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Raus aus dem Treibhaus – Gemeinsam und global lässt sich das Sicherheitsrisiko des Klimawandels noch verhindern

Einleitung

Die meisten von uns denken beim Thema Klimawandel an Naturkatastrophen, schmelzende Eisberge und mit einem schlechten Gewissen eventuell noch an Urlaubsreisen mit dem Flugzeug. Doch das Problem und seine Folgen gehen längst über steigende Meeresspiegel, brennende Wälder, Dürren und Überschwemmungen hinaus. Der Klimawandel ist heute ein internationales Sicherheitsrisiko, das jedes Land betrifft und nur gemeinsam verhindert bzw. eingedämmt werden kann. Die momentan auf das Pariser Klimaabkommen von 2015 zurückgehenden Verpflichtungen der Staaten, ihre Emissionen zu reduzieren, würden das gleichzeitig gesteckte Ziel, die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad Celsius steigen zu lassen, in absehbarer Zeit verfehlen. Die Vertragsparteien müssten die globalen Emissionen bis 2030 jedes Jahr um 7,6 Prozent und damit um 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2010 senken, um das 1,5-Grad-Ziel nicht zu überschreiten.1 „Die Daten [...] zeigen, dass die globale Mitteltemperatur für das Jahr 2020 etwa 1,2°C wärmer war als in vorindustrieller Zeit, was bedeutet, dass die Zeit schnell abläuft, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen.“2 Sollte die globale Erwärmung dann sogar auf 2 Grad Celsius oder mehr steigen, dann steht die Weltgemeinschaft noch vor ganz anderen Herausforderungen, nämlich gigantischen Flüchtlingsströmen aus nicht mehr bewohnbaren Regionen, enormen internationalen Hilfsaktionen bei Naturkatastrophen und Hungersnöten und einer steigenden Bedrohung durch klimabedingte Konflikte.

Die Politik kennt das Problem nicht erst seit Paris, Wissenschaftler verweisen seit über drei Jahrzehnten auf die zunehmende Erderwärmung, die mit der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts stetig gestiegen ist. „Das letzte Mal, dass die atmosphärischen CO₂-Mengen so hoch waren, war vor mehr als 3 Millionen Jahren, als die Temperatur um 2°-3°C höher war als in der vorindustriellen Ära und der Meeresspiegel 15-25 Meter höher lag als heute.“3

Das Problem der Erderwärmung ist ausreichend wissenschaftlich belegt und bekannt. Es fehlt bis heute am geeinten Willen der Staatengemeinschaft, dem Verstehen, dem Umdenken, den Versprechen und Verpflichtungen auch messbare Taten folgen zu lassen. Fast 69 Prozent der weltweiten Treibhausgase werden von nur zehn Ländern verursacht. Die USA liegen hier hinter China auf einem unrühmlichen zweiten Platz, gefolgt von der Europäischen Union und Indien. Etwas abgeschlagen folgen Russland, Japan, Brasilien, Indonesien, Iran und Kanada.4 Gerade sie müssen Beispiel sein, und doch wird die Schuld zu oft beim anderen gesucht. Industriell wachsende Länder wollen aufholen, und Industrieländern fällt die Umstellung schwer, was etwa der zwischenzeitliche Ausstieg der USA aus dem Pariser Abkommen deutlich machte.

