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Mehr Ethik in der internationalen Politik wagen!
Die globale Agenda "Frauen, Frieden und Sicherheit"

Die Kriege der 1990er-Jahre in Somalia, Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien brachten nicht nur neue Unsicherheiten in die Weltpolitik zurück. Sie konfrontierten die Weltgemeinschaft auch mit der vergessenen Tatsache, dass in Kriegen nicht nur Kombattanten fallen, sondern alle bewaffneten Konflikte auch unmittelbare Folgen für die Zivilbevölkerung haben. Insbesondere Frauen sind in Kriegs- und Fluchtsituationen einer oft geschlechtsspezifischen physischen und psychischen Gewalt ausgesetzt. Sie werden in die Rolle des Opfers, der Marginalisierten, der zu Schützenden und der Flüchtenden gedrängt, ganz auf das Private zurückgeworfen, ohne die Möglichkeit zu haben, das politische Leben im und nach dem Konflikt nennenswert mitzugestalten. Das führt uns auch der aktuelle Krieg gegen die Ukraine wieder vor Augen, der zumindest auf den ersten Blick von einem Rückfall in diese Geschlechterstereotype begleitet zu sein scheint. Die männlichen Ukrainer wurden mit einer Generalmobilmachung zu Soldaten, die Frauen und Kinder überwiegend zu Vertriebenen und Flüchtenden.

Der UN-Sicherheitsrat, das mit der Hauptverantwortung für den Weltfrieden beauftragte Organ der Vereinten Nationen, reagierte im Jahr 2000 auf diese menschliche Unsicherheit im gewaltsamen Konflikt, auf die sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt (SGBG) und die fehlende Teilhabe von Frauen an der Konfliktlösung und dem politischen Wiederaufbau. Er verabschiedete Resolution 1325 über Frauen in bewaffneten Konflikten, gemeinhin bekannt als „Frauen, Frieden und Sicherheit“ (im Folgenden: FFS). Der vorliegende Beitrag beschreibt die Genese der mit dieser Resolution gestarteten FFS-Agenda in den Vereinten Nationen, analysiert die Schwerpunkte des bereits zehn Resolutionen und Dutzende von nationalen und regionalen Aktionsplänen umfassenden Projekts und nimmt zum Stand der Umsetzung kritisch Stellung. 

Die Genese der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ in den Vereinten Nationen: Ein feministisches Projekt

 Die katastrophalen Kriegsfolgen für die Rechte und den Schutz von Frauen trieben feministische Frauengruppen schon früh um. Bereits auf der Haager Friedenskonferenz von 1915 wies die Womenʼs International League for Peace and Freedom (WILPF), die noch heute führende Frauenrechtsgruppe für FFS, auf den Zusammenhang zwischen Krieg und geschlechtsbezogener Gewalt hin. Nachdem dieser Zusammenhang in der UN-Charta nicht verankert werden konnte, griffen das UN-Komitee zur Rechtsstellung der Frau und die UN-Frauenrechtskonvention das Thema in den 1970er-Jahren auf. Parallel zu den UN engagierten sich feministische zivilgesellschaftliche Gruppen permanent im Zusammenhang mit der Frage, wie die Folgen von Kriegen auf Frauen abgefedert bzw. wie eine gendergerechte und friedliche Welt entwickelt werden könnte. „Frauen, Frieden und Sicherheit“ war und ist deshalb auch immer ein von Aktivist*innen in- und außerhalb der Vereinten Nationen getragenes Thema, das ohne das starke Engagement dieser zivilgesellschaftlichen Gruppen gar nicht auf die Agenda des Sicherheitsrats gelangt wäre.

