Kontroversen in Militärethik und Sicherheitspolitik
Rechtsfragen des Einsatzes bewaffneter Drohnen aus völkerrechtlicher Perspektive
Der seit dem Amtsantritt von Präsident Obama massiv ausgeweitete Einsatz von bewaffneten Drohnen (unmanned aerial vehicles) gegen Mitglieder der Terrororganisation Al Qaida wie gegen Talibankämpfer in Afghanistan und Nordwestpakistan (aber auch in Somalia und im Jemen) hat zu einer breiten öffentlichen Diskussion über die Problematik des Einsatzes bewaffneter Drohnen geführt. Von besonderer Aufgeregtheit geprägt ist diese Diskussion in Deutschland. Fällt es vielen Deutschen schon generell schwer, die gezielte Tötung feindlicher Kämpfer (oder gar Zivilisten) zu akzeptieren, so löst die Tötung durch Maschinen (wie bewaffnete Drohnen) besonderes Unbehagen aus. Politisch zum Ausdruck gekommen ist dieses Unbehagen in den Reaktionen auf Vorschläge, auch für die deutschen Streitkräfte die Anschaffung bewaffneter Drohnen in Erwägung zu ziehen. Aus Sicht des Militärs ist das Plädoyer für die Ausrüstung mit bewaffneten Drohnen naheliegend: Wenn man schon über die elektronische Überwachung der Aufklärungsdrohnen den Aufmarsch feindlicher Kämpfer erkennen kann, der zu erheblichen Gefährdungen für Angehörige und Einrichtungen der Bundeswehr führen könnte, so liegt es nahe, diese Bedrohung auch in Echtzeit unmittelbar zu bekämpfen – und Bekämpfung in Echtzeit geht eigentlich nur durch den Einsatz von Lenkmunition direkt von den Drohnen aus.
Trotz dieser militärfachlichen Gründe für den Einsatz bewaffneter Drohnen bleiben weite Teile der Öffentlichkeit, aber auch der juristischen, sozialethischen und politikwissenschaftlichen Fachwelt skeptisch. Normative Erwägungen scheinen gegen den Einsatz bewaffneter Drohnen zu sprechen. Doch aus welchen Quellen speisen sich diese normativen Gründe? Aus dem positiven Völkerrecht jedenfalls nicht, wie der Beitrag im Folgenden kurz darlegen wird. Das Humanitäre Völkerrecht verbietet den Einsatz bewaffneter Drohnen nicht, es erlegt ihm nur bestimmte Beschränkungen auf, die aber für den Einsatz der bei Drohnen üblicherweise verwendeten Lenkmunition auch in anderen Einsatzkontexten gleichermaßen gelten, etwa bei Einsatz dieser Lenkmunition von Kampfflugzeugen und Hubschraubern aus. Das Problem liegt – das zeigt eine vertiefte Analyse – hinter den Normen des positiven Völkerrechts, lässt sich allenfalls an (sozialethischen) Prinzipien festmachen, die dem Humanitären Völkerrecht und dessen Regeln zu Mitteln und Methoden der Kampfführung zugrunde liegen. Das heißt jedoch nicht, dass es keine guten Gründe für eine gehörige Portion normativer Skepsis gegenüber der „Normalisierung“ des Einsatzes bewaffneter Drohnen gäbe.