Joe Biden setzt auf volle Klimafahrt

Nach vier verschwendeten Jahren einer an Klimafragen nicht einmal ansatzweise interessierten US-Regierung unter Donald Trump besteht mit Präsident Joe Biden im Weißen Haus eine große Chance, neue, internationale klimagerechte Ziele zu setzen. Klimawandel war schon vor den US-Präsidentschaftswahlen im November 2020 eines der Hauptthemen auf dessen insgesamt ambitionierter Agenda. Er stellt laut Biden „eine existenzielle Bedrohung“5 dar. Biden scheint den Ernst der Lage erkannt zu haben, denn er trat nicht nur gleich am ersten Tag seiner Amtszeit dem Pariser Klimaabkommen wieder bei und ordnete wenig später die Dekarbonisierung der US-Wirtschaft an (sie soll bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen), er bezeichnete den Klimawandel auch als die größte Bedrohung für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten. Joe Biden berief den ehemaligen US-Außenminister John Kerry zum Sondergesandten, der sich der Klimadiplomatie annehmen soll − ein wichtiges Signal, auch international vorankommen zu wollen. Gleichzeitig ernannte er Gina McCarthy zur Klimabeauftragten. Sie soll die Klimabemühungen der Regierung koordinieren, vom Militär über das diplomatische Korps bis hin zum Finanz- und Verkehrsministerium. Zudem wird sie die Verhandlungen mit dem Kongress führen, um neue Klimagesetze zu verabschieden, die dauerhafter Bestand haben und nicht einfach durch die nächste Regierung verwässert oder abgeschafft werden können.

Als Joe Biden dann zum virtuellen Klimagipfel am 22. April 2021, dem Earth Day, einlud, nahmen neben Papst Franziskus und Bundeskanzlerin Angela Merkel auch der chinesische Präsident Xi Jinping, der russische Präsident Wladimir Putin und viele weitere Staats- und Regierungschefs teil. Die USA überraschten gleich zu Beginn mit der Verpflichtung, ihre Emissionen bis 2030 gegenüber dem Stand von 2005 halbieren zu wollen. Das ist eine fast zweimal so hohe Reduktion im Vergleich zur letzten Zusage unter Barack Obama.6 Zudem gab Biden bekannt, dass die USA ihre jährliche Klimaförderung für Entwicklungsländer bis 2024 verdoppeln würden. Die USA haben außerdem angekündigt, 30 Prozent der US-Land- und Wasserflächen bis 2030 vor menschlicher Ausbeutung zu schützen. Damit schließen sie sich dem Ziel der der internationalen „30 by 30“-Initiative an, das auch im US-Kongress parteiübergreifende Unterstützung findet7. Und das ist nur einer der Punkte, bei denen die USA eine gemeinsame Verhandlungsgrundlage mit China finden können. Für die im November geplante Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Glasgow (26th Conference of the Parties, COP26) sind das entscheidende Weichenstellungen.

Alle für einen Planeten?

China kündigte beim virtuellen Treffen im April an, seine Kohlenstoffemissionen bis 2060 auf Netto-Null herunterzufahren. Präsident Xi Jinping versprach zudem, dass das Land ab 2026 und bis 2030 aus der Kohle aussteigen werde. Das ist angesichts der sonst alles andere als harmonischen Beziehung zwischen China und den USA eine wichtige Ankündigung, die zeigt, dass auch China bereit scheint, die wichtigste globale Herausforderung (mit-)bewältigen zu wollen.

Konkurrenz und sogar Rivalität werden in den Handelsbeziehungen, dem technischen und digitalen Wachstum und dem Verständnis von Demokratie und Menschenrechten weiterhin bestehen bleiben. Nicht nur zwischen diesen beiden Ländern, auch gegenüber Russland und anderen. Dennoch muss bei aller Konkurrenz und auch Gegnerschaft beim Klimaschutz die Kooperation im Vordergrund stehen. Joe Biden hat den Klimawandel bereits als infrastrukturelle Chance (von Straßen, Häfen bis hin zu Energienetzen) verstanden und will die Wirtschaft seines Landes dahingehend umbauen. Damit folgt er der Erkenntnis, dass der dramatische Wandel des Klimas nicht nur grenzübergreifend die Umwelt bedroht, sondern dass mit ihm gleichzeitig die globale Finanz- und Wirtschaftsarchitektur aus den Fugen gerät.

