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"Am Anfang konnte man eine deutliche Anspannung spüren"

Die Coronapandemie verändert auch die Einsatzbedingungen und den  ­Alltag in der Bundeswehr – zum Teil erheblich. Die Redaktion von „Ethik und Militär“ wollte wissen, wie Soldatinnen und Soldaten mit den Ent­wicklungen und den daraus resultierenden Belastungen umgehen. Dazu konnten wir unter anderem den Militärpfarrer Torsten Stemmer befragen. Er begleitete die Mannschaft der Fregatte „Hamburg“, die im Rahmen der EU-­Mission IRINI zur Kontrolle des Waffenembargos im libyschen Bürgerkrieg im Mittelmeer patrouilliert.

Herr Stemmer, der Einsatz auf der „Hamburg“ im Rahmen der EU-Mission IRINI war nicht Ihr erster Einsatz auf einem Schiff. Wie war das für Sie? Fühlten Sie, fühlte die Besatzung eine „besondere Situation“? 

Natürlich war das eine besondere Situation. Die gewohnten Landgänge während der Hafenaufenthalte waren nicht möglich. Ebenso wird der Austausch von Personal während des Einsatzes erheblich erschwert. Dennoch war auch ganz viel wie sonst auch. Die Seefahrt an sich hat sich durch Covid-19 nicht verändert. Wind und Welle entwickeln sich ja völlig unabhängig von der Pandemie. Von daher hat sich die Zeit auf See fast ganz genauso abgespielt wie in den Zeiten vor Covid-19.

Wurden die Soldatinnen und Soldaten und Sie extra für diesen Einsatz vorbereitet? 

Es gibt ja vor jedem Einsatz eine Einsatzvorbereitung. Besonders war für diesen Einsatz die Isolation. Die Einschiffung von zusätzlichem Personal – Feldjäger, Bordhubschrauber, Boarding-Team, Facharztgruppe, Stab und so weiter – bringt natürlich auch noch mal ganz eigene Herausforderungen mit sich. Eine besondere Vorbereitung in Bezug auf Covid-19 gab es vor allem im Hinblick auf die einzuhaltenden Hygiene- und Abstandsregelungen.

Welche Schutzmaßnahmen waren vorgesehen? Verstärkten sie das das Gefühl der „Enge“, des Eingesperrtseins auf dem Schiff? 

Die Besatzung als Ganzes bildet auf dem Schiff eine Kohorte. Direkt nach dem Auslaufen wurde die komplette Besatzung getestet und dann noch ein zweites Mal nach 14 Tagen. Diese Tests waren zum Glück für alle ohne Nachweis einer Infektion. Nach diesen beiden Testdurchläufen am Anfang der Seefahrt muss natürlich jedweder Außenkontakt vermieden werden, um eine Infektion der Besatzung auszuschließen, da die üblichen Abstandsregeln an Bord nicht eingehalten werden können und daher eine schnelle und weite Verbreitung auf dem Schiff kaum verhindert werden könnte.
Von Anfang an war klar, dass es keine „normalen“ Landgänge während der kompletten Seefahrt geben wird. Das hat doch für eine gewisse Unsicherheit gesorgt, weil es einfach eine total neue und ungewohnte Situation für alle Besatzungsangehörigen darstellte. Im Laufe der Zeit hat sich aber dann doch gezeigt, dass auch so in den Hafenaufenthalten Entspannung und Abschalten möglich ist.

Welche Stimmung(en) haben Sie unter der Besatzung wahrgenommen: Anspannung, Gefasstheit, „Wir schaffen das schon“ …? 

Gerade am Anfang konnte man eine deutliche Anspannung spüren: „Wie wird das wohl werden, vier Monate unterwegs zu sein ohne Landgang?“ – „Wie entwickelt sich die Pandemie weiter? Weltweit, aber vor allem zu Hause?“ Alles in allem aber war doch auch eine ge­wisse Erleichterung zu spüren, nachdem auch der zweite Test ohne Auffälligkeiten „abgehakt“ worden war. An Bord konnte man sich durch die Gewissheit der Corona-Freiheit ziemlich „normal“ benehmen.
Aber natürlich haben die Einschränkungen bei den Hafenaufenthalten und die Frage nach der Entwicklung zu Hause immer eine Rolle gespielt.

War die Pandemie ein Thema in den Gesprächen, die Sie führen? Wenn ja, inwiefern, und wie können Sie da unterstützen? 

In manchen Belangen hat sich der Gesprächsbedarf durch Covid-19 erhöht. Vielleicht auch, weil andere Gesprächsmöglichkeiten und Treffen mit Freunden wegfallen. Gleichzeitig haben viele Menschen Sorgen um die Angehörigen in der Heimat im Hinterkopf.

