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Gerechter Frieden trotz Krieg? Zur Verteidigung eines in die Kritik geratenen Konzepts

Von Markus Thurau

In einem Europa, zu dessen zentralen Werten Frieden und Gerechtigkeit zählen, bildet das in den Kirchen etablierte Konzept des gerechten Friedens die Grundlage für eine notwendige friedensethische Legitimierung der Streitkräfte. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine werden jedoch vermehrt kirchliche Stimmen laut, die eine Wiederbelebung der Lehre vom gerechten Krieg fordern.

Bereits in den beiden Weltkriegen hatte sich allerdings deutlich gezeigt, dass die Lehre vom gerechten Krieg zum Bestandteil einer nationalistischen Kriegslegitimation degeneriert war und keine adäquaten Antworten auf die fortschreitende Technologisierung und Totalisierung des ­modernen Krieges mehr geben konnte. So setzte sich nach 1945 in den Kirchen die Einsicht durch, dass sie durch eine Lehre vom gerechten Frieden abgelöst werden musste. Konsequenterweise richtet diese den Blick primär auf Gewaltprävention, zivile Konflikt­bearbeitung und die Schaffung gerechter, friedens­fördernder Ver­hältnisse und Strukturen; sie umfasst somit weit mehr als eine legitimatorische Kriteriologie, allerdings ohne militärische Gewalt als Ultima Ratio vollständig auszuklammern. 

Eine Rückbesinnung auf die Lehre des gerechten Krieges ist zugleich mit dem päpstlichen Lehramt unter Franziskus nicht vereinbar. Dieser stellt sich jedenfalls in die Tradition seiner Vorgänger, indem er für eine internationale Friedensordnung als Rechtsordnung plädiert. Seine Forderung nach einer Ächtung des Krieges, die deutliche Ablehnung des gerechten Krieges und die konsequente Einnahme der Opferperspektive lassen sich durchaus als Bekenntnis zum gerechten Frieden und nicht (wie häufig unterstellt) als bedingungsloser Pazifismus deuten. 

Dem gerechten Frieden, für dessen Anschlussfähigkeit an den ­politischen Diskurs im Übrigen ausreichend Belege existieren, kann somit keineswegs die Eignung als Leitbild für die Situation nach der „Zeitenwende“ abgesprochen werden. Der darin vorgenommene Perspektivwechsel – also die (ursprünglich auch der Lehre vom gerechten Krieg eingeschriebene) Friedensorientierung – verweist bei aller notwendigen „Kriegstüchtigkeit“ vielmehr auf den übergeordneten Daseinszweck von Streitkräften.

Originalartikel