Als das deutsche Bundesverfassungsgericht im April 2021 entschied, dass das Klimaschutzgesetz des Bundes unzureichend sei, reagierte die Bundesregierung zügig und besserte ambitioniert nach. Bundesumweltministerin Svenja Schulze und Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz haben umgehend neue Ziele vorgeschlagen. Die bis dato bestehenden Klimaziele sehen nun statt der geplanten 55 Prozent Emissionsminderung bis 2030 65 Prozent vor und bis 2040 sogar 88 Prozent. Die Klimaneutralität soll bis 2045 statt 2050 erreicht werden.8 Auf dem Petersberger Klimadialog, der ebenfalls im April stattfand, brachte Bundeskanzlerin Angela Merkel zusätzlich ein internationales CO2-Preis-System ins Spiel, welches helfen würde, den weltweiten CO2-Ausstoß einzudämmen. Die Reaktionen auf den Preis-System-Vorschlag waren eher gemischt.

Andere Top-10-Treibhausgas-Verursacher haben ihre Emissionsreduktionsziele ebenfalls erhöht. So will Japan bis 2030 von 26 Prozent auf 46 Prozent unter das Niveau von 2013 kommen. Auch Kanada änderte seine Ziele und gab bekannt, dass es die Emissionen bis 2030 um 30 Prozent unter das Niveau von 2005 senken werde. Premierminister Justin Trudeau unterstrich die bestehende Verpflichtung Kanadas, das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro versprach, Brasilien werde bis 2050 Klimaneutralität erreichen − zehn Jahre früher als bisher angegeben. Auch die illegale Abholzung des Regenwaldes Brasiliens soll bis 2030 ein Ende finden.

Gegenüber den bis dato gesteckten Emissionsminderungszielen sind dies zwar Entwicklungen, die in die richtige Richtung gehen, nach Meinung von Experten aber noch immer nicht ausreichen werden, um das Gesamtziel zu erreichen und die Erderwärmung zu stoppen bzw. unter 1,5 Grad Celsius zu halten. 

Geopolitische Rahmenbedingungen und Auswirkungen

Der Klimawandel ist mit den aktuellen globalen Herausforderungen wie der Pandemie, der Globalisierung, der Bedrohung der Demokratie und der Energieabhängigkeit verflochten. Seine Auswirkungen lassen sich heute in allen Regionen der Welt nachweisen. Sie betreffen nicht nur die ärmsten Länder oder entlegene Regionen wie die Arktis. Sie betreffen den kompletten Planeten. Der Klimawandel wirkt als Bedrohungsmultiplikator für politische Instabilität in einigen der unbeständigsten Regionen der Welt. Negative Auswirkungen werden sich bei Gesundheitsrisiken, den Preisen und der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit zeigen. Unzählige Menschen werden den Klimawandel mit dem Leben bezahlen. Und nicht zuletzt wird er auch enorme Finanzmittel verschlingen. All das liegt nicht in ferner Zukunft, es passiert bereits, und es wird sich exponentiell verstärken.

Nehmen wir das Beispiel Syrien, dessen anhaltender Konflikt, klimatisch unterstützt, 2011 seinen Anfang fand. Vor dem zivilen Aufstand gab es mehrere Faktoren, die zu den Spannungen innerhalb der Gesellschaft beitrugen. Zwischen den späten 1980er-Jahren und dem Ende des Jahrhunderts plagten mehrere Dürren das Land, Flüsse begannen auszutrocknen, und während des Irak-Krieges kam ca. 1,2 bis 1,4 MillionenFlüchtlinge nach Syrien.9 Im Jahr 2005 begann eine fünfjährige, Rekorde brechende Dürre, die Wasserknappheit, wirtschaftliche Verluste und negative soziale Folgen mit sich brachte. Die Kombination aus der klimabedingten Dürre, den Migrationsströmen aus dem Irak und den aus diesen beiden Faktoren entstandenen sozialen Spannungen trugen zum Aufruhr in Syrien bei.10

Geopolitische Rivalitäten können zusätzliche Hindernisse bei der Bekämpfung des Klimawandels sein. Die größten Länder der Welt stehen sich geopolitisch gesehen eher feindlich gegenüber. Zwischen Russland und den USA gab es zwar kurze Perioden der Annäherung – sie waren 1941–1945 Alliierte im Krieg gegen Nazi-Deutschland, und in der jüngeren Geschichte arbeiteten beide Länder an einer besseren Verständigung in der unmittelbaren postsowjetischen Zeit von 1992 bis zum Ende des Jahrhunderts −, aber sie fallen immer wieder zurück in eine konkurrierende Haltung.

