Editorial
Ausgabe 2015/01
Den Gegner retten? Militärärzte und Sanitäter unter Beschuss
Zahlreiche Begegnungen mit Militärärzten und Sanitätern von Hamburg bis Mazar-i-Sharif machten mir deutlich, wie drängend ethische Fragen in der Militärmedizin sind. Das ernsthafte Ringen um Orientierung in einer Zeit, in der sich die Einsatzszenarien und das Aufgabenprofil der Sanität stark verändern, waren der Grund, medizinische Ethik in militärischen Kontexten zu einem Schwerpunktthema zu machen.
Schilderungen aus konkreten Einsatzsituationen illustrieren, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts oft nicht problemlos in die Praxis umzusetzen sind. Wen behandele ich angesichts knapper Ressourcen zuerst, die eigenen verwundeten Kameraden, die Zivilisten des Einsatzlandes oder den Gegner?
Nach den Genfer Konventionen von 1949 sind alle am Konflikt beteiligten Parteien verpflichtet, dass Kranke und Verletzte „mit Menschlichkeit behandelt und gepflegt werden, ohne jede Benachteiligung aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der Staatsangehörigkeit, der Religion, der politischen Meinung oder aus irgendeinem ähnlichen Grunde.“ Militärärzte haben eine Doppelrolle zwischen zwei Professionen – Arzt und Offizier –, von der jede ihrem eigenen „Code of Conduct“ unterliegt: Welchem Code sollen Militärärzte gerade folgen, dem Ethos ihrer zivilen ärztlichen Kollegen oder dem des militärischen Bezugssystems? Sollen sie ihre Urteile und Entscheidungen allein auf die Prinzipien einer medizinischen Ethik gründen oder gibt es eine spezifische Ethik, die beiden beruflichen Lebens- und Erfahrungswelten Rechnung trägt?
Die medizinische Ethik ist im hippokratischen Eid verwurzelt und die nach wie vor prominentesten Prinzipien der Medizinethik gehen auf die Ethiker Tom I. Beauchamp und James F. Childress zurück. Diese lauten: Respekt vor der Patientenautonomie, das Prinzip, dem Patienten nicht zu schaden, das Patientenwohl und Gerechtigkeit. Daneben gibt es in der Militärethik zwei zentrale Regeln, die auch im Völkerrecht verankert sind: das Prinzip der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten und das Prinzip der Proportionalität des Gewaltmitteleinsatzes.
Die Brisanz der Themen und die Notwendigkeit eines internationalen Austauschs wurden auch auf dem Symposium deutlich, dass das zebis im vergangenen Jahr in der Katholischen Akademie in München zu Militärmedizinethik veranstaltete. Über 50 Ärzte, Sanitäter, Militärseelsorger und Offiziere diskutierten mit Experten und in Arbeitsgruppen anhand konkreter Einsatzszenarien Verhaltenskodizes, ethische und völkerrechtliche Fragen.
„Den Gegner retten? Militärärzte unter Beschuss“ – die dritte Ausgabe des E-Journals bringt unterschiedliche Professionen und Zugänge, Expertise und Erfahrungen zusammen. Praktiker und Wissenschaftler, Sanitätspersonal und zivile Helfer vertiefen die medizinische, militärische, völkerrechtliche und ethische Debatte.
So wird in den Beiträgen die Diskussion über die „militärische Notwendigkeit“ und die unparteiische medizinische Versorgung in bewaffneten Konflikten durch konträre ethische Positionen abgebildet. Das aktuelle Thema des Human Enhancement bei Soldaten, der menschlichen Optimierung, wird aufgegriffen und die grundsätzliche Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Helfern in Konflikt- und Katastropheneinsätzen gestellt.
Mein Dank gilt all denen, die mit dieser Ausgabe unseres E-Journals die wichtige internationale Debatte über medizinethische Fragen in militärischen Kontexten voranbringen. Dafür danke ich den Autoren, den Herausgebern und nicht zuletzt dem Redaktionsteam.
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