Zugleich ist die Zusammenarbeit zwischen der politischen und der aktivistischen Ebene auch eine geradezu feministische Art der Governance, denn das Markenzeichen aller feministischen (Außen-)Politik ist die Verknüpfung zwischen der lokalen und der globalen Ebene politischer Gestaltung. Der UN-politische Durchbruch gelang den Aktivist*innen während der Frauenkonferenz von Peking 1995, da sie einen starken Impuls in die Vereinten Nationen und die dem Thema gegenüber aufgeschlossene Gruppe sogenannter befreundeter Staaten setzen konnten. In Peking wurde vereinbart, dass „gender mainstreaming“ in alle Bereiche nationaler und internationaler Politik Eingang finden sollte.1

Die Erklärung von Windhoek und der Aktionsplan von Namibia (2000) waren zentrale Ergebnisse dieser Konferenz. Die Windhoek-Erklärung nahm UN-Generalsekretär Kofi Annan in die Pflicht, sich mit dem Zusammenhang von Sicherheit, Frieden und Geschlechterungleichheit stärker zu befassen.2 Sie stellte fest, dass Gender-Mainstreaming auf allen Ebenen von Friedensoperationen umgesetzt werden müsse, um deren Effektivität sicherzustellen. Noch heute ist der Nexus zwischen der Effektivität einer Friedensoperation und Geschlechtergerechtigkeit ein wichtiges Argument in- und außerhalb der Vereinten Nationen, um geschlechterpolitische Programme auch in den Armeen zu etablieren.3

Die Erklärung von Windhoek geht bereits weit über die sogenannte Schutzkomponente hinaus, bewertet Frauen also nicht nur als Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt im Krieg, sondern als gleichberechtigte Partnerinnen in allen Aspekten des Friedensprozesses. Gemäß der damals weitverbreiteten „Women bring Peace“-Theorie sollten Frauen eine gleichberechtigte Rolle bei Friedensprozessen spielen, und zwar von der globalen über die nationale und lokale Ebene hinweg, um einen geschlechtergerechten und damit nachhaltigen Frieden zu erreichen.4 Denn Frauen, so die auf Geschlechterstereotypen basierende Annahme, seien per se friedvoller, kommunikativer, freundlicher und damit friedensbringender.5 Diese These wurde aufgrund ihrer Festschreibung eines doch längst überholten stereotypen Frauenbildes von feministischen Wissenschaftler*innen stark kritisiert und verworfen.6 In den Vereinten Nationen wurde die Argumentation jedoch bis vor wenigen Jahren konsequent verwendet, um die Partizipation von Frauen in Friedensmissionen zu bewerben.

Seit der Konferenz von Peking betrieben Staaten wie Namibia und Schweden gemeinsam mit Frauenvereinigungen wie der WILPF eine starke Lobbyarbeit in- und außerhalb der Vereinten Nationen, um den Zusammenhang zwischen geschlechtsbezogener Gewalt und Krieg auf die Tagesordnung zu setzen.7 Das eigentliche Ziel dieser Initiativen war es, im Sinne der Windhoek-Erklärung Geschlechtersensibilität in alle Bereiche von UN-Friedensoperationen zu implementieren, um die spezifische Rolle und Situation von Frauen in bewaffneten Konflikten zu verstehen, in die Politik zu integrieren und Frauen dadurch nicht nur zu schützen, sondern zu „empowern“. Im Juli des Jahres 2000 übermittelte die Regierung von Namibia die Windhoek-Deklaration und den Aktionsplan für eine Geschlechterperspektive in internationalen multidimensionalen Friedensoperationen an den UN-Sicherheitsrat (S/2000/693).

Die Zeit für eine solche Initiative war günstig, hatte der Sicherheitsrat sich doch in den Monaten zuvor viel mit der sogenannten menschlichen Sicherheit und dem Konzept der Schutzverantwortung auseinandergesetzt, die in einem direkten Zusammenhang mit feministischer Sicherheitspolitik stehen. Auch der UN-Generalsekretär selbst war Verfechter, ja Initiator, eines Nachdenkens über individuelle Sicherheit und Souveränität. Das Fenster der Möglichkeiten war also weit geöffnet. Im Oktober 2000 verabschiedete der Sicherheitsrat Resolution 1325 über „Frauen in bewaffneten Konflikten“ einstimmig.