Wie Russland ist auch Saudi-Arabien, ebenso kein leichter Partner für die USA, in hohem Maße auf den Verkauf fossiler Brennstoffe angewiesen. Sie bilden die Löwenanteile der Staatseinnahmen beider Länder. Ihre Regierungen wissen, dass fossile Brennstoffe keine dauerhafte Einnahmequelle sein können, ihre Auslaufzeit ist auf Jahrzehnte absehbar. Bisher zeigen aber beide Länder nicht den nötigen politischen und mehr oder weniger wirtschaftlichen Willen, sich diesem Wandel, dem Umdenken zu stellen, was erhebliche Auswirkungen auf die Stabilität und Sicherheit ihrer Regionen haben kann.

Für die internationale Sicherheit von großer Bedeutung ist natürlich China. Die USA und China sind die weltgrößten Ökonomien und verantworten gemeinsam 43 Prozent des globalen Kohlendioxidausstoßes.11 Europa und viele andere Länder sehen die USA in der Führungsposition, doch es gibt zahlreiche andere Staaten, die eher auf China schauen werden, wenn es darum geht, die eigenen Ziele umzusetzen bzw. zu erhöhen. China scheint bereit, nötige Schritte zur Emissionsreduzierung im eigenen Land einzuleiten und gleichzeitig eine Vorreiterposition einzunehmen. Beide Länder müssen die gesetzten Reduktionsziele nicht nur rigoros umsetzen, sie müssen sie schrittweise erhöhen. Nur dann können die USA und China die Beispiele sein, die andere Länder ernst nehmen und dazu veranlassen werden, ihre selbst gesteckten Ziele auch tatsächlich umzusetzen.

Präsident Biden steht hinter seinem ambitionierten Zwei-Billionen-US-Dollar Klimapaket, aber zunächst muss es von beiden Kammern des Kongresses verabschiedet werden, bevor er es unterschreiben kann. Gelingt dies, dann wäre es das Signal, welches nicht nur China, sondern der gesamten internationalen Staatengemeinschaft zeigt: Die USA sind in der Tat zurück. Nun müssen die USA und China ihre Beziehungen kategorisieren, anders kann der gemeinsame Kampf gegen den Klimawandel nicht funktionieren. Systemanimositäten, Handelsstreitigkeiten, Menschenrechte, Taiwan, technische Konkurrenz und andere potenzielle Spannungsherde sollen ihre Relevanz nicht verlieren, müssen aber auf anderen diplomatischen Wegen angesprochen und verhandelt werden. Die Bekämpfung des Klimawandels darf auf keinen Fall zum Spielball der Staaten werden, der andere Punktrückstände ausgleichen oder Vorteile verschaffen soll. Auf einer Pressekonferenz am 7. März verkündete Wang Yi, der ranghöchste Diplomat Chinas, dass sein Land gewillt sei, mit den USA beim Thema Klima offen zu kooperieren. Ein erstes Signal waren die verbesserten Zielankündigungen auf dem von Präsident Biden einberufenen Leaders Summit on Climate am Earth Day. Das bringt allein zwar noch keine positiven Ergebnisse, birgt aber doch die Chance zu einer weiteren Kooperation auf diesem Gebiet.

Wichtig wäre, dass China auch seine weltweiten fossilen Industrieinvestitionen durch die Belt and Road Initiative (BRI) stoppt oder auf erneuerbare Energien umstellt. China hat seit der Gründung der BRI weltweit Milliarden US-Dollar in fossile Brennstoffprojekte investiert.12 Das ist ganz klar die entgegengesetzte Richtung im Kampf gegen den Klimawandel. Ein erster positiver Schritt war die 2019 gegründete Belt and Road Initiative International Green Development Coalition (BRIGC), die eine nachhaltige, grüne Entwicklung entlang des BRI-Projekts und den beteiligten Staaten anstrebt und die 2030-Agenda der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung unterstützt.

