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Die Europäische Union und ihre Werte – normative Leitvorstellungen oder moralisches "Feigenblatt"?

Von Alexander Merkl

Alexander Merkl unterzieht die fast schon zum Allgemeinplatz gewordene Charakterisierung der Europäischen Union als „Wertegemeinschaft“ einer kritischen Prüfung. Er definiert Werte als übergeordnete Gestaltungsprinzipien bzw. als Kriterien für die konkrete Handlungswahl und Entscheidungsfindung. Die grundlegenden Prinzipien wie Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, auf die sich die Europäische Union im Vertrag von Lissabon beruft, bilden die normativen Leitvorstellungen, mithin die „Werte“ der EU. Deren Wahrung ist sie zuvorderst nach innen verpflichtet, denn sie gründet (aus guten historischen Gründen) ihre Existenz und ihre Identität darauf.

Im Anschluss greift Merkl die Hauptkritikpunkte an einer solchen expliziten Wertorientierung auf und leitet daraus zentrale Forderungen ab. Um den Vorwurf der Inhaltsleere sowie der moralischen Bemäntelung und Selbstüberhöhung zu entkräften, gelte es erstens, je nach Kontext zu differenzieren, zu konkretisieren und abstrakte Begriffe wie etwa „Gerechtigkeit“ mit Inhalt und Leben zu füllen. Die propagierten Werte müssten zweitens in der Verfasstheit und im Handeln der EU manifest werden, ohne über allzu hehre Ziele das bereits Erreichte und aktuell Mögliche aus dem Auge zu verlieren.   

Die häufige Bestimmung der europäischen Werte als „christlich“ greift dem Autor zufolge zu kurz, wenn dies exklusiv gemeint ist – weder dürfe das römische und griechische Erbe vernachlässigt werden noch das Nicht-Christliche damit ex definitione zum Nicht-Europäischen deklariert werden.

Als einen, wenn nicht den wesentlichen europäischen Wert identifiziert Merkl den Frieden. Diesen klarer als in der Vergangenheit als stetigen Konfliktbewältigungsprozess zu begreifen sei eine der Aufgaben für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die erklärtermaßen auf dem allgemeinen europäischen Wertefundament basiert. Wenn die EU wie angestrebt die eigenen Werte fördern und verbreiten und diese bei der Beantwortung der konkreten außen- und sicherheitspolitischen Herausforderung wahren will, muss sie sich – auch mit und in einer möglichen gemeinsamen Armee – im Wesen und im Handeln an ihren Leitvorstellungen orientieren.

Originalartikel