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"Teile von Somalia werden in Zukunft so gut wie unbewohnbar"

UNSOM ist eine besondere politische Mission, die im Rahmen eines Mandats des UN-Sicherheitsrats beauftragt ist, die Institutionen und die Zusammenarbeit Somalias mit internationalen Partnern im Sicherheitsbereich sowie den Fortschritt der politischen Aussöhnung, den Aufbau demokratischer Strukturen, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte zu stärken. Das Mandat wurde 2012 erteilt und seither mehrfach verlängert. UNSOM ist die erste Mission, in deren Rahmen ein Umweltsicherheitsberater für Klimawandel, Umweltzerstörung und deren Auswirkung auf Gesellschaft, Sicherheit und bewaffnete Konflikte eingesetzt wurde. Die Position wird durch das Auswärtige Amt finanziert. Christophe Hodder aus Großbritannien ist seit Juni 2020 im Amt.

Herr Hodder, Sie sind der erste Experte für Klima und Sicherheit in einer UN-Mission. Wie würden Sie Ihre Tätigkeit beschreiben? Was sind Ihre Hauptaufgaben? Und welche Rolle haben Sie am ehesten inne: Berater, Koordinator, Datensammler oder Forscher?

Meine Rolle ist zweigeteilt. Zunächst einmal versuche ich, bei den politischen Institutionen sowie den für Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit zuständigen Stellen das Thema Klima und Umwelt in die Arbeitsprozesse zu integrieren. Hierzu gehört die Berücksichtigung von Klimarisiken bei der politischen Analyse und im Friedensprozess. Wir testen auch neue, innovative Ansätze im Bereich Umweltmediation und Friedenssicherung.

Die andere Hälfte meiner Tätigkeit besteht darin, das Bewusstsein für Umwelt- und Klimafragen in ganz Somalia, bei den Vereinten Nationen sowie bei den Organisationen der Zivilgesellschaft zu verankern. Ich berate außerdem Führungskräfte zu Klima- und Umweltthemen, erhebe Daten und dokumentiere den Zusammenhang zwischen Klimawandel, Kampf um natürliche Ressourcen und Konflikten in Somalia. Darüber hinaus bin ich auch bei den Bundesstaaten (Somalia besteht aus sechs Bundesstaaten, wobei Somaliland im Norden sich für unabhängig erklärt hat; Anm. d. Red.) als umweltpolitischer Berater tätig und bin stellvertretender Vorsitzender mehrerer Taskforces zur Koordination von humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedenspolitik.

Das hört sich nicht nach einem Routinejob an. Könnten Sie eine typische Arbeitswoche beschreiben, um Ihre Tätigkeit zu illustrieren und darzustellen, wie sie sich in die UNSOM-Mission einfügt? Verbringen Sie Ihre Arbeitszeit hauptsächlich am Telefon, in Meetings mit Beamten und Behörden oder im Außeneinsatz mit Institutionen und Vertretern der Zivilgesellschaft?

Das ist korrekt – meine Tätigkeit ist recht speziell! Eine reguläre Arbeitswoche startet bei mir am Montag mit einer Sitzung, in der ich die oberen Führungskräfte und Beamten berate. Dienstags leite ich die UN-weite Arbeitsgruppe Umweltkoordination, in der wir uns mit gemeinsamer Planung, gemeinsamen Programmen und der Koordinierung der Hilfe für Somalia befassen. Am Mittwoch spreche ich mit lokalen NGOs und CSOs, unterstütze ihre Aktivitäten und Programme, gebe Schulungen, führe Videokonferenzen zum Kapazitätsaufbau durch und arbeite an der Einbindung von Umweltthemen in die Mediation. An einem typischen Donnerstag leite ich die Sitzung der somalischen Nexus-Taskforce für Überschwemmungen und Wassermanagement und beschäftige mich mit Fragen rund um Klima und Wasser. Im Anschluss führe ich Gespräche mit Regierungsbeamten und militärischen Vertretern der AMISOM-Mission über den Einsatz von Drohnen zur Ausbringung von Saatkugeln oder die Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zu klimabedingter Vertreibung. Der Freitag ist in Somalia normalerweise ein freier Tag, aber ich arbeite oft, bringe mich auf den neuesten Stand der Forschung, lese und versuche neue Programmideen zu konzipieren. 

Der Klimawandel wird oft als Bedrohungsmultiplikator bezeichnet. Wie hängen Klimawandel und Sicherheits- bzw. Konfliktrisiken zusammen, insbesondere im Hinblick auf die Situation in Somalia? Hat sich Ihr persönliches Verständnis für diesen Zusammenhang während Ihrer Tätigkeit vertieft?