Dabei waren nicht nur das Thema Frauen und die Einstimmigkeit ein ungewohntes Bild im Sicherheitsrat. Zu diesem Zeitpunkt gehörten sogenannte thematischen Resolutionen wie FFS, die sich mit einem allgemeinen sicherheitspolitischen Problem befassen und keine Ländersituation adressieren, nicht zur gängigen Praxis des Gremiums. Das ist ein Hinweis darauf, als wie drängend dieses Problem dort wahrgenommen wurde. Auch wenn sich feministische NGOs einen weit offeneren, nicht frauen-, sondern geschlechtsbezogenen Zugang zum Thema gewünscht hätten, war die Euphorie in den Vereinten Nationen groß. Kofi Annan, der als „Vorkämpfer für die Rechte der Frauen“8 bezeichnet wurde, unterstrich die Bedeutung der Resolution für das Friedensregime der Vereinten Nationen mit den folgenden Worten: „Nur wenn Frauen eine volle und gleichberechtigte Rolle spielen, können wir die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden schaffen – Entwicklung, gute Regierungsführung, Menschenrechte und Gerechtigkeit“.9 Diese „Geschlechtergerechtigkeits-Friedens-Hypothese“ ist immer noch ein starkes Argument für die Stärkung von Frauen im Bereich Frieden und Sicherheit.10

Resolution 1325 sollte das Ende der Geschlechterblindheit im Bereich Frieden und Sicherheit markieren. Sie löste „eine Fülle von Forschungen, Initiativen und nachfolgenden Resolutionen“11 aus, jedoch nicht ohne weitere Herausforderungen, Risiken und Dilemmata.

Der normative Kern der Resolution 1325 und der Folgeresolutionen

Nach diesem ersten Schritt verabschiedete der UN-Sicherheitsrat weitere neun Resolutionen und schuf damit die Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit: S/RES/1820 (2008), S/RES/1888 (2009), S/RES/1889 (2009), S/RES/1960 (2010), S/RES/2106 (2013), S/RES/2122 (2013), S/RES/2242 (2015), S/RES/2467 (2019) und S/RES/2493 (2019). Es zeigt sich hier deutlich, dass es im Sicherheitsrat FFS-„freundliche“ Jahre gab, die zumeist mit FFS-Jubiläen oder besonders FFS-freundlichen Agenda-Setzern im Sicherheitsrat wie Schweden oder in jüngster Zeit auch Deutschland zusammenfielen. Jede dieser Resolutionen thematisiert die Normen der Gleichberechtigung sowie die SGBG und konzentriert sich auf den Schutz und die Stärkung der friedenspolitischen Rolle der Frau, setzt aber unterschiedliche thematische Schwerpunkte und antwortet auf unterschiedliche genderspezifische Fragen im Feld.

Um die breit angelegte Agenda zu systematisieren, werden die Inhalte der Resolutionen meist in drei thematische Kategorien unterteilt, nämlich „participation“, „protection“ und „gender mainstreaming“12. Die weibliche Partizipation, die auf ein zahlenmäßig und qualitativ ausgewogenes Geschlechterverhältnis abzielt und im UN-Jargon deshalb stets als „meaningful participation“ bezeichnet wird, bezieht sich auf die Beteiligung von Frauen in allen Phasen des Friedensprozesses. Frauen werden als Soldat*innen und Polizist*innen in UN-Friedensmissionen benötigt, als Mediator*innen in der Konfliktlösung und beim gesellschaftlichen sowie politischen Wiederaufbau des Landes.

Die Norm der „protection“ umfasst zwei Aspekte. Zum einen unterstreicht die Agenda die Anerkennung und den Schutz von Frauenrechten als Menschenrechten. Zum anderen geht es um den Schutz von Frauen vor sexualisierter und geschlechtsbasierter Gewalt, die in Kriegen häufig auch als „Kriegswaffe“ eingesetzt wird. Der starke weibliche Fokus der Agenda wird mit dem „gender mainstreaming“ etwas geweitet, weil diese Kategorie die Integration einer Geschlechterperspektive in alle friedens- und sicherheitspolitischen Prozesse fordert. Dieser Anspruch schließt auch die Resolutionen des Sicherheitsrats mit ein, in die eine Geschlechterperspektive integriert werden soll. Unter schwedischer nicht ständiger Mitgliedschaft im Sicherheitsrat wurde diese Forderung umgesetzt, und alle Resolutionen wurden konsequent mit einer Geschlechterperspektive versehen.

