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Ethische Bildung in den Streitkräften – Überbrückung oder Vertiefung der Kluft?

Von Dragan Stanar

Samuel P. Huntingtons Verständnis der zivil-militärischen Beziehungen, wie er es in seinem Werk „The Soldier and the State“ entwickelt hat, setzt bis heute den Standard. Es folgt der Logik der strikten, tiefgehenden und klar definierten Trennung von Militär und Politik. Zeitgenössische professionelle Streitkräfte erscheinen dabei als Verwirklichung des Huntington’schen Ideals.

Ein solcher strikter militärischer Professionalismus beinhaltet die Abtrennung vom Rest der Gesellschaft und ist in mancher Hinsicht ratsam, führt jedoch tendenziell zu einer Vergrößerung der Kluft zwischen Zivilgesellschaft und Militär. Dies ist nicht nur in der mangelnden Kenntnis bzw. dem zunehmenden Desinteresse gegenüber allem Militärischen in der Zivilgesellschaft begründet, sondern findet seine Entsprechung in Abkapselungs- und Entfremdungsprozessen aufseiten der Streitkräfte. Anhand des Beispiels der USA lassen sich auch für europäische Gesellschaften wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Besonders besorgniserregend sind Überlegenheitsgefühle als Reaktion auf den häufig auftretenden gesellschaftlichen Bedeutungsschwund professioneller Streitkräfte, die Misstrauen gegenüber politischen Entscheidungsträgern, Desinteresse an den politischen Folgen militärischer Entscheidungen oder gar Verachtung für die Zivilgesellschaft befördern und so die zivil-militärische Kluft weiter vertiefen.

Um dem entgegenzuwirken, empfehlen Experten zum einen die (Wieder-)Einführung eines Wehrdienstmodells sowie die Anpassung und Verbesserung der Bildung von Militärangehörigen, besonders des Offizierskorps. Da sich für Ersteres in Europa bisher kein Trend abzeichnet, muss der zweite Ansatz priorisiert werden. Militärethische Bildung muss dabei die moralische Ausnahmestellung des Militärdiensts vermitteln und zur Verinnerlichung eines anspruchsvollen Berufsethos beitragen, ohne zugleich schädliche Überlegenheitsgefühle weiter zu nähren. Es gilt, durch eine „Zivilisierung“ entfremdeter Berufsarmeen die (fast metaphysische) Verbindung zwischen einer Nation und ihren Streitkräften zu festigen.

Originalartikel