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Militärische Praxis zwischen Ethik und Tragik: Moralische Dilemmata im Kontext der Friedensbildung für Streitkräfte

Von Fred van Iersel

In einem demokratischen Rechtsstaat ist die Ultima Ratio der Ausgangspunkt militärischen Handelns. Streitkräfte werden nur im äußersten Fall eingesetzt, wenn alle anderen der Demokratie inhärenten friedlichen Mittel zur Konfliktlösung ausgeschöpft sind. Daher liegt für demokratische Streitkräfte ein Balanceakt auf dem schmalen Grat zwischen Ethik und Tragik in der Natur der Sache, moralische Dilemmata sind mit ihrem Einsatz per se verbunden. Dies bedeutet für den Soldaten als Individuum, dass die Gefahr enorm groß ist, die eigene Identität durch sein Handeln in Dilemmasituationen moralisch zu beschädigen – zu beschmutzen. Ein Umstand, mit dem das von Militärs nach einem Einsatz häufig geäußerte Verlangen nach Anerkennung erklärbar ist. Die Zivilgesellschaft, welche dem Soldaten ein Mandat zum militärischen Einsatz gegeben hat, ist von derartigen Dilemmasituationen nicht weniger betroffen. Nachdem Fred van Iersel zunächst diese ganz grundsätzlichen Rahmenbedingungen des militärischen Einsatzes ins Bewusstsein gerufen hat, widmet er sich der Frage nach dem Umgang mit sich zwangsläufig ergebenden Dilemmata. Hierzu wird ein Rückgriff auf die aristotelische Tugendethik vorgeschlagen. Militärisches Handeln ist als Praxis zu verstehen, als auf Klugheit (phronèsis) beruhende Handlungsweise, in welcher die Wahl der eigenen Ziele und Mittel in Einklang zu bringen ist mit der situativen Wirklichkeit, wie sie sich in der geschärften eigenen Wahrnehmung darstellt. 

Letztlich wendet sich der Autor der Religion zu und erläutert am Beispiel des Christentums die möglichen Anknüpfungspunkte für einen religiösen moralischen Perfektionismus an Dilemmata. Die Suche nach moralischer Wahrheit, welche Militärs in ihrem Verlangen nach ­Anerkennung zum Ausdruck bringen, wird gerade durch die christliche Ethik ernst genommen und kann ihre Rolle als moralische Akteure prägen. In diesem religiösen Selbstverständnis kann es den Solda­tinnen und Soldaten gelingen, sich nicht mehr nur als Variable einer geopolitischen Gleichung zu sehen. Insofern als durch den Glauben die gedankliche Konfrontation mit Dilemmata gefördert wird, kann christlich-geistliche Seelsorge die Charakterbildung in den Streitkräften anregen und fördern und somit einen unerlässlichen Beitrag zur Humanisierung der Kriegführung leisten.

Originalartikel