Versöhnung – ein rationaler Akt der Klugheit auf dem Weg zur Gerechtigkeit
Es gibt Konflikte (etwa solche kriegerischer Natur) zwischen Völkern und Nationen, denen eine lange Verwerfungsgeschichte vorausgeht und die mit Blick auf wechselseitige Schuldzuweisungen so verworren sind, dass sie durch die Anwendung gerechtigkeitsbezogener Überlegungen allein nicht mehr aufgelöst werden können. Will man sich der Perpetuierung der Konfliktsituation nicht einfach ausliefern und den Zustand ungerechter Verhältnisse auf Dauer akzeptieren, dann bedarf es einer anderen Strategie der Konfliktlösung. Eine solche Strategie ist die der Versöhnung der Konfliktparteien. Versöhnung in diesem Kontext ist nicht primär ein emotionales Geschehen, sondern muss als ein rationaler Akt der Klugheit auf dem Weg zur Gerechtigkeit verstanden werden.
Soll ein solchermaßen von Vernunft geleiteter Versöhnungsprozess erfolgreich sein, dann muss er bestimmte Bedingungen erfüllen, die sich als aufeinander folgende Schritte der Versöhnung darstellen lassen. Es muss (1.) die Existenz einer ursprünglichen Einheit gegeben sein, damit Versöhnung überhaupt greift. Es muss (2.) eine schuldhafte Zerstörung der ursprünglichen Einheit durch einen fortdauernden, unter strengen Gerechtigkeitsgesichtspunkten nicht mehr zu lösenden Konflikt gegeben haben. Traditionelle Modelle des Konfliktmanagements und der Konfliktbeendigung müssen (3.) scheitern, so dass es (4.) zur Einsicht in die Unlösbarkeit des Konflikts kommt und der Wille zur klugen Gestaltung einer gerechten Zukunft in Gerechtigkeit und (5.) der Wille zur Versöhnung und die Bereitschaft zu Umkehr und Vergebung wächst. Der Versöhnungswille muss sich (6.) in konkreten Akten des Versöhnungswillens manifestieren und (7.) in einem feierlichen Akt der Versöhnung als Bekräftigung einer realistischen Hoffnung auf Versöhnung niederschlagen.
Auch wenn dies gelingt, bleibt Versöhnung eine permanente Aufgabe, zumal die Bürde der Geschichte weiterhin auf ehemaligen Konfliktparteien lastet, sodass permanent die Gefahr besteht, dass die Orientierung an der Vergangenheit erneut über den Willen zur Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft in versöhnter Gerechtigkeit dominiert. Aber nicht die Logik der Vergeltung, sondern die Logik der Versöhnung eröffnet einen Weg zu einem dauerhaften Frieden in Gerechtigkeit.
Originalartikel