Bewaffnete Drohnen im Humanitären Völkerrecht
Grundproblem einer völkerrechtlichen Perspektive auf das Phänomen der bewaffneten Drohnen ist zunächst einmal der Umstand, dass es sich bei den Drohnen selbst nicht um Waffen, also „Kampfmittel“ im technischen Sinne handelt, sondern vom Grundansatz her einzig und allein um ein (unbemanntes) militärisches Luftfahrzeug, das als Waffenplattform dient. Vom Humanitären Völkerrecht reguliert werden aber allein die Kampfmittel, nicht die Waffenplattformen. Die Drohne ist als militärisches Objekt klar ein legitimes militärisches Ziel; Regelungsobjekt der Normen des Humanitären Völkerrechts zu Kampfmitteln und ‑methoden ist jedoch nur die Lenkmunition, die auf die Drohnen aufgebracht ist und von dort aus ins Ziel gesteuert wird. Die dabei verwendeten Formen von Lenkmunition sind wiederum nicht drohnenspezifisch, sondern finden auch bei anderen Luftfahrzeugen Verwendung, also bei Kampfflugzeugen und Militärhubschraubern. Dort wurden sie bislang als weithin unproblematisch gesehen. Durch die Erweiterung des Einsatzspektrums auf den Einsatz von Drohnen verändern sich die Waffenwirkungen, an die das Humanitäre Völkerrecht anknüpft, aber in keiner Weise. Sind also Einsätze bewaffneter Drohnen per se unproblematisch? Ganz so einfach darf man es sich dann doch nicht machen. Unbehagen löst letztlich nicht die Waffenplattform oder die Lenkmunition als Kampfmittel aus, sondern das typische Einsatzszenario der bewaffneten Drohnen, die eine idealtypische Militärtechnik des asymmetrischen Konflikts darstellen. In dieser Konstellation wirkt die Lenkmunition, die von Drohnen aus ins Ziel gesteuert wird, als radikale Variante einer Distanzwaffe. Der Unterschied zum Artilleriebeschuss aus der Ferne oder dem Einsatz eines Marschflugkörpers ist nur sehr graduell. Vor allem bei Beobachtung und Markierung des Ziels von einer Aufklärungsdrohne aus verschwimmen die Grenzen der verschiedenen Einsatzformen. Es gibt gleichwohl erkennbare Unterschiede. Die Reichweite von Artillerie ist beschränkt, zudem muss eine entsprechende Batterie in zureichender Nähe schussbereit zur Verfügung stehen, um für eine Bekämpfung aus Distanz – bei im Ansatz mobilem Ziel – erfolgreich sein zu können. Gleiches gilt für den Einsatz von Kampfflugzeugen. Nur die bewaffnete Drohne ist in der Lage, ein identifiziertes militärisches Ziel in Echtzeit sofort zu bekämpfen.
Militärisches Ziel sind im asymmetrischen Konflikt regelhaft Ansammlungen von feindlichen Kämpfern. Diese sind aber – das gehört zum Kennzeichen asymmetrischer Konflikte – üblicherweise nicht klar zu unterscheiden von der sonstigen Zivilbevölkerung. Rein rechtlich handelt es sich im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt bei „irregulären“ Kämpfern um Angehörige der Zivilbevölkerung. Diese verlieren zwar ihren Schutz bei „direkter Teilnahme an Kampfhandlungen“. Das Problem der Unterscheidung aber bleibt. Dieses Unterscheidungsproblem ist vernachlässigbar, wenn eine Patrouille oder Kampfeinheit auf eine Gruppe gegnerischer Kämpfer trifft, die sie beschießt. Schwieriger wird es beim Einsatz von Distanzwaffen. Wenn ich der in Hinterhalt geratenen Patrouille mit Artillerieeinsatz oder close air support zu Hilfe komme, bleibt es noch relativ simpel. Doch das Problem der klaren Scheidung wird schwieriger, wenn ich gegen vermutete Kämpfer der Gegenseite Distanzwaffen einsetzen möchte, also beim aktiven Angriff auf – vermeintlich oder tatsächlich – identifizierte Gegner. Der Umstand, dass die ins Visier genommenen Personen Waffen tragen oder ohne Feindberührung Waffen einsetzen, ist in Kontexten wie Afghanistan, Jemen oder Somalia noch wenig aussagekräftig – man denke an die Fälle der versehentlichen Auslöschung von Hochzeitsgesellschaften, die mit den dort sozial üblichen Handwaffen rituelle Freudenfeuer veranstalten. Je geringer das Zeitfenster zwischen Identifikation des (vermuteten) militärischen Zieles und dem Waffeneinsatz ist, desto größer werden die Risiken der Fehleinschätzung, der verzerrten Wahrnehmung oder plötzlichen Änderung der Umstände, die der die Entscheidung treffende militärische Akteur nicht im Blick hat. Als Beispiel denke man nur an die tragische Fehleinschätzung, die dem Bombardement der in der Furt stecken gebliebenen Tanklaster im berühmt-berüchtigten Kunduz-Zwischenfall zugrunde lag.
Das Unbehagen über die Einsätze bewaffneter Drohnen verschwimmt hier mit der Diskussion über die Problematik des sogenannten targeted killing. Gezielte Tötung ist gegenüber militärischen Gegnern, die einen mit der Waffe in der Hand bekämpfen, unproblematisch möglich. Nach überwiegender Auffassung erstreckt sich die Figur der direct participation auch auf professionelle Kämpfer, die als Teil eines organisierten militärischen Apparats ihre Zeit und Energie voll der Bekämpfung des Gegners widmen, unter Einschluss der politischen Führer solcher militärischer Apparate. Der Teilzeitkämpfer dagegen, der seine Waffe nur gelegentlich aus dem Versteck holt, sonst aber als Bauer oder Handwerker ein unauffälliges ziviles Leben führt, ist grundsätzlich als Angehöriger der Zivilbevölkerung geschützt – es sei denn, er wird mit der Waffe in der Hand angetroffen.