In der Literatur wird die globale Agenda auch noch in andere Kategorien unterteilt, die der Vollständigkeit halber benannt und bedacht werden sollten. Basu und Confortini differenzieren zwischen Prävention, Schutz und Partizipation.13 Der Präventionsaspekt ist gerade für feministische Aktivist*innen zentral, hat die gesamte feministische internationale Community doch die Verhinderung von Krieg durch eine feministische Transformation der internationalen Politik zum Ziel. Prävention zielt hier also nicht auf individuelle Prävention von SGBG ab, sondern unterstreicht den konfliktpräventiven Impetus der Agenda, der diese implizit durchzieht. Die Vereinten Nationen selbst kategorisieren die Agenda in fünf Säulen, nämlich Konfliktprävention, Partizipation, Schutz, Friedenskonsolidierung und Wiederaufbau.14

Resolution 1325 etablierte die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“. Mit dieser Resolution lenkte der Sicherheitsrat die globale Aufmerksamkeit auf die vernachlässigte andere Hälfte der Weltbevölkerung, die Frauen, bekräftigte die Notwendigkeit des Gendermainstreamings in allen Phasen der Friedenssicherung und Friedenskonsolidierung und die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. Frauen sind „active agents of change“, so der Zungenschlag dieser historischen Resolution. Einen ähnlichen breiten politischen Impetus verfolgte Resolution 2122 (2013). Sie führte den integrierten Ansatz als zentrales Instrument von FFS in die Agenda ein, der die enge Kollaboration zwischen allen UN-Institutionen sowohl im Hauptquartier New York als auch im Feld implementierten will. Integration ist vor allem ein Signal in das UN-System, sich effektiver zu vernetzen. Die Resolution betonte zudem, die Situation von Frauen werde nur dann nachhaltig verbessert, wenn die Wurzeln der Konflikte angegangen würden. Hier scheint der Präventionsgedanke wieder auf.

Viele der Nachfolgeresolutionen legten den Schwerpunkt auf sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen, sodass der Eindruck entstand, die Agenda sei zu opferlastig, Frauen würden zu sehr in die stereotype Rolle der Schutzsuchenden und Schwachen gedrängt.15 Allerdings sollte trotz aller berechtigten Kritik an der Neigung der Agenda zur Reproduktion von Stereotypen bedacht werden, dass sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt ein Ausdruck militarisierter Männlichkeitsrituale, eine Kriegswaffe und eine echte Bedrohung für Frauen in Kriegen ist. Jede fünfte vertriebene oder geflüchtete Frau hat Gewalt erlebt, und mehr als fünfzig Konfliktparteien weltweit werden verdächtigt, SGBG ausgeübt zu haben.16 Das Problem ist also keineswegs marginal.

Resolution 1820 (2008) verurteilte den Einsatz von SGBG als Kriegswaffe und Kriegstaktik. Die Resolution verurteilte SGBG als Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Bestandteil von Genozid, was auch eine Grundlage dafür bilden könnte, die Täter im Sinne des Völkerstrafrechts vor den Internationalen Strafgerichtshof zu ziehen. Resolution 1888 (2009) erkannte die konfliktverschärfende Wirkung dieser Art von Gewalt, und Resolution 1960 (2010) rief zum Ende von SGBG in allen Konflikten auf.

Die von Deutschland eingebrachte Resolution 2467 (2019) war ein besonders wichtiger Schritt auf dem Weg zur Bekämpfung von SGBG. Sie ordnete SGBG in das Kontinuum einer gesellschaftlich tolerierten Gewalt gegen Frauen ein und unterstrich die Erkenntnis, dass eine Gesellschaft, die Gewalt gegen Frauen nicht verfolgt, stärker zu Konflikten neigt als eine Gesellschaft, die eine solche Gewalt verurteilt. Auch UN-Generalsekretär Guterres betont den Nexus zwischen dem Ausmaß von Gewalt gegen Frauen in einer Gesellschaft und der Konfliktneigung des Staates in seinem jüngsten Reformbericht „Our Common Agenda“. Um Frauen aus der Opferrolle zu holen, wird in Resolution 2467 (2019) außerdem der „survivor-centred approach“ etabliert, der Frauen als aktive, mitgestaltende und gleichberechtigte Akteur*innen in der Gesellschaft begreift, die ihre Fähigkeiten und Erfahrung in die Zukunft des Landes einbringen und – das ist wichtig – die Chance haben, die physischen und psychischen Folgen der Gewalt zu verarbeiten.