Die fehlenden Möglichkeiten, im Hafen im wahrsten Sinne des Wortes Abstand vom Schiff und voneinander zu gewinnen, bringt auch irgendwie ein Gefühl der Enge mit sich. Das führt immer mal wieder zu Konflikten untereinander. Ein Gespräch, in dem man sich einfach mal „auskotzen“ kann, ist da manchmal schon ein erster guter Schritt hin zu einer kleinen Entlastung. Auch das gemeinsame Sortieren und Einordnen von Gefühlen und Gedanken kann sehr hilfreich sein.

Haben Sie bei dieser Mission – wegen der Coronapandemie – besondere Aufträge? 

Als Militärseelsorger haben wir sowohl im Heimatstandort als auch im Einsatz immer den Auftrag, für die Soldaten*innen da zu sein, und sind ansprechbar in allen Belangen. Dazu gehört natürlich auch alles rund um Covid-19. Von daher hat sich der Auftrag der Militärseelsorge im Kern nicht verändert. Gleichwohl ist die Sensibilität für das Thema „Betreuung“ bei vielen Vorgesetzten und übergeordneten Dienststellen spürbar erhöht. Gerade deshalb wird auch großer Wert auf eine durchgehende Anwesenheit der Militärseelsorge auf den seegehenden Einheiten im Einsatz gelegt. 

Was ist Ihr Hauptbetätigungsfeld auf dem Schiff? Finden Gottesdienste statt? Gibt es ethischen Unterricht im Rahmen des LKU? 

Als Militärpfarrer bin ich neben der Feier von Bordgottesdiensten für das geistig-seelische Wohl der Besatzung da. Ich stehe beispielsweise für Gespräche zur Verfügung. Dazu kann man mich einfach ansprechen, wenn ich durchs Schiff laufe, mich in meiner Kammer – so heißt das „Zimmer“, das man auf dem Schiff bewohnt – aufhalte oder die Seewachstationen besuche. In manchen Fällen bin ich dann der Kummerkasten oder Vermittler oder Ratgeber.

LKU findet auf Anfrage der Truppe natürlich auch im Einsatz statt. Dafür war während IRINI aber keine Zeit, weil der Dienstplan voll war und es oft dynamische Änderungen durch die sich verändernde äußere Lage gab.

Wenn Sie ein Fazit dieses Einsatzes ziehen müssten, wie würde es lauten? Gab es besondere Augenblicke oder Erkenntnisse, und blicken Sie noch einmal anders auf Ihre Arbeit?

Ein Gesamtfazit zur Seefahrt der Fregatte „Hamburg“ kann ich natürlich nicht ziehen, weil das Schiff noch bis zum 20. Dezember auf See sein wird. Für die Zeit, die ich dort an Bord verbracht habe, kann ich aber Folgendes sagen: Es war für die Besatzung eine Herausforderung, in die Ungewissheit des Einsatzes zu starten. Neben den bereits erwähnten Einschränkungen kam noch die Ungewissheit über den Verlauf der Mission hinzu. Große Fragezeichen lagen über dem tatsächlichen operativen Einsatz und Nutzen dieser Operation. Nachdem die Besatzung für die Hafenaufenthalte schnell gute Möglichkeiten gefunden hat, sich zu beschäftigen und auch zu entspannen, konnte die erste große Anspannung langsam abgebaut werden. Auch bezüglich des Operationsverlaufes konnten zum Glück recht schnell Fakten geschaffen werden: Die Befürchtung, dass es sich „nur“ um eine politische Mission ohne operativen Einsatz handelte, konnte schnell widerlegt werden. Diese Erfahrungen haben maßgeblich auch meine Arbeit als Seelsorger an Bord geprägt. 

Gerade in der Zeit an Bord wurde deutlich, dass ich als Militärseelsorger immer wieder angesprochen und angefragt wurde. Subjektiv würde ich sagen, dass bei diesem Einsatz ein höherer Gesprächsbedarf bestand als sonst. Das bedeutet für mich, dass wir präsent sein müssen, dort wo die Menschen sind, gerade auch in kritischen Situationen. Das können beispielsweise Auslandseinsätze, belastende Situationen im Inland, entbehrungsreiche Übungen, Tätigkeiten im Grundbetrieb oder auch eine Pandemielage sein. Dort, wo wir ansprechbar sind – also nicht nur anonym über eine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse, sondern über einen konkreten, bekannten Menschen –, wird unser Angebot wahrgenommen und angefragt, und es entsteht weitere Nachfrage nach zum Beispiel zusätzlichen Werkwochen.

Die Fragen stellten Rüdiger Frank
und Heinrich Dierkes