Editorial
Ausgabe 2023/02
Kernthemen europäischer Militärethik
Soldatinnen und Soldaten aus 19 Nationen waren im Oktober 2023 im spanischen Rota an der ersten Militärübung der geplanten EU-Krisenreaktionskräfte beteiligt. Allein die rein „militärpraktische“ Dimension dürfte eine große Herausforderung darstellen.
Unabhängig von diesen Aspekten oder der Diskussion um gemeinsame europäische Streitkräfte will sich diese Ausgabe der Frage annähern, ob es Charakteristika einer europäischen Militärethik gibt. Eine Frage, die seit Jahren auch die International Society für Military Ethics in Europe (EuroISME) beschäftigt. Um sie zufriedenstellend zu beantworten, bedürfte es allerdings wohl einiger Ausgaben von Ethik und Militär.
Wie umfangreich das Vorhaben wäre, verdeutlicht bereits der einführende Beitrag des niederländisch-australischen Autorenteams um Lonneke Peperkamp. Auf Basis einer Beschreibung militärethischer Grundlagen und Fragestellungen vergleichen sie in Grundzügen die ethische Bildung in den niederländischen und australischen Streitkräften.
Die übrigen Beiträge behandeln eher exemplarische Fragen, die zur Weiterbeschäftigung mit Grundlagen einer europäischen Militärethik anregen können. Ausgangspunkt war ein breites Verständnis von Militärethik, das Fragen der Legitimität militärischer Gewalt ebenso umfasst wie Verhaltensanforderungen an die einzelne „Militärperson“. Der Bezug zum Ukrainekrieg, der die Unabdingbarkeit klarer Wertorientierungen im militärischen Entscheiden und Handeln tagtäglich vor Augen führt, war den Autorinnen und Autoren freigestellt. So wendet sich Markus Thurau entschieden gegen die These, dass der gerechte Frieden als Leitbild angesichts des Kriegs ausgedient habe. Arseniy Kumankov geht der Frage nach, welcher Bedeutung der revisionistischen Theorie des gerechten Krieges für heutige „neue Kriege“ zukommt – zu denen er auch den russisch-ukrainischen zählt. Dragan Stanar hebt die essenzielle Rolle richtig konzipierter ethischer Bildung für Angehörige professioneller Streitkräfte und das zivil-militärische Verhältnis hervor. Angesichts oft unhinterfragter Behauptungen über den Wandel des soldatischen Berufsbilds plädiert Patrick Hofstetter dafür, Militärethik evidenzbasiert auszurichten. Christopher Ankersen erklärt, warum sich der „Krieger“ aus seiner Sicht nicht als Leitbild für Angehörige moderner professioneller Streitkräfte eignet. Es folgt ein Interview mit Deanna Messervey zur Frage, wie ethische Bildung neurowissenschaftliche und sozialpsychologische Erkenntnisse angemessen berücksichtigen kann, um Moral- und Rechtsverstöße möglichst zu verhindern. Dies führt zur Aussage zurück, „dass die Militärethik zwar ein akademisches Forschungsgebiet ist, aber auch die (Aus-)Bildung und Erziehung des militärischen Personals deutlich betont“ (L. Peperkamp et al.) Sie soll auf allen Ebenen rechtskonformes und wertgebundenes Verhalten befördern und dient damit auch dem Schutz der eigenen Soldatinnen und Soldaten vor dem zerstörerischen Potenzial ihres Berufs.
Angesichts dieser Impulse aus verschiedenen Disziplinen und Nationen sind wir uns sicher, dass die Ausgabe zum weiteren Nachdenken und Austausch innerhalb und außerhalb Europas anregen kann. Dies trifft genauso auf das aktuelle Special zu: Hier hat die Redaktion Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Nationen, die Bezug zu ethischer Bildung in Streitkräften haben, um prägnante Antworten auf einen Fragenkatalog zu Militärethik gebeten. Auch dies ist natürlich nicht als repräsentative Umfrage bzw. Abfrage „nationaler Standpunkte“ zu verstehen, sondern als Anregung, die individuellen Herangehensweisen nebeneinanderzulegen und mit dem je eigenen Verständnis von Militärethik abzugleichen.
Ein herzliches Dankeschön an alle, die inhaltlich, sprachlich und gestalterisch zu dieser Ausgabe beigetragen haben, darf und soll auf keinen Fall fehlen. Dies gilt insbesondere für Oberst a. D. Manfred Rosenberger, Vorstandsmitglied von EuroISME, der uns bei der Entstehung tatkräftig unterstützt hat.
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