Dieser Ansatz nimmt die Konfliktstaaten im Sinne einer nationalen Verantwortlichkeit in die Pflicht, Täter von SGBG strafrechtlich zu verfolgen, Frauen als Überlebende anzuerkennen und zu „empowern“. Letztlich ist es das Ziel einer solchen Resolution, alle Voraussetzungen für eine „heile“ Gesellschaft zu schaffen, die einen dauerhaften und nachhaltigen Frieden gestalten kann. Deutschland hatte im ursprünglichen Resolutionsentwurf noch das Recht von Frauen auf reproduktive Gesundheits(-vorsorge) prominent integriert, scheiterte mit diesem Vorstoß jedoch an einem drohenden Veto Russlands und der USA (unter der Regierung Trump!).

Nur Resolution 1889 (2009) beschäftigte sich explizit mit der weiblichen Partizipation in allen Phasen des Friedensprozesses. Als zentrales Argument für eine qualitative und quantitative Steigerung des weiblichen Anteils nennt die Resolution die zentrale Rolle von Frauen bei der Konfliktprävention und Konfliktlösung, beim gesellschaftlichen Wiederaufbau und der Verhinderung von sexualisierter und genderbasierter Gewalt. S/RES/2538 aus dem Jahr 2020, die nicht genuin zu den thematischen FFS-Resolutionen gehört, sondern sich mit dem UN-Peacekeeping beschäftigt, mahnte eindringlich die „full, effective, and meaningful participation“ (§1) von „Frauen in Uniform“ bis hinauf in die Führungsriege einer Friedensmission an.

Unter den zehn Resolutionen finden sich auch drei Resolutionen, die zur Operationalisierung und Umsetzung der Agenda aufrufen (S/RES/2106 (2013), S/RES/2242 (2015), S/RES/2493 (2019)). Eine Maßnahme zur Implementierung, die hier beispielhaft aufgeführt wird, wurde mit Resolution 2242 (2015) etabliert: Der UN-Generalsekretär sollte gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten eine Initiative lancieren, um den Anteil an weiblichen Uniformierten bis 2020 zu verdoppeln. Mit fast sechs Prozent weiblichen Uniformierten im Jahr 2020 haben die UN dieses – doch sehr bescheidene! – Ziel zumindest quantitativ erreicht.

Stand der Umsetzung

 Diese Resolutionen sind nur grobe Zielmarken der globalen Agenda. Sie werden in nationalen und regionalen Aktionsplänen (NAP/RAP) von Staaten und Regionalorganisationen wie der EU und der Afrikanischen Union den jeweiligen Notwendigkeiten vor Ort angepasst und umgesetzt. Den ersten Aktionsplan legte Dänemark im Jahr 2005 vor, inzwischen haben 98 Staaten und elf Regionalorganisationen einen oder bereits mehrere NAPs/RAPs aufgelegt. 72 Prozent der NAPs erkennen die wesentliche Rolle der Zivilgesellschaft an, die diese bei der Umsetzung der Agenda auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen spielt.

Der sogenannte grass root level ist inkrementeller Bestandteil der gesamten Agenda, sowohl im normativen als auch im politikpraktischen Bereich. Das zeigen die NAP-Ausarbeitungsprozesse beispielsweise in Deutschland und der Schweiz, wo zivilgesellschaftliche Netzwerke wie das Netzwerk 1325 explizit dazu eingeladen wurden, den Prozess durch eigene Eingaben und fachlich-operativen Austausch mitzugestalten. Ministerien wie das Auswärtige Amt erkennen an, dass NGOs wie medica mondiale, UN Women Deutschland oder das Internationale Rote Kreuz die Agenda durch ihre enge Beziehung zur Bevölkerung in Kriegsgebieten einem echten Praxistest unterziehen, davon kontinuierlich „lessons learned“ ableiten, Erfahrungen in die politische Ebene zurückspiegeln und in den nationalen NAP-Prozess einbringen können. Allerdings sind vor allem die nationalen Aktionspläne des sogenannten globalen Nordens immer noch zu stark nach außen gerichtet und lassen eine kritische Innenperspektive vermissen, die doch gerade dann virulent wird, wenn jegliche Form von Gewalt als potenziell destabilisierend und konflikttreibend verstanden wird. Dies gilt auch für die deutschen Nationalen Aktionspläne, die eine Innenperspektive ebenso entbehren wie eine FFS-bezogene Budgetierung.