Darüber hinausgehende Probleme stellen sich im Blick auf die „Kollateralopfer“, die bei militärischen Operationen in gewissem Umfang kaum zu vermeiden sind. Wir wissen nicht genau, wie viele unbeteiligte Zivilisten bei den amerikanischen Drohnenangriffen ums Leben gekommen sind; wir wissen nur, dass deren Zahl erheblich ist – und im Kontext der Operationen in Afghanistan und Pakistan ist dies auch schwerlich zu vermeiden, will man auf Angriffe nicht völlig verzichten, die gegen Ziele in menschlichen Siedlungen oder Fahrzeugkonvois gerichtet sind, in denen sich neben feindlichen Kämpfern auch geschützte Zivilisten befinden. Die Problematik der Zulässigkeit derartiger Kollateralopfer ist sehr komplex und soll hier nicht weiter vertieft werden. Prinzipiell unterscheidet sie sich auch nicht von der Kollateralopferproblematik bei konventionellen Luftwaffen- oder Artillerieeinsätzen.
Ganz schwierig wird es mit der Zulässigkeit gezielter Tötungen in Situationen jenseits des bewaffneten Konflikts. Hier gelten grundsätzlich die Gewährleistungen der Menschenrechte. Gezielte Tötungen sind – nach den insoweit geltenden Regeln des Einsatzes polizeilicher Gewalt – nur in Extremfällen der unmittelbaren Notwehr oder Nothilfe bei akutem Angriff auf das Leben der Einsatzkräfte oder unbeteiligter Dritter möglich. Den (militärischen) Einsatz bewaffneter Drohnen schließt dies nahezu vollumfänglich aus.
Die Grenzen der militärischen Gewalt in ethischer Perspektive
Die eigentliche sozialethische Problematik, die im Blick auf bewaffnete Drohnen den Kern des Unbehagens bildet, haben wir mit diesen Überlegungen zum positiven Völkerrecht aber noch gar nicht wirklich in den Blick bekommen. Der Widerwille gegen die radikalisierte Distanzwaffe, als die sich die bewaffnete Drohne darstellt, speist sich nicht wirklich aus den Problemen des targeted killing und der Kollateralopferproblematik. Sie hängt vielmehr mit den Grundmustern der ethischen Rechtfertigung des Tötens im Krieg zusammen, die im Falle der Drohnen nicht mehr so recht tragen wollen. Ich darf als Soldat den Gegner gezielt töten, weil ich mich letztlich in einer Art institutionalisierter Notwehr befinde. Selbst wenn ich mich nicht selbst in Lebensgefahr durch mögliche Waffeneinwirkungen des Gegners befinde – was bei Distanzwaffen eher selten der Fall sein dürfte – darf ich doch da den Gegner bekämpfen, wo ich ihn antreffe, da er sonst seine Gewalt gegen meine Kameraden richten wird, die ich solidarisch vor der Gewalt des Gegners zu schützen habe. Diese grundsätzliche sozialethische Legitimation wird bei asymmetrischen Konflikten generell recht brüchig. Beim Einsatz bewaffneter Drohnen aber stößt dieses Rechtfertigungsmuster endgültig an seine Grenzen.
