Kriegstüchtig? Friedensethische Reflexionen
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die europäische Friedensordnung nachhaltig erschüttert und beruht auf historisch wie religiös unhaltbaren Rechtfertigungen. Das Ringen um eine angemessene Antwort führt erneut die Spannung zwischen gewaltfreiem Handeln und der Möglichkeit legitimer Gewaltanwendung vor Augen. Diese Spannung bleibt charakteristisch für die katholische Friedensethik; sie darf nicht einseitig aufgelöst werden. Dem Leitbild des „gerechten Friedens“ liegt einerseits eine menschenrechts- und gemeinwohlbasierte Prozessethik zugrunde, der es primär um Friedensbefähigung und proaktive Ursachenorientierung geht. Andererseits bleiben traditionellen Prüfkriterien der Lehre vom „gerechten Krieg“ unverzichtbar, was die beständige und kritische moralische Reflexion über die Möglichkeiten legitimer Gewalt betrifft. Deren Einsatz muss jedoch stets dem übergeordneten Ziel der Gewaltüberwindung verpflichtet bleiben.
Auf dieser Grundlage muss der Rede von „Kriegstüchtigkeit“, die (stärker als der hier präferierte Begriff der „Kriegstauglichkeit“) auf die innere Motivation abhebt, aus Sicht christlicher Friedensethik und ihrer pazifistischen Grundorientierung zumindest mit Vorsicht begegnet werden. Es besteht die Gefahr einer zu eindimensionalen und verkürzten Auslegung, die keine nachhaltige Antwort auf die Herausforderungen und Bedrohungen nach der „Zeitenwende“ darstellt.
Eine pazifistische Position wiederum muss nicht zwingend nur in ihrer radikalen Form vertreten werden. Es ist richtig und wichtig, die Bergpredigt mit ihrem Insistieren auf möglichst gewaltfreien Optionen auf ihren normativen Gehalt zu befragen. Allerdings wäre es falsch, aus ihr im Falle eines Angriffskrieges für ein ganzes Land ein grundsätzliches Verteidigungsverbot abzuleiten. Genauso wenig stellt legitime Selbstverteidigung die primäre Option für ein Ethos der Gewaltfreiheit generell infrage. In diesem Spannungsverhältnis stellt die katholische Friedensethik nach wie vor einen wichtigen Kompass dar; sie bietet jedoch keine fertige Schablone, die ohne differenzierte und kontextsensible Einzelfallanalyse zu einer Lösung führt.
Originalartikel