Damit steht Deutschland jedoch nicht allein da – im Gegenteil. Nur 35 Prozent aller Aktionspläne haben ein Budget zur Implementierung der Programme vorgesehen. Und lediglich 32 Prozent der Aktionspläne thematisieren ein Kernanliegen feministischer Außenpolitik, nämlich die Abrüstung, die beispielsweise im neuen deutschen Aktionsplan Eingang gefunden hat. Eine kritische Innensicht, eine stärkere Auseinandersetzung mit Strukturen militarisierter Männlichkeit sowie eine dauerhafte finanzielle und strukturelle Institutionalisierung der FFS auf nationaler Ebene wären angesichts des weltweiten Rückfalls in undemokratische und patriarchalische Strukturen das Gebot der Stunde.

Kritische Reflexion angesichts einer krisenhaften Welt

Diese Kritik, die sich auf die NAPs bezieht, muss im Falle der globalen Agenda auf das gesamte Projekt übertragen und erweitert werden. Denn reflektiert man die Agenda nicht nur auf die Tatsache eines ganz generellen, chronischen und systematischen Mangels an Ressourcen hin, sondern im Lichte der aktuellen weltpolitischen Situation, so muss konstatiert werden: Alle ethisch orientierte Politik, zu der auch die FFS-Agenda gezählt werden sollte, muss sich angesichts eines globalen Rückfalls in Autoritarismus, Militarismus, Nationalismus, ja den klassischen Krieg, für weitere harte Jahre wappnen.

Wir leben in einer internationalen Ordnung, in der das politische System, das Geschlechtergerechtigkeit am ehesten realisieren kann und will, in einer tiefen Krise steckt, ja in der Minderheit ist: die freiheitlich-liberale Demokratie. Stattdessen erleben wir den Aufstieg patriarchaler Machtsysteme, die den wenigen Staaten, die sich einer feministischen Außenpolitik verschreiben, wie ein Block gegenüberstehen. Es muss nicht eigens daran erinnert werden, dass ebendiese Autokratien Gewalt gegen Frauen selten ächten. Die verhärteten ethisch-normativen Fronten zeigten sich in den vergangenen Jahren auch immer stärker im Sicherheitsrat, als Staaten wie Russland und China begannen, Resolutionen zu FFS mittels der Androhung von Vetos abzuschleifen. Dieser Rückfall in patriarchale Interpretationen einer globalen Weltordnung, der sich auf weltpolitischer Ebene durch einen Wettstreit der Großmächte Bahn bricht, führt auch innerhalb von Gesellschaften zu Spaltungen. Konfliktlinien zwischen patriarchalen Gesellschaftsstrukturen und feministisch-aktivistischen Gruppen werden immer tiefer, wie die Diskriminierung und Verfolgung von LSBTQI+ in Polen und Ungarn verdeutlicht. Die Pandemie katalysierte diesen globalen Trend zusätzlich und führte sogar in Wohlfahrtsdemokratien wie Deutschland zu einem Rückfall in tradierte Geschlechterstereotype, zu wachsender Ungleichheit, einer Zunahme häuslicher Gewalt und einer Destabilisierung von Gesellschaften.17 Mit dem Krieg in der Ukraine werden auch westlichen Beobachter*innen die Folgen von militarisierter Männlichkeit vor Augen geführt: durch einen patriarchalen Macho-Despoten, fliehende Mütter und die grausamen Verbrechen russischer Soldaten.

