"God, how I hate the 20th century" – Zur Ritterlichkeit als Mythos und als ethische Tugend
Für die hier angestellten Überlegungen wird Ritterlichkeit als (militär-)ethisches Konstrukt im engeren Sinne und nicht als soziale Realität verstanden. Ausgangspunkt sind die aus der antiken Philosophie stammenden Begriffe poiesis und praxis – zweckrationales bzw. selbstzweckhaftes Handeln. Das heutige Denken ist fundamental durch Ersteres geprägt: Im Vordergrund steht das Ziel, (Welt-)Zustände mit geeigneten Mitteln zum Besseren zu verändern. Auch das Denken im Rahmen des gerechten Krieges lässt sich dem poietischen Verständnis zuordnen. Gewalt ist kein Selbstzweck, darf aber unter gewissen Bedingungen eingesetzt werden, um Frieden und Gerechtigkeit „herzustellen“.
Bei allen unbestreitbaren Vorzügen bergen solche Legitimationssysteme für Gewalt – insbesondere die aktuell dominierende „Revisionistische Theorie des gerechten Krieges“ – immer auch die Gefahr, eine Dualität von Gut und Böse zu fördern und paradoxerweise das ursprünglich gewaltbegrenzende Moment in ein eskalatorisches umschlagen zu lassen, etwa durch das Ausnutzen jeglichen technologischen Vorteils.
Das Ritterlichkeitsethos im oben skizzierten Sinn setzt, unter anderem durch den „Fairness“-Gedanken, der Gefahr einer ausufernden Gewaltlegitimation aufgrund einer unhinterfragten moralischen Asymmetrie Grenzen. Aus dem Geist des Christentums geboren, verweigert es sich den in einer „gott-losen“ Gegenwart fast zwanghaft gewordenen Optimierungsbestrebungen. Als Form der Selbstbindung wurzelt es in einer Anerkennung der eigenen Geschöpflichkeit und Begrenztheit aller Menschen. Selbst die neueren Schriften von Judith Butler zeigen in säkularer Form eine gewisse Nähe zu einem solchen Denken.
Originalartikel