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Resilienz aus der Perspektive christlicher Theologien – ein Essay zur aktuellen Forschung „Resilience and Humanities“

Von Cornelia Richter

Das landläufige Verständnis von Resilienz als Vorhandensein alltagstauglicher, präventiver „Krisenbekämpfungsfitness“ entspricht dem nachvollziehbaren Bedürfnis, individuelle, kollektive oder systemische Krisen im Kern unbeschadet zu überstehen. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Resilience and Humanities“ setzt dieser Auffassung ein prozessuales Verständnis entgegen. Nur im Zusammenwirken einer Vielzahl von Faktoren, die erst in der Auseinandersetzung mit dem als krisenhaft empfundenen Geschehen zum Tragen kommen und kontextabhängig interagieren, kann sich Resilienz als Krisenphänomen ausbilden und erweisen. Die Existenz einer „resilienten Persönlichkeit“ wird mithin angezweifelt.

Ausgangspunkt dieser These ist – neben den vielen Einsichten aus Psychosomatik, Psychologie und Palliativmedizin – die Dogmatik, deren Kernsätze und -themen gerade nicht „einfach zu glaubende“ Inhalte darstellen, sondern die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben in der Beziehung zu Gott ermöglichen sollen, und zwar auch dann, wenn das Leben existenziell bedroht ist. Der christliche Glaube ist trotz aller Zuversicht von Ambivalenz, Unsicherheit und einer grundsätzlichen „Entzogenheit“ Gottes durchdrungen. Gerade für Spiritual Care in schweren oder traumatischen Lebenskrisen braucht es ein tragfähiges und kritisches interdisziplinäres Resilienzmodell, das die Erfahrungen von Zweifel, Ungewissheit, Ohnmacht, Angst und Sorge nicht ausblendet, sondern sie konstruktiv integriert. In der christlich-jüdischen Tradition findet sich ein reichhaltiger Fundus an Texten, Narrativen, Metaphern und Symbolen, Ritualen und gemeinschaftlichen Praktiken, die im Nebeneinander von Klage und Dank, von Trauer und Zuversicht genau dieses Ringen mit Destruktivität und Ambivalenz widerspiegeln, aus dem Hoffnung und Lebensbejahung erst (wieder) erwachsen können. Selbst sperrige Glaubensvorstellungen, die Undurchsichtigkeit und nicht verstehbare Härten des Lebens versinnbildlichen – etwa die eines göttlichen Gerichts –, sollten daher in der Spiritual-Care-Praxis nicht a priori vermieden oder verdrängt werden.

Originalartikel