Trotzdem darf die Agenda nicht stillstehen. Sie muss weitergedacht werden, gerade in diesen unfriedlichen Zeiten. Jenseits der Umsetzung der bereits verabschiedeten Resolutionen sollten Schritte unternommen werden, um die Agenda zu weiten, weg von der Opferrolle und hin zur Rolle der Gestalterin, weg vom Fokus auf Frauen und hin zur Berücksichtigung von Gender allgemein, und insgesamt noch expliziter in Richtung Intersektionalität.

Die Agenda für „Frauen, Frieden und Sicherheit“ war und ist lediglich der kleinste gemeinsame Nenner der UN-Geschlechterpolitik im Bereich Frieden und Sicherheit. Die Agenda muss den Weg aus polarisierender Binarität und unklugen Festschreibungen von Geschlechterstereotypen finden, um der Rolle von Frauen als „women in need of masculine protection“18 den Rücken kehren zu können. Da der Genderbegriff mehr Perspektiven umfasst als von der Agenda thematisiert, müsste Gender auch in die FFS-Agenda expliziten Eingang finden. Denn obwohl es nach wie vor wichtig ist, Frauen zu schützen und zu „empowern“, sollte die Rolle anderer Geschlechter in gewaltsamen Konflikten nicht ignoriert werden. Themen wie Gewalt gegen Jungen und Männer, gegen LSBTQI+ oder auch Frauen als Täterinnen sollten sich stärker im Diskurs wiederfinden. Der intersektionale Ansatz, der implizit schon seit einigen Jahren in den Resolutionen mitschwingt und bei UN Women explizit umgesetzt wird, müsste der Dreh- und Angelpunkt der Agenda werden. Intersektionalität bricht den Fokus auf das Geschlecht auf und bezieht ebenso wichtige Attribute von Diskriminierung mit ein, nämlich ihren sozialen, ethnischen oder auch religiösen Kontext. Gerade im Kontext gewaltsamer Konflikte sind entscheidende Kriterien für eine an die Erfordernisse der jeweiligen Gesellschaft angepassten Konfliktlösung.

Warum es keinen Stillstand geben darf? Nicht nur der menschlichen oder weiblichen Sicherheit wegen, sondern wegen des großen transformativen Potenzials der Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit. Angesichts der wachsenden Zahl an Staaten, die sich einer feministischen Außenpolitik verschrieben haben, offenbart sich nämlich ein wichtiger Zusammenhang zwischen der thematisch fokussierten FFS-Agenda und einer generellen außenpolitischen Richtungsentscheidung: Der ethische Impetus eines Staates, sich dem Konzept der feministischen Außenpolitik zu verschreiben, entspringt der Beschäftigung mit der globalen Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit.19 Als erstes Land hatte sich Schweden im Jahr 2014 einer feministischen Außenpolitik eingeschrieben. Margot Wallström leitete diese Richtungsentscheidung aus ihrer Beschäftigung mit der Agenda 1325 ab. 2017 folgte Kanada mit einer feministischen Entwicklungspolitik, und 2019 entschieden sich Frankreich, Mexiko und Luxemburg für die Erarbeitung einer feministischen Außenpolitik. Spanien und nun auch Deutschland folgten. Allerdings ist die Konzeption dieser neuen Art von Außenpolitik vom jeweiligen staatlichen Kontext abhängig. Das Centre for Feminist Foreign Policy hat in seinem Bericht zur deutschen feministischen Außenpolitik folgende Definition vorgeschlagen, die die Essenz feministischer Außenpolitik destilliert: Der Schwerpunkt dieser Politik liegt auf „feministische(m) Frieden, Geschlechtergleichberechtigung, Klimagerechtigkeit und (der) Beseitigung von Ungleichheiten (…). Sie bricht (…) patriarchale (…) Machtstrukturen auf.“20 Schon das sollte Grund genug sein, sich für die Weiterentwicklung dieser Agenda einzusetzen. Gerade jetzt.

1 Steans, Jill (2013): Gender & International Relations. 3. Aufl. Cambridge, S. 1.

https://www.un.org/womenwatch/osagi/wps/windhoek_declaration.pdf (Stand: 21.4.2022)

3 Bridges, Donna und Horsfall, Debbie (2009): Increasing operational effectiveness in UN peacekeeping: Toward a gender-balanced force. In: Armed Forces & Society, 1, S. 120–130.