Zudem werden die meisten Entwicklungsländer enorme Hilfsmittel − nicht nur finanzieller Art − benötigen, um dem Klimawandel entgegentreten zu können. Hier braucht es die USA und China. Bestehende Instrumente (Adaptation Fund, Green Climate Fund) sollten langfristig ausgebaut und neue Strukturen entwickelt werden. Biden hat in diesem Zusammenhang, die „Mobilisierung von Finanzmitteln aus dem öffentlichen und privaten Sektor [angekündigt], um die Netto-Null-Umstellung voranzutreiben und anfällige Länder bei der Bewältigung der Klimaauswirkungen zu unterstützen“.13

Die Rolle der Vereinten Nationen

Seit dem Inkrafttreten der UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC 1994 gilt als ihr oberstes Ziel, „[...] die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu stabilisieren, das eine gefährliche Störung des Klimasystems durch den Menschen verhindert, und zwar in einem Zeitrahmen, der es den Ökosystemen erlaubt, sich auf natürliche Weise anzupassen und eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen“.14

Seither trifft sich die internationale Staatengemeinschaft unter dem Siegel der UNFCCC einmal im Jahr für multilaterale Verhandlungen. Nur 2020 fiel die Tagung pandemiebedingt aus und findet nun im November 2021 in Glasgow unter dem Kürzel COP26 statt. Trotz der allseits gerühmten Erfolge zum Beispiel des Pariser Klimaabkommens (COP21) sind bisher keine der in den letzten 26 Jahren verhandelten Ergebnisse, wie etwa die Emissionsreduktionsziele, vertraglich bindend. Nicht nur fehlt es an international geltenden Rechtsmitteln, es fehlt oft am politischen Willen, globale Fragen ernst zu nehmen und sie langfristig ̶ nicht befristet auf eine Amtszeit − zu verstehen. Die Präsidentschaft Donald Trumps hat das deutlich gemacht. Die schiere Herkulesaufgabe, das Problem Klimawandel anzugehen, die damit verbundenen Kosten und die nicht zu unterschätzende Leichtigkeit, auf Ignoranz zu setzen, könnten die auf Freiwilligkeit basierenden Klimaabkommen immer wieder behindern oder gar zum Scheitern verurteilen.

Das Wissen, dass die Umstellung auf klimaneutrales Wirtschaften weltweit enorme Finanzmittel verschlingen wird, lässt manche Staaten auf Zurückhaltung setzen, geringe Ziele verfolgen oder Ziele schlicht ignorieren. Es fehlen die richtigen Anreize, und es fehlen auch Strafen bei Nichteinhaltung. Joe Biden sieht den Klimawandel nicht nur als Chance, den Planeten zu retten und, sondern auch die Wirtschaft seines Landes neu aufzustellen, klimaneutral und gleichzeitig wachstumsorientiert. Die Vereinten Nationen können daraus lernen und die richtigen Anreize festlegen. Sie müssen eine verbindliche Agenda setzen und Instrumente schaffen, die global nicht nur koordiniert, sondern auch kontrolliert werden. Dazu bedarf es zum Beispiel finanzieller Anreize und eines Sanktionskatalogs. Beides könnte die kontinuierliche und langfristige Partizipation der Verhandlungsländer sicherstellen.

