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Covid und die Bundeswehr – von der taktischen zur strategischen Perspektive

Abstand halten, Maske tragen, sich und andere vor einer ­Infektion schützen: Das stellt auch den Dienstbetrieb im Heer vor zahlreiche neue Probleme. Zudem waren zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Ausgabe im Rahmen der Amtshilfe Tausende Bundeswehrsoldaten in Gesund­heits­ämtern und andernorts tätig. In seinem Erfahrungsbericht blickt ein ­Offizier der 1. Panzerdivision auf den Beginn der Pandemie zurück und schildert die zahlreichen Aufgaben, die im Rahmen der Krisenbewältigung zu berücksichtigen sind.

Die Pandemie hat Deutschland und den Rest der Welt hart getroffen. Hohe Infektionsraten, beispiellose Sterblichkeitsraten und Gesundheitssysteme, die kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Fast unsere gesamte Lebensweise, wie wir sie gewohnt sind, hat sich verändert. Masken, Social Distancing und Lockdowns beherrschen heute die Schlagzeilen. Doch die Missionen, Aufgaben und vor allem die Einsätze der Armee bleiben intakt. Darüber hinaus unterstützen wir unser Gesundheitssystem mit zusätzlichen Kräften, wo und wann immer wir können. Derzeit sind Tausende Soldaten in ganz Deutschland im Einsatz.

Ich habe die Pandemie auf zweifache Weise persönlich miterlebt. Anfang 2020 war ich in einer Aufklärungskompanie in Norddeutschland stationiert. Dort erlebte ich den Beginn der Krise. Wir befanden uns mitten in einer zweiwöchigen Übung. Wir hatten nur eingeschränkte Mobilfunk- und Fernsehverbindung, sodass wir schlechter informiert waren als der Rest der Welt. Kurz vor einem Gefechtsschießen mussten wir die Übung einstellen und sofort zu unserem Standort zurückkehren. Wir waren schockiert, verwirrt und besorgt, wie es weitergehen würde. Die ersten Maßnahmen zielten darauf ab, die Ausbreitung des Virus zu verhindern, während die Kenntnisse über Ursache und Wirkung noch sehr begrenzt waren. Innerhalb weniger Tage stellten wir von der Übung auf ein Schichtsystem zu Hause um. Wir mussten über 70 Prozent unserer Soldaten nach Hause zu ihren Familien schicken, die ja auch mit der Krise zu kämpfen hatten. Während wir versuchten, unser Bestes zu geben, stießen wir auf mehrere Probleme.

Zunächst einmal konnten wir nicht alle nach Hause schicken. Vor allem die Kommandeure und Offiziere mussten vor Ort bleiben, damit wir handlungsfähig waren. Darüber hinaus kamen erste Hilfsanfragen aus dem zivilen Sektor. Also mussten wir es unseren Streitkräften ermöglichen, innerhalb kurzer Zeit zu reagieren. Es gab viele Fragen, wie wir diese Probleme lösen könnten. Gleichzeitig gingen die Einsätze in Mali, Afghanistan und im Irak weiter. Einige unserer Soldaten mussten noch die Einsatzvorbereitung absolvieren. Sie sollten sich bald in ein gefährliches Umfeld begeben, und wir mussten sicherstellen, dass sie die optimale Ausbildung erhielten.

Im Laufe der Zeit führten wir die sogenannten AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) ein und ermöglichten mehr Soldaten, von zu Hause zu arbeiten. Laptops und Systeme fielen nicht vom Himmel, aber nach ein paar Wochen konnten wir das „neue Normal“ etablieren. Home­office, Schichtsysteme und ein Abstand von 1,50 Metern mussten nun akzeptiert und angeordnet werden. Jeder Aspekt der für den Rest des Jahres geplanten Ausbildung musste neu bewertet und geplant werden. Nicht unsere schlechte Ausrüstungssituation wurde zum limitierenden Faktor, sondern die Maximalzahl von Personen in einem Bereich, um das Infektionsrisiko zu minimieren.

Während dieser Zeit wurde ich ausgewählt, um als Adjutant des Kommandeurs der 1. Panzerdivision zu dienen. Diese Position ist mit der eines Assistenten der Geschäftsführung vergleichbar. Ich wechselte von der Kompanie- auf die Divisionsebene – von einer Einheit mit 200 Soldaten in Schleswig-Holstein zu einer mit 20.000 Soldaten, verteilt von den Niederlanden bis nach Mecklenburg-Vorpommern.

Dadurch gewann ich eine neue Perspektive auf die Probleme und Herausforderungen, die wir als militärische Führer zu lösen hatten. Auf Divisionsebene wurde deutlich, dass Covid auf jede Einheit in Norddeutschland Auswirkungen hat. Ab Juni 2020 brauchten unsere zivilen Pendants immer mehr Hilfe, und die 1. Panzerdivision reagierte schnell. Doch die laufenden Einsätze und geplanten Übungen belasten die Tausenden von Soldaten. Heute ist die Division weltweit im Einsatz und unterstützt gleichzeitig Hunderte zivile Organisationen. Solange die Infektionen zunehmen, steigen auch die zivilen Missionen. Mit den Nachrichten über einen wirksamen Impfstoff in Deutschland und den Vereinigten Staaten bleibt die Hoffnung, dass sich diese Situation im Laufe des nächsten Jahres beruhigt. Dennoch glaube ich, dass wir unser Gesundheitssystem in naher Zukunft weiter unterstützen müssen.

Die Einschränkungen, die diese Krankheit mit sich gebracht hat, habe ich persönlich ganz unmittelbar erfahren. Gemeinsam besuchten der Kommandeur und ich mehrere Einheiten, die sowohl mit der Einsatzvorbereitung als auch mit der Corona-Krisenhilfe beschäftigt sind. Es war verblüffend zu sehen, wie positiv unsere Soldaten wahrgenommen wurden. Wir haben geholfen, wo wir konnten. Mir wurde klar, dass wir ohne die Unterstützung dieser Soldaten unser leistungsfähiges Gesundheitssystem nicht aufrechterhalten könnten. Die Folgen wären noch schlimmer, als sie es heute schon sind.

Während sich die neue Normalität am Anfang schwierig gestaltete, glaube ich heute, dass sich mittlerweile alle daran gewöhnt haben. Unsere Soldaten haben sich schnell daran angepasst. Heute ist es für jeden üblich, 1,50 Meter Abstand zu halten und einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Dies wird so lange weitergehen, wie die Pandemie besteht. Aber ich bin optimistisch, dass wir den längeren Atem haben und dass das Virus letztendlich verlieren wird.

Bis dahin werden wir als Soldaten bereitwillig und tatkräftig helfen – ob in einem Einsatz, bei einer Flutkatastrophe oder im Gesundheitsamt in Bad Oldesloe. Covid hat uns ein neues Verständnis des Bun­deswehr-Leitspruchs „Wir.Dienen.Deutschland“ gegeben.