4 Maoz, Ifat (2011): Women and Peace Hypothesis. Hoboken.

5 Aharoni, Sarai B. (2017): Who needs the Women and Peace Hypothesis? Rethinking modes of inquiry on gender and conflict in Israel/Palestine. In: International Feminist Journal of Politics, 19, S. 311–326.

6 Davies, Sara E. und True, Jacqui (Hg.) (2019): The Oxford Handbook of Women, Peace, and Security. Oxford.

7 Hudson, Natalie F. (2010): Gender, human security and the United Nations. Security language as a political framework for women. Milton Park.

8 Powell, Catherine (2018): Kofi Annan. Champion for women’s rights, council on foreign relations. https://www.cfr.org/blog/kofi-annan-champion-womens-rights (Stand: 21.4.2022).

9 Vereinte Nationen (2002): Women, Peace and Security. Study submitted by the secretary-general pursuant to Security Council Resolution 1325. New York, S. ix.

10 Wood, Reed und Ramirez, Mark D. (2018): Exploring the micro foundations of the gender equality peace hypothesis. In: International Studies Review, 20, S. 345–367.

11 Duncanson, Claire (2016): Gender and peacebuilding. Cambridge, S. 9.

12 Gizelis, Theodora-Ismene und Olsson, Louise (2015): Gender, peace and security. Implementing UN Security Resolution 1325. Milton Park, S. 4–15.

13 Basu, Soumita und Confortini, Catia C. (2017): Weakest “P” in the 1325 pod? Realizing conflict prevention through UN Security Council Resolution 1325. In: International Studies Perspectives, 18, S. 43–63.

14 UN Women (2015): Trends and Projections for Gender Parity. DPKO. New York, S. 13.

15 Zürn, Anja (2020): From Sex and Gender to Intersectional Approaches? UN-Written Identities of Local Women in Participation and Protection Discourse. In: Scheuermann, Manuela und Zürn, Anja (Hg.): Gender Roles in Peace and Security. Prevent, Protect, Participate. Cham, S. 11–34.

16 DGVN (2019): Eine-Welt-Presse „Frauen, Frieden, Sicherheit“. https://dgvn.de/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/EWP-Frauen-Frieden-Sicherheit-web.pdf (Stand: 21.4.2022).

17 Scheuermann, Manuela (2020): „Frauen, Frieden, Sicherheit“ unter den Bedingungen der COVID 19-Pandemie. In: Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung, 9, S. 321–335.

18 Shepherd, Laura (2011): Sex, security and superhero(in)es: From 1325 to 1820 and beyond. In: International Feminist Journal of Politics, 13, S. 504–521.

19 Aggestam, Karin (2019): Theorizing Feminist Foreign Policy. In: International Relations, 33, S. 23–39.

20 Centre for Feminist Foreign Policy (2021): Make Foreign Policy Feminist. Eine feministische Außenpolitik für Deutschland. https://static1.squarespace.com/static/57cd7cd9d482e9784e4ccc34/t/6155daf1157bfd3bdf598a93/1633016563247/CFFP-Manifesto-DE-Final5.pdf (Stand: 9.5.2022).

Zusammenfassung

Dr. Manuela Scheuermann

Frau Dr. Manuela Scheuermann ist derzeit Universitätsprofessorin für Internationale Beziehungen und Europaforschung am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Vereinte Nationen, die globale Agenda für „Frauen, Frieden und Sicherheit“ sowie die Beziehungen zwischen EU und UN im Peacekeeping. Sie ist Autorin der Einführung „Vereinte Nationen“ und Mitherausgeberin von „Gender Roles in Peace and Security“. Frau Scheuermann ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen und gehört deren Forschungskreis an.

Credit: FFPeters

m.scheuermann@uni-wuerzburg.de


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Alle Artikel dieser Ausgabe

Mehr Ethik in der internationalen Politik wagen!
Die globale Agenda "Frauen, Frieden und Sicherheit"
Manuela Scheuermann
Es bleibt eine Entscheidung: Sexualisierte Gewalt in Kriegen und Konflikten
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