Der renommierter britische Naturforscher Sir David Attenborough wandte sich während einer Debatte am 23. Februar 2021mit folgender ernüchternder Botschaft an die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates: „Wenn wir unseren derzeitigen Weg fortsetzen, werden wir mit dem Zusammenbruch all dessen konfrontiert, was uns unsere Sicherheit gibt: Nahrungsmittelproduktion, Zugang zu Süßwasser, eine für Menschen erträgliche Umgebungstemperatur und Nahrungsketten in den Ozeanen“, sagte er und fügte hinzu: „Und wenn die natürliche Welt unsere grundlegendsten Bedürfnisse nicht mehr erfüllen kann, dann wird ein Großteil des Rests der Zivilisation schnell zusammenbrechen.“15 Die Folgen des Klimawandels, sollten sie nicht verhindert werden, können zur sozialen und politischen Instabilität führen, die internationale Wirtschaft beschädigen, demografische Veränderungen und Massenmigrationen herbeiführen und zivile wie militärische Konflikte auslösen. Der UN-Sicherheitsrat, dem die Wahrung des internationalen Friedens und der Sicherheit zukommt, setzt sich daher seit 2007 mit den klimabedingten Sicherheitsrisiken auseinander. Sie spielen in den Debatten des Gremiums eine wichtige Rolle und resultierten seither in verschiedenen Resolutionen, die die negativen Auswirkungen des Klimawandels betonen und weitere Schritte fordern.

Alle Hoffnung auf Glasgow?

Als Joe Biden das Ruder im Weißen Haus übernommen hat, atmeten viele Klimaaktivisten auf. Mit seinem dargestellten klimapolitischen Engagement wird in Glasgow eine wichtige Rolle spielen. Was Joe Biden jetzt prägt, muss aber auch Bestand haben. Wie auch immer das Abkommen aussehen wird, welche neuen Ziele gesetzt werden, alles muss rechtlich unterfüttert und bindend sein. Der nächste US-Präsident kann nicht erneut per Federstrich die Führungsrolle abgeben und den Globus zum klimatischen Scheitern verurteilen.

Bis 2030 müssten die globalen Treibhausgasemissionen halbiert sein. Bis Mitte des Jahrhunderts dürfte die Menschheit unter dem Strich keine Klimagase mehr emittieren. Das ist das Ziel, aber die wirklich gesteckten Ziele gehen individuell auseinander, nicht jeder Staat setzt die gleichen Ziele, noch werden sie mit dem nötigen Willen verfolgt.

Die Erwartungen an die COP26 in Glasgow könnten kaum höher sein. Das Jahr 2020 gehörte zu den drei wärmsten Jahren, die jemals gemessen wurden. Die Erwärmung der Ozeane ist so hoch wie nie. In einer von der London School of Economics organisierten Vorlesung hat die UN-Klimasekretärin Patricia Espinosa die vier wichtigsten Ziele der COP26 zusammengefasst: die Versprechen an Entwicklungsländer einhalten (inklusive jährlich 100 Milliarden Dollar Klimahilfe); das Pariser Abkommen endgültig und vollständig umsetzen; Emissionen weiter senken und Klimaambitionen erhöhen; sowie die Einbindung von Beobachtern und unparteiischen Interessenvertretern.16

Glasgow kann kein zweites Paris sein, kein Weiter-so. Glasgow muss neue, der Realität entsprechende Ziele setzen, die wesentlich höher und ambitionierter sein müssen als die, die aktuell im Raum stehen.

1 Vgl. United Nations Framework Convention on Climate Change (2019): „Cut Global Emissions by 7.6 Percent Every Year for Next Decade to Meet 1.5°C Paris Target – UN Report“. https://unfccc.int/news/cut-global-emissions-by-76-percent-every-year-for-next-decade-to-meet-15degc-paris-target-un-report (Stand aller Internet-Links: 28.5.2021).

2 Guterres, António (2020): Foreword in: „The State of the Global Climate 2020“. https://public.wmo.int/en/our-mandate/climate/wmo-statement-state-of-global-climate

3 Lindsey, Rebecca (2020): „Climate Change: Atmospheric Carbon Dioxide“. https://www.climate.gov/news-features/understanding-climate/climate-change-atmospheric-carbon-dioxide

4 Vgl. Friedrich, Johannes, Mengpin Ge und Andrew Pickens (2020): „World's Top 10 Emitters“. https://www.wri.org/insights/interactive-chart-shows-changes-worlds-top-10-emitters

5 Busby, Joshua, Morgan Bazilian und Florian Krampe (2021): „Biden called climate change an ‘existential threat.’ Can the U.N. Security Council help?“. Washington Post, 2. März 2021.