Mein Eindruck ist, dass Somalia und weite Teile der Sahelzone und des Horns von Afrika gerade jetzt die Auswirkungen des Klimawandels spüren. Die steigenden Temperaturen, die inzwischen jährlich auftretenden Überschwemmungs- und Dürrezyklen und die Heuschreckenplagen verschärfen den Konflikt bzw. multiplizieren ihn, wie Sie es formuliert haben. Allein im letzten Jahr waren 75 Prozent aller 2,9 Millionen Vertriebenen in Somalia auf Überschwemmungen und Dürren zurückzuführen. Konflikte sind somit nicht mehr die Hauptursache. Die Vertreibung hat zu verstärkten Konflikten um natürliche Ressourcen geführt: von Weideland über Wasserrechte bis hin zum Fehlen an ausreichendem Lebensraum für alle. Das UN-Umweltprogramm UNEP und die IOM haben eine sehr aufschlussreiche gemeinsame Studie zur so genannten Fehlanpassung von Klimaflüchtlingen durchgeführt. Die Studie zeigt, dass die Vertriebenen Bäume für ihren Energiebedarf fällen müssen – und das fördert die Erosion des Bodens und damit die Zunahme von Überschwemmungen und Wüstenbildung. In der Folge kommt es zu weiteren Vertreibungen und Konflikten. Von daher ist der Zyklus klimabedingter Überschwemmung/Dürre – Vertreibung – Desertifikation/Abholzung – Überschwemmung – Vertreibung sehr real und deutlich in den Verläufen zu erkennen. Wir versuchen, das Konfliktpotenzial abzuschätzen, das sich aus dem Wettbewerb um die natürlichen Ressourcen ergibt. Die entsprechenden Daten liegen uns noch nicht vor, aber wir glauben, dass ein Großteil der Konflikte in Somalia ursprünglich auf den Kampf um die natürlichen Ressourcen zurückgeht. Mit dem Klimawandel wird sich diese Situation noch verschärfen. Denn Somalia steuert im Zeitraum bis 2080 auf einen Temperaturanstieg von 4 Grad zu, wodurch Teile des Landes so gut wie unbewohnbar werden. Es ist ein massiver Verstädterungsprozess zu beobachten, der mit großen Veränderungen in der Erwirtschaftung der Lebensgrundlagen und den Verdienstmöglichkeiten der Bevölkerung einhergeht. Diese Entwicklung spielt den militanten Gruppen wie Al-Shabab direkt in die Hände: Sie rekrutieren genau die Jugendlichen, die aufgrund des Klimawandels immer weniger Möglichkeiten haben, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Wenn es um Klimawandel und Konflikte geht, könnten Umweltfragen die Zusammenarbeit durchaus fördern. Andererseits sollten Anpassungsmaßnahmen weder bestehende Spannungen verschärfen noch neue Konflikte auslösen. Spielen diese Überlegungen eine Rolle für Ihre Arbeit oder für die UNSOM-Mission im Allgemeinen?

In der Tat spielen diese Fragen für meine Tätigkeit eine wichtige Rolle. Wie bereits erwähnt, erproben wir gegenwärtig einen Ansatz in der Umweltmediation, bei dem wir versuchen, die Clans dazu zu bringen, in Klimafragen zusammenzuarbeiten, anstatt diese Themen als ein Problem zwischen den Clans zu sehen. Es gehört auch zu meinem Aufgabenfeld, auf die konfliktsensiblere Ausgestaltung der Anpassungs- und Abmilderungsansätze hinzuwirken. Zum Beispiel dadurch, der lokalen Bevölkerung zu vermitteln, wie wichtig die Anpassung an den Klimawandel für den Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen und lokaler Verwaltung ist.

UNSOM ist eine besondere politische Mission, in der keine militärische Beteiligung vorgesehen ist. Doch auch für die MINUSMA-Mission in Mali fordert etwa das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) einen Berater für Umweltsicherheit, um sowohl klimabedingten Sicherheitsrisiken eine höhere Priorität zu geben und den Ausbau entsprechender Kapazitäten zu unterstützen. Inwiefern wäre dies sinnvoll?

Ich denke, die Schaffung einer vergleichbaren Position wäre unglaublich hilfreich für MINUSMA: zur Koordination von Umweltschutzmaßnahmen, für die Beratung im Bereich Umweltmediation und Umweltfriedensförderung sowie zur Entwicklung neuer Ansätze der Friedenssicherung und -förderung, etwa einer Umweltpolizei, sowie für den Schutz natürlicher Ressourcen und der biologischen Vielfalt im Rahmen der Friedensförderung. Es wäre großartig, in diesem Bereich zusammenzuarbeiten, voneinander zu lernen und der Frage wirklich auf den Grund zu gehen, was wir in Sachen Klimasicherheit tun und wie wir dies als Kernbestandteil von Friedensmissionen etablieren können. 

