Neuer Kriege und veränderter Geschlechterverhältnisse. In: Bereswill, Mechthild, Meuser, Michael und Scholz, Sylka (Hg.): Dimensionen der Kategorie Geschlecht: Der Fall Männlichkeit. Münster, S. 68.

8 van Creveld, Martin (2001): Frauen und Krieg. München, S. 182−190.

9 Kreisky, Eva (2003): Fragmente zum Verständnis des Geschlechts des Krieges. https://docplayer.org/35071022-Fragmente-zum-verstaendnis-des-geschlechts-des-krieges.html (Stand: 31.10.2021), S. 7.

10 Euskirchen, Markus (2005): Das Zeremoniell der Bundeswehr: Banalisierung von Staatsgewalt durch Militärrituale. In: Thomas, Tanja und Virchow, Fabian (Hg.): Banal Militarism. Zur Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen. Bielefeld, S. 193.

11 Gennep, Arnold van (1909): Übergangsriten (Les rites de passage). Frankfurt a. M. (1999).

12 Vgl. Pohl, Rolf (2004/2019): Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen. Hannover, S. 37−97.

13 Besonders eindrucksvoll in Godelier, Maurice (1987): Die Produktion der Großen Männer. Macht und männliche Vorherrschaft bei den Baruya in Neuguinea. Frankfurt a. M.

14 Naumann, Klaus (2020), S. 25.

15 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-01/bundeswehr-frauen-sexuelle-belaestigung?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F (Stand: 23.11.2021).

16 Adorno, Theodor W. (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt a. M. (1971), S. 255.

Zusammenfassung

Rolf Pohl

Rolf Pohl hat Geschichte, Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie studiert und bis 2017 als Professor für Sozialpsychologie an der Leibniz Universität Hannover gearbeitet. Er gehört zu den Mitgründer:innen und Koordinator:innen der Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie, ist Mitglied in der Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie und im Fachbeirat von medica mondiale e.V.. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Themen aus den Bereichen Politische Psychologie und Geschlechterforschung. Sein Hauptwerk ist das Buch „Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen“ (Neuauflage 2019).

pohl@sozpsy.uni-hannover.de


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