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Editorial

Ausgabe 2025/01

Versöhnung: Möglichkeiten und Grenzen eines friedensethischen Leitbegriffs

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Anfang des vergangenen Jahres veröffentlichten die deutschen Bischöfe ihr Friedenswort „Friede diesem Haus“. Sie machen darin unter anderem erneut das zentrale Thema christlicher Friedensethik stark: Versöhnung und die damit verbundene Aufarbeitung einer gewaltbelasteten Vergangenheit. Deren „prägende Anwesenheit“, so die Bischöfe, wirke im Unsichtbaren fort und stehe dem Aufbau nachhaltiger Beziehungen im Weg. Ganz im Sinne des gewaltpräventiven Ansatzes gilt es daher nicht, die Vergangenheit ruhen zu lassen, sondern sich im Wissen um die Wirkmacht tiefster Verletzungen mit dem Leid und den Unrechtsbedingungen differenziert auseinanderzusetzen.

Versöhnung darf also keinesfalls mit oberflächlicher Befriedung verwechselt werden, auch wenn sie vielleicht als solche beginnt. Es braucht ein inneres Moment, die „Umwandlung von Feindschaft in Freundschaft“ (Lily Gardner Feldman), um eine Rückkehr zu gewaltsamen Konfliktlösungsversuchen weitestgehend auszuschließen. Das bedeutet auch, dass ein solcher Prozess oft über Generationen verläuft, trotz manchen Erfolgs Rückschläge verkraften muss und Ausdauer erfordert. Es reicht jedenfalls nicht aus, Versöhnung als eine Art Wundermittel zu beschwören, um unbequemen Wahrheiten und realen Widerständen auszuweichen – darauf weist Jörg Lüer in seinem einleitenden Beitrag mit Nachdruck hin.

Mit dieser Ausgabe möchten wir daher dem Anspruch gerecht werden, sowohl die Potenziale als auch die Herausforderungen gesellschaftlicher Versöhnungsprozesse in den Blick zu nehmen. Anhand zahlreicher Beispiele beschäftigt sich Charalampos Babis Karpouchtsis mit Formen von Wahrheit und der Rolle von Wahrheitsfindung für Postkonfliktgesellschaften. Claudia Patricia Bueno Castellanos und Christoph Perleth schildern anhand einer Fallstudie aus Kolumbien die psychischen Verwüstungen in Bürgerkriegsgesellschaften und die Bedeutung therapeutischer Intervention. Mithilfe einer bebilderten Analyse diverser Museen und Gedenkstätten verdeutlicht Ljiljana Radonić , wie das Erbe des Zweiten Weltkriegs bis heute in der Erinnerung an die jugoslawischen Zerfallskriege fortlebt und instrumentalisiert wird.

Kai Ambos und Susann Aboueldahab beleuchten Vergeltung und Wiederherstellung als unterschiedliche Ansätze der Strafjustiz. Dabei legen sie den Schwerpunkt auf die Entwicklung des internationalen Strafrechts und auf innovative Modelle wie die kolumbianische Sondergerichtsbarkeit für den Frieden. Im Anschluss erörtern der Moraltheologe Michael Rosenberger und der Philosoph Philipp Gisbertz-Astolfi in ihren jeweiligen Beiträgen, was Vergebung ausmacht, von welchen Tugenden sie getragen wird und in welchem Zusammenhang Verzeihen und Versöhnen stehen. Abschließend zeigt Armin Wildfeuer anhand einer Prozesssystematik und einer Typologie der Versöhnung auf, inwiefern sich in ihr vernünftige Einsicht und Klugheit manifestieren.

Dieses Jahr jähren sich zahlreiche Ereignisse, die die Beschäftigung mit Versöhnung geradezu herausfordern, wie das Ende des Zweiten Weltkriegs oder der Genozid von Srebrenica. Bei der Vorbereitung der Ausgabe waren wir zudem fasziniert von der Vielfalt der Aspekte sowie den zahlreichen Querbezügen, die sich zwischen den einzelnen Beiträgen ergeben: etwa das Täter-Opfer-Verhältnis, die schmerzlichen Wahrheiten, die es auszuhalten gilt, die Beziehung zur Gerechtigkeit und die prinzipielle „Unverfügbarkeit“ von Versöhnung. Dies gilt auch für das Special, wo unter anderem meine Kollegin Kristina Tonn das Konzept des vom zebis mitorganisierten Workshops für Berufsoffiziere in Auschwitz erläutert.

Der KOMPASS, das Magazin der Katholischen Soldatenseelsorge, hat sich übrigens in seiner Mai-Ausgabe für das gleiche Titelthema entschieden. „Versöhnung ist ein Prozess, der nicht abzuschließen ist“, betont dort Markus Thurau in einem lesenswerten Interview. Abgeschlossen ist zumindest die vorliegende Ausgabe von Ethik und Militär; wir bedanken uns wie immer herzlich bei allen, die an der Entstehung mitgewirkt haben, und hoffen, dass sie Ihnen viele wertvolle Einsichten und Erkenntnisse ermöglicht.

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