Sie arbeiten jetzt seit rund einem Jahr in dieser Position. Wo liegt der dringendste Handlungsbedarf, welche langfristigen Ziele verfolgen Sie, und was konnten Sie bisher erreichen?

Der dringendste Bedarf ergibt sich aus der regelmäßigen Abfolge von Überschwemmungen und Dürren, die zu Vertreibung und Konflikten führt. Durch klimabedingte Vertreibung und Verstädterung werden praktisch alle Konzepte der Friedenssicherung ins Wanken gebracht. Angesichts der steigenden Temperaturen und der immer schlechter vorhersehbaren Wetterereignisse müssen wir uns voll und ganz darauf konzentrieren, die Folgen dieser Klimaveränderungen abzumildern und uns an sie anzupassen. Langfristig soll unsere Mission Klimaresilienz sicherstellen. Das bedeutet, auf Grundlage der Prognosemodelle Strategien und Pläne in der Schublade zu haben, um den Resilienzaufbau der Bevölkerung und des Systems zu ergänzen oder diesen im Rahmen unserer Möglichkeiten zumindest zu unterstützen.

Bisher ist es uns gelungen, den Umgang mit Umwelt- und Klimaveränderungen in den UN-Kooperationsrahmen einzubinden. Wir haben eine ganze Reihe hervorragender Koordinationsansätze entwickelt, die bereits erste Ergebnisse zeigen. Außerdem können wir auf der Grundlage unserer Konzepte hoffentlich Programme auf den Weg bringen, die sich beispielsweise mit Konfliktmediation, Umweltfriedenssicherung, klimabedingter Vertreibung, Wiederaufforstung und Weidelandmanagement befassen. Wir konnten die Regierung sowohl auf der föderalen als auch auf der kommunalen Ebene dabei unterstützen, die richtigen politischen Maßnahmen und Schutzsysteme vorzusehen. Wir hoffen, dass dieses Bündel an Maßnahmen ab dem nächsten Jahr wirklich zu greifen beginnt.

Nun könnte man kritisieren, die Finanzierung einer Position wie der Ihren sei zwar höchst sinnvoll und notwendig, bekämpfe aber nur die Symptome anstatt der Ursachen. Sollte der Schwerpunkt nicht auch auf der Minderung der Klimawandelfolgen und dem Erreichen der Ziele des Pariser Abkommens liegen?

Ich stimme Ihnen natürlich zu: Das Pariser Abkommen ist absolut notwendig und seine Einhaltung für das Überleben der Menschheit unerlässlich. Aber ich denke schon, dass Positionen wie meine ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten. Erstens können wir dem Sicherheitsrat und der internationalen Gemeinschaft gegenüber nachweisen, dass wir jetzt als globale Gemeinschaft handeln müssen. Zweitens können wir die Bereiche Friedenskonsolidierung/Militär/Sicherheit und Politik unterstützen und innovative Ansätze zur Bewältigung von Konflikten und Klimakrise entwickeln. Drittens kann meine Rolle dabei helfen, die Aktivitäten der Vereinten Nationen und ihrer Partner zu koordinieren, zu bündeln und fachlich zu verstärken, sowie als Katalysator für Veränderungen im Bereich umweltgerechtes Wirtschaftswachstum und Abmilderung von bzw. Anpassung an Klimawandelfolgen wirken.

Herr Hodder, eine letzte Frage: Würden Sie unseren Lesern Ihre persönliche Motivation nennen?

Meine persönliche Motivation hat sehr viel damit zu tun, dass ich in dieser globalen Notstandssituation aktiv werden wollte. Der Klimawandel wird sich meiner Meinung nach als die größte Herausforderung erweisen, die die Menschheit je erlebt hat. Ich wollte mich mit meinen Fähigkeiten einbringen und versuchen, in der Klimakrise etwas zu tun, was wirklich einen Unterschied bewirkt.

Herr Hodder, herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellten Rüdiger Frank und Kristina Tonn.

Christophe Hodder

Christophe Hodder ist der erste Klimasicherheitsberater für eine UN-Friedensmission weltweit. Er hat die letzten 20 Jahre in Konfliktregionen und fragilen Staaten verbracht und war in extrem instabilen Gebieten im Aufbau kommunaler und politischer Strukturen tätig. Als leidenschaftlicher Umweltschützer mit beruflichem Hintergrund im Bereich Umweltgesundheit und Verhaltensänderungen war er in Nordnigeria und Mali tätig und hat an der Entwicklung naturbasierter Ansätze zur Bewältigung der Erdbebenfolgen in Nepal mitgearbeitet. Christophe Hodder lebt in Nairobi, von wo aus er regelmäßig nach Somalia reist. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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