6 Vgl. Sengupta, Somini, und Lisa Friedman (2021): „U.S. says it will sharply cut emissions and increase funds to vulnerable countries to fight climate change“. New York Times. https://www.nytimes.com/live/2021/04/22/us/biden-earth-day-climate-summit

7 Vgl. Pike, Lili (2021): „Biden wants to triple protected lands“. https://www.vox.com/22251851/joe-biden-executive-orders-climate-change-conservation-30-by-2030

8 Vgl. „Klimaschutzgesetz 2021 – Generationenvertrag für das Klima“. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzgesetz-2021-1913672

9 Vgl. Kenyon Lischer, Sarah (2008): „Security and Displacement in Iraq: Responding to the Forced Migration Crisis“. Quarterly Journal: International Security. https://www.belfercenter.org/publication/security-and-displacement-iraq-responding-forced-migration-crisis

10 Vgl. Holleis, Jennifer (2021): „How climate change paved the way to war in Syria“. https://www.dw.com/en/how-climate-change-paved-the-way-to-war-in-syria/a-56711650

11 Arvin, Jariel (2021): „How the US and China can jump-start cooperation on climate change“. https://www.vox.com/22319488/china-biden-alaska-blinken-climate-change

12 Vgl. Hillman, Jennifer und Alex Tippett (2021): „The Climate Challenge and Chinaʼs Belt and Road Initiative“. https://www.cfr.org/blog/climate-challenge-and-chinas-belt-and-road-initiative

13 U.S. Department of State ( 2021): „Leaders Summit on Climate“. https://www.state.gov/leaders-summit-on-climate/day-1/

14 UNFCCC secretariat: „About the Secretariat“. https://unfccc.int/about-us/about-the-secretariat

15 World Meteorological Organization (2021): „UN Security Council debates climate change“. https://public.wmo.int/en/media/news/un-security-council-debates-climate-change. (Eigene Übersetzung aus dem Englischen.)

16 Vgl. Espinosa, Patricia (2021): „Our Slim Window of Opportunity – what the climate change agenda must achieve in 2021“. Lecture, London School of Economics and Political Science. (Audio). https://www.lse.ac.uk/lse-player?id=c490ba04-dfee-4205-aa82-01ef2a7bfb4c

Zusammenfassung

Michael Czogalla

Michael Czogalla ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Außen- und Sicherheitspolitik im Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington, DC. Bevor er sich der FES anschloss, lehrte er an der University of Nebraska, Lincoln, und veröffentlichte das Buch „Behind the Laughter“, das sich mit gesellschaftlichen Kontroversen in der US-amerikanischen Populärkultur beschäftigt. Er schreibt regelmäßig über Themen der Außen- und Sicherheitspolitik im transatlantischen Bereich. Seinen M.A. erhielt er in Amerikanistik, Politikwissenschaft und DaF an der Universität Leipzig. Er ist außerdem Absolvent des Center for Digital Imaging Arts (CDIA) an der Boston University. 

m.czogalla@fesdc.org


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Alle Artikel dieser Ausgabe

Raus aus dem Treibhaus – Gemeinsam und global lässt sich das Sicherheitsrisiko des Klimawandels noch verhindern
Michael Czogalla
Der Klimawandel als Risikoverstärker – Über die Zusammenhänge von Klimaveränderungen und Konflikten
Michael Brzoska
Wenn Du Frieden willst, schütze das Klima!
Andreas Lienkamp
Klimagerechtigkeit und Klimakonflikte als sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts
Angela Kallhoff, Thomas Schulte-Umberg
Warum wir eine grüne und ganzheitlichere internationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik brauchen
François Bausch
Mehr Aufgaben, mehr Ressourcen, mehr Inklusion – Anforderungen an die Humanitäre Hilfe in Zeiten steigender Klimarisiken
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