Besonders offensichtlich wird dies bei der Konstellation der Drohneneinsätze in Pakistan, die auf US-amerikanischer Seite von Zivilpersonal der CIA gesteuert wurden. Die handelnden Personen sind selbst aus jeder (auch nur potenziellen) Gefährdungslage genommen und stehen auch in keinerlei kameradschaftlicher Solidaritätsbeziehung zu den (vielleicht über viele Ecken) vor Todesrisiken bewahrten Soldaten der US-Armee in Afghanistan. Der gezielte Einsatz tödlicher Kampfmittel mutiert hier für den Handelnden mehr und mehr zu einer Art Computerspiel außerhalb jeglicher Zusammenhänge einer (risikobehafteten) bewaffneten Auseinandersetzung. Damit geht ein doppeltes Problem einher – das Problem der Wahrnehmungskurzschlüsse, die bei drastisch verkürzten Entscheidungszeiträumen auftreten, und das Problem der ethischen Desensibilisierung. Die Nutzung der militärischen Vorteile des militärischen Handelns in Echtzeit verlangt nach kurzen Entscheidungswegen und der Möglichkeit sofortiger Entscheidung on the spot. Hier können nicht mehr längere Befehlsketten durchlaufen werden, unter Einbeziehung der Rechtsberater, sondern es muss sofort entschieden werden, sonst ist der Vorteil der Drohne dahin. In dieser Handlungsschleife der (vielleicht auch nur vermeintlichen) Identifikation eines militärischen Ziels mit der Erwartung sofortiger Reaktion kommen all die Formen der Wahrnehmungsverzerrung und des Bias, die Menschen in derartigen Situationen mitführen, unweigerlich zum Tragen. Man ist auch mit den Konsequenzen der Gewalteinwirkung nicht mehr unmittelbar konfrontiert (im Gegensatz zum Soldaten im klassischen Gefecht, der hinterher vielleicht sieht, dass er irrtümlich einen harmlosen Zivilisten erschossen hat). Diese völlige Abschottung von den Problemfolgen der Gewalt führt letzten Endes zu einer ethischen Desensibilisierung, wie wir sie in der psychologischen Forschung auch bei den üblichen Gewaltspielen an Computern beobachten können. So schwierig es beim klassischen Soldaten im Feld ist, die intuitive Tötungshemmung zu überwinden und die Gewissensnöte, die beim Anblick der Gewaltfolgen entstehen, nicht in posttraumatische Belastungsstörungen münden zu lassen, so leicht kann sich der Operateur der Drohne vom Gewaltgeschehen distanzieren.
Dies ist umso fataler, als zentrale Regelungskomplexe des Humanitären Völkerrechts – insbesondere im Blick auf das Problem der Kollateralopfer – an das ethische Urteilsvermögen des militärischen Entscheiders appellieren. Die bei der Abwägung von zu erwartendem militärischem Vorteil und zu befürchtenden Kollateralopfern geforderte Gewissensentscheidung verlässt sich letztlich auf die ethische Sensibilität des handelnden bzw. entscheidenden militärischen Funktionsträgers – und an der so geforderten Gewissensentscheidung sind schon viele Soldaten und Offiziere seelisch zerbroc hen. Die fast völlige Entlastung des handelnden Personals von dieser Art von Gewissensnöten mag zwar für bürokratische Gewaltapparate „effizienzsteigernd“ sein, sie zieht aber im Kern dem Funktionsmodus der Regeln des humanitären Völkerrechts den Boden unter den Füßen weg.
Besonders offensichtlich wird dies bei der Praxis der signature strikes, bei der die Einsatzentscheidung im Blick auf bestimmte Konstellationen einer festgelegten Routine folgt – und auf die Spitze getrieben wird dies in den Szenarien der autonom operierenden Maschinen, die auf bestimmte Erkennungsmuster automatisch im Sinne eines signature strike reagieren. Das mit einem Gewissen ausgestattete Handlungssubjekt wird hier völlig verabschiedet, die (immer noch mögliche) ethische Fehlentscheidung in den anonymen Programmiercodes der Steuersoftware der Drohnen invisibilisiert. Rechtlich verantwortlich – als Einzelperson – ist hier faktisch niemand mehr; was bleibt, ist die schwer greifbare Kollektivverantwortung des Apparats. Dieser aber hat kein Gewissen und kann auch keine ethisch verantwortete Güterabwägung vornehmen. An der Stelle wird es dann doch wieder zu einem Problem des positiven Völkerrechts – das Humanitäre Völkerrecht setzt die vom militärischen Entscheider persönlich verantwortete Güterabwägung zwingend voraus.
Prof. Dr. Stefan Oeter, 1979-1983 Studium der Rechts- und Politikwissenschaften in Heidelberg und Montpellier; nach Referendarzeit von 1987-1999 wiss. Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg; 1990 Promotion zum Dr. iur., Heidelberg; 1997 Habilitation in Heidelberg; seit 1999 Prof. für Öff. Recht und Völkerrecht und Direktor des Instituts für int. Angelegenheiten Universität Hamburg; deutsches Mitglied des Unabhängigen Expertenkomitees für die Europ. Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats (Vorsitz 2006-2013); Vorsitz der Historical Commission der Int. Society for Military Law and the Laws of War; Mitglied des Permanent Court of Arbitration, Den Haag; Forschungsschwerpunkte: vergleichende Föderalismusforschung; Schutz von Sprach- und Kulturminderheiten; Humanitäres Völkerrecht; Europäisches und int. Wirtschaftsrecht; Theorie des Völkerrechts und der int. Beziehungen.